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23. Der ungebetene Gast

Im Hause der Duchesse ging ein angstvolles Flüstern von Mund zu Mund; die eingeborenen Diener und Dienerinnen getrauten sich kaum am Tage, viel weniger des Nachts die unteren Räumlichkeiten zu betreten, und wurde einer in den Keller geschickt, etwas zu holen, so mußte erst eine Begleitgarde beordert werden, denn um keinen Preis der Welt ging einer allein hinunter.

Aber auch diese ganze Truppe kam jedes mal so schnell wie möglich und mit gesträubten Haaren wieder ans Tageslicht, behauptend, sie hätten ›ihn‹ wimmern hören oder sogar den Schein seines Feuers gesehen.

Es hieß nämlich, ein Agni, ein Feuergeist, habe im Keller dieses Hauses sein Domizil aufgeschlagen und käme ab und zu zum Vorschein. Gesehen hatte ihn freilich noch niemand in Wirklichkeit; aber das Gerücht war einmal entstanden, und jetzt behaupteten einige, sie hätten ihn tatsächlich erblickt.

Die Duchesse konnte tun und spotten, so viel sie wollte, sie vermochte das Gerücht nicht zu unterdrücken, und sonderbarerweise fürchtete sie sich selbst vor diesem Hausgespenst.

Doch sie war praktisch, sie wollte den Geist unschädlich machen.

Eines Tages, als Vorbereitungen zu einem Gastmahl getroffen wurden, wahrscheinlich zu Ehren des anwesenden Nana Sahib, ließ sie Babur zu sich kommen.

»Für was hältst du das?« fragte sie den Indier und deutete auf einige große, seltsame Gestelle aus Eisenstäben.

»Es sind Fallen, wie die Faringis sie zum Fangen der großen Raubtiere verwenden.«

»So wollen wir einmal versuchen, ob sich in einer derselben euer Agni fängt.«

Sie ließ den Indier die Fallen auf die Schulter laden und ging ihm voran.

Als er merkte, daß sie in den Keller wollte, blieb er zaghaft stehen. »Fürchtest du dich, mir zu folgen, Hasenherz?« zürnte sie ihm.

»Herrin, ich – ich gehe nicht – dahinunter,« stotterte Babur.

»Warum nicht?«

»Dort unten haust der Feuergeist.«

»Hast du ihn gesehen?«

»Ja, Herrin.«

Die Duchesse blickte sich scheu um und trat nahe an den Indier heran.

»Wie sah er aus?« fragte sie ihn leise »Er war nur in Felle gekleidet, hatte einen langen, weißen Bart, ebensolches Haar und statt der Nägel Krallen; in der Hand trug er einen brennenden Ast.«

»Hast du von dem Feuergeist gehört, der sich einmal in der Nähe von Mirat umher trieb?«

»Nein, Herrin.«

»Wo hast du diesen Agni gesehen?«

»Im tiefsten Keller.«

»Was machte er?«

»Er flog in der Luft herum und heulte; mehr sah ich nicht, denn ich floh schnell.«

Der Mann hatte jedenfalls den angeblichen Geist gar nicht gesehen; aber woher bekam er diese Schilderung? Oder hatte er ihn doch erblickt? Als die Duchesse wiederholt das Gerücht von der Anwesenheit eines Feuergeistes im Hause gehört hatte, war eine Vermutung in ihr aufgestiegen. Sie hatte an der hintersten Stelle im tiefsten Keller, da, wo eine geheime Falltür tief hinab in die geheimen Gänge führte, mit eigenen Händen weißen Sand gestreut, und als sie am anderen Tage wieder nachgesehen, hatte sie zu ihrem Schrecken deutliche Fußspuren bemerkt. Sie kamen von da heraus, wo sich die Falltür befand, gingen über den Sand und liefen wieder zurück. Es war ein Männerfuß und kein Zweifel, daß sein Besitzer die Falltür benutzt hatte, um ins Haus und wieder hinaus zu gelangen.

Ein kaltes Entsetzen war bei dieser Entdeckung über des Weibes Rücken gelaufen, und immer wieder befiel es sie, so oft sie von dem Feuergeiste reden hörte.

Diesen ungebetenen Besuchen wollte sie aber nun ein für allemal ein Ende bereiten.

Ihrem Zureden gelang es endlich, Babur zum Weitergehen zu bewegen, und schließlich stellte er auch an der engsten Stelle des Ganges, wo ein Mensch eben durch konnte, die Fallen auf und befestigte sie.

Wie von dem Feuergeist schon verfolgt, so floh Babur darauf wieder die Treppen hinauf; die Duchesse aber überzeugte sich erst, ob der Mechanismus funktioniere, welcher die Versenkung in Bewegung setzte.

Dann begab auch sie sich hinauf und machte Toilette, bei welcher Beschäftigung sie durch Nana Sahibs Eintritt unterbrochen wurde.

Sie hatte ihn nicht gleich bemerkt; er betrachtete unterdes mit lüsternen Augen die schöne Gestalt – sein Weib, von dem er seit langem getrennt gewesen.

Die Kammerzofe sah den Radscha zuerst, sie machte ihre Herrin auf den unangemeldeten Besuch aufmerksam.

Die Duchesse zog erst ein ungnädiges Gesicht. »Hast du meinen Wunsch erfüllt?« fragte sie dann.

»Es wurde mir schwer; aber sie ist da.« Des Weibes Augen leuchteten in triumphierender Freude auf. Sie schickte die Kammerzofe hinaus, und der grimmige Nana Sahib vertrat deren Stelle.– Die Tafel im Speisesaal war festlich gedeckt, doch nur für vier Personen. Trotzdem war nichts unterlassen, den Reichtum des Hauses zu zeigen. Teller, Schüsseln und Bestecke waren von Silber, desgleichen die mit Früchten gefüllten Aufsätze.

Noch fehlten die Gäste; denn das in raue, schmutzige Leinwand gekleidete Weib, welches dort an der Wand kniete, gehörte sicher nicht zu den Geladenen. Es war eine Gefangene; mit Ketten war sie an einen Ring geschlossen, der, wie es schien, frisch in die Wand eingemauert worden war, und die, welche die Ketten um die Handgelenke trug, hatte einst den stolzen Namen Lady Carter, Baronesse von Nottingham, geführt.

Ja, es war Emily, aus deren Zügen unsägliches Elend und harte Entbehrung sprachen.

Sechs Tage war sie mit ihren Schicksalsgenossen, nur Frauen und Kindern, in einem dumpfen Gewölbe eingesperrt gewesen. Am ersten Tage war ihnen reichliche Nahrung gebracht worden, und man hatte für Ventilation gesorgt, die anderen fünf Tage dagegen hatten sie kaum Brot gehabt, und die Luft wurde nach und nach so verpestet, daß man kaum noch atmen konnte. Schon waren viele Kinder gestorben, viele Erwachsene rangen mit dem Tode, und noch immer wurden neue Gefangene in das Gewölbe hineingetrieben.

Sie kamen aus anderen Städten und brachten schreckliche Kunde mit.

Sie hatten gesehen, wie die rebellischen Indier die wehrlosen Gefangenen in Stücke hieben, von Pferden zerreißen ließen, verbrannten oder vielmehr langsam verkohlen ließen, ihnen die Hände abschlugen, die Ohren mit Zangen abrissen, den Weibern die Brüste abschnitten und andere Greueltaten mehr verübten.

Warum diese plötzlich eingestellt worden waren, wußte niemand; jedenfalls, meinten die neu hinzugekommenen Gefangenen, um in noch schrecklicherem Maße an ihnen hier in Delhi fortgesetzt zu werden.

Schon der Aufenthalt in diesem Gewölbe war eine entsetzliche Qual, und je mehr starben, desto furchtbarer wurde die Lage, denn an das Fortschaffen der Leichen dachten die Wächter nicht.

Was für Szenen hatte Emily dort gesehen! Sie wünschte sich jede Stunde hundertmal den Tod, und das Zusammensein mit Klärchen, der Schwester Reihenfels', war ihr einziger Trost.

Es war wahrhaftig für das Mädchen kein freudiges Ereignis gewesen, als die Mutter von dem jungen Brahmanen bei seiner Flucht aufs Pferd gehoben wurde. Wer wußte, ob diese nicht ein ebensolches Los erwartete? Heute morgen war Emily plötzlich mit rauen Worten aufgefordert worden, sich zu erheben und mitzukommen. Sie verließ das Gewölbe mit gebrochenem Herzen, nicht, weil sie nun ihrem Tode entgegenzugehen wähnte – der war ihr nur erwünscht – sondern weil sie Klärchen in todkrankem Zustand zurückließ.

Emily wurde in einer Sänfte fort getragen, wohin, wußte sie nicht; es war ihr alles gleichgültig geworden, sie achtete nicht auf ihre Umgebung, so oft sie auch ein- und wieder aussteigen mußte, solange sie auch Aufenthalt hatte, und endlich wurde sie hierher gebracht und von den Indiern an diesen Ring gekettet.

Nach und nach kam sie wieder zu klarem Bewußtsein, besonders, weil ein schrecklicher Hunger in ihrem Innern wühlte.

Sie sah sich in einem prächtig ausgestatteten Saal, gegen welchen der Festsaal in Nottingham ein schmuckloses Stübchen zu nennen war. An Pracht konnte er sich mit dem Prunksaal im königlichen Palais zu Richmond messen, wenn auch nicht an Größe.

Vor ihr stand eine gedeckte Tafel, mit Früchten, Konfitüren und Backwerk besetzt.

Beim Anblick des herrlichen Obstes vergaß Emily plötzlich alles andere, jetzt merkte sie erst, welch furchtbarer Hunger sie marterte, sie streckte die Hand aus, eine Frucht zu nehmen – aber ach, die Kette war einen Zentimeter zu kurz.

Vielleicht gelang es, wenn sie sich auf die Seite stellte und sich dann weit vorbog, so, noch etwas mehr – »Gib dir keine Mühe, liebe Schwester, die Ketten reichen nicht,« erklang es da; eine Portiere wurde zurückgeschlagen, und die Duchesse, in einem tief ausgeschnittenen, weißen Atlaskleid, mit Juwelen behangen und bedeckt, wo sich nur solche anbringen ließen, rauschte herein.

»Isabel!«

Wie ein Schmerzensschrei klang dieser Ruf; Emily sank in die Knie und bedeckte das Gesicht mit den Händen. Hunger, Leid, alles war vergessen, nur ein Abend, jener Ballabend, trat ihr mit furchtbarer Klarheit vor Augen, und das eben hatte Isabel gewollt. Sie trug ein Kleid von derselben Art wie an jenem Abend, die Anordnung des Schmuckes war ebenso, nichts hatte sie vergessen, ja, selbst ein spitzenbesetzter Elfenbeinfächer fehlte nicht.

»Ja, es ist Isabel, deine liebe Schwester,« sagte das Weib und trat dicht vor Emily hin, jedoch nicht so nahe, daß sie im Bereiche der Ketten war. »Du scheinst Hunger zu haben, liebe Schwester.«

Emily antwortete nicht, sie sah nicht auf, sie hatte auch keine Tränen.

»Emily,« fuhr Isabel mit leiser, unheimlicher Stimme fort, »gedenkst du noch meines Fluches an jenem Abend, als du mir den raubtest, den ich immer noch liebte, trotzdem mich das Schicksal an die Seite eines anderen gefesselt hatte? Weißt du noch, wie du mich schmähtest? Weißt du noch, wie ich dir fluchte? Soll ich dir den Fluch wiederholen? Er ist herrlich in Erfüllung gegangen. Lange, lange Jahre habe ich daran gearbeitet, ich habe nichts gescheut, ich habe mich selbst erniedrigt; aber ich habe es mit Freuden getan, denn ich hatte ein Ziel vor Augen, und dieses ist jetzt erreicht. O, Emily, als ich dich vorhin dich abmühen sah, jene Orange dort zu erreichen, das allein hat mich schon entschädigt für das, was ich zu tragen hatte. Verflucht solltest du sein,« fuhr sie mit erhobener Stimme fort, »du, dein Mann, deine Kinder! Bastarde von unbekannter Herkunft solltest du auf den Armen wiegen und sie für deine Kinder halten, während dir diese entrissen wurden. Du solltest von deinem Manne getrennt werden, und schließlich solltet ihr alle in Armut und Schande zugrunde gehen; als Bettlerin solltest du an meinem reichen Tische sitzen, und ich wollte dir nicht das geben, was ich den Hunden gönne. Nun, hat sich nicht alles erfüllt?«

Emily antwortete nicht. Es brauste ihr in den Ohren, und doch mußte sie jedes Wort deutlich vernehmen.

»Gott, mach ein Ende mit mir!« stöhnte sie.

»Das möchtest du wohl!« lachte das teuflische Weib. »Aber ich will dich noch am Leben erhalten, damit ich dich noch recht lange quälen kann. Wie mein Fluch in Erfüllung gegangen ist, weißt du selbst; ich habe es dir auch drüben in jenem Hause erzählt, als ich dich des Nachts besuchte und du zu träumen glaubtest. O, jene Qual soll noch gar nichts sein gegen die, welche dir noch bevorsteht. Hungern sollst du und doch immer die köstlichsten Speisen vor Augen haben, du sollst Wasser zu trinken bekommen, das deinen Durst nicht zu löschen vermag, und immer von neuem sollst du von mir hören, Tag für Tag. du hast an deiner Brust ein fremdes Kind großgezogen, einen Jüngling, welcher in englischen Diensten steht und die Pläne der Engländer für indisches Gold an die Feinde verrät ...«

Emily blickte zum ersten Male auf.

»Eugen?«

»Ja, Eugen heißt der Verräter an seinen Wohltätern, und wenn man ihn ertappt, dann wird man mit Fingern auf ihn deuten und sagen: Seht, das ist der Mann, den Lady Carter großgezogen hat; aber man darf sich darüber nicht wundern, war doch auch ihr Gatte ein Hochverräter ...«

»Das ist nicht wahr!« schrie Emily auf. Isabel vermied es, weiter darauf einzugehen.

»Dein Gatte, der schöne Sir Carter, ist ein blödsinniger Greis, der gleich dir in Ketten schmachtet.«

»Auch das ist nicht war; mein unglücklicher Gatte befindet sich wenigstens in Freiheit.«

»Was du nicht sagst!« hohnlachte das Weib. »Allerdings lebte er bis vor kurzer Zeit wie ein wildes Tier im Walde, aber jetzt befindet er sich in einem Käfig bei mir.«

»O, zeig ihn mir, laß mich zu ihm!«

»Du sollst ihn sehen, wie er in seinem Käfig tobt, du sollst ihn brüllen hören, wenn ich ihn mit der Eisenstange necke, aber zu ihm darfst du nicht, er könnte dich zerreißen, und ich will dich noch lebend haben. Und dein Kind ...?«

»Meine Tochter?«

»Von ihr wirst du erst später erfahren, wenn ihre Schande vollkommen offenbar geworden ist,« triumphierte Isabel, heimlich bedauernd, auf keinen Fall schon jetzt die Wahrheit sagen zu dürfen, »und dann wirst du dir fluchen, ein Kind geboren zu haben, ein Scheusal, eine Hyäne in Menschgestalt du wirst dir die Haare raufen und wünschen, du hättest das Kind bei der Geburt erstickt, und man wird auf dich deuten und rufen: Seht, das ist das Weib, welches dieses Scheusal zur Welt gebracht hat.«

Isabel bedauerte, daß sie ihre Trümpfe so schnell ausgespielt hatte, am meisten aber, daß sich Emily so teilnahmslos verhielt.

»Nun soll der letzte Teil des Fluches in Erfüllung gehen, hungrig wirst du an meinem Tische sitzen, und ich will dir nicht das geben, was ich den Hunden gönne.«

Sie rauschte nach der Tür und führte Nana Sahib, Westerly und Phöbe herein zu dem Tisch. Ersterem folgten zwei mächtige Hunde.

Der Indier wollte das gefesselte Weib, welches er hierher hatte bringen lassen, jedenfalls nicht sehen, die beiden anderen bemerkten es nicht eher, als bis die Duchesse mit höhnischer Stimme sagte: »Madame Phöbe Dubois, Lord Westerly, Nana Sahib, Radscha von Berar, Maharadscha von Bitur – Lady Carter, Baronesse von Nottingham.«

Als jetzt Westerly das an der Erde kniende, gefesselte Weib erblickte, färbte sich sein Gesicht dunkelrot, das Phöbes dagegen nahm einen Zug der Entrüstung an.

Emily hob ihren Kopf und zeigte den sie Ansehenden ein leidendes, ergebenes Antlitz.

Fest begegnete sie den Blicken. Auch sie hatte Nana Sahib erkannt; das war der Mann, der unter dem Namen Sirbhanga um ihre Schwester geworben.

»Duchesse« sagte Phöbe mit verhaltenem Unwillen, »ich finde, Sie treiben die Sache etwas zu weit. Ich bin ein Mensch und besitze noch ein Herz.«

Ein böser Blitz traf sie aus den Augen der Hausherrin.

»Ich bitte Sie, nicht sentimental zu werden, Sentimentalität ist während eines indischen Aufstand gar nicht am Platze, und Sie haben redlich mitgeholfen ihn zu entflammen.«

Sie setzten sich, Nana Sahib neben sein Weib, Westerly neben Phöbe. Isabel saß nun Emily am nächsten; ihr Ruf lockte die beiden Hunde neben sie, und während der von Dienern aufgetragenen Mahlzeit beschäftigte sie sich am meisten mit den Tieren, warf ihnen die ausgesuchtesten Leckerbissen hin und überschüttete sie mit Liebkosungen.

Zu ihrem Ärger verhielt sich Emily völlig teilnahmslos, sie verhüllte nicht einmal mehr das Gesicht, starr blickte sie ins Leere und schien weder zu sehen noch zu hören.

Westerlys Augen ruhten wiederholt von der Seite auf seiner einstigen Braut, und immer mehr sagte er sich, daß er sich Illusionen gemacht hatte, als er sich diese Gefangene als seine Beute erbeten hatte. Wie war sie so mager geworden! Ihre frühere Schönheil war erloschen, und dann dieser häßliche Sackanzug! Mitleid kannte er ja nicht mehr, sein Herz war schon zu einem Stein geworden.

Es war allen, Isabel ausgenommen, als ob ein böser Dämon als Gast am Tische säße, oder eine Person, deren Anwesenheit störend wirke, es kam kein Gespräch in Fluß, bis endlich Nana Sahib von der zu unternehmenden Expedition in die Dschungeln begann, an welcher Westerly teilnahm. Es war auch schon bekannt geworden, daß Phöbe die Erlaubnis erhalten hatte, sich ihm anzuschließen, und man wunderte sich über ihre Absicht.

Das interessierte selbst Isabel so, daß sie einige Minuten das Spiel mit den Hunden und Emily vergaß und ihre Aufmerksamkeit den Gästen zuwendete.

Auch Phöbe raffte sich gewaltsam auf und wendete von jetzt an alle ihr zu Gebote stehende Liebenswürdigkeit Westerly zu.

Sie nahm den Dienern die Schüsseln ab und bediente ihn mit der größten Aufmerksamkeit, füllte sein Glas, stieß mit ihm an und scherzte mit ihm.

»Warum ich an der Bootsfahrt teilnehmen möchte?« sagte sie. »Mein Gott, die Mauern Delhis werden mir zu eng, ich sehne mich einmal hinaus ins Freie.«

»Die Expedition kann unter Umständen nicht ohne Kampf ablaufen,« meinte Nana Sahib, »auch steigen gerade jetzt giftige Fieberdünste auf.« »Setzen sich andere diesen Gefahren aus, so werde ich nicht zurückbleiben. Auf Ihr Wohl, Mylord, und auf gute Freundschaft während unserer Reise! Sie sind doch nicht ungehalten darüber, daß ich Sie begleite? Bedenken Sie, wir sind die beiden einzigen Europäer im Boot; wir müssen gute Kameradschaft halten.«

Erstaunt sah Westerly sie an, als sie mit ihm anstieß. Wie Schuppen fiel es ihm plötzlich von den Augen. Es war kein Zweifel, dieses Weib interessierte sich für ihn.

Schnell warf er einen Blick auf Emily, einen anderen auf Phöbe und hatte im Nu einen Vergleich zwischen beiden angestellt. Von jetzt an wurde er gesprächig, er wandte seine ganze Aufmerksamkeit seiner Nachbarin zu und überhäufte sie mit Schmeicheleien.

Wenn Emily es gehört hätte, so würde sie jetzt den wahren Charakter dieses Menschen kennen gelernt haben.

»Wenn Sie wüßten, gnädigste Frau,« sagte er zum Beispiel, »welchen Eindruck Sie damals in Wanstead auf mich gemacht haben.«

»Wirklich? Ich habe damals nichts davon gemerkt,« lächelte Phöbe, »und Sie hatten doch oft genug Gelegenheit, mir das zu verstehen zu geben.«

»Ich hätte es tun können, und ich hätte es auch zu gern getan, aber Sie wissen, es lagen damals besondere Verhältnisse vor, und diese brachten mich bald zur Verzweiflung. Ich hatte einer Person mein Wort gegeben, und das mußte ich ihr halten. Ein Glück, daß dieses Verhältnis ein so jähes Ende nahm; ich war ein freier Mann, da aber waren wieder Sie plötzlich verschwunden.«

Phöbe ermunterte ihn, in seinen versteckten Werbungen fortzufahren; hätte er freilich geahnt, wie es in ihrem Herzen aussah, er wäre tödlich erschrocken.

So spielt die Katze mit der Maus, bevor sie sie verschlingt.

»Sie waren mit Lady Carter verlobt?« fragte Isabel.

»Leider ja. Einige Worte der Freundschaft oder vielmehr des Mitleids mit dem ihres Mannes beraubten Weibe waren von ihr falsch aufgefaßt worden, und Sie kennen doch die englischen Gesetze. Nicht umsonst haben wir eine Königin auf dem Throne; mit dem Gesetze über das Heiratsversprechen, Nach den englischen Gesetzen muß man selbst das Heiratsversprechen, das man unbedacht oder im Scherz gemacht hat, einlösen oder an die Betreffende eine Entschädigung je nach Verhältnissen zahlen, die aber selten unter 1000 Mark beträgt. hat sie den Weibern eine furchtbare Waffe gegen uns in die Hand gegeben. Ich hätte damals mein Vermögen verloren.«

»So hat sie also versucht, Sie zu fangen?« sagte Isabel. »Ja, das sieht ihr ähnlich, sie besitzt darin Übung. Es mochte ihr nicht angenehm sein, den Namen eines als Hochverräter bekannten Mannes zu tragen.«

Plötzlich richtete sich Emily hoch auf, zum ersten Male öffnete sie ihre Lippen.

»Verspottet mich, verhöhnt, verachtet mich,« rief sie mit starker Stimme, »redet mir nach, was nicht wahr ist, geduldig will ich es tragen und euch nicht dereinst anklagen, ich will euch schon jetzt vergeben; denn so befiehlt es mir der, an den ich glaube, und welcher uns durch sein geheiligtes Leben ein Beispiel hinterlassen hat. Aber daß ihr anderen Übles nachredet, was nicht wahr ist, dulde ich nicht, da will ich meine Stimme erheben, so laut und solange ich kann. Sir Carter hat die Treue, die er seinem Vaterland geschworen, nicht wie andere Leute gebrochen. Wahrt euch, daß er nicht noch einmal komme und euch für eure Verleumdungen zur Rechenschaft ziehe!«

Als hätte diese Rede sie vollständig erschöpft, so sank Emily wieder zusammen.

Ihre Worte waren nicht ohne Eindruck geblieben, nur bei Isabel brachten sie keinen hervor.

Sie warf den Hunden einige Brocken zu, streichelte sie und sagte leichthin: »Es ist eine bekannte Tatsache, daß es von der Buhlerin bis zur Betschwester nur ein kleiner Schritt ist. Übrigens werden wir diesen ehrenwerten Sir Carter selbst fragen können, ob er damals die geheime Order nicht ausgeliefert habe; denn wie ihm meine liebe Schwester damals eine Falle gestellt hat, so habe auch ich ihm jetzt eine gestellt, nur eine etwas andere, weniger zärtlicher Art ...«

Plötzlich sprangen alle erschrocken auf. Die Diener standen wie vom Donner gerührt da, mit gesträubten Haaren, einer ließ prasselnd das Präsentierbrett mit Tellern und Schüsseln aus den Händen fallen.

Ein Geheul, ein Gebrüll wie das eines wilden Tieres durchscholl das Haus, markerschütternd, nervenzerstörend.

»Der Agni, der Agni kommt!« schrien die Diener, warfen weg, was sie in den Händen hielten, und flüchteten sich in die Verstecke, die ihnen der Saal bot.

Selbst die beiden mächtigen Bluthunde wurden von dem Entsetzen angesteckt, winselnd krochen sie unter den Diwan.

Bei Isabel währte dieser Schrecken nur einen Moment, dann verwandelte er sich in das Gegenteil.

»Gefangen!« rief sie in triumphierender Freude. »Emily, liebe Schwester, jetzt werde ich dir auch deinen Herrn Gemahl wieder zuführen, er hat sich in der Tigerfalle gefangen.

Da erscholl nochmals dieses unheimliche Geheul, jetzt aber erklang es noch viel lauter, näher, und eingeborene Diener und Dienerinnen kamen in wahnsinniger Furcht hereingestürzt.

»Er kommt, der Agni kommt,« schrien sie, »er ist dicht hinter uns her.«

Sie stürzten nach der Tür auf der anderen Seite des Saales und rissen die Gäste mit sich.

Selbst Isabel folgte ihnen einige Schritte, sie versuchte vergeblich, Ruhe herzustellen.

Doch da war es auch mit ihr vorbei.

In den Saal trat oder stürmte vielmehr die schon mehrfach beschriebene Gestalt des wandernden Feuers, auch jetzt trug dieselbe einen brennenden Ast und stieß unartikulierte Töne aus, aber diesmal klirrten um seinen Fuß zwei große, verbogene Eisenstangen – er hatte sich aus der Falle losgerissen, welche selbst der Kraft des Königstigers spottete.

In wilder Flucht ging es davon, in das nächste Zimmer und von da weiter, Isabel mit eingeschlossen, nur hatte letztere noch so viel Besinnung, die Türen innen hinter sich zuzuschmettern und zu verriegeln.

Endlich konnten sie nicht weiter, sie hätten dann den Korridor betreten müssen, und das wollte niemand um keinen Preis.

Alle Türen waren verschlossen, ängstlich drängten sich die Diener um die Faringis und um Nana Sahib, der aber von derselben furchtbaren Angst wie die anderen befallen war.

Man lauschte mit angehaltenem Atem. Würde der Furchtbare ihnen auch hierher folgen? Jetzt war er mit dem gefesselten Weibe und den beiden Hunden allein im Saale.

Die Duchesse zog einen Revolver hervor, Westerly folgte ihrem Beispiel.

Drüben ertönte ein Geräusch, als würden Steine aus den Mauern gebrochen, man hörte Emily schreien, dann erklang Hundegeheul.

»Die Hunde fürchten nur den König der Dschungeln, sonst nichts,« flüsterte Nana Sahib.

»Dann werden sie auch diesen Geist angreifen und ihn überwältigen.«

Das Hundegeheul verwandelte sich in ein jammerndes Winseln. Dann wurde eine Tür geworfen, schwere Schritte erklangen auf dem Korridor. Sie entfernten sich.

Mit entschlossenem Gesicht ging Isabel nach der Tür, öffnete sie und trat hinaus. Zu sehen war nichts. Schnell eilte sie nach einem verlassenen Gemach, aus dessen einer Wand ein eiserner Handgriff hervorragte. Sie zog daran, eine Stange schob sich heraus.

Lauschend blieb sie stehen.

Wieder erscholl ein Gebrüll, eine Weiberstimme schrie, ein gellender Ruf, und alles war still.

»Es ist vorbei,« flüsterte Isabel und begab sich zu den Versammelten zurück, die ihrer furchtsam harrten.

»Es ist vorbei,« sagte sie nochmals mit geisterbleichem Gesicht, »der Agni, wie die Indier sagen, oder das wandernde Feuer oder Sir Frank Carter lebt nicht mehr.« »Sie hätten ihn getötet?«

»Kommen Sie mit!«

Es war nicht leicht, die drei zum Mitkommen zu bewegen, am allerwenigsten Nana Sahib, aber schließlich gelang es doch.

Isabel führte sie in den untersten Keller, entzündete ein Licht und leuchtete. Im schmalsten Gange blieb sie stehen und deutete auf ein Loch, das vor ihr sich im Erdboden öffnete. Eine Klappe war heruntergeschlagen.

»Ich will Ihnen ein Geheimnis dieses Hauses verraten, um Sie hier zu beruhigen. Die Klappe besitzt einen Mechanismus, welcher oben in einem Handgriff endet. Ziehe ich daran, so fällt sie noch nicht, aber der, welcher darauf tritt, stürzt hinab. Der Feuergeist ist bei seinem Rückzuge in dieses Loch gefallen und wird nicht wiederkommen.«

Alle schauderten, als sie in die schwarzgähnende Tiefe blickten.

»Wohin geht das Loch?« fragte Phöbe leise.

»In eine Schleuse. Schwillt die Dschamna, so füllt sie es mit Wasser, beim Rücktritt spült es die Leiche mit sich fort, den Krokodilen zum Fraß.«

»So hat schon mancher hier geendet?«

Isabel zuckte die Achseln.

»Mit meinem Wissen und Willen nicht, dies war mein erstes Opfer, und ich bereue es nicht.«

»Aber wohin wollte sich denn der Mann wenden?« fragte Phöbe weiter. »Der Gang endet ja hier.«

»Das lassen Sie mein Geheimnis sein und bleiben!«

Man fragte nicht weiter, doch Westerly wußte plötzlich, wo sich der Zugang zu den unterirdischen Gängen befand, den er damals unter Führung der Duchesse mit verbundenen Augen benutzt hatte.

»Nun in den Saal zurück! Wir wollen sehen, was das wandernde Feuer eigentlich dort zu suchen gehabt und wie es sich seiner Frau Gemahlin gegenüber benommen hat. Ich fürchte nur, er hat sie erwürgt; aber wiederum freut es mich dann, daß sie wenigstens vor ihrem Tode ihren Gatten noch einmal in seinem schrecklichen Zustande gesehen hat.«

Zagend folgten die anderen Isabel in den Saal, am meisten furchtsam war diesmal Westerly. Krampfhaft hielt er den Revolver umklammert.

Seine Angst war nicht nötig; das wandernde Feuer war nicht mehr da. Beide Hunde lagen am Boden, anscheinend erwürgt.

Aber wo war Emily? Mit einem heiseren Wutschrei stürzte Isabel nach der Stelle, wo sie angefesselt gewesen war. Der Ring war mit furchtbarer Kraft aus dem Mauerwerk gerissen worden – das wandernde Feuer hatte Emily mit sich genommen.

Entsetzt sahen sich die vier an.

»Sie haben auch Ihre Schwester gemordet!« sagte Phöbe. »Carter hat seine Gattin wahrscheinlich erkannt, befreit, mitgenommen, und nun ist sie mit ihm in die Tiefe gestürzt.«

Wütend fuhr Isabel auf.

»Gemordet habe ich sie?« schrie sie. »Ha, ich möchte, ich hätte sie vorher ermordet, dann hätte ich mich wenigstens an ihren Qualen lechzen können; denn leicht würde ich ihr den Tod sicherlich nicht gemacht haben. Doch nun ist sie für mich auf ewig verloren, sie ist meiner letzten Rache entgangen, ich konnte nicht einmal mehr Zeuge sein, wie sie starb.«

Das war ihr einziger Kummer. Hätte sie den Leichnam der verhaßten Schwester noch erlangen können, sie würde ihren Haß auch noch an diesem ausgelassen haben.

An eine Fortsetzung des Gastmahls war jetzt natürlich nicht mehr zu denken.

Westerly und Phöbe entfernten sich, sie hatten noch viele Vorbereitungen zur gemeinschaftlichen Reise zu treffen. Es gelang Isabel nach vielen Bemühungen, die Diener zum Bleiben zu bewegen, besonders durch die Versicherung, nun habe der Geist sich das Opfer geholt, wegen dessen er ihr Haus aufgesucht hätte – jenes gefangene Weib.

»Sind schon welche davongelaufen?« fragte sie den ältesten Diener.

»Nein, wir sind gern bei dir, Herrin.«

»Doch, Nedra ist nicht mehr da,« sagte eine Dienerin.

»Sie war auch vorhin nicht bei uns, als wir uns vor dem Agni in dem Zimmer eingeschlossen hatten,« sagte eine andere; »sie kam zu spät.«

»So wird sie die Haustür zur Flucht benutzt haben und wiederkommen. Ich befehle euch, nicht von dem zu sprechen, was heute hier vorgegangen ist.«

Die Diener gehorchten; aber die vermißte Nedra kam nicht wieder. Sie mochte wahrscheinlich nicht mehr das Haus betreten, in dem es spukte.


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