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Obgleich die Nacht schon so weit vorgeschritten war, daß sie bald der im Osten über dem Wald auftauchenden Morgenröte weichen mußte, hatten doch noch nicht alle in dem Jagdschlosse Befindlichen im Schlafe Ruhe gesucht. Wieder befanden sich Bahadur, Nana Sahib und der hier mit Sinkolin angeredete Timur Dhar in dem Turmzimmer, das keine Nebenräume besaß, und hörten den Bericht eines Mannes, der vor einer halben Stunde mit vielen Leuten im Schlosse angekommen war.
Noch jetzt war sein Gesicht mit Schweiß, seine Kleidung mit Schlamm bedeckt, er sprach mit sichtlichem Zögern, und was er erzählte, mußte die Zuhörer mit Unwillen erfüllen, denn dieser war auf ihren Gesichtern ausgeprägt. Nur das des Gauklers hatte seinen gleichmütigen, kalten Ausdruck beibehalten.
»Mit einem Wort,« unterbrach Bahadur den Erzähler ungeduldig, ehe er noch geschlossen hatte, »dieser Mensch ist dir also entgangen, spare dir die lange Schilderung des Agni, wir glauben nicht daran, daß ein Feuergeist in sichtbarem Zustande die Erde betreten darf und die Faringis unterstützt, um seinem Volke, das ihn anbetet, zu schaden.«
»Herr, es ist so! Verflucht will ich in alle Ewigkeit sein, wenn auch nur ein unwahres Wort über meine Lippen kommt!« rief der Mann mit kläglicher Stimme. »Frage die, welche mich begleiteten, ob auch nur die Aussage des einen der des anderen widerspricht. Es war der Feuergeist, der zum Fluch als Mensch leben muß und das wandernde Feuer genannt wird.
Wie wäre es sonst möglich, daß er alle meine Hunde tötete, diese starken Tiere, die selbst den Königstiger zu überwältigen vermögen!«
»Aber auch der, den ihr verfolgen solltet, hat ihn dabei unterstützt.«
»Vielleicht, ich habe es nicht selbst gesehen Einer meiner Diener hat es behauptet.«
»Nun, dieser Mann ist ein Mensch, kein Geist, und verstand es auch, sich die Tiere vom Leibe zu halten.«
»So verlieh ihm die Anwesenheit des Feuergeistes übernatürliche Kraft und Gewandtheit.«
»Geh jetzt!« sagte Nana Sahib zu dem sich verteidigenden Manne. »Wir haben uns in dir getäuscht. Wir glaubten, du würbest uns die Nachricht von dem Tode dessen bringen, den wir hassen, und du meldest uns, daß er entkommen ist, und erzählst uns Fabeln. Du hast keine Hunde mehr, so bist du auch kein Eschnaib mehr. Geh!«
Der Eschnaib, der Führer der Hundemeute, wie solche die vornehmen Indier zur Hetzjagd benutzen, wollte sich mit demütiger Verbeugung und zerknirschter Miene entfernen, auf ein mahnendes Zeichen Sinkolins jedoch, rief Nana Sahib ihn noch einmal zurück.
»Ich will dich deiner Stelle wegen des heutigen Vorfalles doch noch nicht entheben,« sagte er, »Du wirst eine andere Meute bekommen. Nur ziehe sie so, daß sie das nächste Mal auch einen Feuergeist zu packen versteht, den Brahma verflucht hat.«
Als sich der Eschnaib jetzt entfernte, hatte sein Gesicht einen freudigen Ausdruck bekommnen.
Die drei Männer blickten sich lange stumm an.
»Entgangen!« knirschte Nana Sahib zuerst und stampfte heftig den Boden mit dem Fuße.
»Wäre er tot, so brauchte ich nur hier diesen Hebel,« er griff an eine aus der Wand herausragende Stange, »in Bewegung zu setzen, und für immer wären diese Menschen verschwunden, die wir fürchten müssen, solange wir leben. Der Boden würde sich unter ihnen öffnen, sie stürzten hinab in eine bodenlose Tiefe.«
Nana Sahib mußte eine Unbedachtsamkeit gesprochen haben, denn die beiden anderen stießen gleichzeitig ein verächtliches Lachen aus.
»Solange wir leben?« entgegnete Bahadur geringschätzend. »Da irrst du dich wohl! Wir haben sie nur so lange zu fürchten, wie unsere Pläne noch nicht reif sind. Dann aber kann es uns gleichgültig sein, ob sie uns durchschaut haben oder nicht, denn dann ist ja doch klar erwiesen, auf welches Ziel wir hingearbeitet haben.«
Nana Sahib sah dies ein.
»Und wenn sie schon jetzt Unrat merkten?«
»Es fehlen ihnen die Beweise gegen uns.«
»Dieser Reihenfels scheint viel zu ahnen; er kommt dem langsam, aber sicher näher, was wir vorhaben. Kann er kombinieren, so dürfte er alles erraten haben, denn er hat den letzten Ausruf Sirbhangas gehört, er hat vielleicht dessen noch fehlenden Arm gefunden, und da er Sanskrit versteht, weiß er seinen Namen, weiß vielleicht auch, daß so der Radscha von Dschansi heißt; er hat vielleicht die Zeichen im Fell der Tigerin gefunden und ahnt wenigstens, daß ich im Spiele bin; er ist, in alle uns so unangenehmen Vorkommnisse in England eingeweiht; kurz, besitzt er Kombinationsgabe, was ich nach allem Vorangegangenen nicht bezweifle, so kann uns in ihm ein mächtiger. Feind erstehen, der alle unsere Pläne vernichtet, ehe wir sie noch zum Reifen gebracht haben. Soll ich?«
Er ergriff den Hebel, doch Sinkolin packte sein Handgelenk.
»Es darf nicht sein,« raunte er. »Jeder gegen uns erhobene Verdacht würde uns nicht so viel schaden, als wenn man weiß, daß bei uns Faringis, die unter dem Schutze der englischen Regierung stehen, eingekehrt und verschwunden sind. Übrigens ist Reihenfels vorsichtig; ein Glück für uns, daß er zu vorsichtig ist. Er hat allerdings einen Argwohn gegen uns gefaßt, aber er sucht erst mehr Beweise, und wenn er diese hat, dann wird es zu spät sein, um sie noch benützen zu können. Dann brauchen wir keine Ankläger mehr zu fürchten.«
»Keine Torheit aus Übereilung!« warnte auch Bahadur, der sichtlich erschrak, als Nana Sahib den Hebel an der Wand faßte. »Laß sie ruhig das Schloß verlassen. Lange dauert es doch nicht mehr, bis wir am Ziele sind. Basrab muß schon lange unterwegs sein, meiner Berechnung nach kann er gar nicht weit von hier sein, und ich denke, Sinkolin, du kannst dich morgen auf den Weg machen, um die Begum bis an das Endziel ihrer Reise zu begleiten.
Bereite sie noch einmal vor, schildere ihr die Zukunft mit den glänzendsten Farben, flöße ihr noch einmal das Gift des Hasses gegen die Engländer ein und umgaukele ihre Phantasie mit mystischer Zauberei, wie nur du es verstehst, Sinkolin ...«
»Es wäre nicht mehr nötig,« unterbrach ihn dieser, »denn schon ist die Begum vollständig die unsere. Sie dürstet danach, ihre glänzende Rolle zu beginnen, und sie ist auch die Richtige, sie zu spielen. Ich werde sie trotzdem noch einmal darauf vorbereiten. Vergiß aber auch nicht, Bahadur, daß wir im Sinne des Weibes Nana Sahibs handeln müssen.«
Bahadur wurde über diese Ermahnung etwas aufgebracht.
»Ist diese Frau noch nicht zufrieden mit der Stellung, die ich ihr zugeteilt habe?«
»Die füllt sie nur aus, und zwar zu unserer größten Zufriedenheit, um so weit zu kommen, daß sie ihre Privatrache befriedigen kann.«
»Sollen wir dessentwegen unsere Plane ändern?«
»Nicht im geringsten. Doch mir müssen ihr Gelegenheit geben, daß sie einst ihren Haß fühlen kann.«
»Sie soll es!«
Die drei Männer schwiegen, jeder mit seinen Gedanken beschäftigt.
»Es ist die höchste Zeit, schlafen zu gehen,« nahm Bahadur dann wieder das Wort. »Ist es auch noch Nacht, so beginnt es im Osten sich doch schon zu lichten, und der kommende Tag verlangt viel von uns.«
»Noch einige Worte,« entgegnete Sinkolin, »ehe ihr den Schlaf sucht, dessen ich nicht bedarf. Was haltet Ihr von dem wandernden Feuer?«
»Ein Hirngespinst, weiter nichts!«
»Das glaube ich nicht. Die Beschreibungen aller, die es gesehen haben wollen, lauten übereinstimmend: ein alter, großer Mann, langes, weißes Kopf- und Barthaar, lange Fingernägel, das Äußere verwahrlost, eine Keule und einen brennenden Zweig in den Händen. Er schleicht in der Nacht umher und hält sich am Tage meist in Wäldern verborgen.«
»Natürlich, weil alle die Schilderung von dem einen haben, in dessen hirnverbranntem Kopfe das Gespenst entstanden ist!« sagte Nana Sahib.
Sinkolin schüttelte den Kopf.
»Ich selbst glaube fest daran; des Eschnaibs Erzählung war zu überzeugend. Ja, wenn ich wüßte –«
»Was?« fragte Bahadur den plötzlich abbrechenden Gaukler. »Nichts, eine Vermutung! Ich werde mich selbst überzeugen, ob dieser Feuergeist wirklich existiert oder nur in der Phantasie der Kulis. Es könnte sein, daß ein wahnsinniger Engländer sich in der Gegend herumtreibt.«
»Hast du Nachricht von den Getreuen erhalten?« fragte Bahadur.
Wie mißtrauisch blickten die kleinen Augen den Frager an.
»Nein, schon lange nicht mehr. Mein Weg führt mich, nach Dschansi, und dort bin ich nicht weit von ihnen entfernt. Ich werde fragen. Nun noch etwas: Der Bote dieses Reihenfels ist uns also durch die Tölpelhaftigkeit des Eschnaibs entkommen, wir müssen daher die Faringis ruhig abziehen lassen. Wir dürfen nicht einmal wagen, ihr Gedächtnis durch das uns bekannte Mittel zu trüben, denn wo anders sollte es ihnen beigebracht worden sein, als im Jagdschloß Nana Sahibs, in Gegenwart des Großmoguls?«
»Auf keinen Fall!« riefen die beiden anderen hastig.
»Wie Bahadur schon sagte,« fuhr Sinkolin fort, »ist es unseren Plänen durchaus nicht schädlich, wenn sie leben bleiben, denn sie vermögen nicht früh genug gegen uns aufzutreten.
Dennoch aber droht uns eine große Gefahr.«
»Welche wäre das?«
»Wir haben von den Kulis, welche sie begleiten, erfahren, daß sie allem Anschein nach auch Sirbhangas Arm gefunden haben, und ist dieser noch in ihrem Besitze, so kann Reihenfels die Tätowierung lesen, und ebenso besitzen sie das Fell, welches die Anfangsbuchstaben deines Namens, Nana Sahib, eingebrannt sind.«
»Dies alles haben wir schon erörtert!« rief Bahadur ungeduldig. »Es genügt indes nicht, uns zu verdächtigen. Bah, sollte ich, der Großmogul, die Anklage dieses Reihenfels, der nicht einmal ein Engländer ist, zu fürchten haben?«
»Dennoch sind es mächtige Beweismittel in seiner Hand, die, wenn auch nicht jetzt, unsere Sache doch stürzen können. Bedenke wohl: Reihenfels könnte aus dem Fund und aus dem letzten Ausruf Sirbhangas den sicheren Schluß ziehen, daß der Radscha nicht im ehrlichen Zweikampf, sondern durch Meuchelmord gefallen ist.«
Diese Worte enthielten eine große Beleidigung für Nana Sahib, doch er schwieg, und sein Schweigen war ein Geständnis. Diesen beiden gegenüber brauchte er sich aber dessen auch nicht zu scheuen.
»Und was dann?« fragte Bahadur.
»Das Volk von Dschansi ist heißblütig, leicht reizbar, mißtrauisch, stolz, oder auch ehrlich, ebenso wie es der Radscha war. Erfährt es, wie es seinen geliebten Fürsten verlor, und durch wen, dann wird es seine Rache zunächst gegen den kehren, der es beleidigt hat, und die neue Königin wird es davon nicht abhalten können. Dies alles kann Reihenfels mit dem erzielen, was er gefunden hat.«
»Du hast recht!« sagte Bahadur noch langem Nachdenken. »Daher müssen ihm die Beweismittel genommen werden, mit List oder mit Gewalt.«
»Lieber mit List, und ich werde das besorgen. Sinkolin wird die Faringis in tiefen Schlaf wiegen.«
Nach diesen rätselhaften Worten, die aber die beiden ganz gut zu verstehen schienen, verneigte er sich zum ersten Male heute tief vor dem Großmogul, gönnte Nana Sahib ein kurzes Kopfnicken und verließ das Gemach.
Mit finster gerunzelter Stirn und drohenden Augen blickte letzterer dem Hinausgehenden nach.
»Er wird anmaßend, dieser Sinkolin!« sagte er, als sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte.
Bahadur legte die Hand vertraulich auf die Schulter des Neffen.
»Schmähe ihn nicht, Nana! Benimmt er sich manchmal nicht so, wie du es von jedem anderen verlangen kannst, so denke daran, daß wir ihn nicht entbehren können!«
»Warum nicht?«
»Weil er uns unentbehrlich ist.« »Das dürfte die Frage sein!«
»Doch nicht. Die ungeheure Macht, die wir jetzt über das indische Volk ausüben, dieser Fanatismus, verbunden mit der größten Verschwiegenheit, der überall unserer guten Sache entgegengebracht wird, haben wir nur Sinkolin zu verdanken. Er ist der eigentliche Leiter; nicht uns selbst, sondern sein geheimnisvolles Wesen, mit dem wir uns nur schmücken, betet das Volk an.«
»Und wenn er nun einmal seine Macht mißbraucht?«
»Wie meinst du das?«
»Sinkolin hat es verstanden, sich zu deinem Barbier zu machen, an sich schon ein wichtiges Amt; dem despotischen Herrscher, der du damals warst, lauerte der Meuchelmord überall auf; der Gaukler hat sich bis zum Minister, bis zu deinem Ratgeber aufgeschwungen, auf den du allein hörst ...«
»Und mit vollem Recht. Sinkolin steht an Klarheit des Verstandes und Urteiles unerreicht da, aber er unterstützt nicht allein durch den Rat, sondern auch durch die Tat.«
»Und er wird noch höher streben,« fuhr Nana Sahib fort, »bis du ihn fürchten mußt!«
Bahadur schüttelte ungläubig lächelnd den Kopf.
»Ich hatte Sinkolin schon lange zu fürchten gehabt,« entgegnete er. »Mein Leben liegt doch täglich in seiner Hand, und er könnte schon jetzt die höchste Stelle einnehmen, wenn er wollte. Ich traue ihm jedoch vollkommen; er ist mir treu ergeben und erstrebt nichts, was ihm nicht gebührt. Er liebt sein Vaterland mehr als jeder andere Indier; es frei zu machen und den auf den Thron zu setzen, dem dieser gebührt, das ist sein glühendster Wunsch. Dies ist die Ursache, daß ich ihn nicht fürchte. Vergiß, daß er einst eine untergeordnete, selbst eine verachtete Stelle eingenommen hat, die eines Gauklers, und nütze klug aus, was wir seiner Schlauheit, Tatkraft und Treue verdanken. Genug davon! Ich kann Sinkolin nicht entbehren, und von dir erwarte ich, daß auch du dich ihm fügst.« – Der Mann, von dem die beiden eben sprachen, der zugleich die Rolle eines Barbiers, eines Dieners, eines Gauklers und eines Ministers spielte, den einige fürchteten, andere ehrten, dessen Existenz von Unzähligen überhaupt bezweifelt, von den meisten mit einem geheimnisvollen Nimbus umgeben wurde, schlich unterdes geräuschlos durch den winkligen Korridor des zweiten Stockes.
Er hatte einen dichten, langen Vollbart angelegt, der ihn ganz unkenntlich machte. In der Hand trug er einen Apparat, den zwar ein Tuch bedeckte, welches aber doch die Formen erkennen ließ. Es schien ein Destillierkolben zu sein, wie die Chemiker ihn benutzen.
Auf einen Druck öffnete sich eine Wand; Sinkolin verschwand in der Öffnung, befand sich aber nicht in einem Gemache, sondern in einem dunklen, engen Gange. Es zeigte sich, daß die starke, steinerne Wand nicht massiv, sondern hohl war. Sinkolin öffnete in der inneren Seite derselben eine Klappe und bekam so Einsicht in einen Raum, der von der eben beginnenden Morgendämmerung schwach beleuchtet wurde.
Hier schliefen Lady Carter und Miß Woodfield auf erhöht angebrachten Betten; auf einem Teppich an der Tür lag Hedwig. Erstere schliefen sanft; die Anstrengungen der Reise hatten sie äußerst ermüdet, Hedwig dagegen, die getaufte Indierin, bewegte sich unruhig.
Ein höhnisches Lächeln verzerrte die Züge des Gauklers, als er die Schläferinnen sah.
»Ihr würdet nicht so ruhig schlafen,« murmelte er unhörbar, »wenn ihr wüßtet, in wessen Hause ihr übernachtet, oder was der Auftrag der Dienerin ist, der ihr so viel vertraut. Doch es wird hell, ich muß eilen, denn jene Männer, an Beschwerden gewöhnt, werden nicht in den Tag hinein schlafen. Die Morgensonne weckt sie.«
Er verließ den Gang und begab sich in den anderen Flügel des Korridors. Hier verschwand er abermals in der hohlen Wand und ging auch darin fort, um durch drei verschiedene Klappen in ebensoviele Gemächer zu blicken.
Im ersten sah er Mister Reihenfels und Woodfield liegen, im dritten den Fakir und Kiong Jang, Jeremy und August. Alle hatten es sich zur Nachtruhe bequem gemacht und schliefen sorglos. Finster musterte der Gaukler den jungen Deutschen, dessen Klugheit er erkannt hatte, verächtlich den alten Engländer, mit haßerfüllten Blicken betrachtete er den Fakir und den Chinesen.
»Euch soll euer Lohn zuteil werden, meine Rache soll euch Verräter so furchtbar treffen, wie die Welt es noch nicht gesehen hat. Du, Hira Singh, bist die Schande nicht nur deiner Kaste, sondern ganz Indiens; du verrätst die dir anvertrauten Geheimnisse und hältst es mit den Engländern. Dafür sollen dir die Geier das Fleisch lebendig vom Leibe reißen. Und du, Kiong Jang, hast mich verspottet und willst mich jetzt verraten. Sucht nur, ihr werdet den Felsentempel doch nicht finden! Euer Hiersein ist vergeblich, ihr liefert euch nur selbst meiner Rache aus. Ha, Kiong Jang, wenn du wüßtest, daß ich da bin, den du fürchten mußt! Aber ich verstehe die Kunst, mich zu verstellen; und wäre dein Auge auch noch so scharf, du würdest mich nicht erkennen. Du entgehst den heiligen Schlangen der Kali nicht.«
Er zählte die Schläfer.
»Einer fehlt unter ihnen, und es wird so sein, wie ich vermutete; der vorsichtige und kluge Reihenfels hat ihn als Wächter neben den Sachen gelassen. Doch der junge Mann dünkt sich allzu klug, ich werde ihn belehren, daß all seine List vor mir in Nichts zerrinnt.«
Sinkolin öffnete die zum mittelsten Gemach führende Augenklappe und gewahrte einen Haufen von aufgestapelten Ballen, Kisten, Koffern usw. Auf einem der ersteren waren dicht am geöffneten Fenster die beiden Felle des Königstiger, des großen, wie des kleinen, zum Trocknen aufgespannt.
Vor den Waren lag auf einem Teppich, unterm Kopf den Sattel eines Maultieres, Charly, neben sich die Büchse, im Gürtel Revolver und Bowiemesser. Seine tiefen, regelmäßigen Atemzüge verrieten, daß er fest schlief.
»Er ist ein Mann, welcher in Wildnissen großgeworden ist,« murmelte Sinkolin, »er ist gewöhnt, auch das leiseste Geräusch selbst im tiefen Schlafe zu vernehmen, denn stets muß solch ein Mann vor Raubtieren und Feinden auf der Hut sein. Ich besitze jedoch ein Mittel, ihn in einen so tiefen Schlaf zu versetzen, daß das Haus über ihm zusammenfallen könnte, ohne daß er es merkt. Nur eine Stunde währt diese Betäubung, dann erwacht er mit freiem Kopfe. Fehlt nachher etwas von dem Gepäck, so haben Kulis es gestohlen, und ich werde sie züchtigen lassen. Dort liegt das Fell, den Arm werde ich finden – beides muß ich besitzen.
Wohlan, treuer Wächter, schlafe wohl!«
Mit einem hämischen Lächeln befestigte Sinkolin ein elastisches Instrument an seiner Nase, welches diese vollständig verschloß, wickelte den Apparat aus dem Tuche und brachte die daran befindliche Röhre in die Öffnung. Dann entzündete er ein Lämpchen und hielt die Flamme unter den Kolben.
Sofort ward ein süßlicher Geruch bemerkbar.
Sinkolin öffnete durch Druck auf einen Knopf die Tür und trat lautlos ein. So blieb er eine Minute stehen, teils um noch mehr berauschendes Gas ausströmen zu lassen, das aus dem offenen Fenster nicht schnell genug entweichen konnte, teils um die aufgestapelte Bagage genauer mustern zu können.
Da sah er schon, was er suchte.
Neben einem Ballen stand ein großes, längliches Hohlglas, wie man es. zum Aufbewahren von Schlangen benutzt, und in demselben befand sich in einer gelben Flüssigkeit ein nackter, muskulöser Menschenarm – Reihenfels hatte ihn in Spiritus gesetzt.
Deutlich konnte Sinkolin die blaue Tätowierung erkennen.
Er eignete sich aber nicht zuerst dieses Glas an, sondern wollte mit dem Schwierigeren beginnen, mit der Abnahme des großen Felles von dem Ballen, für den fingergewandten Gaukler aber auch eine Kleinigkeit; die er ohne das geringste Geräusch ausführen konnte.
Immer den gaserzeugenden Apparat in der Hand, stieg er über den Schlafenden hinweg, der mit keiner Wimper zuckte. Charly hatte keine Ahnung von dem, was um ihn vorging.
Noch einen Schritt, dann hatte Sinkolin das Fell erreicht, mit ausgestreckter Hand tat er ihn und – der schlaue Gaukler sah sich überlistet, dem heimlichen Tun verraten. Als sein Fuß beim letzten Schritt den Boden berührte, zuckte eine hohe, jedoch nicht heiße Flamme auf, sie pflanzte sich rings um die aufgebauten Stapel fort, begleitet von einem lauten Prasseln und Krachen.
Im selben Moment sprang Charly auf und hatte auch schon den heimlichen Besucher gepackt.
»Was gibt's? Was hast du hier zu suchen?«
Sinkolin hatte nicht eine Viertelsekunde seine Besinnung verloren. Mit blitzähnlicher Schnelligkeit waren Nasenkneifer und Apparat wie auch die Lampe unter dem weiten Mantel verschwunden, noch ehe Charly sie überhaupt gesehen hatte.
Ruhig, verwundert, die Linke auf das Tigerfell gelegt, blickte der Indier den Pelzjäger an, der ihn noch immer gepackt hielt.
»Was hast du hier zu suchen?« wiederholte Charly barsch.
»Habe ich dich im Schlafe erschreckt? Das tut mir leid!« war die gelassene Antwort. »Das schöne Fell!«
»Gefällt es dir? Mir auch. Aber Mausen gibt's nicht bei uns, das mußt du dir merken.«
»Ich verstehe dich nicht recht. Bitte, laß mich los!«
Charly ließ sich durch diese ruhige Sicherheit doch etwas verblüffen, er gab jenen frei.
»Hast du gut geschlafen?« fuhr Sinkolin fort.
»O ja, ich danke!«
»Hätte ich gewußt, daß ich .dich wecken wurde, so wäre ich nicht hereingekommen, um mir das Fell anzusehen, sondern hätte gewartet. Ich glaube, ich bin auf eine Zündschnur getreten.«
»Allerdings!«
Da kamen auch schon von der einen Seite Reihenfels, von der anderen Kiong Jang hereingestürzt. die übrigen, nur halb bekleidet folgten nach.
»O, wie ich bedaure, euch alle im besten Schlaf gestört zu haben!« entschuldigte sich Sinkolin, zu Reihenfels gewendet. »Ich konnte nicht ahnen, daß mein unvorsichtiges Benehmen solche Folgen haben würde. Ich wollte mir nur einmal das schöne Fell ansehen, das ich schon gestern abend bewunderte. Du bist sehr vorsichtig, daß du eine Zündschnur um deine Sachen legst. Es kann sich freilich einmal ein Unschuldiger daran verbrennen, wie es mir bald passiert ist.«
»Man kann nie vorsichtig genug sein.«
»Du fürchtest Diebe?«
»Es könnte der Fall eintreten.«
»O, nicht im Schlosse Bahadurs! Der kleinste Gegenstand, der dir fehlte, müßte ersetzt werden, und wenn sämtliche Kulis von ganz Indien durchgepeitscht werden sollten. Doch so etwas kommt hier nicht vor!«
August hatte die Nase hochgehoben und immer umherschnüffelt.
»Ei, wie richt das hier schön!« rief er jetzt, als Reihenfels, über diese Dreistigkeit des vermeintlichen Schloßvogts, den er durchschaute, förmlich bestürzt, für einen Augenblick schwieg. »Das riecht hier so süß und lieblich, gerade wie – wie na was denn nu gleich gerade – wie nach Pomeranzen und Zwetschgenwasser, da kriegt man ordentlich Appetit!«
»Auch ich nehme einen süßlichen Geruch wahr!« meinte Reihenfels.
»Die Blüten der Pflanzen hauchen ihren Duft am stärksten des Morgens aus; der Wind trägt ihn herauf in das Zimmer!« entgegnete Sinkolin unbefangen.
»Es ist nicht gut, bei offenem Fenster zu schlafen!«
»Manchmal aber doch!« bemerkte August trocken.
Sinkolin wendete sich wieder an Reihenfels.
»Ich bitte nochmals um Verzeihung euch im Schlafe gestört zu haben, ich selbst kann es mir nicht verzeihen. Der gestrige Anblick des Felles störte mir fast die Nachtruhe. Ich beschloß, es dir heute morgen abzukaufen, und konnte keine Ruhe finden, bis ich es nochmals sah.« »Es tut mir leid, das Fell ist nicht verkäuflich.«
»Warum nicht?«
»Ich möchte es als Andenken behalten. Der Tiger starb durch den Yatagan eines tapferen Mannes, es soll mich stets an diesen erinnern.«
»Nun, wir sprechen nach dem Frühstück noch darüber. Ich hoffe immer noch, mit dir handelseinig zu werden.«
Sinkolin zog sich mit einer Verbeugung zurück, jedoch nicht die geheime Tür benutzend, sondern durch die vorderen Zimmer gehend. Vom Korridor aus gab es zu diesen Gemächern scheinbar keinen Eingang.
»Der hat ja an dem Tigerfell geradezu einen Narren gefressen,« lachte August, als der Gaukler fort war.
Reihenfels warnte ihn mehr durch Blicke als durch Worte, so laut zu sprechen.
»Wie überraschtest du ihn?« fragte er Charly.
Dieser konnte nicht viel erzählen.
»Du hast nichts Außergewöhnliches bei ihm bemerkt?«
»Nichts.«
»Nicht ein Instrument, einen Apparat oder sonst etwas?«
»Nein.«
»Aber das Betäubungsmittel der Thags hat er doch angewendet,« sagte Hira Singh, »denn ich kenne alle anderen, deren sich die Fakire und Gaukler bedienen. Nur dieses eine ist mir fremd.«
»Mein Gegenmittel hat nicht versagt,« entgegnete Reihenfels, rückte einen Ballen zur Seite und brachte eine Flasche mit zwei Röhren zum Vorschein, aus denen ganz feine Strahlen der in der Flasche befindlichen hellen Flüssigkeit hervorspritzten, wahrscheinlich infolge eines Luftdrucks.
»Wäre sein Mittel nicht unschädlich gemacht worden, so wäre ihm sein Diebstahl geglückt,« fuhr Reihenfels, der durch eine Drehung des Glasstöpsels die Strahlen zum Versiegen gebracht hatte, fort; »trotzdem muß er eine große Gewandtheit besitzen.«
»Alle Indier sind im Stehlen gewandt,« sagte Hira Singh gleichmütig.
»Dann wundert es mich, daß er nicht auch uns zu betäuben suchte.«
»Er muß sehr, sehr geschickt sein.«
»Ja, wie ein Gaukler.«
Reihenfels sah bei diesen Worten Kiong Jang scharf an.
Dieser schüttelte den Kopf.
»Es ist nicht Timur Dhar, ich kann es nicht glauben. Wie könnte er sich auch vor uns wagen?«
Charly fiel ein, daß er Reihenfels doch noch etwas Merkwürdiges mitzuteilen habe.
»Ha, das hatte ich vergessen, Euch zu sagen. Als ich den Kerl packte, war es gerade, als hätte ich anstatt der Arme ein paar Eisenstangen in der Hand.«
»Er wird harte Muskeln besitzen, was auf große Körperkraft schließen läßt.«
»Es waren keine Muskeln.«
»Warum glaubst du das nicht?«
»Ich bin doch auch nicht weich und zart gebaut; aber seine Arme fühlten sich gerade wie Metall an.«
»Es fiel dir direkt auf?«
»Ja, es war ganz seltsam.«
Reihenfels fragte nicht weiter, er entfernte auch in den beiden anderen Zimmern aus Verstecken zwei ähnliche Flaschen, welche eine stark sauerstoffhaltige Lösung enthielten, und verbarg sie sorgfältig.
Draußen stand Sinkolin, die Fäuste geballt, die Lippen fest zusammengepreßt.
Er, der schlaue Gaukler sah sich zum ersten Male von einem Schlaueren überlistet. Zum ersten Male schien er auch in Wut ausbrechen zu wollen, doch es gelang ihm, noch in Ruhe ein im Turm gelegenes Zimmer zu erreichen, das fast wie das Laboratorium eines Chemikers oder auch wie das eines Astronomen ausgestattet war.
Inzwischen hatte er seine Ruhe wiedererlangt. Er zerschmetterte nicht den Apparat, der versagt hatte, am Steinboden, was er in der ersten Wut getan hätte, er untersuchte ihn, atmete die ihm entsteigenden Gase durch die Nase ein und überzeugte sich, daß dieselben ihre Wirkung taten. Er war gegen diese nicht gefeit, auch er fühlte, wie ihm die Besinnung zu schwinden drohte.
»Sie sind mit dem Teufel verbündet,« zischte er endlich, »oder nein, Hira Singh hat ihm auch dieses Geheimnis verraten, und er soll furchtbar dafür büßen. Aber woher kennt Hira Singh denn das Gift? Er kann doch nicht in die Geheimnisse der Thags eingeweiht sein? Ich kenne übrigens selbst kein Gegenmittel. Sollte jener junge Faringi wirklich mehr – nein, nein, das ist nicht möglich. Der Mann in dem Lederanzug hat eine zu starke Natur; das nächste Mal muß ich ihm etwas eingeben, wonach er nie wieder aufwacht. Aber überlistet hat mich dieser blondhaarige Faringi doch; die Zündschnur war sein Werk, man konnte sie kaum am Boden sehen, so dünn war sie. Nun, auch ich werde ihm einst eine Zündschnur legen.«
Im Schlosse wurde es zwar lebendig, aber nicht laut, denn es war noch eine sehr frühe Morgenstunde, und die Jagdgäste schliefen länger. Nur die Diener eilten hin und her.
An unsere Freunde erging durch einen Diener die Einladung, das Frühstück im Saal einzunehmen.
»Wenn dieser Saal unseren Schlafzimmern entspricht,« bemerkte Woodfield zu Reihenfels, »und wenn das Frühstück ebenso dürftig ist wie unser Bett, so beneide ich die Indier nicht um ihr so oft gepriesenes Los. In meinen Schneefeldern habe ich mir ein bequemeres Heim geschaffen, als dieses Schloß ist.«
Reihenfels schloß ganz richtig, das wegen der Anwesenheit so vieler vornehmer Gäste, die ein zahlloses Gefolge mit sich führten, in dem sich wieder Vornehme befanden, die besseren Zimmer alle besetzt waren.
Sinkolin selbst holte die Gesellschaft ab, er hatte die liebenswürdigste Miene aufgesetzt und sagte, daß die Damen sie schon an der Tafel erwarteten.
»Und du, mein Freund?« wandte er sich an Charly, der ruhig auf seinem Teppich vor dem Gepäck liegen blieb. »Auch für dich ist ein Platz an der Tafel.«
Charly stieß ungeniert einen kräftigen Fluch aus, wälzte sich um und drehte dem Frager den Rücken zu.
»Er leidet an Magenschmerzen,« erklärte Reihenfels.
»O, das ist allerdings schlimm. Wenn er mit mir geht, werde ich ihm einen heilsamen Trunk geben; ich kenne dies Übel, welches alle Fremden in unserem Lande befällt, und besitze ein Gegenmittel. Es ist die Folge des Klimas.«
»Der Teufel segne deine Medizin, ich brauche keine,« knurrte Charly.
Er ließ sich nicht bereden, aufzustehen, und so wurde er zurückgelassen. Nach kurzer Zeit brachte ihm ein Kuli eine Flasche mit der Weisung, den Inhalt zu trinken und sich dann das gleichzeitig mitgebrachte sehr üppige Frühstück schmecken zu lassen.
Als der Indier aber das Zimmer verlassen hatte, goß Charly die Medizin zum Fenster hinaus und ließ die Mahlzeit nachfolgen. Unten balgten sich die Hunde um die Fleischbrocken.
Nach Bewillkommnung der Damen, welche von dem nächtlichen Vorkommnis noch nichts wußten, auch nichts erfahren sollten, nahmen die anderen Platz an der reich ausgestatteten und besetzten Tafel, die Diener an einer besonderen.
Sinkolin selbst war zugegen, denn da er die Stelle des Hausherrn vertrat, mußte er nach indischer Sitte wenigstens von jedem Gericht einmal kosten, zwar eine recht patriarchalische Sitte, aber auch andeutend, wie man in Indien, ebenso wie in Arabien, immer darauf bedacht ist, bei dem Gastfreunde den Verdacht fernzuhalten, daß man ihn etwa vergiften wolle. Fast alle orientalischen und indischen Herrscher sterben durch Meuchelmord, Gift oder durch das Rasiermesser ihres Barbiers, meist auf Veranlassung lieber Verwandter. Darum bekleidet im Orient der Barbier eines Fürsten einen Vertrauensposten von nicht geringer Bedeutung.
Bahadur ließ sich durch den angeblichen Schloßvogt entschuldigen. Er sei von der gestrigen, heißen Jagd so ermüdet, daß er seine Gäste nicht selbst begrüßen könne, und diese mußten es schon als eine hohe Gunst betrachten, daß der Großmogul die Gäste überhaupt einer Entschuldigung für würdig erachtete.
Sinkolin verließ mehrere Male den Saal und kam zuletzt in Begleitung einiger Diener wieder herein, welche rotseidene Kissen trugen, von denen ein Funkeln und Flimmern ausging.
»Der allergnädigste Padischah Ein anderer Titel für den Großmogul. ist nicht gewohnt, die, welche seine Gastfreundschaft genossen haben, ohne Geschenk ziehen zu lassen,« sagte Sinkolin. »Es tut ihm leid, zu hören, daß seine Gäste ihn schon verlassen wollen, er glaubt, sie sind nicht zufrieden mit dem, was er ihnen in diesem einfachen Schlosse, nur für abgehärtete Jäger eingerichtet, bieten kann.
Der Padischah hofft aber, daß ihr ihn zu Delhi in seinem Residenzschlosse aufsucht und dort seine königliche Gastfreundschaft kennen lernt, und damit ihr ungehindert, allen anderen Gästen vorgezogen, zu seinem Throne gelangt, sendet er euch diese Gaben als Erkennungszeichen. Sie öffnen euch Tore und Türen seines Palastes.«
Er nahm von den Kissen die wertvollen Geschenke und verteilte sie mit passenden Worten. Die beiden Damen erhielten Halsbänder, Hedwig eine Agraffe zum Zusammenhalten des Busentuchs, alles nur aus in Gold gefaßten Diamanten bestehend, die Herren empfingen nach indischem Brauch kostbare Waffen; Reihenfels' Dolch schmückte am Knopf ein Diamant von fast unschätzbarem Werte, die Diener erhielten Waffen und Pfeifenköpfe, zwar unscheinbarer, doch immer noch äußerst wertvoll.
Ist es in Indien auch gebräuchlich, den Gast zum Abschiede zu beschenken, und spielten bei dem Großmogul auch Diamanten keine Rolle, so war es doch immerhin auffallend, daß er so ungeheuer freigebig gegen die ihm völlig fremden Gäste, einfache Privatleute ohne politische Bedeutung, war.
Reihenfels wußte indes schon, was von ihm noch gefordert würde. Vorläufig bedankte er sich im Namen aller seiner Freunde und Begleiter und versicherte, daß sie sich stets Bahadurs als eines edlen und gastfreundlichen Herrschers erinnern würden, würdig, das herrliche Indien zu regieren, das Versprechen des Andenkens sei das einzige Gegengeschenk, das sie dem reichen Padischah bieten könnten und so weiter.
Sinkolin unterbrach diese Dankesbezeugungen.
»Dennoch könnt ihr ihm einen großen Dienst erweisen,« sagte er, »und er bittet euch um die Erfüllung desselben. Euer Mitleid bewog euch gestern abend, euch eines Indiers anzunehmen, welcher von einem Tiger angefallen worden war.«
»Wir taten nur unsere Pflicht,« wehrte Reihenfels ab, »denn wir betrachten jeden Menschen als unseren Nächsten.«
»Sehr edel gesprochen! Wir Buddhisten denken ebenso. Ihr brachtet ihn zu uns ...«
»Es war das nächste Haus.«
»Und wir haben ihn gepflegt, so gut wir konnten, doch er starb; es konnte nicht anders sein. Der linke Arm war ihm aus dem Gelenk gerissen, der Blutverlust war schon zu stark gewesen.«
»Ich dachte es mir.«
»Dieser Arm fehlt uns.«
»Auch wir haben ihn nicht gefunden. Schakale werden ihn schon weggeschleppt haben, ehe wir hinzukamen, entgegn Reihenfels mit der größten Seelenruhe.
Es war eine Lüge, aber er mußte sich ihrer bedienen, und niemand wagte es, ihm zu widersprechen. Niemand zeigte besonderes Erstaunen, mit Ausnahme Hedwigs. Doch sie begnügte sich, mit verwunderten Augen nach dem Sprecher zu schauen.
»Ich bedaure, Bahadurs Wunsch nicht erfüllen zu können,« fuhr Reihenfels fort; »er glaubt wahrscheinlich, wir hätten den Arm gefunden und vergessen, ihn abzugeben, damit die Leiche unversehrt bestattet wird. Doch was tut's? Der Körper findet sich in der Nirwana stets wieder und wenn er in hunderttausend Stücke zerschnitten wird, wenn der Geist gut war.«
Sinkolin fand keine Entgegnung, so erstarrt war er über die kecke Ableugnung der Tatsache, daß Reihenfels den Arm in seinem Besitz hatte. Die Fackelträger hatten es ihm auf sein Befragen gesagt; aber waren sich diese Faringis einig, so galt die Aussage der Eingeborenen allerdings nichts. Doch er, Sinkolin, hatte den Arm heute morgen ja selbst in der Flasche gesehen! Wie konnte Reihenfels wagen, dies zu leugnen? »Du hast den Arm wirklich nicht gefunden?« brachte er dann endlich hervor.
»Nein!«
»Aber die Diener sagen es doch.«
»Welche Diener?«
»Die dich mit Fackeln begleiteten.«
»Sie irren. Die Feiglinge wagten kaum den Platz zu betreten, wo der Kampf stattgefunden hatte, sie fürchteten sich sogar noch vor dem toten Tiger, und in ihrer Angst mögen sie geglaubt haben, den abgerissenen Arm zu sehen, der schon nicht mehr vorhanden war.«
Sinkolin schaute sich im Kreise um. Überall begegnete er gleichgültigen, nicht im mindesten verwunderten oder verlegenen Gesichtern. Alle waren von Reihenfels gut instruiert worden, er galt als Führer, und was er sagte, mußten die übrigen immer gutheißen.
Wenn er zugegeben, er sei im Besitze des Armes, so hätte er ihn unbedingt ausliefern müssen, denn nachdem er hier gastfreundlich aufgenommen und auch noch reichlich beschenkt worden war, wäre eine Weigerung eine tödliche Beleidigung gewesen.
»Ich selbst habe den Arm ja heute morgen gesehen,« begann Sinkolin nochmals.
Reihenfels schüttelte ungläubig den Kopf.
»Wo?«
»In dem Gemache, in dem du die Waren aufgehoben hattest.«
»Ich weiß nichts davon. Was hätte das überhaupt für einen Zweck, daß ich den blutigen Arm des mir gänzlich fremden Mannes mitnehmen sollte?«
»Er war in einer Flasche.«
»In einer Flasche?«
»Ja, sie stand links neben einem Ballen.«
»Ah so, ich weiß, was du meinst,« entgegnete Reihenfels, sich zu einem Lächeln zwingend; »dieser Arm ist in Spiritus aufgehoben, wodurch er vor Verwesung geschützt wird.
Aber es ist nicht der des mir Unbekannten, sondern er gehört einem Indier, dem einst, vor langer Zeit, der Arm in England abgenommen wurde. Diese Reliquie ist mir sehr wichtig, sie ist der Anlaß, daß wir uns der mühsamen Reise durch Indien ohne Murren unterziehen.«
Sinkolin sah ein, daß er auf diese Weise seinen Zweck nicht erreichen konnte, wußte aber auch keinen anderen Rat, wenigstens vorläufig nicht. Die Gäste der Lüge zeihen durfte er auf keinen Fall.
»Was willst du mit dem Arme erreichen?« fragte er anscheinend neugierig.
Reihenfels zog die Schultern in die Höhe.
»Ein Geheimnis erforschen. Weißt du eigentlich, wer der Mann war, den wir gefunden haben?«
»Nein, er starb, ohne noch einmal gesprochen zu haben. Jedenfalls ist er ein Jäger gewesen, der im Übermut eine Tigerkatze getötet und dadurch die Wut der Tigerin gereizt hat.«
»Das ist auch meine Meinung. Also einer von den Jagdgästen war es nicht?«
»Auf keinen Fall. Nur Radschas sind hier versammelt, und ihre Diener sind vollzählig.«
»Siehst du? So kann ich dir beweisen, daß der Arm, den ich schon lange in Spiritus aufbewahre, nicht der des in dieser Nacht verstorbenen Mannes sein kann. Kennst du einen Indier namens Sirbhanga?« Fest ruhte Reihenfels Auge auf dem Schloßvogt, doch dieser zeigte keine anderen Mienen, als sie den Verhältnissen entsprachen.
»Sirbhanga ist ein gewöhnlicher Name.«
»Der Arm, den ich habe, trägt den Namen Sirbhanga Brahma eintätowiert.«
»So entstammte ja sein Besitzer einem Geschlechte, aus dem Brahmanen hervorgehen,« rief Sinkolin wie erstaunt; »vielleicht war er selbst ein Brahmane! Kanntest du ihn persönlich?«
»Ja. Weißt du, wer den Namen Sirbhanga Brahma tragen darf?«
Sinkolin überlegte lange und schüttelte dann den Kopf.
»Es gibt in Indien zu viele Geschlechter, aus denen Brahmanen hervorgehen dürfen; die meisten sind fürstlich, und Fürsten besitzt Indien unzählige. Ich kenne sie nicht alle. Doch in Delhi kannst du dich genau erkundigen, ob ein Fürst so heißt; vielleicht könnte auch Bahadur es wissen.«
»Ich weiß, wo ich mich zu erkundigen habe,« sagte Reihenfels, stand auf und gab somit den übrigen das Zeichen, sich ebenfalls zu erheben.
Sinkolin machte nicht mehr den Versuch, in den Besitz des Armes zu kommen, er erwähnte auch gar nicht einmal des Felles, welches er erst so gern hatte haben wollen. Er hatte erkannt, daß Reihenfels ihn durchschaut hatte, und so wollte er alles vermeiden, was dessen Argwohn noch mehren konnte. Aber schwarze Gedanken entstanden dabei in seinem Herzen. Durch Bitten oder List hatte er nichts erreichen können, so mußte er also zur Gewalt greifen, wenn auch nicht gerade jetzt. Aufgeschoben war nicht aufgehoben.
Die Gesellschaft verabschiedete sich schnell unter Danksagungen, sie wollte weiterziehen.
Auf Befragen Sinkolins nach dem Reiseziel gab Reihenfels keins an, da sie, wie er sagte, ganz unbestimmt hin und her zögen.
Reihenfels fand die Waren in unberührtem Zustande, vor ihnen lag noch immer Charly, neben sich die leeren Schüsseln, und kaute an einem Schinkenknochen, den er den eigenen Vorräten entnommen hatte.
Er erklärte sich vollständig von seinem Magenleiden befreit, dank der Medizin, – die er zum Fenster hinausgegossen hatte – und half mit beim Hinabtragen der Sachen in den Schloßhof.
Eben als die Maultiere beladen wurden, bat ein Reiter, ein Europäer, höflich um Einlaß.
Er stellte sich als Mister Shaw vor, begrüßte die Gesellschaft, besonders Lady Carter, herzlich und lud sie zu sich auf seine Plantage ein. Wenigstens sollte sie beim Vorüberreiten einmal unter seinem Dache einkehren.
Er sagte auch, wie besorgt er gestern abend gewesen, als die Gesellschaft trotz ihrer vorherigen Anmeldung nicht gekommen wäre. Doch der Abgesandte von Reihenfels hätte ihn beruhigt und ihm gesagt, wo er sie finden würde. Sonst ließ er sich über nichts weiter aus.
Reihenfels wußte also, daß Dick den Verfolgern entkommen war, und daß er den Engländer gut instruiert hatte. Den Mister Shaw kannte nämlich niemand persönlich; es war nur bekannt, daß er in der Umgegend eine Plantage besaß. Die Angabe, ihn vorher von der Ankunft der Reisegesellschaft benachrichtigt zu haben, war nur eine Erfindung von Reihenfels gewesen, um Dick als Boten abschicken zu können.
Unterwegs machte Oskar auch die nähere Bekanntschaft des Pflanzers. Mister Shaw kannte, wie jeder Engländer, das Schicksal Lady Carters, sowie die näheren, neueren Umstände und fragte daher nicht weiter nach dem Zweck der Reise, nicht einmal, warum Dick ihn so geheimnisvoll ausgefordert hatte, selbst nach dem Schlosse zu reiten und die Gesellschaft abzuholen.
»Wann kam mein Bote zu Ihnen?« fragte Reihenfels den dienstbereiten Herrn.
»Heute morgen mit Tagesanbruch, in anscheinend erschöpftem Zustand.«
»Ist er noch dort?«
»Nein. Er schlief einige Stunden wie ein Toter und machte sich dann wieder auf den Weg, Ihnen hinterlassend, daß er in Delhi wieder zu Ihnen stoßen wolle.« »So wartet er nicht auf uns?«
»Er ist schon fort.«
»Wie soll ich mir das erklären?«
»Ich kann Ihnen auch keinen Aufschluß geben.
»Er scheint überhaupt sehr selbständig zu sein, dieser Mann.«
Reihenfels mußte sich damit begnügen. Das nächste Ziel sollte Delhi sein. Noch heute mußten sie eine Bahnstation erreichen, und mit Benutzung der Eisenbahn konnten sie in wenigen Stunden in die Stadt gelangen.
Dort also wollte Dick, der geradeso tat, als wäre er in Indien zu Hause, erst wieder zu ihnen stoßen. Die Erklärung würde er dann wohl selbst geben.
Warum er erst so spät auf Mister Shaws Plantage ankam, was er unterwegs erlebt, konnte der Herr selbst nicht angeben, denn Dick hatte sich nur schnell seines Auftrags entledigt und dann wie ein Murmeltier auf der ersten besten Bank geschlafen. Nach dem Erwachen war er wieder abmarschiert. Warten sollte man auf ihn keinesfalls.
Am Turmfenster des Jagdschlosses stand der Gaukler und schaute mit unheilverkündender Miene dem im Walde verschwindenden Zuge nach. Nicht, weil sie Faringis und seinen Plänen gefährlich waren, sondern weil sie ihn überlistet hatten, stand ihr Tod bei ihm unerschütterlich fest.