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8. Heilige und heimliche Liebe

Ein herzlicher Empfang war unseren Freunden zuteil geworden, als sie unter Führung von Reihenfels unvermutet im Hause seiner Eltern eintrafen. Teilnehmend erkundigte man sich nach dem bisherigen Schicksal, von dem man nicht schon erfahren hatte, bedauerte, daß bis jetzt so wenig Erfolg zu verzeichnen wäre und hoffte zuversichtlich, Gott würde noch alles zum Besten lenken.

Wie schon erzählt, half Franziska nach besten Kräften, den Gästen den Umzug nach der Villa zu erleichtern, und während sie dort für Traulichkeit sorgte, half das fünfzehnjährige Käthchen, die jüngste Tochter und das vorletzte Kind der Familie, beim Einpacken in der Wohnung.

An ein ruhiges Aussprechen zwischen dem nach so langer Abwesenheit wieder angekommenen Sohne und den Eltern und Geschwistern war daher nicht zu denken, die Gäste fühlten, wie ein solches herbeigesehnt wurde, und als Franziska am Nachmittag wieder zurückkam, fand der Auszug sofort statt. Nur Oskar blieb noch für eine Stunde im Hause seiner Eltern.

Seine letzten Erlebnisse hatte er dem Vater schon mitgeteilt, auch über seine Tätigkeit in London berichtet, und jetzt saß die ganze Familie – mit Ausnahme des jüngsten Sohnes – in der nach deutschem Geschmacke eingerichteten, heimischen Wohnstube am gemütlichen Kaffeetisch und sprach, alles Geschäftliche ausschließend, über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Es wurde jener Zeiten gedacht, da der damals noch junge Vater in dem Dachkämmerchen saß und um das tägliche Brot Übersetzungen lieferte, wie die kranke Mutter mit freudigem Blick dem Arbeitenden zusah, wie ihr Händedruck, Liebe und Dank ausdrückend, dem Ermüdeten immer wieder neue Kraft einflößte, wie der blondlockige Oskar an ihrem Bette saß und ihr buchstabierend deutsche Märchen vorlas, worauf die glückliche Mutter, welche den Strickstrumpf nicht aus der Hand legte, erzählen mußte, wie Oskar beharrlich Dornröschen statt Dornröschen vorlas, wie dazu der Zeisig über dem Fenster jubilierte.

Dann wurde des Besuches des Direktors vom britischen Museum erwähnt, wie man sich damals mit großen Hoffnungen trug, die sich aber nicht erfüllten, weil der alte, wohlwollende Herr starb und sein Nachfolger Reihenfels vernachlässigte. Es gab damals wohl Zeiten, in denen das Herz des Gelehrten mit Bitterkeit erfüllt wurde, doch im Kreise der Seinen fand er immer wieder das Glück der Zufriedenheit.

»Denn diese, Gesundheit und ein reines Gewissen sind die einzige, feste Basis, auf welche sich im menschlichen Leben das Glück sicher aufbaut, jeder andere Grund hält das Gebäude nicht, wenn die Stürme des Lebens es umbrausen, und der goldene Grund ist einer der schwächsten,« sagte der alte Reihenfels, und seine Kinder merkten es sich, denn er sprach aus Erfahrung.

Man dachte jener Zeit, als Oskar hinaus ins Leben mußte, um sich sein Brot selbst zu verdienen, wie Franziska, da sie als vierzehnjähriges Mädchen die Schule verlassen, in ein Putzmachergeschäft als Lernende eintrat, damit sie sobald wie möglich den Eltern nicht mehr zur Last fiele, und wie dann plötzlich der große Umschwung im Schicksal kam.

Von der Eröffnung des Grabes Timur Dhars, wodurch doch diese Wendung bewirkt ward, sprach man nur flüchtig, denn dadurch konnten unangenehme Erinnerungen berührt werden, dagegen versenkte man sich mit Behagen in die Gegenwart und malte sich die Zukunft aus.

Wie glücklich war alles gekommen! Jetzt besaß die Familie ein trautes Heim, nach deutschem Geschmack eingerichtet und einfach, obwohl Reihenfels Mittel erlaubt hätten, die glänzendste Wohnung zu beziehen.

Der indischen Sitte entgegengesetzt, hielt er nur die notwendigsten Dienstboten, denn wo Frau und erwachsene Töchter im Hause sind, bringt es dem Hause Schande, unnötige Dienstleute zu halten, und je mehr Diener, desto mehr Lasten. Und hätte Reihenfels das erste Palais Delhis besessen, die Achtung, die ihm von allen Seiten entgegengebracht wurde, hätte nicht größer sein können als jetzt.

Mit heimlichem Stolz, der aber durch seine Worte klang, erzählte er, wie selbst der Generalgouverneur ihn mit Aufmerksamkeiten überschütte, wie er ihm bei jeder Zusammenkunft so respektvoll entgegenkäme, als wäre er der erste Beamte Indiens und Lord Canning sein Untergebener.

»Du warst doch sonst nicht so für Gunstbezeugungen empfänglich?« lächelte Oskar.

»Es kommt darauf an, von wem sie mir zuteil werden,« entgegnete der Vater. »Die Höflichkeit eines Fremden, der nur nach dem Beispiel anderer handelt, würde mich kalt lassen, und wäre er der mächtigste Mann der Erde; doch das Benehmen Lord Cannings mir gegenüber ehrt mich, weil auch ich ihn verehre. Lord Canning ist ein Mann, der es durch seine Tüchtigkeit weit gebracht hat, und jene Behauptung, er hätte seine Stellung nur der Gunst der Königin zu verdanken, weise ich offen als eine schamlose Beleidigung zurück.«

Die Mutter sah nach der tickenden, altdeutschen Wanduhr, die auf vier wies, und sagte zu Franziska, sie solle noch ein Kaffeegedeck auftragen.

Franziska vertrat die Hausfrau, sie besorgte das Einschenken der Tassen und beaufsichtigte den zischenden Kaffeekessel.

»Kommt noch Besuch?« fragte sie die Mutter, als sie aufstand.

»Ich traf heute morgen Herrn Neubert und habe ihn gebeten, nach Schluß des Büros zu einer Tasse Kaffee zu uns zu kommen.« Franziskas Gesicht übergoß sich mit einer flammenden Röte, ihre Hand suchte unsicher die Klinke, als sie das Zimmer verließ, das Gewünschte zu holen. Lächelnd blickte ihr die Mutter nach.

»Ludwig Neubert ist Schreiber auf dem deutschen Konsulat,« erklärte die Mutter Oskar, »ein sehr ehrenwerter, strebsamer, junger Mann. Er und Franziska lernten sich bei einem Ausfluge kennen, den die Beamten des deutschen Konsulats veranstalteten, nun, und die jungen Leute haben aneinander Gefallen gefunden. Warum sollte man nicht manchmal eine Vermittelung zwischen ihnen herstellen?«

Oskar blickte nach dem Vater, in dessen Gesicht er jedoch nichts erkennen konnte.

Dagegen ließ sich Käthchen vernehmen.

»Ich glaube, Mutter, du täuschst dich in Franziska,« warf sie vorwitzig ein, ihr als fünfzehnjährigem Mädchen verzeihlich. »Franziska hat nie zu erkennen gegeben, daß sie für Neubert Neigung besitzt. Es scheint mir eher, als fühle sie für den unbeholfenen jungen Mann nur Mitleid.«

»Ach, wie die Mädchen jetzt schon zeitig klug werden,« lächelte die Mutter, »selbst in dergleichen Sachen wollen sie einen schärferen Blick besitzen, als die Eltern! Liebes Käthchen, lenke dein Augenmerk lieber auf deinen Strickstrumpf, als anderswohin, denn wie ich schon von hier aus sehe, hast du wieder ein halbes Dutzend Maschen fallen lassen.«

Käthchen wollte ihre Behauptung verteidigen, doch ein ernster Blick des Vaters machte ihr verständlich, daß sie ihre Meinung über dergleichen Dinge nicht aussprechen durfte.

Das Eintreten Franziskas machte dem Gespräch überhaupt ein Ende.

Auch der Geladene ließ nicht lange auf sich warten. Ludwig Neubert war ein junger, gutgewachsener Mann von nüchternem, nichtssagendem Äußeren. Nicht ein Härchen des schlichten, semmelblonden Haares hatte sich eigenwillig verschoben, um den Eindruck des alltäglichen Gewohnheitsmenschen zu zerstören. Alles an ihm deutete auf Schüchternheit und Unsicherheit, was durch das Tragen einer stählernen Brille noch verstärkt wurde.

Nur wer dem Manne in das blaue, treue, seelenvolle Auge sah, und nur wer darin zu lesen verstand, ohne dabei vom Äußeren des Menschen beeinflußt zu werden, konnte ahnen, daß dieser so gewöhnlich aussehende Mann ein ungewöhnliches Herz besaß.

Neubert fühlte mit unabweisbarer Notwendigkeit die Verpflichtung, daß er ein Gespräch beginnen müsse, und so erzählte er, während er das Gebäck mit zitternden Fingern in tausend Stückchen zerbrach, daß eine .russische Fürstin zum Besuch in Delhi angekommen sei, und daß der Generalgouverneur ihr zu Ehren am Abend im Palmengarten ein Konzert veranstalten würde. Lord Canning hätte das Programm selbst aufgesetzt, und es sei ganz merkwürdig, wie er nur klassische Musik gewählt habe, während doch allgemein bekannt sei, daß die Fürstin, eine ausgesprochene Freundin von leichten Weisen, für Klassiker gar kein Verständnis habe.

Dies alles war in unsicheren, abgebrochenen Worten erzählt worden, als gelte es ein schamloses Vergehen zu beichten.

»Haben Sie das Programm gelesen?« fragte die Mutter.

»Ja, es ist herrlich,« rief Neubert lauter als nötig, und seine Augen begannen plötzlich zu strahlen.

»Sind Sie musikalisch?«

»Ach nein, leider nicht, ich liebe nur die Musik, und da ich weiß, daß – Sie – Sie auch gern – gute Musik hören,« er wühlte in der Brusttasche und brachte eine Menge Kuverts zum Vorschein, unter denen er suchte, »so wollte ich mir die Frage erlauben, ob Sie vielleicht geneigt sind, Gebrauch von diesen beiden Billetts zu machen.«

Er reichte Frau Reihenfels ein Kuvert hin, und diese griff danach. Da mochte Neubert der Gedanke kommen, daß es doch eigentlich passender wäre, dem Hausherrn die Billetts zur Verfügung zu stellen.

Schnell zog er das Kuvert aus dem Bereiche der ausgestreckten Hand und hielt es dem alten Reihenfels hin. Auch dieser wollte es nehmen, wurde aber ebenfalls getäuscht.

Neubert hatte sich ja furchtbar tölpelhaft benommen, das mußte er wieder gutmachen. Der Hausherr griff in die Luft, Neubert hatte das Kuvert wieder weggezogen und jetzt glücklich Frau Reihenfels ausgehändigt.

Dieses unglückliche Manöver war von allen beobachtet, doch mit seinem Takt anscheinend übersehen worden.

Nur das mutwillige Käthchen konnte ihre Lachlust nicht beherrschen; schnell ließ sie den Strickstrumpf fallen, bückte sich, und ihr Kopf blieb eine halbe Minute unter dem Tische verborgen. Als er wieder erschien, war er purpurrot vor Anstrengung, fast ebenso rot wie der Neuberts, welcher nichts sehnlicher wünschte, als daß sich hier eine Versenkung befände, in welcher er sich wie des alten Hamlets Geist auf der Bühne unsichtbar machen könnte. In seiner Verlegenheit griff er in die Zuckerdose und füllte sich die Tasse mit Zucker, bis der Kaffee überlief.

Frau Reihenfels hatte dem Kuvert zwei Billetts entnommen, zum neuen Schrecken Neuberts aber auch noch einen beschriebenen Zettel. Derselbe enthielt die Ausgabenrechnung des laufenden Monats; Frau Reihenfels erkannte trotz eines nur flüchtigen Blickes darauf, wieviel die Billetts gekostet hatten – für einen Schreiber eine fabelhafte Summe als Ausgabe an einem Tage.

»Das hat sich wohl in das Kuvert verirrt,« sagte sie, ihm den Zettel gebend. »Ja, wir nehmen Ihre Einladung dankbar an, doch müssen Sie verzeihen, wenn weder mein Mann noch ich davon Gebrauch machen.«

»Die Nachtluft bekommt uns alten Leuten nicht mehr gut,« schaltete Reihenfels ein.

Die Mutter hatte den einzigen, scheuen Blick Neuberts bemerkt, der Franziska gestreift, aber es hätte dessen nicht bedurft, um herauszufinden, wem die Einladung in Wirklichkeit galt.

»Meine Töchter lieben Musik und pflegen sie selbst,« fuhr sie fort. »Wenn es Ihnen angenehm ist, so werden Franziska und Käthchen Sie heute abend begleiten.«

Neubert stammelte etwas, als wäre er darüber ganz niedergeschlagen, Käthchen verstand es, vor Freude aufzujauchzen, Franziska dagegen senkte den Kopf, nahm befangen ihr Billett und zerknitterte es zwischen den Fingern. Für Neubert hatte sie nur ein dankbares Kopfneigen.

Da stürmte Otto, der jüngste, zehnjährige Sohn, in die Stube, in der Hand einen großen Rosenstrauß, auf dem Rücken den Schulranzen.

Wenn Engländer Kolonien anlegen, so lassen sie es sich immer angelegen sein, sie mit allem auszurüsten, was den Aufenthalt der ganzen Familie ermöglicht, also auch mit englischen Schulen.

Otto hatte keine Zeit, die Anwesenden zu begrüßen, er hielt den prachtvollen, aber einfach mit einem Bindfaden gebundenen Strauß vor sich hin und rief.

»Ein Rosenstrauß, wieviel ist er wert?«

»Rosen sind in Indien billig, er wird nicht viel kosten,« sagte Oskar.

»Ich frage nicht, wieviel er kostet, sondern wieviel er wert ist.«

»Rosen sind fast wertlos.«

»Aber diese sind kostbar! Hier,« er hielt den Strauß Franziska hin. »hundert Rupien zum ersten.«

»Du verstehst Preise zu machen,« lachte diese.

»Ich könnte noch einmal so viel fordern, und mancher würde es zahlen. Diese Rosen hat Lord Canning mit eigenen Händen gebrochen und gebunden.«

Der aufgeweckte Knabe hatte sich nicht getäuscht, jetzt wurde der Strauß mit ganz anderen Augen betrachtet als zuvor. Otto mußte erzählen, wie er zu dem Geschenk käme.

»Als ich am Garten des Gouvernements-Palastes vorbeikam,« erzählte er mit der größten Offenheit, »sah ich dicht am Gitter einen Apfel liegen – von den Bäumen, die sich Lord Canning aus Tirol hat kommen lassen. Ich nahm einen Stock und angelte darnach, denn so etwas ist hier selten ...«

»Das war nicht schön von dir,« sagte der Vater. »Er hatte schon Flecken,« entschuldigte sich Otto. Ich konnte ihn bald mit der Hand erreichen, als zu meinem Schrecken plötzlich Lord Canning herankam. Glücklicherweise lag neben dem Apfel eine Rose, und nun tat ich, als angelte ich nach dieser. Aber ich glaube, er durchschaute mich, denn er lächelte so merkwürdig. Dann fragte er mich, ob ich Rosen gern hätte, ich mußte natürlich ja sagen – obgleich mir an den Dingern gar nichts liegt – und da pflückte er diese hier ab und band sie selbst zusammen. Ich sollte sie mit einem Gruß nach Hause bringen und dann – ich habe mich ganz furchtbar geschämt – gab er mir den abgefallenen Apfel und noch einige andere. Da sind die Rosen, die Äpfel habe ich natürlich nicht mehr, die sind schon sicher aufgehoben.«

»Wie aufmerksam!« sagte Frau Reihenfels und roch an dem Strauß. »Lord Canning hat mich schon einmal mit einem Strauß bedacht, und zwar mit den ersten Blumen, die nach der Regenzeit in seinem Garten blühten. Hier, Franziska, steck ihn in eine Vase und setz ihn auf meinen Nähtisch.«

Allem Anschein nach schien Frau Reihenfels überzeugt, daß der Strauß nur für sie gebrochen sei.

Dadurch kam das Gespräch wieder auf den Generalgouverneur.

»Wer führt in Delhi eigentlich den Namen Duchesse?« fragte Oskar einmal dazwischen.

»Den wahren Namen habe ich gar nicht zu hören bekommen.«

Als wäre ein Mißton erschollen, so verstummte das lebhafte Gespräch plötzlich.

»Diesen Beinamen führt eine Italienerin, eine gewisse Signora Rosa Bellani, vielleicht mit Recht. Sie wohnt deiner neuen Behausung vis-a-vis,« entgegnete der Vater; »es wird in unserer Familie vermieden, von ihr zu sprechen, Oskar.«

Dieser machte ein erstauntes Gesicht.

»Wie, sie genießt keinen guten Ruf?«

»Keinen besonderen wenigstens. Junge Leute brauchen sich nicht gerade zu schämen, in ihrem Hause zu verkehren, doch nach unseren soliden, deutschen Ansichten würde ich mir wahrscheinlich ihren Besuch verbitten.«

»Das finde ich sonderbar. Ich erneuerte am Bahnhof die Bekanntschaft mit zwei mir befreundeten Herren, und als die Equipage des Generalgouverneurs vorüberfuhr, tauschten sie unter sich die Bemerkung aus, daß Lord Canning jedenfalls der Duchesse einen Besuch abstatten wolle. Er interessiere sich sehr für sie, er hätte vielleicht Absichten ...«

Oskar brach ab. Aller Augen waren wie erschreckt auf ihn geheftet, es war plötzlich so unheimlich still geworden. Mit einem Male stand Franziska auf, ihr Gesicht war blaß, aber ihre Augen sprühten Feuer.

»Das ist eine schamlose Behauptung!« rief sie mit starker Stimme. »Ich bitte dich um die Namen dieser beiden Herren, Oskar, damit sie zur Rechenschaft gezogen werden können.«

»Aber, Franziska,« begütigte die Mutter die Aufgeregte, »was veranlaßt dich denn, so Partei für Lord Canning zu nehmen?«

»Sie hat recht,« nahm aber da auch der Vater für seine Tochter das Wort; »für eine ehrenwerte Person muß man stets, wenn sie abwesend ist, mit aller Kraft eintreten, gilt es ihre Ehre gegen Verleumdung zu wahren, gleichgültig, ob es Freund oder Feind ist, um wieviel mehr, wenn es sich um Lord Canning handelt! Doch beruhige dich, die Sache läuft jedenfalls auf einen Irrtum hinaus.«

Er klärte Oskar darüber auf, daß auf Veranlassung des Gouverneurs bei der Duchesse einst Haussuchung vorgenommen wurde, weil er sie für eine französische Spionin hielt. Als sich der Verdacht als unbegründet erwies, war er ihr zur Rechtfertigung einen Besuch schuldig, und er konnte es nicht bei dem einen bewenden lassen, sondern mußte von Zeit zu Zeit wieder vorsprechen.

Damit war die Sache beigelegt.

»Übrigens ist allgemein bekannt,« sagte dann noch Frau Reihenfels, »daß Lord Canning mit der Schwester des Kapitän Atkins so gut wie verlobt ist; wir erwarten jeden Tag die Publikation. Die Susan mußt du kennen lernen Oskar, es ist ein reizendes Mädchen. Sie ist eine Freundin Franziskas und kommt häufig zu uns. Merkwürdig ist nur, mit welcher Entschiedenheit sie ihr Verhältnis zu Lord Canning leugnet; als ich einmal eine kleine Anspielung machte, wurde sie förmlich entrüstet. Nun, sie will uns jedenfalls eine Überraschung bereiten, aber uns alte Frauen kann sie doch nicht täuschen.«

Plötzlich brach Otto in lautes Lachen aus und begann in der Stube herumzutanzen.

»O, was seid ihr doch alle klug,« lachte er; »wenn ihr das alles wüßtet, was ich weiß!«

»Wenn du nur in der Schule etwas mehr wüßtest,« brachte ihn die Mutter zum Schweigen, die seinen Worten keine andere Bedeutung unterschob, als eben die, sich bedeutend zu machen.

Nachdem Oskar sich entfernt hatte, suchte auch Herr Neubert schnell einen Grund zum Abschied, denn als einziger junger Mann zwischen drei Damen fühlte er sich wie von Gott verlassen.

Wie beim Eintritt, so reichte er auch jetzt jedem schüchtern die Hand, bedankte sich bei jedem einzelnen und schaute ihn wie abbittend an, nur bei Franziska, die ihn doch bedient hatte, fand er kein Wort des Dankes und senkte vor ihr das Auge.

Am Abend also sollte er Franziska und Käthchen zum Konzert abholen.

Als Neubert schon die Treppe erreicht haben mußte, entdeckte Otto seinen stehengebliebenen Stock. Schnell wollte er ihm damit nacheilen, doch schneller noch nahm ihn Franziska dem Bruder aus der Hand und lief hinaus.

Käthchen sah die Mutter mit einem Ausdruck an, dessen nur ein junges Mädchen fähig ist, die Mutter wieder lächelte und warf dem Vater einen bedeutsamen Blick zu, der aber von diesem unbeachtet blieb.

»Das ist eigentlich unpassend,« sagte dann Käthchen feierlich.

»Ja, daß du immer klüger sein willst als ich, und daß du noch nicht daran denkst, das Kaffeegeschirr hinauszuräumen,« entgegnete die Mutter, »und daß du vorhin über Herrn Neubert lachtest, war auch nicht eben passend.«

»Es war aber auch zu komisch.«

Dem Vorfall wurde jedoch ein ganz falscher Grund untergeschoben.

Franziska erreichte Neubert auf der obersten Treppenstufe. Seine Verlegenheit stieg wieder auf, als ihm Franziska den Stock gab, sie wuchs, als Franziska vor ihm stehen blieb und ihm die Hand reichte.

»Herr Neubert,« sagte sie mit gedrückter Stimme, »ich möchte Sie nicht kränken!«

»O, Fräulein.«

»Verzeihen Sie mir, wenn ich heute abend keinen Gebrauch von Ihrer freundlichen Einladung mache. Ich danke Ihnen trotzdem von ganzem Herzen für dieselbe.«

Neubert erschrak, wunderte sich aber nicht; er fühlte nur den Druck der kleinen kräftigen Hand.

»Es soll mir sehr angenehm sein, wenn Sie nicht kommen,« murmelte er in seiner Unbeholfenheit und ging.

Franziska lachte nicht über diese sonderbaren Worte, die eigentlich eine Beleidigung enthielten, wehmutsvoll schaute sie dem Davongehenden nach. Sie hatte keinen Grund dazu, denn Neubert schmerzte ihre Absage nicht, weil diese ihm gar nicht zum Bewußtsein gekommen war; er fühlte nur den warmen Druck ihrer Hand.

In einem Nebenzimmer hatte dann Franziska eine leise Unterredung mit Otto. Der kleine Bruder verzog zwar erst schmollend den Mund, doch Franziska flüsterte ihm etwas ins Ohr, und gleich hellte sich sein Gesicht wieder auf.

»Na ja,« sagte er, »aber gleich zum Major machen, sonst tu ich's nicht.«

»Du willst zu hoch hinaus,« lächelte Franziska, »Oberleutnant ist auch genug.«

»Leutnant mag ich nicht werden.«

»Warum denn nicht?«

»Dann muß ich doch schreiben. Otto Reihenfels, Leutnant, und bei dem Wort Leutnant verschreib' ich mich allemal.« Franziska ging in ihr Schlafzimmer, Otto sprang zur Mutter.

»Nimm mich heute abend mit ins Konzert,« bat er.

»Ach, was verstehst du denn davon?«

»Jedenfalls ebensoviel wie mancher andere. Die meisten gehen doch nur hin, um die russische Fürstin zu sehen.«

Der Vater, der diese Worte seines Sohnes gehört hatte, lachte auf.

»Und um ihre neuen Toiletten zu zeigen,« fügte er hinzu.

»Du kannst die Musik auch hier hören,« sagte die Mutter.

»Aber in der Nähe klingt es lauter.«

»Nein, du gehst nicht. Was denkst du wohl, ein Billett kostet fünf Rupien!«

»Die Franziska kann doch nicht gehen, sie ist ja krank.«

»Krank?« rief die Mutter erschrocken.

»Natürlich! Hast du ihr denn das vorhin nicht angesehen? Ich dachte jeden Augenblick, der Kopf müßte ihr auseinanderplatzen. Ich glaube, sie liegt schon auf dem Bett.«

Die besorgte Mutter eilte in das Zimmer der Tochter und fand dieselbe, wie sie sich eben einen nassen Umschlag um den Kopf machte. Es war gut, .daß Franziska das Kommen der Mutter gehört hatte, so konnte noch schnell ihr Mund, der eben ein fröhliches Liedchen geträllert hatte, verstummen.

»Du bist krank, Kind?«

»Kopfweh, Mutter.« seufzte Franziska.

»Wenn es nur bis zum Abend aufgehört hat, die laute Musik –«

»Ich hoffe so.«

»Herr Neubert hat sich so auf deine Gesellschaft gefreut, er hat die Billetts nur deinetwegen gekauft.«

»Ich bedaure, daß er sich meinetwegen nun einschränken muß.«

»Herr Neubert ist ein guter Mensch.«

»Ein sehr, sehr guter Mensch. Aber, Mutter,« Franziska trat schnell vor die alte Frau, ergriff ihre beiden Hände und sah sie bittend an, »du bist in einem falschen Glauben.«

»Wieso denn, Kind?«

»Du glaubst, ich liebe ihn. Das ist nicht der Fall, und ich bitte dich nur um das eine: Mach diesem Mann, den ich hochachte, keine Hoffnungen, die sich nie erfüllen werden. Ich liebe ihn nicht.«

Die gute Frau Reihenfels ließ sich jetzt nicht weiter mit der kranken Tochter in ein Gespräch ein; aber ihr Lächeln, als sie die Stube verließ, sagte so viel als: Was nicht ist, kann ja noch werden, lernt euch nur erst näher kennen. Ich weiß das alles aus eigener Erfahrung, habe es selbst durchgemacht. Wenn ich dem schüchternen Neubert nur etwas mehr Courage beibringen könnte! Daß ihre Tochter einen anderen liebe, darauf kam die gute Mutter gar nicht. Wen sollte Franziska liebgewonnen haben, ohne daß es den scharfen Augen der Mutter entgangen wäre, Franziska, die den offenen Charakter des Vaters besaß! Am Abend kam Neubert pünktlich; mit teilnahmsvoller Miene vernahm er von Franziskas Kopfschmerzen, und er hinterließ beim Fortgehen so viele Wünsche zur Besserung, daß es Franziska hinterher ordentlich leid tat, die Krankheit simuliert zu haben.

Er, Käthchen und Otto begaben sich nach dem Palmengarten, einem nicht weit abgelegenen öffentlichen Garten, in welchem auf Befehl des Generalgouverneurs ein Konzert zu Ehren einer russischen Fürstin, zur kaiserlichen Familie gehörig, stattfand.

Friedrich Reihenfels war ein Frühaufsteher und ging infolgedessen auch zeitig zu Bett, und da nach seinen Gewohnheiten das ganze Hauswesen geregelt wurde, so mußte zu einer bestimmten, frühen Stunde die tiefste Ruhe herrschen, das heißt, alles mußte zu Bett gehen.

Nur ein alter, indischer Diener blieb auf, den spät Heimkehrenden die Tür zu öffnen, und mit ihm wachte seine Frau. Alles war still, nur ein Heimchen zirpte seine eintönige und doch so trauliche Weise. Die Lichter waren verlöscht bis auf das des wachenden Indiers. Der alte Mann hockte in seinem Stübchen auf einem Teppich, ein dickes Buch vor sich, und ließ den Finger langsam über die krausen Buchstaben gleiten. Er las die alten Traditionen und Prophezeiungen seines Volkes, wie aus Indien alle Menschen stammen, und wie die Indier einst noch die Erde beherrschen werden.

Ersteres ist wahr, letzteres ist die Ansicht hervorragender Gelehrter, Männer, welche die Weltgeschichte studiert haben und aus ihr Schlüsse ziehen können.

Sein Weib war nicht im Zimmer, es hockte auf dem Korridor und blickte in das Dunkel.

Da kam ein geräuschloser Schritt die Treppe herab; vor der sich erhebenden Alten stand eine schlanke, in dunkle, indische Gewänder gehüllte Mädchengestalt. Unter dem Kopftuch fielen goldene Zöpfe auf den Rücken herab, das einzige Leuchtende in der Finsternis.

»Bist du's, Zaline?« flüsterte die Mädchenstimme kaum hörbar.

»Ich bin's und bin bereit.«

»Du verrätst mich nicht, nicht wahr?«

»Meine Augen sollen die morgende Sonne nicht wiedersehen, wenn ich nicht das tue, was du wünschest, denn ich liebe dich.«

Ein kurzer Gang durch den Korridor, ein Schlüssel wurde unhörbar ins Schloß gesteckt, eine Hintertür öffnete sich, und das Mädchen stand im Freien. Zaline schloß wieder die Tür.

Es war eine wundervolle Nacht, eine Nacht, wie nur Indien sie zu zaubern vermag, eine Nacht, von der Natur geschaffen zum Kosen und Küssen.

Augenblickl.ch war es völlig finster, denn der hochstehende Vollmond wurde von einer Wolke bedeckt; nur Leuchtkäfer verbreiteten an einigen Stellen ein schwaches, phosphoreszierendes Licht. Sie wiegten sich auf Blumen und krochen durch die Büsche des Gartens, der ringsum die Villa umgab.

Kein Lufthauch regte sich, allüberall herrschte die tiefste Stille, der göttlichste Frieden.

Unbeweglich stand das Mädchen da, die Hand auf den Busen gepreßt, und lauschte. Ihr Ohr vernahm keinen Laut.

Da ertönten in weiter Ferne die leisen, und doch so mächtigen Klänge eines Orchesters; wie eine Musik aus dem himmlischen Jenseits drangen sie herüber, wunderbare, tiefe, ergreifende Töne, das Herz mit Wehmut und Jauchzen zugleich erfüllend.

Es war der Brautmarsch von Mozart, er gab der regungslosen Gestalt das Leben wieder.

Mit flüchtigem Schritt, der Wege und Stege dieses Gartens auch bei Nacht fand, eilte sie einer Laube zu, aus der eine hohe, dunkle Gestalt trat.

»Jonny!« Jonny ist der Kosename für John, auf deutsch Johannes. flüsterte das Mädchen leise mit unterdrücktem Jauchzen.

»Franziska!« erklang es ebenso zurück.

Dicht aneinandergeschmiegt, dicht verschlungen verschwanden beide in der Laube, und kein Wort ward weiter gehört, nur ein Geräusch, als würden Küsse gewechselt, die beste Verständigung zwischen zwei Liebenden.

Eine Viertelstunde verging, und noch immer ertönte kein Wort. Die Musik, bald leise und süß wie Engelsstimmen, bald weinend und dann wieder tröstend, bald mächtig wie rollender Donner, in dem Gott zürnt, begleitete das Schweigen. Es waren gottbegnadete Meister gewesen, welche diese Töne für die Ewigkeit geschaffen hatten.

Schließlich wurde selbst der gute, treue Mond, der so manches sieht, was zwischen liebenden Paaren vorgeht, und doch immer schweigt, auch er wurde neugierig und guckte hinter der Wolke hervor; seine Strahlen fanden den Weg durch das Blätterdach, sie beleuchteten zwei sitzende, eng verschlungene Gestalten, die sich von Mund zu Mund Leben einzuhauchen schienen, reines, neues Leben, verschmolzen in einem Körper, nicht aber die Glut leidenschaftlicher Liebe.

Deshalb fuhren sie auch nicht erschrocken auseinander, als müßte sich ihre Liebe des Lichtes schämen, sondern sie benutzten das Licht, um sich glückselig lächelnd anzusehen.

Zwischen zwei sich innig Liebenden findet eine Sympathie der Seelen statt, die wirklich erklärt, was sonst kein menschliches Gehirn kann. Der eine denkt, der andere hört zu, und findet das Denken Worte, so kann das Gespräch da fortgesetzt werden, wo das Denken aufgehört hat, ohne Störung, ohne Frage.

»Ich bedaure ihn so sehr,« flüsterte das Mädchen.

»Sprich offen mit ihm, ich bitte dich,« entgegnete die tiefe, wohltönende Männerstimme.

»Ich kann nicht, jetzt noch nicht.«

Wieder trat eine lange Pause ein, die beiden lauschten der Musik.

»Das ist schön,« sagte das Mädchen »Es ist für dich, nur für dich.«

»Sie wird dich vermissen.«

»Mag sie es, ich bin bei dir.«

»Wie gelangtest du in den Garten, Jonny? Ach, ich hatte solche Angst, daß du nicht kämst! Seit einmal Eingeborene hier übernachtet haben, überzeugt sich Vater jeden Abend selbst, ob die Gartentür geschlossen ist, und den Gitterstab hat er heute auch einsetzen lassen.

Wie kamst du herein?«

Der Mann lachte leise.

»Wie der Dieb in der Nacht bin ich hereingestiegen, ich nahm meinen Weg über das Gitter.«

»Über das hohe, spitze Gitter? Jonny, wenn dir dabei etwas zugestoßen wäre!«

»Und wenn es himmelhoch wäre, und wenn seine Spitzen glühend wären, ich würde es doch erklimmen und den Weg zu dir finden, Franziska.«

Er zog sie an sich. Dabei klirrte es leise.

»Was war das?«

»Mein Degen.«

»Du bist in Uniform?«

»Sogar in großer.«

»O, laß mich dich so einmal in der Nähe sehen!«

Der Mann stand auf. Der Mond wurde noch neugieriger, er leuchtete noch stärker und beschien mit vollem Glanz den Mann in Schlapphut und langem, grauem Mantel.

»Wird Franzys Liebe nicht an Zärtlichkeit verlieren, wenn sie mich anders sieht als sonst?«

»Nicht mehr, jetzt freue ich mich an deinem Glanz.«

Hut und Mantel fielen; vor dem Mädchen stand ein schöner, hoheitsvoller Mann in der glänzenden Generalsuniform der englischen Gardedragoner, an der Seite den schweren Pallasch, die Brust mit Orden bedeckt, um den Hals eine goldene Kette.

Wohl war das Mädchen stumm vor Staunen, doch nur freudige Bewunderung, keine Scheu sprach aus ihren Augen. Dann stand sie auf und legte beide Hände auf seine Schultern, wozu sie sich emporrecken mußte.

»Bist du denn wirklich mein Geliebter?«

»Ich bin's und werde es immer bleiben!«

»Und ich?«

»Meine Geliebte, jetzt und immerdar, als Braut und als Weib.«

»Weißt du, was der Vater sagte? Er ist klug und weitsichtig.«

»Ich weiß es und höre deshalb gern auf ihn. Was sagte er?«

»In absehbarer Zeit würde die Königin von England die Macht der ostindischen Kompanie beschränken und sich selbst zur Kaiserin von Indien ernennen.«

»Diese Zeit liegt nicht mehr fern.«

»Dann gibt es keinen Gouverneur mehr, der für Englands Interessen wacht.«

»Nein, ein Vizekönig muß ernannt werden.« »Und dieser würdest du.«

»Wenn ich noch lebe und Gott nicht anders will, werde ich es sein.«

»Und ich?« erklang es abermals, aber ängstlich.

»Du würdest den Thron mit mir teilen!«

»Um Gott, Jonny, ich – ich könnte es nicht!«

Der Offizier griff nach Hut und Mantel.

»Ich fürchtete es, du bist ein Mensch, und läßt dich von Gold und Ehre verblenden.«

Er konnte sich nicht den Mantel umlegen, denn das Mädchen hinderte ihn daran.

»Nein, nein, Jonny, das waren törichte Worte. Ersteigst du den Thron, so werde ich dir folgen, und solltest du die armseligste Hütte beziehen, so werde ich mit dir einziehen und sie dir zum Palast machen.«

Sie setzte sich und zog ihn auf die Bank.

»Sag, Jonny, bist du wirklich 42 Jahre alt?«

»Nur meinem Geburtsschein nach.«

»Wie meinst du das?«

»Im Herzen bin ich noch ein Jüngling, und deine Liebe macht mich immer jünger. Dies ist der Unterschied der reinen und der anderen Liebe. Verstehst du das?«

»Ich glaube.«

»Würde ich wohl sonst das Gitter übersteigen, ich, dem sich alle Türen öffnen?«

»Sie ist so schön, die heimliche Liebe!«

Er preßte sie an sich.

»Die Orden drücken mich!«

»Auch mich manchmal.«

Sie nahm die goldene Kette in die Hand.

»Man sagt, diese Ehrenzeichen seien trotz ihres Wertes oft Sklavenketten, und schwer zu tragen.«

»Auch diese ist das Zeichen meiner Sklaverei, doch sie fesselt mich an meine Königin.«

»Du liebtest sie?«

»Ich liebte sie und liebe sie noch immer. Ich liebte sie als Kind, ich liebte sie als Weib, und jetzt liebe ich sie als meine Königin. Weißt du, was ich damit sagen will, Franzy?«

»In deiner Nähe verstehe ich alles.

»Und fragst nicht mehr?«

»Nein, denn du liebst mich, wie ich dich liebe.«

Sie spielte mit dem Pallasch und versuchte vergebens, den Stahl aus der Scheide zu ziehen.

»Der ist eingerostet.«

»Weil Friede ist.«

»Das darf doch nicht sein, auch nicht im Frieden.«

»Wenn der Friede bedroht ist, wird auch der Stahl nicht mehr verrostet sein, sondern funkeln!«

Lächelnd zog er ihn ohne jede Anstrengung aus der Scheide; blitzend wurden die Mondstrahlen von der Waffe reflektiert.

»Du bist so stark! Ist dieses Schwert dein Eigentum?«

»Es gehört der Königin, wie alles, was ich habe. Sie gab es mir, für ihr Recht damit zu kämpfen, ich ziehe es nur für sie – und für dich!«

Sie betrachtete und betastete mit der harmlosen Neugier eines Kindes die glänzenden Orden an der Brust.

»Ist dies der höchste Orden, der mit den vielen Brillanten?«

»Nein. Ich kenne jemanden, den ich verachte, und er besitzt ihn auch.«

»Welches ist der höchste?«

Der Offizier machte einen ganz kleinen ab, der den anderen gegenüber verschwand, und ließ ihn in seiner Hand im Mondlicht glänzen. »Dies ist der höchste Orden.«

»Wie, das kleine, unscheinbare Ding?«

»Er ist der höchste Orden.«

»Wofür hast du ihn erhalten? Von welchem Lande oder Fürsten? Ich kann gar nicht glauben, daß dies der wertvollste deiner Orden sein soll.«

Sinnend ruhten die Augen des Mannes auf dem kleinen Silberstück.

»Höre mich an, Franzy, ich will dir einen Traum erzählen, den ich träumte, als ich vor einem halben Jahre aus England zurückkam, als ich dich noch nicht kannte,« begann er dann, während die ferne Musik eine Symphonie spielte, weiche Töne, dann wieder himmelanschwellend. »Ich kehrte zurück, reich mit Ehren beladen, mit Auszeichnungen und Orden überhäuft. Ja, Franzy, ich war stolz, denn ich wußte, ich hatte alles meinen Verdiensten und meiner Treue zu verdanken. Da träumte mir eines Nachts, ich wäre gestorben.

Donnerndes Sturmgebraus erscholl, es faßte mich, und mit unwiderstehlicher Gewalt wurde ich durch das Weltall geschleudert. Dann sah ich mich auf einer weiten, weiten Flur stehen, überfüllt mit Millionen von Menschen; Heulen und Jammergeschrei ertönten; aber mächtiger noch ließ sich eine dröhnende, furchtbare Stimme vernehmen, die aus einer zusammengeballten Wolke erscholl. Die ganze Atmosphäre war im Kampf, der Sturm heulte, aus der Wolke zuckten Blitze, und der Donner war Gottes Stimme. O, Franzy, es war schrecklich, es war das jüngste Gericht!«

Ängstlich hielt das Mädchen die Hand des Sprechers umklammert und wagte kaum zu atmen.

»Vor der donnernden Wolke, deren Stimme ich nicht verstand, stand ein Erzengel mit flammendem Schwert und schied die heranziehende Menge in zwei Hälften, links zogen die Verdammten, deren Jammergeschrei die Luft erfüllte, in einen endlosen Raum, aus denen gelbe Schwefelflammen ihnen entgegenschlugen, rechts verschwanden die Gottseligen hinter einer weißen Wolke, hinter welcher himmlische Engelsmusik ertönte. Ach, Franzy, es waren sehr, sehr wenige, die rechts vorbeizogen, und meist waren es solche, die auf Erden verachtet wurden: In Lumpen gehüllt, verhungert, mit ekelhaften Krankheiten geschlagen. Jetzt aber jubilierte ihr Mund!«

Der Mann schwieg wieder, von der Erinnerung überwältigt. Seine Hand war plötzlich ganz kalt geworden »Und du?« fragte das Mädchen leise.

»Ich? Ich war so wohlgemut, ich fürchtete mich nicht, ich wußte, daß mein Weg rechts gehen würde. Hatte ich doch Gott jeden Morgen und jeden Abend gebeten, mich sein Kind zu nennen, und war ich mir doch keiner verdammenswerten Sünde bewußt. Da plötzlich stand ich vor dem Erzengel, so wie ich jetzt bin, in Generalsuniform, den Pallasch an der Seite, auf dem Kopf den goldenen Helm mit fliegendem Drachen und die Brust voll Orden.

Selbstbewußt blickte ich den Erzengel an. Da verstand ich mit einem Male die Donnerstimme in der Wolke.

»Wer bist du?« fragte sie.

»Ein Mensch, der dich angebetet und deine Gebote befolgt hat.«

»Ich kenne dich nicht, fort in die ewige Verdammnis!« zürnte der Donner.

»Da vernahm ich in der Wolke eine andere, weiche, milde Stimme, und sie bat für mich um Erbarmen, um seines für mich vergossenen Blutes willen. Ich sollte mich wenigstens verteidigen können.«

»Was hast du auf Erden getan und nicht getan?« fragte der Donner noch einmal.

»Ich richtete mich stolz auf und begann: »Ich habe keine Sünde begangen, die des Verdammens wert ist. Ich habe deine Gebote gehalten, dich als einzigen Gott verehrt, nie betrogen, nie gestohlen, keinen Menschen getötet.

Darum war ich auf Erden hochgeehrt, man überschüttete mich mit Anerkennungen. Sieh, diese Orden, sieh, diese Kette, ich erhielt sie von meiner Königin, weil sie auf meine Treue bauen konnte; sie wußte, daß sie über mein Schwert befehlen könne, nur für sie hätte ich es gezogen, und wäre auch die ganze Welt gegen mich zum Kampf angestürmt, ich ...«

»Du Narr,« unterbrach mich die Donnerstimme, »du aufgeblasener Narr, und du willst nicht gemordet haben?«

»,Nein.«

»Ich habe euch gesagt, ihr sollt nicht töten, auch nicht eure Feinde, sondern selbst diese lieben, und um euch das ans Herz zu legen, habe ich meinen eigenen Sohn geopfert. Du Narr aber brüstest dich noch damit, für deine Königin gegen Feinde zu ziehen, mit dem Schwert die zu töten, die ich geschaffen habe? Schweig! Daß du es nicht getan hast, gilt nichts, du hättest es getan, es fehlte dir nur an Gelegenheit, der Wille gilt. Hast du nicht selbst Todesurteile unterschrieben? Und du willst nicht getötet, gemordet haben? Habe ich euch nicht durch meinen Sohn klar und deutlich gesagt, daß ihr nicht töten sollt?«

»Franzy, ich kam mir mit einem Male in meiner Generalsuniform so unendlich erbärmlich vor. Ja, ich war ein Mörder. Da hörte ich wieder die sanfte Stimme des Sohnes, er bat nochmals für mich um Gnade, er wollte für mich eintreten. In der Wolke sah ich eine feurige Waage, links in der Schale ein ungeheurer Stapel, meine Sünden, in der rechten einige wenige gute Werke, etwas Elternliebe, einige Almosen – sehr wenig. Hoch flatterte die rechte Schale in der Luft. Es kam noch das Blut des Erlösers, für mich vergossen, hinzu; es vermochte das Gleichgewicht nicht herzustellen.«

»Gewogen und zu leicht befunden!« rollte der Donner. »Fort in die Verdammnis!«

»Der Erzengel hauchte mich mit glühendem Atem an, plötzlich flogen alle meine Orden, meine goldenen Tressen, alles, alles fort, meine Kleidung verwandelte sich in Fetzen. Da deutete der Erzengel erstaunt auf meine Brust, ich blickte hin und sah noch diesen kleinen, unscheinbaren Orden daran heften; er hatte dem Gluthauch widerstanden. Bescheiden wollte ich ihn entfernen.

»Was ist das?« fragte die Stimme.

»O, nichts, Herr,« entgegnete ich.

»Lege ihn in die Schale.«

»Ich tat's, und, Franziska, die Schale der guten Taten sank, die der Sünden wurde empor geschnellt. Da zerriß der himmlische Vorhang, ein Mädchen mit Engelsflügeln erschien und winkte mir, einzugehen zu den himmlischen Freuden.«

Beide sprachen lange kein Wort. Der Offizier stützte den Arm auf das Schwertgefäß und bedeckte sein Gesicht mit der freien Hand.

»Was für ein Orden ist das nun?« fragte sie dann.

Sie wiederholte dieselbe Frage nochmals vergeblich.

»Wie, Jonny, du weinst?«

»Ist dies eine Schande? Ja, ich weine; die Erinnerung hat mich überwältigt, und ich freue mich, daß ich noch weinen kann. So besitze ich noch ein Herz in der Brust.«

»Willst du mir nicht sagen, was der kleine Orden zu bedeuten hat?«

»Es ist eine Rettungsmedaille; so unscheinbar sie ist, ist sie doch der höchste Orden, am schwersten zu erwerben und der einzige, der auch im Himmel gilt.«

»So hast du einen Menschen gerettet?«

»Ja, aus Todesnot.«

»Erzähle, bitte!«

Sie umklammerte seinen Arm, und er begann. »Es war am Ganges in einer kleinen Stadt.

Wochenlang hatte es geregnet, die Bäche stürzten als Ströme herab und hatten den Fluß in ein flutendes Meer verwandelt. Ich, damals Gouverneur von Audh, befand mich auf einer Inspektionsreise dort. Am Nachmittag entstand ein Gewitter, begleitet von einem furchtbaren Sturm, und der meilenbreite Ganges warf Wellen wie das Meer auf. Ein Blitz schlug in die Stadt; die hölzernen Häuser standen bald an allen Ecken in hellen Flammen. Dicht am Ufer, von den Fluten fast schon berührt, erhob sich ein Häuschen. Es fing auch Feuer. Da kam eine neue Windsbraut angebraust, hob das brennende Holzhäuschen auf und warf es in den Strom. Im Nu trugen Sturm und Wogen es in die Mitte des Stromes. Auf dem Dache sah man ein Mädchen verzweifelt die Hände ringen. Es war verloren; unter ihr Feuer, neben ihr Wogen, aus denen sich überall hungrige Krokodilsköpfe reckten und mit offenem Rachen ihr Opfer erwarteten. Am Ufer rannte jammernd ein Mann auf und ab, mit Käppchen und Kaftan angetan, rief den Gott seiner Väter an, zerriß den schmutzigen Rock und versprach dem alle seine zusammengeschacherten Schätze, der seine Tochter rette, er versprach sich ihm selbst, sein Leben. Niemand trat vor, den kleinen Nachen zu besteigen. Es war wohl leicht, das brennende, schwimmende Haus zu erreichen, aber das Ufer wiederzuerlangen schien unmöglich. Ja, wäre der Vater ein Mensch gewesen, aber er war Jude, ein schmutziger, geiziger Jude, und seine Tochter eine verachtete Jüdin. So wagte ich es denn in Gottes Namen, und es gelang. Ich steuerte das Boot an das Haus, entriß das Mädchen dem Feuer, dem Wasser und den Zähnen der Krokodile. Gott war mir gnädig, er gebot dem Sturme Einhalt, ich gelangte ans Ufer zurück, allerdings erst nach vielen, vielen Stunden, fast an der Mündung des Ganges, und das Mädchen und ich waren gerettet.«

»Wurdest du nicht im Triumph empfangen?«

»Nein, die Stelle, wo ich landete, war einsam. Ich brachte das Mädchen zu Menschen und entzog mich dem Danke.«

»Du warst doch erkannt worden?«

»Nur von einem einzigen Menschen, einem Engländer. Er berichtete es nach Hause, und ein halbes Jahr später empfing ich aus der Hand der Königin diese Medaille.«

»Der Vater und die Tochter wissen nicht, wer der Retter ist?«

»Nein, ich habe sie nie wiedergesehen und sie mich nicht.«

»Hast du wenigstens den Namen des Juden erfahren?«

»Er hieß Sedrack.«

»Und seine Tochter?«

»Mirja.«

Franziska schmiegte sich an ihn und küßte ihn.

»Du schöner, edler, starker Mann, du hättest noch ganz anders belohnt werden sollen.«

»Noch mehr?«

»Ja, man hätte dich jauchzend auf die Schultern heben und dich triumphierend dem Volk zeigen sollen, rufend: Seht, das ist der Mann, der sein Leben wagte, einen Menschen zu retten, den ihr als solchen nicht anerkennen wollt. Nehmt ihn euch zum Beispiel!«

»Ich bin auch noch viel mehr belohnt worden.«

»Wodurch?«

»Durch dich, mein Lieb!«

Der rücksichtsvolle Mond hielt es für schicklich, sich jetzt wieder hinter einer Wolke zu verstecken, seine Anwesenheit hätte die beiden Liebenden doch etwas stören können.

Er wartete lange, ob sich ihre Stimmen vielleicht wieder vernehmen ließen; als er aber innerhalb einer halben Stunde gar nichts hörte als nur die klassischen Weisen des Orchesters, begann es ihm langweilig zu werden, und er beschloß, gar nicht mehr zu erscheinen.

Auch die beiden in der Laube lauschten, nachdem sie ihre Liebe in Küssen ausgedrückt hatten, der Musik.

Plötzlich zuckte das Mädchen zusammen.

»Was erschrickst du?«

»Die russische Fürstin wird dich vermissen.«

»Ich habe mich wegen dringender Geschäfte entschuldigt. Mein Helm und die Sporen liegen in einem Zimmer neben dem Konzertsaal, kurz vor dem Ende rüste ich mich wieder und gebe dann der Fürstin das Geleit.«

»O, du Heuchler!«

»Wieso? Ist es mir nicht wichtiger, bei dir, meine Liebe, zu sein, als dem faden Geschwätz der Russin zuzuhören, womit sie mir auch noch das Konzert verdirbt?«

»Du gabst es ihretwegen?« »Dem Scheine nach, in Wirklichkeit erklingen diese Melodien nur für dich.«

»Ich kann deine Liebe zu mir gar nicht begreifen, ich, die ich schon für das tägliche Brot gearbeitet habe.«

»Wir alle arbeiten für das tägliche Brot.«

»Aber immerhin, du vernachlässigst eine Fürstin, um bei mir zu sein.«

»Sollte ich nicht gerade heute kommen, da ich morgen verreise?«

..Ach, wärest du nur erst zurück!«

»Es sind nur einige Tage, und ich stehe in Gottes Hand.«

»Das Reisen in Indien ist so gefährlich!«

»In England findet der oft seinen Tod auf der Eisenbahn, der alle Gefahren der Dschungeln überstanden hat.«

»Auch wir gehen bald nach London.«

»Alle Ozeane der Welt sollen unsere Liebe nicht trennen. Doch vor eurer Abreise spreche ich mit deinem Vater; erst will ich seinen Segen haben, ehe ich dich ziehen lasse.«

»Tu das, ich bitte dich! Ach, Jonny, der arme Neubert!«

»Sprich mit ihm, es ist das beste!«

»Ich wage es nicht; ich glaube, ich gebe ihm den Todesstoß. Seine Liebe zu mir ist so rührend, so heilig.«

»Es muß sein, er oder ich!«

»Jonny, wie kannst du so sprechen? Du, nur du bist es, den ich liebe! Ich fühle mich zu Neubert hingezogen, seine Liebe soll mir immer heilig bleiben. Verstehst du mich?«

»Ich weiß, es ist sehr traurig! Was wird er sagen, wenn er erfährt, daß du mich liebst?«

»Er wird sich freuen, wenn er weiß, daß du mich wiederliebst, und daß ich in deiner Liebe glücklich bin.«

»Das ist der wahre Edelmut eines Mannes: Sich selbst beherrschen, wenn es das Glück eines anderen gilt. Führe mich Gott nicht in Versuchung, daß ich meine Charakterstärke darin selbst probieren muß.«

»Nicht durch mich. Ich bin die Deine und bleibe es ewig. Ach, Jonny, man hat dich wieder verleumdet.«

»Wegen der Duchesse?«

»Ja.«

»Was sagtest du?«

»Ich trat für dich ein, und der Vater stimmte mir bei. Dadurch fiel es nicht auf. Aber nicht wahr, Jonny, du gehst nicht mehr zu diesem Weibe?«

»Es war mir stets unangenehm, sie zu besuchen, doch ich mußte es tun, ich war es ihr schuldig. Aber nun ist meine Pflicht erfüllt, ich werde nicht mehr hingehen, außer, wenn ich unbedingt muß.«

»Es erfüllte mich mit unermeßlichem Jubel, als du heute mittag an ihrem Hause vorüberfuhrst und keinen Blick für sie hattest. Sie hatte sich eigens an das offene Fenster gestellt und wartete auf deinen Gruß.«

»So, tat sie das? Ich hatte nur Augen für dich. Ich malte mir aus, wie du einst so in meinem Heim für mich schalten und walten wirst.«

»Und weißt du, alle, ganz besonders meine Mutter, behaupten steif und fest, du seist mit Susan heimlich verlobt.«

»Die Gute! Weil ich oft mit ihr zusammenkomme, um ihr Briefchen für dich zu geben, gerät sie in solch bösen Verdacht. Und was macht Otto, unser kleiner Verbündeter?«

»Er hält treu zur Fahne. Heute mittag brachte er deinen Rosenstrauß. Mutter beanspruchte ihn natürlich für sich.«

»Er war für dich bestimmt.«

»Eine Bitte mußt du mir erfüllen,« sagte das Mädchen schalkhaft.

»Wenn es möglich ist.« »Neubert lud mich heute abend zum Konzert ein. Ich mußte dich vor deiner Abreise doch noch einmal sprechen, und so überredete ich Otto, für mich einzutreten. Er sagte auch zu, obgleich er sich aus Musik gar nichts macht, aber nur unter einer Bedingung.«

»Unter welcher?«

»Daß ihn mein Bräutigam, der Generalgouverneur von Indien, nach seiner Entlassung aus der Schule gleich zum Major macht.«

Der Offizier lachte leise auf.

»Gleich zum Major? Warum nicht erst zum Leutnant?«

»Weil er dieses Wort nicht schreiben kann – horch, was war das?« fuhr das Mädchen erschrocken auf.

Beide lauschten, kein Ton war zu hören.

»Es war nichts, vielleicht ein Nachttier,« sagte der Offizier.

Da spielte das Orchester eine herrliche, jauchzende Melodie, das Finale aus Fidelio:

Wer ein holdes Weib errungen, Stimm in unsern Jubel ein –

»Das letzte Stück des Programms; mein trauter, süßer Schatz, ich muß gehen. Ich kann mit einstimmen in den endlosen Jubel aller derer, denen es gelungen ist, sich ein holdes Wesen zu erringen.«

Noch eine lange Umarmung, noch ein langer, langer Kuß, dann legte der Offizier den Mantel um.

»Gute Nacht, Jonny. Gott sei mit dir auf der Reise. Ich will für dich beten.«

»Gute Nacht, mein Lieb, schlaf wohl und träume von dem, dem du alles bist auf Erden!«

Franziska sah die hohe Gestalt zwischen den Büschen verschwinden und eilte nach Hause.

Es wurde die höchste Zeit, das Konzert näherte sich dem Schluß, bald mußten Käthchen und Otto heimkommen, und erstere durfte noch nichts von der heimlichen, so süßen Liebe der Schwester merken.

Zur Verwunderung Franziskas war die Tür nur angelehnt. Sie öffnete und trat ein. Ihr Fuß stieß an einen Körper. Es war Zaline, welche eingeschlafen war.

»Zaline,« flüsterte Franziska, »es ist Zeit. Steh auf und schließe die Tür!«

Doch das alte Weib schlief fest.

»Zaline, wach auf, wach auf! Du arme Frau bist so müde und mußt für mich wachen.«

Sie rüttelte die Schlafende an der Schulter. Seltsam, sie ließ sich so willenlos bewegen, sie erwachte nicht, Franziska mochte rütteln wie sie wollte! Eine entsetzliche Ahnung begann in Franziska aufzudämmern. Das Weib war alt, ihr Tod konnte jeden Tag eintreten.

Das Mädchen legte angsterfüllt die Hand auf die Herzgegend – kein Heben und Senken, kein Pulsschlag.

Aber was war das? Ihre Hand lag ja auf einem ganz nassen Tuch. Und da, da, ihre Füße wurden plötzlich feucht, die Steinfliesen waren ganz naß.

Franziskas Hilferuf gellte durch das schlafende Haus.

Zaline lag in einer Lache Blut, es floß aus einer Wunde in der Herzgegend, sie war tot – ermordet.


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