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25. Ein neues Bündnis

In nächtlicher Stille lag die Riesenstadt da, um sie herum dagegen ging es lebhaft zu. Der Aasgeruch hatte die Tiere des Waldes angelockt; nicht nur Schakale, selbst größere Raubtiere näherten sich der Stadt und fanden einen reichlichen Schmaus, denn die in Delhi Hingemordeten und im Kampfe Gefallenen waren einfach vor die Stadttore geworfen worden.

Die zerfleischten, zerrissenen und umhergestreuten Leichen boten einen scheußlichen Anblick. Der Trupp Männer, der ein Tor Delhis verlassen hatte und die Landstraße benützte, beschleunigte seine Schritte fast zum Laufen, nicht aus Furcht vor den Raubtieren, denn diese ließen sich gar nicht stören, sondern nur, um außer Bereich dieser blutigen Szenerie zu kommen. Sie waren stark bewaffnet und standen offenbar unter dem Kommando eines Führers.

Ein einsamer Wanderer begegnete ihnen, und seltsam stach dessen Benehmen gegen die aus Furcht erzeugte Eilfertigkeit der Soldaten ab.

Die mit einem sackartigen Gewand bekleidete Gestalt ging langsam, Schritt für Schritt, die Arme über der Brust gekreuzt, ohne den Kopf nach links oder nach rechts zu wenden, und ohne auch nur irgendwie zu zögern oder zusammenzuschrecken, wenn neben ihm plötzlich das Geheul eines Panthers erscholl, der von dem einsamen Wanderer eine Störung besorgte und ihn warnte.

»Fürchtest du nicht, heiliger Mann, daß dich die Raubtiere anfallen könnten?« rief der Führer des Trupps ihm zu, denn er wußte schon aus dem gelassenen Wesen dieses Mannes, daß es entweder ein Fakir oder vielleicht sogar ein Brahmane war, der über jede Leidenschaft, über Schreck, Staunen und Furcht erhaben ist und in allem nur das Wirken Brahmas in der Natur sieht.

»Tatwam-asi, das bin ich selbst,« entgegnete die sonore Stimme des Gefragten. »Warum sollte ich mich vor mir selbst fürchten?«

Die Soldaten konnten diese Weisheit nicht einsehen, schleunigst machten sie, daß sie weiterkamen, und auch der Wanderer setzte seinen Weg nach Delhi fort.

Nicht lange dauerte es, so tauchten vor ihm die Stadtmauern auf, die Straße mußte ihn direkt auf ein Tor führen, und er kannte das Losungswort. Waren die Wächter mit seiner Person zufrieden, so durfte er passieren. Vielleicht ließen sie diesen heiligen Mann aber auch ohne Losungswort ein, wenn er ihnen einige Sprüche aus den Veden aufschrieb, die sie gegen Wunden, Krankheit und bösen Blick schützten.

Doch der furchtlose Wanderer sollte das Tor nicht unbehelligt erreichen, denn wie die Raubtiere, so gab es auch Menschen, die ihn nicht als Heiligen achteten.

Eben passierte er ein kleines Gebüsch, als sich ihm plötzlich von hinten zwei Hände wie eiserne Zangen um den Hals legten und er zu Boden gerissen werden sollte.

Da aber zeigte sich, daß dieser Mann des Friedens weder ein Schwächling, noch geneigt war, sich willenlos in sein Schicksal zu ergeben. Er zog keine Waffe, weil er wahrscheinlich keine besaß, sondern griff blitzschnell hinter sich, packte den hinterlistigen Gegner, hob ihn auf, schmetterte ihn wieder herab, kurz, suchte ihn zu Fall zu bringen und bemühte sich mit den ungeheuersten Anstrengungen, sich umdrehen und dem Feinde die Brust zuwenden zu können. Lange hätte der Kampf nicht dauern können, denn die Hände des Angreifers drohten ihn zu ersticken.

Der unbekannte Gegner sah ein, daß er unterliegen würde, wenn er seine Hände nicht gebrauchte, ließ den Hals los, umschlang den Überfallenen, und sofort merkte dieser, wie eine Schlinge über ihn fiel, die ihm die Arme an den Leib schnürte.

Trotzdem wehrte er sich noch mit dem größten Erfolg; sonderbar war nur, daß er, obgleich seiner Stimme wieder mächtig, nicht schrie.

Da wurde ihm ein Bein gestellt, er fiel, und auf ihm kniete eine dunkle Gestalt, in der Finsternis nicht erkennbar. »Hätte in meinem ganzen Leben nicht geglaubt, daß jemand sich so gegen mich wehren kann,« murmelte der Unbekannte, sich der englischen Sprache bedienend. »Es hätte nicht viel gefehlt, so hätte mich dieses schmächtige Kerlchen untergekriegt. Hm, wenn ich nur wüßte, wie ich ihn jetzt ausfragen soll, denn Englisch kann er doch nicht sprechen.«

»Vielleicht kann ich's doch, Dick Red!« entgegnete der unter ihm Liegende.

Dick, denn dieser war der Hinterlistige, war vor Staunen sprachlos, von dem Indier mit seinem Namen angeredet zu werden.

»Seid so gut und erhebt Euch,« fuhr der Liegende, nach Luft schnappend, fort. »Ihr drückt mir mit Euern eckigen Kniescheiben den Brustkasten ein.«

»Wer in aller Welt ist denn das?« staunte Dick.

»Oskar Reihenfels, zu dienen!« ächzte der Liegende.

»Nicht möglich!«

»Ja doch, nun laßt mich aber aufstehen! Wollt Ihr noch Beweise? Euer richtiger Name ist Richard Hefter, Ihr seid der Bruder von August, meinem Diener, der Gefährte Mister Woodfields ...«

Dick war schon aufgesprungen, löste die Lederschlinge und half dem Liegenden auf.

»Teufel noch einmal, ich hätte Euren Worten schon eher geglaubt, ich erkannte ja auch gleich Eure Stimme; aber ich konnte nur nicht begreifen, woher Ihr, wenn Ihr Mister Reihenfels seid, diese Kraft und Gewandtheit bekommt, daß Ihr Euch so lange gegen mich wehren konntet, wo ich doch von hinten kam und schon manchmal den stärksten Indianer auf der Stelle niedergeworfen habe.«

Reihenfels reckte seine Glieder.

»Ein andermal wollen wir über dieses Thema weitersprechen, jetzt ist keine Zeit dazu! Wie kommt Ihr hierher, Dick? Ich denke, Ihr streift in den Vorgebirgen des Himalaja herum?«

»Von dort komme ich auch. Mein Herr, seine Schwester und Kiong Jang sind noch dort.

Es ist aber besser, wenn wir unser Gespräch an einem versteckten Platze fortsetzen.«

Dick verließ die Straße und zog sich in das Gebüsch zurück, Reihenfels folgte ihm. Der Trapper hatte hier auch seine lange, schwere Büchse versteckt.

»Nun erklärt mir, warum Ihr hier ganz gemütlich als Indier auf der Landstraße spazieren geht! Kein Teufel hätte Euch für Mister Reihenfels gehalten,« begann Dick.

»Davon später, wenn es an die Reihe kommt. Erst sagt, was Ihr hier zu suchen habt! Ihr seid also allein?«

»Ja, ich bin allein. Mister Woodfield, seine Schwester und Kiong Jang haben sich einstweilen in den Hütten eines Gebirgsvolkes da oben häuslich eingerichtet. Von dem Aufstand ist dort glücklicherweise noch nicht viel zu merken, Aufwiegler gibt es zwar genug, aber der Boden ist für ihren Samen nicht gut.«

»Gefunden habt Ihr noch nichts?«

»Von dem heiligen Felsentempel? Noch keine Spur. Na ja, eine Spur wohl, das heißt, Kiong Jang behauptete einmal, diese Gegend habe er passiert, und zwar gleich zu Anfang seiner Flucht. Wir sind Tag für Tag kreuz und quer zwischen Bergen umhergewandert, durch Schluchten gekrochen und haben jede Höhle untersucht, aber Kiong Jang schüttelte immer wieder seinen Totenschädel und mag ihn noch jetzt schütteln. Zu uns drang natürlich auch die Kunde von dem Aufstand hier unten, von den scheußlichen Metzeleien, in denen die braunen Schufte die wildesten Indianer noch übertroffen haben, und dann erfuhren wir durch Zufall, daß der Festungskommandeur von Delhi ein gewisser Monsieur Francoeur sein soll. Stimmt das?«

»Derselbe, der in Wanstead unser Nachbar war, und an dessen Festnahme Mister Woodfield so viel lag,« bestätigte Reihenfels.

»Seht, das ist eine Person, an die wir uns halten können. Wenn der uns nicht sagt, wo wir den Felsentempel zu suchen haben, so gebe ich die Hoffnung auf, oder er kann uns wenigstens eine Adresse geben, an die wir uns zu wenden haben, so zum Beispiel die des Radscha Tipperah. Als Woodfield erfuhr, daß Francoeur hier war, wollte er durchaus mit mir gehen, es gelang mir jedoch, ihn zurückzuhalten, denn er wäre mir doch nur hinderlich gewesen, und so machte ich mich allein auf den Weg. Jetzt bin ich hier und habe die Absicht, Monsieur Francoeur einen Besuch abzustatten!«

»Auf Eurem Wege müßt Ihr doch immer durch aufständische Gebiete gekommen sein.«

»Ich war immer mitten drin, überall wurde geschossen und gestochen, und wohin man sah, da brannte es lichterloh. Das Herz hat mir oft geblutet, wenn ich die Frauen und Kinder hinschlachten sah, aber allein konnte ich nicht viel ausrichten, und dann durfte ich mich nicht lange aufhalten. Es war ein weiter Weg.«

»Ihr wart so, wie Ihr jetzt seid? Ohne Verkleidung?«

»Wozu denn eine Verkleidung?«

»Ihr seid wirklich unversehrt bis hierhergelangt?« staunte Reihenfels.

»Natürlich! Warum denn nicht?«

»Das kann ich nicht begreifen. Selbst ich, als Indier verkleidet und mit der Rolle eines geheiligten, unverletzlichen Brahmanen vollständig vertraut, schwebe beständig in Gefahr, entlarvt und den Messern der Indier überliefert zu werden.«

»Bah, ich hab's ganz anders gemacht! Wer mich anhielt, dem habe ich den Schädel eingeschlagen; mußte ich fliehen, so tat ich's hübsch langsam und schoß einen der Verfolger nach dem anderen nieder. Manchmal waren sie mir dicht auf den Fersen, wenn sie aber glaubten, jetzt haben wir ihn, da war Dick schon immer ganz wo anders. Nun aber erzählen Sie, Mister Reihenfels! Wie steht es hier?«

Der junge Mann, dem wir schon einmal als Brahmanen verkleidet begegneten, erzählte so kurz wie möglich, wie der Aufstand in Delhi losbrach. Es sei ihm gelungen, in seiner Verkleidung unbelästigt die Reihen der Feinde zu passieren; als er einmal fliehen mußte, habe er die in seiner Nähe befindliche Mutter aufs Pferd gehoben und sie in Sicherheit gebracht.

Dann sei er nach Süden vorgedrungen, auf General Nicholson gestoßen, welcher mit Aufbietung einer fabelhaften Energie versprengte Engländer und Sepoys um sich sammelte, und als er von Reihenfels erfuhr, wie nötig die aus Delhi Vertriebenen Hilfe brauchten, habe er sich sofort auf dem Marsche dorthin gemacht.

Reihenfels' Erzählung hatte eine düstere Färbung, und so klang auch seine Stimme.

»Ihr seid dem Zuge Nicholsons als Spion vorausgeeilt?« fragte Dick.

»Als Spion? Ich habe keinen Anteil an diesem Krieg. Nein, es sind Gefangene in Delhi, welche ich liebe, darunter meine beiden Schwestern, und ich will versuchen, ob ich sie nicht befreien kann. Es ist ein verzweifeltes Unternehmen, doch ich baue auf Gottes Hilfe.«

»Und meine könnt Ihr dazurechnen. Wißt Ihr nicht, wo sich Charly und August befinden, ob unter den Toten oder unter den Lebenden?«

»Sie sind geflohen und befinden sich ebenfalls in den Sümpfen. Ich traf auf Engländer und erfuhr. daß Charly sogar mit August ausgebrochen sei, um einen Weg aus den von den Indiern vollständig umstellten Sümpfen zu finden und Hilfe herbeizuholen. Es wäre nicht mehr nötig gewesen.«

»Na, dann steht's ja noch nicht so schlimm,« sagte Dick aus vollem Herzen; »nun wollen wir versuchen, in Delhi einzudringen und dort unser möglichstes zu tun.«

»Ich kann wohl hineingelangen, aber Ihr?«

»Sagt mir einen Ort, wo ich mich versteckt halten, wohin ich mich im Falle der höchsten Gefahr zurückziehen kann, und sollte ich mich auch bis dahin Schritt für Schritt durchschlagen, so soll es mir ein leichtes Spiel sein.«

Einen solchen Ort konnte ihm Reihenfels allerdings angeben, und zwar genügte dem Trapper nur eine Beschreibung. Reihenfels sollte jetzt erst kennen lernen, was für einen Begleiter er in Dick bei dem bevorstehenden, überaus gefährlichen Abenteuer besaß.

»Wie gedachtet Ihr denn überhaupt in die Stadt zu gelangen? Das ist mir unerklärlich.«

»Anfangs wollte ich über die Mauer,« entgegnete Dick.

»Die ist auch an der niedrigsten Stelle noch über drei Meter hoch.« »O, das macht nichts, ich werde schon hinüberkommen, aber freilich, das Herauskommen wäre schwer gewesen, weil ich keinen Unterschlupf wußte, und man würde mich wohl in den Straßen zu Tode gehetzt haben. Darum änderte ich meinen Plan. Ich wollte einen Mann überwältigen, den ich im Besitz des Losungswortes hielt, damit ich erst einmal in Gemütsruhe in Delhi herumspionieren und mir einen sicheren Schlupfwinkel suchen konnte. Freilich spreche ich nicht Indisch, hätte ich den Mann aber etwas mit dem Messer gekitzelt, so würde er meine Frage schließlich schon verstanden haben.«

»Und dieser Mann war ich?«

»Ja. Ihr gingt so ruhig dahin, und da dachte ich, der weiß ganz sicher, wie man in die Stadt hineinkommt, und kann mir vielleicht sonst noch manchen guten Ratschlag geben.«

»Was hättet Ihr denn mit dem Mann gemacht?«

»Ihm einfach die Kehle durchgeschnitten, damit er nicht plaudern konnte. Jetzt kommt es in Indien auf einen Toten mehr oder weniger auch nicht an.«

»Diesem Lose wäre ich also glücklich entgangen.«

Die beiden Männer berieten sich hierauf eine kurze Zeit. Noch war der Morgen weit entfernt, noch herrschte vollkommene Dunkelheit, als der junge Brahmane wieder dem Tore zuschritt, während der kleine Trapper sich vom Wege entfernte und unbemerkt die Stadtmauer zu erreichen suchte. Wohin er sich zu wenden hatte, wußte er nun aus Reihenfels' Beschreibung ganz genau.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Es war am 18. Juni 1857, als zwei Männer in langen, grauen Offiziersmänteln jenes dunkle Haus, in dessen unteren Räumen Madame Chevaulet rauschende Festlichkeiten für Lebemänner arrangiert hatte und noch immer arrangierte, verließen.

Nicht lange konnte es mehr dauern, so mußte der Morgen anbrechen; müde und abgespannt waren auch die Bewegungen der beiden. Sie konnten sich nicht einmal dazu aufraffen, ein Gespräch anzuknüpfen, langsam schlichen sie auf der wie ausgestorbenen Straße einher.

Als sie um eine Ecke bogen, stießen sie mit einem anderen Manne zusammen, ebenfalls in einen grauen Offiziersmantel gehüllt.

»Verdammt will ich sein, wenn das nicht der dicke Montpassier ist!« sagte er, stehen bleibend.

»Bitte, Conte Montpassier, Kapitän der indischen Artillerie, wenn Sie nichts dagegen haben, Monsieur Duplessis,« sagte der eine der Männer spöttisch, und diesen Herrn kennen Sie wohl auch, Leutnant Francois. Wir haben Sie heute vermißt, Monsieur Duplessis; wo haben Sie gesteckt?«

»Francoeur hatte mich auf das Grabmal des Humayun postiert, und ich wette, an Sie kommt auch bald die Reihe, dort 24 Stunden Wache zu halten.«

»Bei den Brieftauben? Was in aller Welt haben wir denn dort zu suchen? Ich verstehe nichts von Taubenzucht; nur gebraten habe ich diese Tierchen gern, besonders mit einer etwas scharfen Sauce. Ah, Duplessis, Sie hätten heute bei der Chevaulet sein sollen, ein Menü hatte sie zusammengestellt, ich sage Ihnen ...«

»Hören Sie auf, jetzt von so etwas zu sprechen, die Zeit ist zu ernst dazu. Es wird wohl überhaupt das letztemal gewesen sein, daß Sie bei der Chevaulet gewesen sind.«

»Unsinn, wir sitzen hier ja ganz gemütlich und warm!«

»Das ist vorbei, es geht los.«

»Es ist schon lange losgegangen.«

»Ja, aber nur von indischer Seite aus. Gute Nacht, meine Herren! Ich muß zu Madame Dubois; Francoeur, der selbst auf dem Grabgebäude ist, schickt mich mit geheimer Depesche zu ihr.«

»Was, ist endlich eine Taube angekommen?« riefen beide Herren, den Forteilenden zurückhaltend.

»Die erste, sie bringt schlechte Nachricht, und von jetzt an sind weitere zu erwarten.«

»Teilen Sie uns die Botschaft mit.« »Kein Mensch darf sie erfahren; sie wirkt auf die Indier entmutigend. Sie wissen, morgen soll zu Ehren der Abreise Nana Sahibs, der nach Ratthipur geht, ein Fest gefeiert werden, und das darf nicht gestört werden.«

»Bah, was Madame Dubois erfahren darf, dürfen auch wir hören. Wir sind doch keine Indier.«

Duplessis schien es weder so eilig zu haben noch es so sehr genau mit seinen Dienstgeheimnissen zu nehmen, gebrauchte aber doch die Vorsicht, die Neuigkeit den beiden ganz leise zuzuflüstern.

»Himmel und Hölle,« fuhren diese erschrocken heraus, »so kann er bald hier sein.«

»Nicht vor Ende Juni, wenn er auf Befehl Cannings nicht gar erst gegen Lahore vorgeht.

General Nicholson ist jedenfalls der erste Gegner, gegen den wir zu kämpfen haben. Hallo, wer ist das! Was hast du hier zu lauschen, Bursche?«

Mit diesen Worten fuhr Duplessis einen Indier an, der schon längere Zeit unbemerkt zur Seite gestanden hatte. Auch die beiden anderen griffen erschrocken nach verborgenen Waffen, als wollten sie den auf der Stelle niedermachen, der ihr Gespräch belauscht hatte.

Der Indier zuckte mit keiner Wimper, ruhig stand er da.

»Wenn das kein Heiliger ist, will ich hängen,« sagte Montpassier; »solchen Gleichmut haben nur die Fakire und ähnliche Kerls. Was hast du hier zu suchen?« fragte er auf indisch, während die drei bis jetzt Französisch gesprochen hatten.

»Darf ich nicht hier stehen?« war die ruhige Antwort.

»Pack dich, oder deine Kali soll dich bei lebendigem Leibe auffressen.«

Der Indier wandte sich und ging.

»Der spricht doch kein Französisch,« meinte Duplessis; »ich habe unter diesen Heiligen noch keinen getroffen, der Französisch versteht; sie pfropfen sich den Kopf mit ihren heidnischen, uralten Sprachen voll. Gute Nacht, meine Herren, oder vielmehr guten Morgen! Wir sehen uns doch beim Fest wieder?«

»Natürlich! Apropos, Duplessis, wie steht es mit Ihrer Wette, Ihrer Eroberung?«

»Mit der Begum? Hahaha, ich habe sie ja noch gar nicht zu Gesicht bekommen!«

»Sie geht auch bald von Delhi weg, es wird Zeit.«

»Morgen werde ich den Anfang machen, ich habe noch acht Tage Zeit, und das genügt mir.«

Die drei trennten sich.

»He, Duplessis,« rief Montpassier ihm noch einmal nach, »Sie wissen wohl, die Dubois wohnt seit ihrer Rückkunft nicht mehr im Hause der Duchesse.«

»Ich weiß es«, klang es aus der Dunkelheit zurück.

Duplessis setzte seinen Weg fort, ohne zu bemerken, daß ihm eine dunkle Gestalt heimlich folgte. Es war der Indier, welcher vorhin neben den drei Männern gestanden hatte.

Vorsichtig folgte er ihm, er blieb hinter jeder Ecke stehen, wartete, bis der Offizier hinter der nächsten verschwunden war und setzte ihm erst dann schnell nach.

Schließlich hatte Duplessis vor einem orientalischen Hause, hoch und schön gebaut, sein Ziel erreicht, setzte den eisernen Klopfer in Bewegung und ward eingelassen.

Während er drinnen berichtete, daß General Nicholson sich mit den aus Delhi Entkommenen, etwa 4000 Mann, vereinigt habe und am 17. Juni, also gestern, die Meuterer von Silkut vollständig vernichtet habe, im Besitz dieser befestigten Stadt sei, daß es den Engländern also zum ersten Male gelungen sei, in Indien wieder festen Fuß zu fassen, und daß man diese Nachricht dem verräterischen Lord Westerly verdanke, der sich jetzt bei den Engländern befinde, lehnte draußen der junge Indier an der Häusermauer und sah zu den Fenstern hinauf, welche eben noch finster, plötzlich erhellt waren.

Dort wohnte also Madame Dubois, die Maitresse Monsieur Francoeurs, des Kommandanten von Delhi, denn Duplessis hatte ja ihr die Nachricht bringen wollen. Der Offizier hatte es eilig; er hielt sich nicht lange bei der Geliebten seines Vorgesetzten auf. Bald öffnete sich die Haustür wieder, er trat heraus und entfernte sich schnell, ohne den Indier bemerkt zu haben.

Dieser schien einen kurzen Kampf mit sich selbst auszufechten, dann ging er entschlossen auf die Haustür zu und ließ ebenfalls den Klopfer ertönen.

Es ward ihm schneller geöffnet als vorhin dem Offizier, wahrscheinlich weil der Wächter noch in der Nähe der Tür war.

Mißtrauisch musterte der alte Indier im Scheine der Blendlaterne den noch jungen Mann, der bewegungslos, die Arme über der Brust gekreuzt, vor ihm stand.

»Nun, was willst du?« fragte er kurz.

»Zu deiner Herrin.«

Der Alte wurde etwas höflicher, denn er glaubte nicht anders, denn ein als einfacher Mann verkleideter Radscha wollte seine Herrin sprechen, da diese mit den Anführern viel im Verkehr stand.

»Nenne mir deinen Namen, Herr, und ich will sie fragen, ob du sie sprechen kannst.«

»Mein Name ist Niemand, doch nicht lange wird es dauern, so wirst du mich Buddha nennen.«

Der Alte verneigte sich, vor ihm stand ein Brahmane. Denn daß sich ein anderer Indier, selbst einer aus höheren Kreisen, für einen Brahmanen ausgeben könnte, ist ganz ausgeschlossen. Alles würde ihn verraten, ein jedes Wort aus seinem Munde. Den Brahmanen wird die höchste Ehrfurcht entgegengebracht, jede Tür, jeder Weg steht ihnen offen.

»Was befiehlst du deinem Diener?«

»Führe mich zu deiner Herrin!«

»Nur du bist mein Herr, niemand anders,« entgegnete der Alte und lief schon voran, ohne daran zu denken, die Tür wieder zu schließen.

Im ersten Stock blieb er stehen und deutete auf den Eingang zu einem kleinen Gemach.

»Die Dame ist hier, sie pflegt einen Kranken, den sie nicht sterben lassen will. Auch ein heiliger Arzt ist bei ihm, doch was ist er gegen dich, der du ein Buddha bist! Lege ihm die Hände auf, und er ist gesund.«

Der junge Brahmane schlug ohne Zögern die Portiere zurück und trat ein.

Ein scharfer Karbolgeruch drang ihm entgegen; er befand sich in einem Zimmer, das nichts enthielt als ein Bett und alles das, was man in einem Krankenzimmer findet: einen Tisch mit Schüsseln, Becken, ausgebreiteten Tüchern, Schwämmen und so weiter.

Auf dem Bett lag ein Mann, der schwach stöhnte. Ein Greis, einfach dunkel gekleidet, legte ihm eben einen Verband an, am Kopfende stand eine Dame im Nachtgewand und sah mit fragender Teilnahme den geschickten Händen zu.

Der Greis war nach dem weißen Band, welches er um die Stirn trug, ein Priester Wischnus, und da dieser der Erhalter, nicht wie Siwa der Schöpfer, alles Lebendigen ist, so sind seine Diener zugleich auch Ärzte.

»Wird er sterben?« flüsterte die Dame.

»Noch ist die Stunde nicht gekommen, da das Fieber den stärksten Grad erreicht.

Übersteht er diese, so ist er gerettet; ich will wachen und alles tun, ihm sie zu erleichtern, und Wischnu erhöre mein schwaches Gebet.«

»Und Brahma wird das meine erhören, denn er liebt mich,« erklang es hinter den beiden, im Gegensatz zu den zweifelnden Worten des Priesters bestimmt.

Die Dame fuhr erschrocken herum, der Priester sah nur verwundert auf.

»Wie kommst du hier herein? Was suchst du hier?«

»Dich!«

»Es ist ein Brahmane,« sagte der Priester. »Segne diesen Kranken, und er wird gesunden.«

Er trat ehrfurchtsvoll zurück, obgleich der Brahmane, den er sofort als solchen erkannt hatte, ihm gegenüber ein Kind zu nennen war. Der Brahmane ging langsam ans Bett, legte dem Kranken beide Hände auf den Kopf und murmelte einige Sprüche, welche der Greis als zum Sanskrit gehörig erkannte.

»Dich möchte ich sprechen,« wandte er sich dann wieder an die Dame – Phöbe – und bediente sich dabei zu deren Erstaunen des reinsten Französisch. »Gib mir einige Minuten, und du sollst viel zu hören bekommen.«

Nur einen Augenblick musterte sie den Sprecher mißtrauisch; sie kannte die Sitten, wie die Religion der Indier sehr genau und wunderte sich, daß dieser junge Mann ein Brahmane sein sollte. Doch der Priester selbst hatte es ja gesagt. Was wollte er von ihr? Sie führte ihn ohne Zögern in ihr Schlafzimmer, das so schwach erleuchtet war, daß man den Lichtschimmer von draußen nicht wahrnehmen konnte.

Nachdem sie die Lampe höher geschraubt hatte, wandte sie sich dem Manne zu, der mitten im Zimmer stehen geblieben war und sich auch auf ihre Aufforderung nicht setzen wollte, ebensowenig wie er einen Blick für seine Umgebung hatte.

»Du bist ein Brahmane?« begann Phöbe, sich setzend und den armselig gekleideten Mann neugierig betrachtend, der infolge seiner religiösen Stellung eine so außerordentliche Macht über das Volk besaß.

»Du sagst die Wahrheit, ich bin's.«

»Und sprichst Französisch?«

»Wem Brahma sich offenbart, der redet in der Sprache, in welcher er am besten verstanden wird.«

»Nun, ich spreche eigentlich lieber Italienisch,« lächelte Phöbe, welche natürlich an den Kultus der Indier nicht glaubte.

»So bediene dich dieser Sprache,« sagte der Brahmane auf italienisch.

Jetzt staunte Phöbe doch, immer neugieriger betrachtete sie den jungen Mann.

»Ich glaube wirklich, daß du ein Abgesandter Brahmas bist.«

»Ich bin's, und er spricht durch mich zu dir.«

»Ah, also ein Prophet. Nun, was läßt mir der indische Brahma denn sagen?«

»Er sagt, daß du ein Mensch bist, dem er Vernunft gegeben hat, zu unterscheiden das Böse und das Gute, und je nachdem du von dieser Befähigung Gebrauch machst, wird er auch dich behandeln, schon hier auf Erden und später, wenn du ihn schauen wirst.«

»Ach, wenn doch jeder Mensch nur Gutes tun wollte, wie es jede Religion vorschreibt, wie schön wäre es aus der Erde!« entgegnete Phöbe nicht ohne Spott. »Gewiß, ich besitze kein böses Herz und möchte gern Notleidenden helfen.«

Phöbe wußte, daß diese Brahmanen sich um Politik gar nicht kümmerten. Der junge Mann hatte wahrscheinlich im Traum den Befehl bekommen, ihr eine Strafpredigt zu halten, und sie war geduldig genug, diese anhören zu wollen.

Zu ihrem namenlosen Erstaunen aber fuhr der Brahmane fort: »Du besitzt kein gutes Herz, würdest du sonst dulden, daß die in qualvoller Gefangenschaft gehalten werden, die dir immer in Freundschaft und Liebe begegnet sind? Was haben sie dir getan, daß du mit bei dem fluchwürdigen Unternehmen geholfen hast, sie in Ketten zu legen?«

»Von wem sprichst du denn?«

»Von der unglücklichen Gattin und Mutter, welche dir, als du in England warst, in Liebe begegnete, und von ihren Freundinnen. Du hast die Macht dazu, befreie sie, vereine sie mit denen, welche um ihr Los trauern und jammern.«

Phöbe erhob sich in sprachlosem Erstaunen. Sofort wußte sie, daß dieser Mann ein Abgesandter ihrer Feinde war und an ihr im Grunde genommen gutmütiges Herz appellieren sollte. Aber ein Brahmane? Nicht möglich.

»Du verlangst, ich soll meine Hand dazu leihen, um Gefangene zu befreien?«

»Du sagst es.«

»Was sollte mich dazu veranlassen?« »Dein Herz, wenn es wirklich gut ist, die Bitten derer, die dir nie etwas zuleide getan haben, und dann die Aussicht auf die Belohnung, die jeder guten Tat folgt.«

»Ich begreife gar nicht, wie solch ein Anerbieten mir gestellt werden kann. Wer gab dir diesen Auftrag?«

»Ein Mann namens Oskar Reihenfels. Seine beiden Schwestern schmachten in Gefangenschaft als Geiseln, desgleichen die Mutter des Mädchens, welches du erzogen hast.

O, treibe dein frevelhaftes Spiel nicht weiter, kehre um, versuche das wieder gutzumachen, was du gesündigt hast.«

Mit weit aufgerissenen Augen starrte Phöbe den Sprecher an.

»Was?« rief sie endlich. »Seid ihr Brahmanen wirklich allwissend?«

Der Mann trat auf sie zu und ergriff ihre Hand.

»Ich beschwöre dich,« sagte er warm, »bei allem, was dir heilig ist, sei mir behilflich, diese drei aus der Gefangenschaft zu befreien, und verlange von mir einen Gegendienst, so hoch er auch ist, ich will ihn dir leisten. Du selbst bist eine Gefangene, bist mit Ketten an Francoeur geschmiedet, und nur widerwillig trägst du sie. Ich will auch dir die Mittel geben, frei zu werden.«

»Ha, jetzt beginne ich zu verstehen. Du bist kein Unterhändler, du selbst bist einer unserer Feinde. Aber ein Brahmane? Das kann ich wieder nicht verstehen.«

»Du irrst, ich bin überhaupt kein Indier. Vor dir steht Oskar Reihenfels, und er weiß, daß er dich nicht mehr als Feindin zu fürchten hat, die ihn verrät.«

Es dauerte lange, ehe Phöbe an diese Wahrheit glaubte, und dann war sie vor Staunen außer sich.

»Und Sie wagen es, mich in meiner Wohnung, im Hause des Kommandanten von Delhi, aufzusuchen?« flüsterte sie, sich jetzt des Englischen bedienend. »Sie sind verloren, wenn ich Lärm schlage und Sie verrate.«

»Ich aber weiß, daß Sie dies nicht tun werden, ich richte nicht einmal eine Waffe auf Sie und sage: Verraten Sie mich, so ist es Ihr Tod; denn Sie werden mich nicht verraten.«

»Woher wissen Sie das so bestimmt?«

»Sie können mich nicht täuschen, Sie sind nicht hartherzig; nur widerwillig verrichten Sie die knechtischen, unsauberen Dienste, die man von Ihnen verlangt ...«

»Herr, Sie führen eine freie Sprache!«

»Nur eine offene. Helfen Sie mir, und ich will Ihnen Mittel geben, diesen Kreis zu verlassen, der Ihrer gar nicht würdig ist.«

Aufgeregt schritt Phöbe im Zimmer auf und ab. Reihenfels hatte das Richtige getroffen, seine Worte hatten einen wunden Punkt berührt und verfehlten die beabsichtigte Wirkung nicht.

Sie blieb vor dem jungen Manne stehen.

»Was verlangen Sie von mir?«

»Ihre Hilfe, Lady Carter und meine beiden Schwestern zu befreien, womöglich auch alle anderen Gefangenen. Ich weiß, auf Befehl der Begum wird zwar ihr Leben noch geschont, doch sie geht bald nach Osten, den offenen Kampf mit den Engländern zu beginnen; Bahadur bleibt hier, und ich kenne dessen Charakter; er wird die Wehrlosen sicherlich hinmorden.«

»Sie haben recht, ich würde Ihnen auch helfen,« sagte Phöbe mit gepreßter Stimme, »aber –ich kann nicht mehr.«

»Sie können nicht? Warum nicht? Sie bekleiden hier eine einflußreiche Stellung, Sie unterstützen mich und meinen Gefährten, der sich in Delhi versteckt hält, und mit Gottes Hilfe, wird es unserem Mut und Scharfsinn gelingen, einen Weg zur Befreiung zu finden.«

»Die Gefangenen sind nicht mehr in Delhi.«

»Nicht?« fragte Reihenfels erschrocken.

»Nein, Sie sind gestern auf Wunsch Bahadurs und mit Einwilligung der Begum nach Norden transportiert worden, wahrscheinlich sollen sie in einem Schlupfwinkel der Berge verborgen gehalten werden.« »Oder dort vielmehr ohne Wissen der edelmütigen Begum niedergemetzelt werden, ich kenne das. So eile ich ihnen nach.«

»Vielleicht haben Sie recht. Noch eins erfahren Sie. Lady Carter befindet sich nicht unter diesen Gefangenen.«

Sie erzählte den Vorfall, wie das wandernde Feuer Lady Carter schon befreit hatte, dann aber durch die List Isabels in das Loch gestürzt war. Der Tod beider war sicher.

Stöhnend sank Reihenfels auf einen Stuhl und bedeckte das Gesicht mit den Händen.

»Dieses schändliche Weib!« knirschte er dann. »Wehe ihr, wenn das Gericht über sie kommt! Also tot, tot! Nun, wohl ihr! Sie ist von ihrem traurigen Schicksal erlöst und hat den Tod in den Armen ihres Gatten gefunden. Sie wissen, daß das wandernde Feuer der aus dem Felsentempel der Kali entsprungene Sir Carter war?«

»Ich weiß es. Vielleicht war es sogar besser, daß sie sich nicht lebend in der Gewalt des wandernden Feuers befindet, denn es ist sehr die Frage, ob der offenbar wahnsinnige, tobsüchtige Mann seine Gattin erkannt hat. Was zwischen beiden im Saale vorgegangen ist, vermag niemand zu sagen.«

Eine lange Pause trat ein; Reihenfels war von dieser Nachricht überwältigt.

»Haben Sie meine Schwester gesehen?« fragte er dann leise.

»Nein, ich habe die Gefangenen überhaupt nie zu Gesicht bekommen.«

»Wissen Sie, wohin sie geführt werden?«

»Nein, und ich glaube kaum, daß ich dies erfahren werde, selbst wenn ich mir noch so große Mühe gebe. Sie können sich denken, daß man uns Ausländern nicht völliges Vertrauen schenkt.«

»Dann bitte ich Sie wenigstens um Beantwortung einiger Fragen.«

»Ich will es tun, wenn es in meiner Macht steht, sogar, wenn es zum Nutzen der Engländer ist. Fragen Sie!«

»Ein unglücklicher, alter Mann sucht seine Tochter, die ihm vor langen, langen Jahren geraubt worden ist. Sie befindet sich im Felsentempel der Göttin Kali als Gefangene. Wo ist dieser?«

Es war fast, als ob Phöbe plötzlich den Entschluß gefaßt hätte, mit ihrem bisherigen Leben und jetzigen Freunden zu brechen.

»Monsieur Francoeur war dieser Kindesräuber,« sagte sie mit fester Stimme, »er nannte sich damals Janvier. Mister Woodfield hatte sich also nicht geirrt, ebensowenig wie Kiong Jang, seine Erzählung beruhte auf Wahrheit; aber ich kann Ihnen nicht den geringsten Anhalt geben, wo sich dieser Felsentempel befindet, auch Francoeur nicht, denn nur die, die zum Bunde der Thags gehören, kennen ihn. Es tut mir leid ...«

»Und Radscha Tipperah?«

»Ist ein Cham, das heißt ein Priester der Thags. Er kennt das Geheimnis des Tempels; aber was nützt das? Weiß doch nicht einmal ich, wo er sich jetzt aufhält.«

Wieder ließ Reihenfels den Kopf sinken.

»Dann noch eins,« begann er wieder, »diesmal gilt es meine eigene Person. Madame ich beschwöre Sie, sprechen Sie die Wahrheit.«

»Sie sollen sie erfahren.«

»Wer war der junge Offizier, der Sie vorhin besuchte?«

»Kapitän Duplessis.«

»Er nannte sich früher Giraud, und er war das Werkzeug Francoeurs, durch welches er mir Begas Liebe raubte?«

Phöbe wurde noch ernster, als zuvor. Sie trat auf Reihenfels zu, legte ihm ihre Hand auf die Schulter und sah ihn mitleidig an.

»Armer, junger Mann,« sagte sie weich, »ich bedauere Sie aufrichtig. Sie sind ebenso um Ihre Liebe betrogen worden wie ich, und dies eben veranlaßt mich ohne Zögern, ein offenes Geständnis abzulegen. Ich weiß, was Sie noch fragen wollen. Ja, jenes unheilvolle Rendezvous in Olympia mit der maltesischen Tänzerin war von Francoeur herbeigeführt worden. Giraud hatte es arrangiert, und zum Dank erhielt er hier später die Stelle eines Offiziers. Ich selbst war mit im Bündnis, mein Auftrag war es, Sie bei Bega zu verdächtigen; ich tat es, es gelang, und – ach, Mister Reihenfels, ich bin hart dafür bestraft worden.«

Eine lange Pause trat ein.

»Sie meinen, ich habe Begas Liebe für immer verloren?« fragte dann Reihenfels.

»Ich kenne ihren Charakter; ich glaube, es ist so.«

»Nein, es ist nicht so.«

»Nicht?«

»Nein – doch lassen wir das! Ich hatte Mirzi hier wiedergefunden, jetzt habe ich sie natürlich verloren ...«

»Sie büßt einen Verführungsversuch, den sie abermals an einem Unschuldigen ausübte, auf dem Schmerzenslager. Sie wird ihre Schönheit für immer verloren haben, und das ist die härteste Strafe für ein Weib, wenn es eitel wie Mirzi ist. Sie wollen sie als Zeugin haben?«

»Ja.«

»Rechnen Sie am meisten auf mich. Ich werde mich bemühen, Bega über den wahren Sachverhalt aufzuklären.«

Stürmisch ergriff Reihenfels Phöbes Hände und führte sie an seine Lippen.

»O, wie soll ich Ihnen danken! Einen Stern sehe ich in der Nacht aufgehen, er verheißt mir Freude und Glück nach dunkeln Tagen. Was kann ich für Sie tun? Sprechen Sie, verlangen Sie!«

»Auch Sie können mir einen großen Dienst erweisen, doch davon später! Erst muß ich noch Wochen, vielleicht noch Monate hier bleiben, bis ein Mann gesund ist, an dessen Leben mir ungeheuer viel liegt. Auch ich brauche nämlich einen Zeugen und Ankläger gegen den, der mein Glück vernichtet hat. Jetzt wollen wir von Ihnen sprechen. Wagten Sie Bega als Oskar Reihenfels gegenüberzutreten?«

Reihenfels zögerte mit der Antwort.

»Tun Sie es nicht, solange sie nicht von dem Unrecht weiß, das an Ihnen ausgeübt worden ist,« fuhr Phöbe fort. »Sobald mir Gelegenheit geboten ist, werde ich mit Bega sprechen, denn sie ist der festen Meinung, daß ich die einzige Person auf Erden bin, die es aufrichtig mit ihr meint. Bega hängt wirklich an mir.«

»Verschaffen Sie mir wenigstens eine Gelegenheit, sie einmal zu sehen!« bat Reihenfels.

»Das ist nicht so leicht, die Begum zeigt sich vorläufig nur wenig in der Öffentlichkeit.

Doch, morgen zum Beispiel, würde es gehen.«

»Morgen soll ein Fest gefeiert werden zu Ehren Nana Sahibs, welcher Delhi verläßt.«

»Woher wissen Sie das?«

»Ich belauschte sich unterhaltende Offiziere, darunter Duplessis.«

»Es ist kein anderes Fest, als wie es hier jeden Tag stattfindet. Die indischen Anführer denken noch gar nicht daran, daß es in Indien bald ganz anders aussehen wird, sie halten es gar nicht für möglich, daß sich die Engländer ernstlich zum Kampfe aufraffen können, und so vertreiben sie sich noch jetzt jeden Tag die Zeit durch Vergnügungen und Schaustellungen aller Art. Morgen findet nur insofern eine Abwechslung statt, als auch die französischen Offiziere dazu einmal Zutritt haben, ebenso wie die andern Gäste. Ich könnte Sie einführen.«

»Ich werde erkannt werden,« bemerkte Reihenfels zögernd.

»Ich glaube kaum. Sie sind ganz unkenntlich. Besonders, wenn Sie sprechen, hält man Sie unbedingt für einen Brahmanen, weil sie das reinste Indisch beherrschen, das ich jemals gehört habe.«

»Ein Brahmane – auf einem Fest?«

»Ah, Sie haben recht, das geht nicht.« Phöbe ergriff die Lampe und leuchtete ihm ins Gesicht.

»Übrigens, bei Lichte gesehen, tauchen doch die Züge von Mister Reihenfels vor mir auf.«

»Ich habe mich auch nicht weiter unkenntlich gemacht als durch Schwarzfärben der Haare.« »Ja, so geht es nicht, Bega hat scharfe Augen, um so mehr, als das Mädchen Sie geliebt hat – sie könnte Sie erkennen. Doch ich war einst beim Theater, mir soll es ein leichtes sein, Sie vollständig unkenntlich zu machen. Seien Sie versichert, Sie sollen morgen Bega sehen und sprechen, selbst in ihrer Nähe sein. Glücklicherweise ist es mir eben jetzt möglich, Sie einzuführen. Einige Stunden Instruktion sind dazu allerdings nötig, denn Sie müssen ihre Rolle fehlerfrei spielen können. Sie sprechen die Sprache der Puharris?«

»Des Volkes an den waldigen Grenzen Bengalens? Ich beherrsche sie vollkommen.«

»Dann steht unserem Unternehmen kein Hindernis im Wege.«


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