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9. Schuld und Unschuld

Trotzdem sich die Duchesse so außerordentlich für ihre neuen Nachbarn interessierte, spähte sie doch nicht durchs Fenster und nährte ihren Haß am Anblick der Schwester, als der Einzug in die Villa erfolgte, denn eine Person war erschienen, deren Erzählung die Aufmerksamkeit der beiden Damen aufs höchste fesselte.

Das als Bäuerin verkleidete Mädchen, Bega, lag bequem auf dem Diwan ausgestreckt, sie war von einer langen Reise ermüdet, die Duchesse und Phöbe saßen auf Schemeln zu ihren Füßen. Bega war die Herrin, die beiden anderen die Dienerinnen.

Das Mädchen wurde hier nicht mehr mit dem Namen Bega, sondern mit dem Titel Begum, was so viel wie Königin bedeutet, angeredet.

Sie schilderte eben ihr Zusammentreffen mit dem wilden Waldmenschen, wie sie sich beim Erwachen aus ihrem bewußtlosen Zustand auf seinen Knien liegend fand, konnte aber nur angeben, daß er sie zu liebkosen versuchte, die gemurmelten Worte habe sie nicht verstehen können.

Dann fand ein Ringkampf zwischen ihm und einem anderen Manne statt, den sie ebensowenig kannte. Er war in rohes, rotes Leder gekleidet und trug eine lange, schwere Büchse, auf dem Kopfe eine rote Pelzmütze. Während dieses Ringkampfes sei sie geflohen.

Mehr könne sie nicht angeben; das alles wäre ihr hinterher wie ein Traum erschienen, doch es war keiner, sie hatte ja noch den Verband, den ihr der alte, unheimliche Mann umgelegt hatte, getragen.

Kopfschüttelnd hörten ihr die beiden Damen zu. Sie waren geneigt zu glauben, daß das Mädchen nur geträumt habe.

»Ein Mann, in rohes, rotes Leder gekleidet, eine Pelzmütze auf dem Kopfe in Indien,« murmelte die Duchesse. »Begum, hast du dich auch nicht getäuscht? Du bist durch den Sturz vom Elefanten herab betäubt gewesen; leicht kannst du diese merkwürdigen Gestalten, die du schilderst, nur im Traume gesehen haben.«

»Ich sah sie in Wirklichkeit,« versicherte das Mädchen.

Phöbe hatte überlegend einen Gang durchs Zimmer gemacht und wußte plötzlich, daß das Mädchen wahr sprach.

Dort unten stand der Mann in rotem Lederanzug und Pelzmütze, er half den neuen Bewohnern, die Phöbe sehr gut kannte, beim Einzug in die Villa. Jetzt wußte sie, wer er war.

In Wanstead hatte sie ihn nicht gesehen, nur einmal flüchtig von ihm sprechen hören, und jetzt fiel ihr auch ein, daß er als Diener Mister Woodfields bezeichnet worden war.

Phöbe behielt ihre Entdeckung vorläufig für sich; Bega sollte nicht erfahren, wen sie hier in allernächster Nähe wiederfand.

Plötzlich wandte die Frau sich schnell um und unterdrückte mit Mühe einen Ausruf des Erstaunens über Begas Erzählung.

»Ich kann unmöglich geträumt haben,« hatte das Mädchen gesagt, »ich entsinne mich der seltsamen Erscheinung noch ganz genau. Ich könnte sie malen. Er hatte einen langen, graumelierten, struppigen Bart, ebensolche Haare, alles ohne jede Pflege, selbst die Fingernägel hatten eine ganz ungeheure Länge erreicht. Richtig, eines seiner gemurmelten Worte entsinne ich mich dennoch, es war ein Name, Eugenie, und er wiederholte ihn öfters, als wolle er mich so nennen.«

Die beiden Damen wechselten einen erschrockenen Blick, heimlich, bedeutsam, doch er war den scharfen Augen des Mädchens nicht entgangen.

Es richtete sich aus seiner liegenden Stellung empor.

»Ihr wißt, von wem ich spreche und verheimlicht es mir,« rief sie, und ihre geschwungenen Augenbrauen näherten sich einander. »Aus welchem Grunde stellt ihr euch mir gegenüber unwissend? Sprecht, ich will es wissen.«

Die Duchesse bezwang die aufsteigende, verlegene Röte.

»Du hast recht, Begum, jetzt, da du uns eine genaue Schilderung dieses Waldmenschen gibst, wissen wir, wer er ist. Wir wollten deine Ohren mit der Vermutung verschonen, die in der Gegend von Mirat und besonders weiter nördlich unter abergläubischen Indiern Wurzel geschlagen hat. Dort soll während der Nacht ein Agni durch den Wald streifen, einen brennenden Zweig in der Luft schwingend und mit seiner Wurfkeule jeden tötend, der ihm begegnet. Man nennt ihn das wandernde Feuer, es soll ein Feuergeist sein, der von Brahma aus der Nirwana verstoßen worden ist und nun zur Strafe wegen eines Vergehens auf unserer mit Unglück geschlagenen Erde ruhelos umherwandern muß. Deine Schilderung macht uns glauben, daß du dieser Erscheinung begegnet bist.«

»Ja, jetzt entsinne ich mich,« entgegnete die Begum erstaunt. »Neben mir stak ein brennender Zweig im Boden, und die wilde Gestalt schwang, als sie auf den Roten einsprang, eine Keule in der Hand. Obwohl ich nun an Feuergeister glaube, welche im Dienste Sivas und seiner Gattin Kali das Feuer schüren und dämpfen, beides, das erzeugende Feuer das die Pflanzen auf der Erde treibt, wie das verderbliche, das vernichtet, so glaube ich doch nicht daß der allgütige Brahma einem Agni erlaubt, seinen Kindern zu schaden.«

»Dies ist auch meine Ansicht!« sagte die Duchesse lächelnd. »Und du, Begum, kannst um so weniger an diese Fabel glauben, als du selbst die Tochter der Kali bist und also über die Feuergeister ...«

Die Duchesse verstummte plötzlich, denn sie bemerkte im Antlitz des Mädchens einen unwilligen Zug, der andeutete, daß sie von sich auf solche Weise nicht sprechen zu hören wünsche.

Die beiden waren wahrscheinlich wie noch viele andere instruiert worden, diesem Mädchen nicht nur aufs Wort, sondern auch auf einen Blick zu gehorchen; die Begum sollte mit der untertänigsten Ehrfurcht behandelt werden.

»Die Namen Siva und Kali erinnern mich daran,« sagte das Mädchen, stand auf und dehnte die schlanke Gestalt, »welche nächste Aufgabe ich zu erfüllen habe. Zwei Tage Verspätung habe ich erlitten, sie müssen nachgeholt werden. Mach alles bereit, daß ich sofort abreisen kann!«

»Wie, schon jetzt? Du mußt doch furchtbar erschöpft sein!«

»Ich muß nach Dschansi, wo ich erwartet werde, und werde in acht Tagen wieder hier sein. Du weißt, warum.«

Die Duchesse verneigte sich und verließ das Gemach, um Anordnungen zu treffen. Sie sprach mit Babur und musterte auch den Bauern, der die Begum gebracht hatte, und der jetzt, die Schuhe neben sich, mit bloßen Füßen auf den Fliesen der Vorhalle kniete und geduldig wartete.

»In zwei Stunden wird eine Karawane zusammengebracht sein,« sagte sie bei ihrer Rückkunft zu dem Mädchen, »welche dich, o, Begum, begleiten wird. Schnellfüßige Kulis sind schon unterwegs, Pferde, Leute und einen Elefanten für dich zu mieten. Wer aber wird das Amt Basrabs übernehmen, dich sicherer als er nach Dschansi bringen und verhüten, daß du erkannt wirst? Wer soll dies tun?«

»Ich,« sagte eine hohe Stimme, und ohne daß ihn jemand hatte eintreten sehen, wie aus dem Boden gewachsen, stand mitten im Gemach ein kleiner Indier mit faltigem, schlauem Gesicht.

»Timur Dhar,« flüsterten die beiden Frauen erschrocken und zogen sich scheu zurück, während das Mädchen mit ausgestreckter Hand auf ihn zuging.

»Timur Dhar,« sagte auch sie, »zu einer besseren Zeit hättest du nicht kommen können! Wußtest du denn, wie ich dich herbeisehnte? Ich hoffe, du wirst mein Begleiter!«

Der Gaukler ergriff die Hand nicht; der sonst so herrisch auftretende, geheimnisvolle Mann verbeugte sich tief und führte die Hand dann nur leicht an die Lippen.

»Ich wußte, daß meine Herrin ihren Diener braucht, ich flog hierher, der Königin meine Dienste anzubieten. Befiehl, und dein Diener gehorcht. Ja, ich werde dich begleiten und dich wie meinen Augapfel hüten. Fürchte nicht, daß bei mir etwas Ähnliches passiert, wie bei dem sorglosen Basrab.«

»Ich weiß, daß du allmächtig bist, bindest du doch die Geister an deinen Ring.«

»Sie gehorchen nicht mehr mir, sondern dir!«

»Wann wollen wir reisen?«

»Nicht heute, erst morgen früh! Ruhe dich aus, o, Begum, die Reise ist lang!« »Und wir kommen nicht zu spät?«

»Wir kommen zur rechten Zeit.«

»Ich habe Babur schon beauftragt, eine Karawane zusammenzubringen,« warf die Duchesse ein.

Des Gauklers Unterwürfigkeit war verschwunden, als er sich an das Weib wendete.

»Dein Befehl ist widerrufen!«

»Von wem?«

»Von mir!«

»Das ist nicht möglich.«

Timur Dhar ließ ein kurzes Lachen hören.

»Was ist Timur nicht möglich?«

»Daß du den Befehl widerrufen hast. Du bist eben erst gekommen; Babur aber ist schon seit einigen Minuten fort.«

Statt aller Antwort berührte der Gaukler, als wäre er der Herr im Hause, die Klingel, und zur Verwunderung der Duchesse trat Babur ins Zimmer, den sie unterwegs wähnte.

»Ertönt die Klingel zum zweiten Male, so führst du den Bauer herein, der draußen wartet,« sagte er, und der Diener ging.

»Kali hat dich beschützt,« wandte sich der Gaukler, sich um die anderen gar nicht kümmernd, wieder demütig an das Mädchen, »die Göttin wollte nicht, daß ihre Tochter Schaden erleidet. Hat dich der Bauer unerkannt hierhergeführt?«

Timur Dhar wußte also schon, was die beiden Frauen eben erst erfahren hatten, und noch mehr. Aber seine Frage war doch ein Gegensatz zu seiner Behauptung, daß er allwissend sei.

»Am Morgen nach jener für mich schrecklichen Nacht,« entgegnete das Mädchen, »war er der erste, den ich erblickte, als ich aus dem Walde trat. Er war allein und mit Pflügen beschäftigt. Ich verhüllte mein Gesicht, sprach den Erschrockenen an und verlangte von ihm gegen reichliche Belohnung, er solle mich während des Tages verborgen halten, mich in der Nacht nach Delhi bringen und nicht nach dem Warum fragen. Der Mann war dienstbereit; das Vorzeigen einiger Goldstücke trug vielleicht viel dazu bei. Nachdem ich ihm noch eingeschärft hatte, zu niemandem von seiner Begegnung mit mir zu sprechen, versteckte ich mich im Felde, der Bauer brachte mir sein Essen und am Abend eine reichliche Mahlzeit, Kleidung und einen Esel und führte mich während der Nacht nach Delhi, wo ich vorhin eintraf. Es dauerte aber lange, ehe ich vorgelassen wurde?«

»Verzeihe!« entschuldigte sich die Duchesse. »Wie konnte ich ahnen, wen dieses Gewand der Bäuerin verbarg.«

»Hat der Bauer das Antlitz der Begum gesehen?« fragte Timur.

..Nein, ich war immer verhüllt.«

»Wird er nicht geplaudert haben?«

»Ich glaube nicht, er schien Angst zu empfinden. Überdies hat er mich .gar nicht gesehen, konnte mich und meine hilflose Lage auch nicht verraten.«

»So soll er belohnt werden.«

Im Nebenzimmer, wo sich das Bad befand, ertönte Wasserrauschen. Ohne daß die Duchesse es gewußt hatte, war dort ein Bad bereitet worden.

»Bediene die Begum!« sagte der Gaukler zu Phöbe. Diese und das Mädchen, ihre einstige Pflegetochter, verschwanden hinter der Portiere.

»Bewirtet den Mann gut und belohnt ihn reichlich; er hat es verdient,« rief Bega noch einmal zurück.

»Es wird geschehen,« entgegnete Timur Dhar.

Der Gaukler wechselte einige leise Worte mit der Duchesse, dann wurde auf sein Klingelzeichen der Bauer hereingeführt, ein unansehnlicher Indier mit ängstlichem Gesicht; die Pracht des Hauses war ihm fremd, er trug seine Schuhe in der Hand und blickte zaghaft nach der stolzen, schönen Frau, scheu nach der kleinen Gestalt des Gauklers, der sein Gesicht noch vor dem Eintritte des Bauern verhüllt hatte. »Du bist der Mann, der das Mädchen, das dich um Hilfe ansprach, diese Nacht auf deinem Esel nach Delhi geleitet hat?« begann die Duchesse das Verhör.

Der Indier stotterte eine Bejahung.

»Wie sah das Mädchen aus?«

»Ich weiß es nicht.«

»Du mußt sie doch gesehen haben!«

»Sie trug das Gesicht immer verhüllt.«

»Wem hast du von ihr erzählt?«

»Niemandem, sie verbot es mir.«

»Wie? Du mußt doch wenigstens deinem Weibe erzählt haben daß du eine nächtliche Reise nach Delhi machtest.«

»Ja, ich sagte ihr, ich wollte Getreide nach Delhi schaffen.«

»Und wem hast du sonst noch deine Begegnung mit dem Mädchen erzählt?«

»Ich habe ja gar nicht und zu niemand von ihr gesprochen.« rief der Bauer kläglich. »Ich habe nichts zu gestehen!«

Der verhüllte Gaukler nickte leicht, die Duchesse stellte das Verhör ein.

»Es ist gut,« sagte sie sehr laut, »du hast den Befehl richtig ausgeführt und sollst dafür reich belohnt werden. Babur,« ihr Klingeln hatte den Diener herbeigerufen, »verpflege den Mann gut, ehe er wieder abreist; sorge für seine Bequemlichkeit!«

Ein widerliches Grinsen verzerrte das Gesicht des Dieners, als er den schüchternen Bauern hinausführte.

Jetzt schlug der Gaukler das Tuch vom Gesicht zurück, kreuzte die Arme über der Brust und schaute die Duchesse scharf an.

»Und du?« fragte er.

»Ich habe bis jetzt getan, was mir aufgetragen wurde.«

»Wie weit bist du mit Dollamore?«

»Er gehört mir.«

»Schon jetzt?«

»Nein, noch nicht, aber er ist schon so gut wie der Unsrige.«

»In acht Tagen muß Dollamore die Fahne Englands verlassen haben und mit ihm alle Gurgghas. Dort drüben,« er deutete nach der gegenüberliegenden Villa, »harrt deiner die Belohnung. Kennst du dieses Haus?«

Die Duchesse nickte, und ihre Augen blitzten triumphierend auf.

»So benutze die Geheimnisse des Hauses, doch hüte dich, daß du sie durch Unvorsichtigkeit oder gar selbst in die Hände deiner Feinde, an denen du dich rächen willst, führst. Deine Feinde sind nicht zu unterschätzen, hüte dich besonders vor ihrem Führer, jenem Reihenfels, er ist schlau.«

»Wohl ein scharfsinniger Gelehrter, doch kein besonders schlauer Mensch,« entgegnete das Weib geringschätzend.

»Du irrst, er ist schlau.«

»Kennst du ihn, Timur Dhar?«

»Ich traf mit ihm zusammen, wir maßen einander an List, und er hat mich überlistet.«

Die Duchesse war über dieses offene Geständnis ganz erstarrt. Wie konnte der Gaukler, der sich mit einem Nimbus umgab, als wäre er fast ein Gott, allwissend und allmächtig, als gehorchten ihm die Geister, wie konnte er solch ein Geständnis machen? Als der Gaukler ihre Überraschung bemerkte, lächelte er verächtlich. Er erriet die Gedanken des Weibes.

»Glaubst du, er hätte mich überlisten können? Ich ließ mich von ihm mit Absicht überlisten, damit er in seiner Ansicht bestärkt würde, daß er äußerst schlau sei. Von jetzt ab wird er mich in meiner Gestalt, die ich damals trug, nicht mehr fürchten. Verstehst du, wie ich das meine?« Die Duchesse bejahte, durchschaute aber auch zugleich diesen Mann. Irgend ein Plan war ihm von Reihenfels vereitelt, er war durch diesen überlistet worden. Wenn dies bekannt wurde, war er, der allmächtige und allwissende Gaukler blamiert, und so gab er sich den Anschein, als hätte er sich mit Absicht hinters Licht führen lassen.

Das Weib hatte zwar recht, wußte aber doch nicht alles. Der Gaukler war ihr bedeutend überlegen.

»Wenn morgen das Gerücht entsteht,« fuhr er fort, »daß eine geheimnisvolle Tat in Delhi ausgeführt worden ist, so wisse, daß Timur Dhar sie vollbrachte, und der davon Betroffene ist kein anderer als jener Reihenfels. Der junge Mann dünkt sich zu klug; Timur Dhar wird ihn noch heute nacht demütigen. Und nun, Ayda, vergiß nicht, daß die Briefe in deine Hand fallen müssen. Du hast deine Dienerin dazu ausersehen, es ist gut, sie eignet sich dazu, und es wird ihr gelingen.«

Er deutete noch einmal nach der Villa und verließ dann ohne Gruß das Boudoir. – Babur führte den Bauern durch einige Gänge, stieg eine Treppe hinunter, kam in das Erdgeschoß und gelangte nach nochmaliger Benutzung einer schon dunklen Treppe in einen Kellergang, welcher nur schwach durch ein Oberlicht beleuchtet wurde.

Auf dem Wege unterhielt sieh Babur mit dem ihm Anvertrauten.

»Du hast gewiß rechten Hunger, armer Mann?«

Der Kuli verneinte, er hätte genügend Brot bei sich gehabt.

»Bah, Brot, bei uns gibt es etwas Besseres. Nur noch ein paar Schritte, dann sind wir in der Küche. Sie liegt im Keller, da halten sich die Sachen besser. Ißt du gebratene Tauben gern?«

Der Bauer leckte mit der Zunge die Lippen.

»Hier ist es recht dunkel,« sagte er dann ängstlich.

»Es wird gleich wieder hell,« tröstete Babur, nahm größere Schritte und ging schneller, so daß er sich von dem Nachfolgenden etwas entfernte.

Hier war der düstere Gang nur einen halben Meter breit.

Da ertönte hinter Babur ein leises Knacken; blitzschnell drehte er sich um und sah eben noch, wie der Bauer, ohne einen Laut von sich geben zu können, in einem plötzlich im Boden entstandenen Loche verschwand.

Sofort schloß sich dieses wieder selbsttätig mit einem Deckel, der nur heruntergeklappt war.

Babur drehte an einem Hebel in der Wand.

»Eine höllische Erfindung,« murmelte er grinsend. »der erste geht darüber, der zweite stürzt hinunter. Da, mein Bursche, laß dir da unten in der Schleuse die gebratenen Tauben gut schmecken.«

Als wäre nichts geschehen, und als verschlösse der dünne Deckel nicht eine gähnende Tiefe, die eben einen schuldlos Hingemordeten aufgenommen, schritt Babur darüber und begab sich oben in ein Zimmer, wo Timur Dhar seiner wartete. Auch jetzt hatte er sein Gesicht verhüllt.

»Ist er fort?«

»Er ist stumm.«

»Gut, Babur! Halte dich heute abend bereit, ich brauche dich. Wenn die Sonne untergeht, bin ich hier.«

»Mit Waffen?«

»Nein, du brauchst keine. Lege alles ab, was dich beim schnellen Laufen stören könnte.

Du sollst nichts weiter tun, als einige Gegenstände tragen.«

Babur schien zu wissen, wer der Mann war, der vor ihm stand. Demütig vernahm er die Befehle, und die Neugier trieb ihn auch nicht dazu, zu fragen, was mit der nächtlichen Partie bezweckt werden solle.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Delhi besitzt elf Tore. Sieben davon führen nach Landstraßen hinaus, durch vier andere gelangt man auf Kanälen in die an Delhi dicht vorbeifließende Dschamma. Es war am anderen Morgen, als ein hochgebautes, zwölfruderiges Boot, in dem sich im Hinterteile ein Häuschen erhob, ein solches Wassertor passierte. Zwölf kräftige Kulis handhabten die schweren, unbehilflichen Ruder, am Steuer lehnte die wie aus Erz gegossene Gestalt eines Indiers, und in der Nähe des Häuschens saß auf einer Bank in weißem Burnus den unteren Teil des Gesichts verhüllt, mit arabischen Dolchen und Pistolen im Gürtel, ein Mann – also jedenfalls ein Araber, wie sich solche in Delhi massenhaft aufhalten; ist doch überhaupt, wie schon erwähnt, die Hälfte der Stadt mohammedanisch.

»Halt, beilegen!« erklang es da im Kommandoton vom Brückenbogen aus.

Der Befehl fand keine Beachtung.

»Das Boot soll beilegen,« erscholl es nochmals, diesmal aber auf arabisch.

Der Steuerer blickte nach dem Araber, der sich nicht rührte.

Da traten aus dem Wächterhause am Quai einige Leute, darunter auch zwei uniformierte, ein englischer und ein indischer Polizist.

»Auf Befehl des Gouverneurs, das Boot legt bei oder darf heute nicht mehr passieren!« rief der Engländer wieder.

Der Araber winkte, der Steuerer drehte das Ruder, und als sich das Boot dem Lande etwas genähert hatte, fiel eine Laufbrücke, über welche die beiden Polizisten und noch einige Indier das Boot betraten.

Finster musterte der Araber die Ankömmlinge, ohne sich zu erheben. Es war sonst nicht Sitte, daß die Boote angehalten wurden, Zoll oder Steuer gab es nicht. Es mußte also ein besonderer Grund zu der außerordentlichen Maßnahme vorliegen.

Der englische Polizist fragte den Araber nach dem Namen, nach dem Reiseziel, und wo er die letzte Nacht zugebracht habe.

»Das Boot passiert das Tor nicht eher, als bis du diese Fragen beantwortet hast,« fügte der Beamte hinzu, als der Araber, der keinen Herrn über sich erkannte, nicht mit der Sprache herauswollte.

Die letzte Bemerkung veranlaßte ihn, zu antworten.

Der Beamte notierte die Aussagen, übergab dem indischen Diener das Papier, und dieser entfernte sich.

»Eine halbe Stunde mußt du dich noch gedulden,« sagte der Beamte zum Araber; »mein Diener wird bald wiederkommen und mir Bescheid bringen, ob deine Aussagen stimmen.«

Der Araber fügte sich ins Unvermeidliche. Sich zu erkundigen, was dies bedeute, hielt er unter seiner Würde.

Die beiden Beamten gingen unterdes durch das Boot, musterten alles, sahen sich jeden Mann genau an und tauschten leise Bemerkungen aus.

Vor dem Häuschen blieben sie stehen und klinkten an der Tür. Sie war verschlossen.

»Wer ist hier drin?«

»Meine Frauen!« brummte der Araber unwillig.

»Öffne!«

»Ich bin Mohammedaner!«

»Öffne auf Befehl des Gouverneurs! Du wirst Delhi nicht eher verlassen können!«

Das wirkte. Der Araber zog einen Schlüssel hervor und öffnete.

Am Boden des mit Teppichen ausgelegten Gemaches hockten zwei vollständig vermummte Weiber, die Frauen des Arabers.

Jetzt kam der Polizeibeamte wieder einmal in eine schwierige Lage. Er sollte kein Boot passieren lassen, ohne dasselbe untersucht und jede Person gesehen zu haben. Streng genommen mußte er verlangen, daß die Weiber ihre Gesichter enthüllten, eine heikle Sache, denn nach dem mohammedanischen Glauben ist es bekanntlich ein abscheuliches Verbrechen, wenn ein anderer als ihr gestrenger Gatte das Antlitz der Frauen sieht. Aber wiederum hatten die Beamten auch die scharfe Weisung, nichts zu tun oder zu verlangen, wodurch die Sitten der Eingeborenen beleidigt würden. Nun, er konnte es ja einmal probieren, dann hatte er es wenigstens versucht, seine Pflicht treu zu erfüllen.

»Lüfte ein wenig den Schleier, Schönste der Schönen, daß sich mein Auge an deiner Schönheit erfreut,« sagte der redegewandte englische Beamte im blumenreichen Stil der arabischen Sprache zu dem Weibe.

Die Antwort, die er erhielt, war weniger blumenreich.

Wütend, mit geballten Fäusten, fuhr das Weib auf den Sprecher ein, hinter dem Schleier drang eine schreiende, quäkende Frauenstimme hervor und überschüttete den Beamten mit Schmähungen, wie sie nur ein altes, arabisches Weib mit größter Zungengeläufigkeit hervorstoßen kann. Ausdrücke wie: Sohn einer Hündin, aasfressender Rabe, verseuchter Wolf, waren noch die besten, die anderen kann man nicht wiedergeben.

Durch ihre wütenden Bewegungen mußte sich der Schleier gelöst haben, er fiel von selbst herab, und die beiden Beamten erblickten ein altes, häßliches, runzliges Gesicht, vor dem Munde Geifer.

Dadurch, daß ihr Gesicht, das die Araberinnen eher verhüllen als den Busen, sich den Augen der fremden Männer offen darbot, wurde die Wut der Frau nur noch mehr entfacht. Sie dachte im Augenblick nicht daran, sich wieder zu verhüllen, mit gekrümmten Fingern sprang sie auf den Engländer zu, wahrscheinlich, um ihm mit den Nägeln in die Augen zu fahren.

Pfffftsch ging es, ein Strahl Speichel entfuhr ihren Lippen, und nur durch eine glückliche Kopfbiegung entging der Beamte dem ekelhaften Schleudergeschoß.

Erschrocken nahmen die beiden Beamten Reißaus, mit solch einem Weibe war nicht zu spaßen, eher mit einer Hyäne.

Hinter dem Engländer hatte der Araber gestanden, und das Schicksal wollte es, daß ihn das Geschoß mitten ins Gesicht traf.

Gleichmütig wischte er den Speichel seiner teuren Ehehälfte ab – wahrscheinlich war ihm eine solche Auszeichnung schon öfters zuteil geworden – und verschloß die Tür.

Während die beiden Beamten unter Führung des Steuermannes den unter Deck gelegenen Teil des tiefgehenden Bootes untersuchten, tauschten sie Bemerkungen über das soeben Erlebte aus.

»Wenn man in meiner Heimat von solch einer arabischen Suleika erzählen hört,« sagte der Engländer, »denkt man sich stets ein junges, schönes, unschuldiges Wesen, das ganz Hingabe ist, mit schmachtenden, mandelförmigen Augen und Korallenlippen. Jawohl, kommt nur hin! Das Weib war übrigens schon sehr alt für den Mann.«

»Wahrscheinlich reich,« entgegnete der indische Beamte, ein aufgeklärter, junger Mann.

»Geld verjüngt und verschönt die Weiber.«

»Gerade wie bei uns. Ob die andere wohl zahmer war?«

»Zahm vielleicht, auf keinen Fall aber war sie jung oder schön.«

»Warum nicht?«

»Der Mann würde beide nicht in einem Raume lassen, denn sonst entstände Mord und Totschlag. Haben Sie schon gehört, wie neulich ein Tiger einen mit Frauen reisenden Araber überfallen haben soll, und wie der Ausgang der Affäre war?«

»Nein.«

»Ein Araber reiste durch die Dschungeln, er auf einem Elefanten, und seine drei Frauen in einem verhangenen Baldachin auf einem anderen. Plötzlich springt ein Königstiger hervor und verschwindet in dem Baldachin. Im Innern erscholl Zetergeschrei und Geheul. Der Araber soll nicht nach der Büchse gegriffen haben, um seinen Weibern beizustehen. Vielleicht wäre er dem Tiger sehr dankbar gewesen, wenn er sie verschlungen hätte. Aber es kam anders. Mit einem Male erschien das Raubtier auf der anderen Seite des Baldachins wieder und suchte mühsam die sicheren Dschungeln zu gewinnen; es war blutig, blind und ohne Schwanz. Die Weiber hatten ihm die Augen aus dem Kopfe gekratzt und auch noch den Schwanz ausgerissen. Seitdem soll es den Tigern nie mehr einfallen, eine Karawane anzugreifen, bei der sich arabische Frauen befinden.« Der Engländer lachte herzlich über die Erzählung seines humoristischen Kollegen. Wenn sie natürlich auch nicht auf Wahrheit beruhte, so war sie doch gut erfunden.

Nebenbei bemerkt: Keine andere als die arabische Poesie beschäftigt sich so viel mit dem Reiz schöner Frauen, aber die arabischen Weisen warnen auch am meisten vor alten Weibern.

Die Untersuchung des Bootes hatte nichts Verdächtiges ergeben. Eben als die beiden Beamten das Deck wieder betraten, traf der ausgeschickte Diener ein. Der Engländer hörte eine kurze Meldung an und nickte.

»Deine Angaben beruhen auf Wahrheit!« sagte er zu dem Araber. »Der Weg ist frei!«

Die Beamten verließen das Boot, das die unterbrochene Fahrt wieder aufnahm.

»Der Weg ist frei!« sagte drinnen in dem Häuschen auch die Gefährtin des alten Weibes und entblößte ein schönes, braunes Mädchenantlitz. »Was hatte diese Untersuchung wohl zu bedeuten, Timur Dhar?«

Timur Dhar war also dieses alte Weib, und er hatte seine Rolle meisterhaft gespielt.

»Es wird diese Nacht etwas gestohlen worden sein, und die Boote werden deshalb visitiert!« entgegnete er gleichmütig.

»Wenn jene aber auch mich gezwungen hätten, mein Gesicht zu enthüllen?«

Der Gaukler lächelte geringschätzend.

»Sie würden es nicht gewagt haben, und wenn, dann hätte ich sie eher erwürgt, als daß ich es duldete. Durch ihre Flucht entzogen sie sich dem Tode.«

Das große Boot war noch nicht außer Sicht, als ein kleines, vierriemiges, scharfgebautes Polizeiboot herangeschossen kam. An dem Wächterhause legte es einen Augenblick an, weil der englische Polizist es herangewinkt hatte.

»Noch nichts gefunden, Kollege?« fragte er den Steuerer.

»Natürlich nicht,« entgegnete dieser. »Es ist überhaupt ein merkwürdiger Fall. Der Bestohlene verweigert jede Auskunft, welche Sachen ihm eigentlich gestohlen worden sind.

Wir wissen gar nicht, warum jemand bei ihm eingedrungen ist und dabei die Frau ermordet hat. Es ist alles ganz komisch. Geld kann nicht geraubt worden sein. Ich glaube fast, das Mädchen, die Tochter, steckt mit dahinter, ich habe so ein paar Worte, wie heimliche Liebschaft, unanständig, von der zornigen Mutter gehört. Da es sich aber um den alten Reihenfels handelt, dürfen wir nicht weiter forschen und müssen uns mit dem begnügen, was er uns angibt. Haben Sie schon Boote visitiert?«

»Ein einziges, eben jetzt, da fährt's noch.«

»Mein Gott,« seufzte der Steuerer und wischte sich den Schweiß von der Stirn, »wer kann hier auch alle Morde verhüten oder den Täter finden! Man weiß ja überhaupt niemals, ob ein Mord oder ein Selbstmord vorliegt. Die verrückten Indier stoßen sich ja oft nur zum Zeitvertreib den Dolch ins Herz, und wenn sie einmal träumen, Brahma habe ihnen befohlen, sich von den Krokodilen verspeisen zu lassen, schwubb, springen sie ins Wasser. Erst vorhin habe ich wieder einen Kerl schwimmen sehen, um den sich die Bestien balgten. Er war wie ein Bauer gekleidet.«

»Ja, diese fanatischen Buddhisten! Wohin geht's denn jetzt?«

»Ich soll den jungen Reihenfels holen. Es kommt mir fast vor, als ob dieser den Verlust zu tragen hätte, denn der Vater scheint sich vor der Ankunft des Sohnes zu fürchten. Good bye, ich muß schnell machen!«

Das Boot setzte ab und flog unter den kräftigen Ruderschlägen pfeilgeschwind den Kanal hinauf. An der Steintreppe hielt es, der Steuerer sprang heraus, hinterließ eine Weisung und erreichte durch eine Gasse die Hauptstraße. Er stieß gerade auf die neu bezogene Villa, die er betrat.

Reihenfels war eben zu der Überzeugung gekommen, daß Lady Carter wirklich einen geheimnisvollen, nächtlichen Besuch empfangen hatte, vielleicht Isabel selbst. Er hatte dazu von August gehört, daß dieser das wandernde Feuer, den Mann, dessen man jetzt zuerst habhaft werden mußte, in der Umgebung eines zerfallenen Grabmonumentes erblickt habe, als ein Indier eintrat und meldete, ein Herr wünsche Reihenfels unverzüglich zu sprechen. Noch halb betäubt von dem eben Gehörten, das er in seinem Kopfe noch nicht ordnen konnte, betrat der Gelehrte ein Zimmer, wo er eine neue beunruhigende Nachricht empfing.

Der ihn Erwartende sagte, er sei englischer Polizist; Herr Friedrich Reihenfels verlange ihn, den Sohn, sofort in seinem Hause zu sprechen.

»Es ist jemand in dieser Nacht ermordet worden ...«

»Um Gottes willen. Wer?« rief Oskar tödlich erschrocken und umklammerte die Stuhllehne.

»Eine alte, indische Dienerin, Zalina heißt sie,« fuhr der Beamte schnell fort, »und anscheinend ist etwas im Hause geraubt worden, was, weiß ich nicht. Ihr Herr Vater wünscht Sie jedenfalls zu sprechen.«

Zehn Minuten später stand Oskar vor seinem Vater, der den Sohn unruhig, mit nervöser Ungeduld erwartet hatte.

»Ich weiß alles,« sagte Oskar leise und schnell, ehe jener zu Worte kam. »Man hat eingebrochen und die Sachen, die ich dir zur Aufbewahrung gab, entwendet.«

»So ist es. Mache mich nicht dafür verantwortlich. Sie waren gut versteckt und verpackt, du selbst hast es ja besorgt; doch man hat darum gewußt und sie geraubt. Meine alte, treue Zalina ist den Dieben zum Opfer gefallen – sie ist tot.«

Hatte der Vater geglaubt, Oskar würde über die Nachricht bestürzt sein, so hatte er sich getäuscht. Derselbe blieb ruhig.

»So ist eben meine List mißglückt,« sagte er einfach. »Ich übergab dir die mir sehr wertvollen Sachen in dem Glauben, daß etwaige Diebe sie nur bei mir suchen würden. Ich nahm die Umhüllungen, mit etwas anderem gefüllt, mit mir, so daß es den Anschein hatte, als hätte kein Verlust mich betroffen. Was sie für mich bedeuten, habe ich dir erzählt, wenn ich auch wenig Glauben bei dir fand. Aber seltsam,« sagte er mehr zu sich selbst, »niemand außer uns beiden wußte, daß die Sachen hier waren, niemand war zugegen, als wir sie umpackten und versteckten, und doch wußten sie die Betreffenden ohne Mühe, ohne Lärm, ohne Licht zu finden. Hier muß es einen Verräter geben. Gleichgültig, sie sind eben fort. Bedauerlich ist nur, daß Zalina ihren Tod dabei gefunden hat. Wie ist es eigentlich gekommen?«

Der alte Mann ging erst mit allen Zeichen heftiger Erregung im Zimmer auf und ab, dann nahmen seine Züge einen mehr schwermütigen Ausdruck an.

»Wir wurden gestern abend gegen 10 Uhr durch Hilferufe Franziskas geweckt. Sie stand unten vor der Leiche Zalinas, die vor der nur angelehnten Gartentür lag, tot, im Herzen einen Messerstich. Er mußte von kundiger Hand geführt worden sein, Zalina hatte keinen Laut mehr von sich gegeben. Dann kamen Otto und Käthchen aus einem Konzert und stimmten in Franziskas Zetergeschrei ein. Ich untersuchte erst oberflächlich, ob ein Einbruch erfolgt sei, es fehlte nichts. Dann fielen mir deine Sachen ein, ich sah nach und fand sie nicht mehr vor. Die Eindringlinge hatten es also nur auf sie abgesehen gehabt.«

»Zalina lag vor der nur angelehnten Gartentür?«

»Ja.«

»Sieht das nicht fast aus, als hätte sie die Diebe eingelassen und dann zur Belohnung den Messerstich bekommen, damit sie nichts ausplaudern konnte?«

»Nein,« entgegnete der Vater finster, »Zalina war treu wie Gold. Dies alles hat Franziska auf dem Gewissen!«

»Franziska?« rief Oskar erschrocken.

»Es hat sich erst jetzt herausgestellt, daß Franziska schon seit langer Zeit eine Liebschaft unterhält. Sie hat dies nun offen gestanden, doch sie weigert sich hartnäckig, den Namen des Mannes zu nennen. Ihre Zusammenkünfte fanden nachts im Garten statt, Zalina war ihre Verbündete. Die an Franziska hängende Dienerin schloß ihr auf und wachte an der Tür, bis sie zurückkam. Entweder hat der Räuber nun gewußt, daß diese Tür offen stand und sie sofort benutzt oder er hat sie zufällig offen gefunden. Jedenfalls hat der Räuber Zalina stumm gemacht.« Oskars Gedanken weilten nicht mehr bei den ihm wertvollen Sachen, er dachte an die Schwester.

»Die arme Franziska!« sagte er. »Ich kann mir denken, welche Empfindungen sie bewegen.«

»Ja, sie ist sehr unglücklich, und ich kann sie nicht einmal bedauern oder trösten.«

»Warum nicht, Vater?«

»Sie hat uns, ihre Eltern, getäuscht. Sie benahm sich uns gegenüber unbefangen, während sie ein heimliches Liebesverhältnis hatte, sie hat also geheuchelt. Jedem Vergehen muß aber eine Strafe folgen, sie muß, und diese erleidet Franziska jetzt.

Du zürnst ihr?«

»Nicht mehr. Im ersten Augenblick war ich zwar entrüstet, doch ich bezwang mich schnell. Ich bin kein Mann, der ein Mädchenherz studiert hat, ich bezweifle überhaupt, daß ein Mann ein solches beurteilen kann, und so hielt ich mich nicht für kompetent, ihr gegenüber als Richter aufzutreten. Das mußte die Mutter tun, und ich fürchte fast, sie ist in ihrem Eifer zu weit gegangen.«

»Was sagte sie?«

Ich glaube, sie hat ein böses Wort fallen lassen,« entgegnete der alte Mann düster, »ohne daß es nötig gewesen wäre – denn Franziska fühlt von selbst eine schwere Schuld auf sich lasten – sie hat dem armen Mädchen vorgeworfen, daß ohne ihr heimliches Ausgehen Zalina den Tod nicht gefunden hätte. Wohin willst du, Oskar?«

»Franziska sagen, daß sie unschuldig ist, oder ich will die Schuld mit ihr tragen und mich mit ihr verantworten,« rief Oskar und verließ das Zimmer.

Er fand die Schwester in Tränen aufgelöst, die Mutter war soeben von ihr gegangen, wahrscheinlich nicht im Guten.

Beim Eintritt des Bruders erhob sie sich; die Tränen versiegten; neben dem Ausdruck des Schmerzes prägte sich der des Stolzes in ihren sonst so sanften Zügen aus.

»Kommst auch du, Oscar, mir Vorwürfe zu machen? Ich dächte, es wäre genug!«

Er ergriff ihre beiden Hände und schaute ihr warm ins Auge.

»Franziska, du beurteilst mich ganz falsch. Ich komme nicht als Ankläger, sondern als Tröster.«

Das Mädchen brach von neuem in Tränen aus.

»Ich brauche auch Trost,« meinte sie.

»Und ich will ihn dir bringen. Was dir die Mutter auch im ersten Zorn gesagt haben mag, sie wird es bald bereuen und ihr Unrecht einsehe, denn das hat sie.«

»Nein, sie hat recht,« schluchzte Franziska, »ich bin schuld daran, daß Zalina ihren Tod gefunden hat. Wer konnte das aber auch ahnen!«

»Ja, wer konnte das ahnen! Angenommen, ich bestelle einen Freund, den ich liebe, meinen Vater oder dich an eine Stelle zur Zusammenkunft, und komme ich hin, so finde ich dich tot, von Mörderhand gefallen – hätte ich einen Grund, mein Gewissen wegen deines Todes anzuklagen?«

Überrascht hob Franziska den Kopf. Ja, das war ein Trost, dieses Beispiel leuchtete ein.

»Und habe ich nicht ebensoviel Schuld wie du, ja, eine noch viel größere als du?« fuhr Oskar fort. »Ich gab die Veranlassung dazu, daß der Räuber in das Haus einbrach und, als er einer Person begegnete, die ihm lästig war, diese niedermachte. Ich wußte, daß die Sachen, die ich dem Vater zum Aufheben gab, für gewisse Personen von großem Werte waren, daß sie einen Mord nicht scheuten, um in ihren Besitz zu kommen. Glaubst du, mein Gewissen klagt mich an? Nicht im mindesten! Ebensowenig, wie wenn ich einem Bankier eine Summe übergebe und er dieses meines Geldes wegen ermordet wird. Laß deine Selbstvorwürfe also!«

»Ich danke dir, Oskar,« murmelte Franziska; »aber immerhin, meinetwegen ließ Zalina die Tür offen. So bin ich doch schuld daran, daß dir die Sachen gestohlen worden sind, auf die du soviel Wert legst.« »Oh, Franzy, da bist du im größten Irrtum. Diejenigen, welche eindringen wollten, hätten den Weg auch in einen zugemauerten Turm gefunden. Die offene Tür begünstigte nur ihren Eintritt, nichts weiter.«

Franziskas Gesicht hellte sich immer mehr auf.

»Und die Mutter,« sagte sie noch einmal ängstlich, ist so entrüstet, sie dringt in mich, ich soll gestehen, wer – was – und der Vater läßt sich gar nicht sehen, er zürnt mir auch.«

»Er zürnt dir nicht, versichere ich dir. Höre meine Ansicht; folge dem Weg, den du für den besten hältst, folge deinem Herzen, und daß meine Franzy ein gutes Herz hat und nicht leichtsinnig ist, das weiß ich.«

Noch einen warmen Händedruck wechselte Oskar mit der Schwester, dann eilte er hinaus, fest überzeugt, eine gute Tat vollbracht zu haben. Er hatte noch eine Unterredung mit der Mutter, und es gelang ihm, auch diese für Franziska umzustimmen. Nur daß die Tochter hinter ihrem Rücken eine Liebelei angesponnen, konnte sie nicht so leicht verzeihen, und daß sich Franziska beharrlich weigerte, den Namen des Liebhabers zu nennen, erzürnte sie.

Oskar durchschaute die Mutter; diese fühlte sich in ihrer Ehre gekränkt, weil sie sich für eine scharfsinnige Frau gehalten hatte, der nichts entgehen konnte, was ihre Kinder anbetraf, und nun sah sie plötzlich. daß sie ganz blind gewesen war.

Oskar begab sich nach der Villa zurück. »So haben sie das Fell und den Arm doch wiedererlangt,« dachte er unterwegs; »wie viel muß ihnen also daran gelegen sein! Kein Zweifel, ich habe eine Person um mich, die mich und meine Pläne an sie verrät. Wer mag das sein? Ich werde von jetzt ab auf Hedwig ein scharfes Auge haben.«


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