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10. Der Pseudo-Gouverneur

Zwischen Reis-, Baumwolle- und Teefeldern, umgeben von Orangenhainen und kleinen Dattelwäldern, lag idyllisch ein großes Dorf, oder vielmehr eine kleine Stadt, denn der Ortsvorsteher führte den stolzen Namen Mankdrallah, was so viel wie Bürgermeister bedeutet.

Die Niederlassung machte aber doch ganz den Eindruck eines Dorfes, die Hütten bestanden aus Lehm, durch Bambusrohre zusammengehalten und mit Schilf gedeckt, nur das Haus des Ortsvorstehers bestand ganz aus Bambusrohr, ebenso wie das ihm gegenüberliegende, und wenn wir hören, daß es noch größer war als das seinige und nur aus zwei großen Räumen bestand, mit Teppichen belegt, aber sonst unbewohnt war, ferner, daß an dem Orte eine Landstraße vorüberging, so ist leicht der Schluß zu ziehen, daß dieses leere Haus die Karawanserei war, die unentgeltliche Herberge für Wanderer, in welcher der Reisende auch mit Essen versorgt wird, ohne den Beutel ziehen zu müssen.

Es war gegen Abend. Die fleißigen Feldarbeiter, männliche und weibliche, kehrten heim, die Kinder liefen ihnen entgegen, bald flammten vor den Hütten Feuer auf, nicht um Licht zu verbreiten, denn es war noch völlig hell, sondern um das Abendessen, die Hauptmahlzeit des Tages, zu bereiten.

Da verstummte das fröhliche Geschwätz in der Dorfgasse, die Weiber vergaßen den Löffel im Gemüse zu rühren, die Männer reckten die Hälse und warfen sich bedeutsame Blicke zu, und die Kinder steckten die Finger in den Mund und rissen die Augen auf.

Durch die Dorfgasse nämlich kam in einem sogenannten Hundetrab eine wichtige Person gerannt – ein in englischen Diensten stehender Beamter. Dieser Mann trug zwar keine Uniform, sondern nur einen kleinen Schurz um die Lenden, aber die Binde mit den englischen Farben um den linken Arm, stempelte ihn zum Beamten, und die lange Bambusstange auf der rechten Schulter, an jedem Ende ein Paket so tragend, daß die Stange das Gleichgewicht hielt, ließ ihn als Postboten erkennen. Mit langsamen, aber weiten Sätzen eilte der braune, nackte Kuli dahin, das Rohr auf den Schultern machte starke Schwingungen, ohne ihn im Lauf zu stören.

Dieser Briefbote war keine seltene Erscheinung, jeden Morgen und jeden Abend rannte er durch das Dorf, aber immer schaute man ihm mit gleicher Hochachtung nach, denn er war ja trotz seiner Nacktheit ein Beamter.

Einen Brief gab er hier niemals ab, höchstens ein- oder zweimal im Jahre einen an den Ortsvorsteher, einen amtlichen Befehl, sonst rannte er schlank hindurch, der nächsten großen Stadt zu.

Heute aber wurde die Bewunderung zum Staunen. Der Briefbote fiel vor dem Hause des Mankdrallah in Schritt und verschwand in demselben.

Was hatte das zu bedeuten? Ein Brief für den Ortsvorsteher? Ah so, vor einer Stunde war durch das Dorf ein einfach gekleideter Engländer, auf einem kräftigen Pferde sitzend und nur begleitet von einem einzigen Diener, gekommen und hatte im Hause des Ortsvorstehers Quartier genommen.

Vielleicht war der Brief für ihn.

Die guten Leute täuschten sich, der Postbote hatte gar keinen Brief abzugeben.

Der Mankdrallah, ein kleiner, untersetzter Mann mit aufgedunsenem Gesicht und hervorquellenden Augen, stürzte dem Läufer atemlos mit ausgestreckter Hand entgegen; an einer Türspalte erschienen einige neugierige Frauen- und Mädchengesichter.

Der Postbote schüttelte den Kopf.

»Nichts,« sagte er, »aber etwas anderes, eine wichtige, wichtige Nachricht.«

»Was denn?«

»Hast du ein besseres Kleid als dieses?«

»Ja, warum denn?«

»Der Gouverneur, der große Gouverneur muß heute noch hier durchkommen.«

Der dicke Indier sank vor Schreck fast in die Knie.

»Der große Gouverneur, der richtige große?« stammelte er.

»Der richtige große.«

»Wo – woher weißt du das?«

»Ich weiß es; wer es mir sagte, darf ich nicht verraten, ich darf überhaupt nichts verraten, denn ich bin Beamter.«

Damit rannte der Kuli in noch längeren Schritten davon, um die versäumte Zeit nachzuholen. Seitenstechen und Atemlosigkeit sind diesen Kulis unbekannte Begriffe.

»Der Gouverneur, der große Gouverneur kommt heute noch hier durch,« murmelte der Mankdrallah, ohne sich von der Stelle bewegen zu können, denn der Schreck war ihm in die Glieder gefahren.

Also der Generalgouverneur von Indien sollte heute dieses Dorf passieren, der Briefbote hatte es gesagt, und der mußte es ja ganz genau wissen.

Endlich kam wieder Bewegung in den Dicken. Zur Verzweiflung der weiblichen Familienmitglieder begab er sich nicht erst zu ihnen, um ihnen mitzuteilen, was ihm der Postbote ins Ohr geflüstert hatte, sondern ging zu dem vor einer Stunde angekommenen reisenden Engländer.

In dem Gemach war ein Feldtisch aufgeschlagen, desgleichen ein Stuhl und ein Bett, welche durch den Reisenden auf einem Maultier transportiert worden waren. Der Fremde, ein Mann von mittleren Jahren, in grauem Tropenanzug, hatte auf dem Tisch ein Mikroskop aufgestellt und betrachtete durch dasselbe den Kopf eines eben gefangenen Käfers. Sein eingeborener Diener leistete ihm dabei Handreichungen.

Der Mankdrallah hatte vor diesem Faringi keinen allzugroßen Respekt, denn er war ja nur zu Pferd, mit einem ebenfalls berittenen Diener und einem beladenen Maultier angekommen, und so einfach reist in Indien selten ein Engländer. Es war jedenfalls ein ganz unbedeutender Mensch, dachte der Mankdrallah, nur so ein armer Kerl, wenigstens den anderen Faringis gegenüber, aber er war doch immerhin ein Engländer und konnte dem Mankdrallah einen Rat geben.

»Der Gouverneur, der große Gouverneur kommt heute hier durch,« stürzte er ins Zimmer.

Verwundert schaute der Fremde von seinem Mikroskop auf.

»So? Woher weißt du denn das?«

»Der Briefbote hat es gesagt.«

»Wann soll er denn kommen?«

»Bald, sehr bald!«

»Hast du ihn schon einmal gesehen?« fuhr der Fremde lächelnd fort.

»Ich? Nein. Der ist ja immer in seinem mächtigen Palast zu Delhi und erteilt Befehle.«

»Soso, also er soll heute hier durchreisen! Na, da empfange ihn nur gut, damit er sich freut und dir etwas schenkt.«

»Vielleicht schläft er hier.«

»Das glaube ich kaum. Weißt du, solche große Herren reisen lieber etwas länger, damit sie in einer Stadt über Nacht bleiben können. Da gibt es bessere Häuser.«

»Ach so, das ist wahr.«

Der Ortsvorsteher kratzte sich in den dichten Haaren.

»Was mache ich denn nun, wenn er kommt, Sahib?« fragte er dann kleinlaut.

»Gar nichts.«

»Aber der große Gouverneur.«

»Er soll keine Empfangsbegrüßungen lieben.«

»Das sagst du nur, weil du ihn gar nicht kennst, Sahib. Nein, nein, ich muß ihn begrüßen.«

»Dann tue es. Er wird jedoch wohl nicht kommen.«

»Er kommt, ich weiß es ganz bestimmt.«

Da sich der Mankdrallah von dem ungefälligen Sahib keinen Rat holen konnte, wie er den großen Gouverneur empfangen könne, so handelte er nach eigenem Gutdünken.

Fünf Minuten später durchzog ein Indier, eine weiße Binde um den Kopf, das Dorf, machte durch Zusammenschlagen zweier Becken einen Höllenlärm, und verkündete in den Zwischenpausen mit weitschallender Stimme, alle Bewohner, Männlein, Weiblein und Kinder, sollten sofort jede Arbeit stehen und liegen lassen, die Kochtöpfe vom Feuer nehmen und das beste anziehen und anhängen, was ihre Hütte berge, denn der große Gouverneur von Indien käme noch heute abend durch das Dorf, der große Gouverneur, der dem Padischah zu befehlen hätte, dem die Maharadschas bei Tisch bedienen müßten, dem die Radschas die Füße küßten, der die Mörder und Diebe mit eigener Hand aufhänge, der dafür sorge, daß in Indien abwechselnd die Sonne scheine und es wieder regne, damit die Früchte auf dem Feld gediehen und die Kulis etwas zu essen hätten und so weiter und so weiter, alles Worte, die der Mankdrallah dem Ausschreier in der Eile in den Mund gegeben hatte, und welche den Generalgouverneur mindestens zum lieben Gott von Indien machten.

Es war sehr bezeichnend, daß gar nicht der Reichtum des erwarteten Mannes erwähnt wurde, sondern nur seine Macht. Andere ungebildete Völker preisen immer den Reichtum und den Glanz der fremden Gäste, die Indier aber sind diesen durch die einheimischen Fürsten im größten Maße gewöhnt, ihnen imponiert nur die Macht und Herrschaft, die jemand ausübt.

Ein Leben und Hasten begann, wie das Dorf es noch gar nicht gesehen hatte.

Die Feuer wurden gelöscht, die Kochtöpfe umgeworfen – denn man brauchte sie jetzt leer – in den Hütten wurden Kleider aus Bambuskörben gerissen, die Haare gesalbt; die Weiber und Mädchen schmückten sich mit Messingketten und Spangen, mit Ohrringen von zehn Zentimeter Länge, wertlos, aber glitzernd; wer kein gutes Kleid hatte, borgte sich eins vom Nachbar, die sonst nackten Kinder wurden in rote Tücher gewickelt, wie überhaupt Rot eine große Rolle spielte.

Als der Mankdrallah vor der Tür seines Hauses erschien, erregte er das größte Erstaunen; so nobel hatte er sich noch nie gezeigt. Die funkelnagelneuen, weißen Hosen saßen stramm wie Trikots an den dicken Beinchen, der lange Rock war scharlachrot, ebenso der ungeheure Turban. Gravitätisch, einen Stock mit goldenem Knopf unterm Arm, schritt er auf und ab, aber sein Herz pochte zum Zerspringen vor heimlicher Angst.

Endlich huschten kleine, nur mit einem Hemd bekleidete Gestalten, über die Straße, jede hatte wenigstens noch was Buntes auf dem Leibe, und wenn es auch nur ein Busentuch oder ein Gürtel war, alles spähte, die Hand vor den Augen, gegen die untergehende Sonne, denn von da sollte der mächtige Mann kommen.

Handbereit lagen Töpfe, Schüsseln, Löffel und andere – nicht etwa Eßgerätschaften – Musikinstrumente da und ferner Gegenstände, welche aus Därmen gefertigt zu sein schienen und zu irgendeinem noch unbekannten Zwecke dienen mußten. Vorläufig wurden sie an dem Brunnen vor der Karawanserei mit Wasser gefüllt.

»Wird er kommen, oder wird er nicht kommen?«

Diese Frage lag mit Zentnerschwere auf aller Herzen, man vergaß darüber ganz den Hunger. Die armen Leute hatten ja ihr Abendessen eingebüßt.

Die Kinder wollten vorauslaufen und kundschaften, ob er käme, aber der strenge Befehl des Mankdrallah hielt sie zurück. Ein etwaiger Empfang sollte mit intensiver Heftigkeit erfolgen, was den Pomp vergrößerte.

Der Ortsvorsteher raffte sich auf, er bekämpfte seine heimliche Angst und teilte seine Untergebenen auf. Er war natürlich der erste, der dem hohen Herrscher entgegenkam, dann aber folgte ein ganz gewöhnlicher Feldarbeiter, der nur den Vorzug besaß, eine ungeheure Stimme zu besitzen. Er konnte wie ein Tiger brüllen und noch etwas lauter.

Da der Mann nur ein Hemd besaß, hatte der Ortsvorsteher ihn mit seinen eigenen Sachen ausstaffiert, und zwar bunt wie einen Pfauhahn.

»Wenn ich den Stock hebe,« sagte er zu ihm, »fängst du an zu schreien, so laut, daß die Hütten einfallen, und wenn auch deine Lunge platzt; und ihr,« wandte er sich an die umstehenden Männer, »ihr brüllt mit und macht Musik, so schön und laut wie möglich.

Immer hübsch zusammen, eins, zwei, und immer gut brüllen.«

Nun instruierte er seine dicke Ehehälfte, die wie ein bunter Schmetterling aussah, nur nicht so graziös, und an der Spitze der Frauen und Mädchen des Dorfes stand. Sie und die Töchter des Mankdrallah trugen so viel Messing an Hals, Armen und in den Ohren, wie alle übrigen Weiber zusammen, wenigstens ein Kilogramm.

»Er kommt!« schrie ein Junge vom Baume herab.

Ja, er kam.

Eine Staubwolke wirbelte in der Ferne auf der Landstraße empor, dann erschien zuerst ein mächtiger Elefant, später tauchten zur Seite und hinten Reiter und Läufer auf.

Der Elefant trug einen offenen Baldachin, in dem ein Mann saß – es konnte niemand anders sein als der große Gouverneur.

Noch verharrte die Menge bewegungslos und lautlos, doch schon hatte der Schreier den Mund so weit aufgerissen, daß eine Taube darin Platz gehabt hätte.

Da hob der Mankdrallah den Stock, fort stürzte der kleine, dicke Mann, wie eine Kugel rollte er die Landstraße hin, dem Zuge entgegen, und hinter ihm her die Männer, Frauen und Kinder, nicht mehr ruhig, sondern mit einem ohrenzerreißenden Lärm.

Die Kochtöpfe prasselten zusammen, die Löffel und Messer rasselten auf den Blechschüsseln und Tellern, und dazu schrie, brüllte, gellte und heulte es, als ob alle Teufel der Hölle entfesselt wären.

Man hatte den Elefanten erreicht. Man umtobte ihn, schlüpfte ihm zwischen den Beinen hindurch und schwang die Konzertinstrumente hinauf; nie vergaß man aber dabei, sie zu rühren, das Geheul währte fort, und der Schreier brüllte wie ein angeschossener Tiger.

Der Mann in dem Baldachin, der Gouverneur, kannte natürlich die Sitten der Eingeborenen und schaute gleichgültig wie seine Diener auf die Menge herab. Es war eben ein indischer, ehrenvoller Empfang, wie jeder Reisende ihn erhält, der mit großem Gefolge ein Dorf passiert, weiter nichts. Dann aber hatte er die Vorsicht, sein Gesicht mit einem Tuche zu bedecken, und das war gut, denn jetzt hatten auch die Weiber und Kinder den Zug erreicht, und plötzlich schossen aus den seltsamen Gerätschaften aus Schafsdärmen, durch einen Druck der Hand hervorgetrieben, unerschöpfliche Wasserstrahlen, überschütteten den Elefanten, und reichten auch hinauf bis zum Reiter im Baldachin, ihn bald vollkommen durchnässend.

Dem Elefanten schien das Duschbad nach der langen Reise sehr angenehm zu sein, er schwenkte den Rüssel und grunzte behaglich. Der Engländer ließ die Strahlen geduldig über sich ergehen, das Gesicht war durch das Tuch vor ihnen geschützt. Es ist nun einmal in Indien Sitte, den Reisenden, den man ehrenvoll empfangen will, mit Wasser zu bespritzen, wie wieder andere Völker, z. B. die Orientalen, dem Gast die Füße waschen. Es hat ja auch nichts weiter zu sagen. Der Reisende wechselt seine Kleidung sowieso mehrmals des Tages, und täte er dies auch nicht, so hätte die heiße Sonne sie in fünf Minuten doch wieder getrocknet.

Schließlich ist so ein Duschbad nach staubigem Marsche auch ganz erfrischend.

Umgeben von der tobenden und spritzenden Menge zog die Karawane in das Dorf ein, und dem Mankdrallah fiel das Herz wieder in die Kniekehlen, als der Elefant vom Mahaut, dem Führer, nach der Karawanserei gelenkt wurde und dort hielt.

Der Generalgouverneur wollte doch nicht etwa ...

Wahrhaftig, dem Führer wurde ein Brett gereicht, er legte es vom Baldachin aus nach dem Dach der Karawanserei und darüber hinweg schritt der Gouverneur, dann die Leiter herabsteigend.

Er wollte also wirklich hier übernachten; schon sprangen die berittenen Eingeborenen ab, die anderen beschäftigten sich mit dem Gepäck.

Scheu wichen die Umstehenden vor dem mächtigsten Manne in Indien zurück, eine lautlose Stille trat ein.

Der Mankdrallah hatte Lust, sich hinter seiner Ehehälfte zu verkriechen, diese jedoch, eine energische Dame, gab ihm einen Puff in die Seite, der ihn in den Kreis schleuderte, in welchem der Gouverneur stand und sich umschaute, da er den Ortsvorsteher erwartete.

Jetzt war dieser vor ihm. Der dicke, kleine Mann, der den Stock verloren hatte, machte nur eine einzige Verbeugung, das heißt, er knickte rechtwinklig zusammen und blieb so stehen, und da er kurze Beinchen, aber lange Arme besaß, die er herabhängen ließ, so sah es gerade aus, als ob er auf allen vieren stände.

Er sah sich genötigt, den hohen Herrn zu begrüßen, und murmelte daher ohne Unterbrechung unverständliche Worte hervor.

»Bist du der Mankdrallah?« fragte der Gouverneur.

Der Mann stieß ein vollkommen unverständliches Grunzen aus.

»Gut, ich werde diese Nacht bei dir bleiben. Weise mir zwei Zimmer in deinem Hause an, eins für mich, das andere für meinen Diener. Die übrigen bleiben in der Karawanserei.«

Der Mankdrallah warf sich unbehilflich herum und lief ins Haus. Da er sich auch beim Gehen nicht aus seiner gebückten Stellung emporrichtete und dabei mit den langen Armen, deren Hände so ziemlich den Boden berührten, taktmäßig schlenkerte, so sah es fast aus, als liefe ein großer Affe auf allen vieren davon.

Der Engländer sandte ihm einen verwunderten Blick nach und wendete sich dann an einen vom Pferde gesprungenen Indier mit einem scheuen und zugleich finsteren Gesicht.

»Aleen,« sagte der Herr zu ihm, »sorge, daß zuerst mein Gepäck ins Zimmer kommt, und richte es ein. Laß die Kulis sich um das andere kümmern. Hier scheint noch gar kein reisender Engländer durchgekommen zu sein,« fügte er leiser hinzu, »die Leute empfangen mich ja gerade, als wäre ich der Herr des Landes.«

»Es scheint so Sahib,« entgegnete der Indier und machte sich mit dem Gepäck zu schaffen.

Der Engländer ging ins Haus; an der Tür empfing ihn wieder der seltsame, vierbeinige Mensch und lief ihm voran nach einem Zimmer, wo er stehen blieb.

Lächelnd betrachtete der Reisende den Mann. »Bist du der Mankdrallah?« fragte er nochmals.

Das Tier hob das rechte Vorderbein und senkte den Kopf zur Bejahung.

»Bist du so krumm gewachsen?«

Der Ortsvorsteher hatte vorhin von seiner Frau etwas Mut eingeflößt bekommen, er fand die Sprache wieder.

»Nein ...« entgegnete er, das Nein deutlich aussprechend, das folgende Wort aber zerfloß in einem Murmeln.

»Wie nennst du mich?«

Wieder ein unverständliches Grunzen.

»Es ist schön, daß du einem Fremden gegenüber höflich bist, doch so höflich, daß du auf allen vieren herumkriechst, brauchst du nicht zu sein. Es ist gut, du kannst gehen.«

Das Tier warf sich auf den Hinterbeinen herum und trabte hinaus.

Der mit Aleen angeredete Diener kam herein und brachte die Bettstelle seines Herrn.

»Was hat dieser unterwürfige Empfang nur zu bedeuten?« fragte ihn sein Herr.

Über die finsteren Züge des Indiers flog ein leichtes Lächeln.

»Hast du nicht gehört, Sahib, was die Leute dir vorhin beim Entgegenkommen zuriefen?«

»Ich hörte nichts weiter als ein wütendes Gebrüll.«

»Es waren Worte.«

»Was riefen sie?«

»Sie glauben, du seiest der große Gouverneur, der Generalgouverneur von Indien.«

»Das wäre!«

»Ich werde mich noch einmal heimlich erkundigen.«

Als er wieder, mit dem übrigen Gepäck beladen, hereinkam, bestätigte er seine vorige Aussage.

»Der Postbote hatte die Nachricht verbreitet, der Generalgouverneur käme heute noch durchs Dorf: und nun halten sie dich, Sahib, für denselben.«

»Ah, nun kann ich mir die übergroße Höflichkeit erklären. Es ist Torheit, ich weiß bestimmt, daß Lord Canning nach Berar gereist ist.«

»Aber nicht nur die Dorfbewohner, auch die von dir gemieteten Diener glauben plötzlich, du seiest wirklich der Generalgouverneur, und behandeln sogar mich, als deinen Diener, mit der größten Ehrfurcht,« fuhr der Indier lächelnd fort.

Während Aleen einen Tisch, Stühle und das Bett für die Nacht aufschlug, saß der Herr sinnend am Fenster und stützte den Kopf in die Hand.

Seltsam, dieser Empfang! Er war nicht abergläubisch, er wollte es wenigstens nicht sein, aber dennoch ...

Der liebe Leser wird schon gewußt haben, als der Engländer den Diener Aleen rief, daß es niemand anders als Edgar Westerly war, jetzt Lord Westerly, dem zufällig solche Ehren erwiesen wurden.

Hatte er dies nicht schon einmal geträumt? Zuerst träumte er, er befände sich im Hause seiner Eltern als Herr, als Lord, und der Traum war buchstäblich in Erfüllung gegangen. Dann hatte er geträumt, man empfinge ihn in Indien mit Auszeichnung, er würde zum Generalgouverneur, ja, selbst zum König ausgerufen. Sollte auch dies in Erfüllung gehen? War dies schon ein Anfang, eine Einleitung? Lächelnd wollte er die Gedanken abschütteln.

»Du schweigst!« sagte er zu Aleen.

»Mankdrallah!« rief er dann.

Sofort trollte der Kleine in seiner gebückten Stellung herein, die Hände immer auf dem Boden. Sein Kopf war vor Anstrengung ganz rot geworden.

»Weißt du, wer ich bin?« fragte ihn Westerly.

Das rechte Vorderbein ward über den Kopf gehoben.

»Nun wer?«

Nur ein Grunzen erfolgte. Westerly trat vor den seltsamen Kauz hin, der sich schleunigst zurückzog, bis sein Hinterteil die Wand berührte.

»Richte dich einmal auf und benimm dich wie ein Mensch. Mir tut schon das Kreuz weh, wenn ich dich nur ansehe. Hier, nimm, mach ein Loch durch und hänge es deiner Frau an die Nase.«

Er reichte dem Manne ein großes Silberstück, für den Indier ein Vermögen bedeutend.

Jetzt endlich richtete er sich auf und machte dabei ein Gesicht, das deutlich verriet, wie ihn der Rücken schmerzte.

»Hast du die Sprache wiederbekommen?«

»Ja, Sahib.«

»Nun, wer bin ich?«

»Der Gouverneur.«

»Der Gouverneur?«

»Ja, der große, große Gouverneur von Indien, dem alles gehört, was in Indien ist, dem alle gehorchen müssen, Radschas und Hindus und der Großmogul und alle Kulis, und der so mächtig ist, daß sie alle ...«

»Schon gut, schon gut! Du scheinst ein treuer Diener zu sein und treu an England zu hängen.«

»Sahib, es gibt in ganz Indien keinen treueren Diener und niemanden, der dich mehr liebt als ich.«

»Ich danke sehr für deine Liebe, sie macht mich glücklich. Damit du siehst, daß der Generalgouverneur auch freigebig sein kann, will ich heute ein Fest veranstalten.«

Des Dicken Augen leuchteten auf. Der Löwenanteil mußte bei so etwas immer ihm und seinem Hause, das den Gast beherbergte, zufallen.

»Habt ihr Schlachtvieh da?«

»Ziegen, Schafe, Gänse, Enten Hühner,« zählte der glückliche Bürgermeister auf.

»So schlachtet so viel davon, wie ihr essen könnt, und verbraucht, was ihr euch für schwere Zeiten gespart habt. Ich werde es morgen bezahlen. Halt« rief er dem Hinauslaufenden noch einmal zurück, »ist heute schon ein Fremder durchs Dorf gereist?«

»Nein, Sahib, es ist aber noch einer hier.«

»Ein Faringi?«

»Ja, Sahib.«

Unangenehme Überraschung malte sich im Gesicht Westerlys.

»Warum hast du mir das nicht eher gesagt?«

»Du fragtest nicht darnach.«

»Wo ist denn sein Gefolge?«

»Er hat nur einen Diener mit sich, der in seinem Zimmer mit ihm schläft.«

»In der Karawanserei?«

»Nein, in diesem Hause.«

»Wo?«

»Auf der anderen Seite.«

»Sprach er Indisch?«

»So gut wie ich.«

»Was ist er?«

»Ich weiß nicht, Sahib, aber ich glaube, es ist eben so ein Mann, wie schon früher einmal einer hier war.«

»Was war das für ein Mann?«

»Er hatte Gläser vor den Augen und guckte den ganzen Tag draußen auf dem Felde durch ein langes Rohr, das auf drei Beinen stand, schrieb, rollte eine lange Leine immer auf und ab, und war er hier im Hause, so malte er auf einem großen Tische.«

»Ach so, ein Geometer! Der Faringi ist auch ein Geometer?« »Er kam erst vor zwei Stunden an und packte auch gleich so eine goldene Röhre aus, durch die er guckt, und schreibt in einem Buche.«

»Es wird ein Geometer sein. Es ist gut, ich will ihn nicht kennen lernen. Besorge den Auftrag!«

In Gedanken versunken, ging Westerly im Zimmer auf und ab. Man drängte ihm die Rolle des Generalgouverneurs auf, und Westerly hatte keinen Grund, diese Leute vom Gegenteil zu überzeugen. Das hätte überdies wahrscheinlich unsagbare Mühe gekostet, wäre jedenfalls ganz unmöglich gewesen.

Westerly beschloß also, sich ganz ruhig weiter Generalgouverneur titulieren zu lassen.

Niemand hatte einen Nachteil davon.

Die Ehre, die ihm hier in dem kleinen Dörfchen von unwissenden, indischen Bauern widerfuhr, war überhaupt äußerst gering. Und dennoch, der ehrsüchtige Westerly fühlte sich geschmeichelt; er, der über jeden Aberglauben spöttelte, mußte fortwährend an seinen Traum denken, von dem sich schon ein Teil erfüllt hatte.

Während er im Zimmer auf und ab schritt, bereitete ihm Aleen auf einer Spiritusmaschine aus Konserven ein delikates Abendbrot.

Auf der Dorfstraße, noch immer vom Abendsonnenschein erleuchtet, erschollen jauchzende Jubelrufe, die Bauern hatten die fettesten Ziegen und Schafe aus ihren Herden gewählt und trieben sie vorüber, der Schlachtbank zu.

Die Frucht auf den Feldern war ihr Brot, die Herden ihr Vermögen, und dieses griffen sie nicht an. Zinsen genossen sie wenig davon, die fraßen gewöhnlich die Tiger, Panther, Schakale und andere Raubtiere, das übrige rafften Seuchen dahin. Nur bei Hochzeiten oder anderen Festen spendierte ein Reicher einmal ein mageres Tier.

Heute durften sie schlachten, denn morgen wollte ja der Gouverneur zahlen, und bares Geld war auch ihnen am liebsten.

Die Kochtöpfe, welche dem Empfangskonzert nicht zum Opfer gefallen waren, hingen bald über flackernden Feuern, und an anderen wurden saftige Keulen an Spießen gedreht.

Unbewußt nahm Westerly die ihm von Aleen aufgetragene Abendmahlzeit ein, seine Gedanken verweilten noch immer bei dem Traum. Nur eines fehlte ihm noch, dann war auch das alles erfüllt; wo waren die ...

»Sahib,« sagte Aleen am Fenster, »der Mankdrallah läßt die Mädchen des Dorfes vorbeiziehen.«

Westerly schrak zusammen, obgleich er keinen Grund dazu hatte. Er trat mit geringschätzendem Lächeln ans Fenster und blickte hinaus.

Unten zogen die jungen Mädchen des Dorfes vorbei, festlich geschmückt, wie der Mankdrallah es befohlen hatte und wie sie es aus eigenem Antriebe getan, um dem hohen Gast zu gefallen.

Wie die Ziegen und Schafe waren auch sie Schlachtopfer.

Der Mankdrallah stand neben seiner Frau und kommandierte: »Kopf höher.« rief er der einen zu, »halte dich gerader,« einer anderen. Die Mädchen gehorchten, sie gaben sich die möglichste Mühe, einen guten Eindruck zu machen, gekleidet waren sie so, daß ihre Reize sichtbar waren, und wo ein Tuch noch etwas verhüllte, zog die Frau Ortsvorsteherin es zur Seite.

Vor dem Hause blieben sie stehen. Die meisten schauten gleichgültig geradeaus, nur wenige senkten den Blick beschämt zu Boden, und nur zwei, welche schon in einer größeren Stadt gewesen waren, kokettierten zum Fenster hinauf.

Alle wünschten, der anwesende Faringi mochte recht bald seine Wahl treffen, damit die übrigen sich auch noch an den Vorbereitungen des Festes beteiligen könnten.

Es ist eine Sitte oder eine Unsitte, wie man es nimmt, die man in den südlichen Ländern überall antrifft, daß dem reisenden Gast im Nachtquartier Mädchen angeboten werden. In den Tagebüchern der Afrikareisenden findet man immer die Notiz, wenn sie von einem schwarzen Häuptling gastlich aufgenommen wurden: er schenkte mir einige Sklavinnen, oder, er stellte mir einige seiner Weiber zur Verfügung. Ebenso ist es in dem zivilisierten Orient, ganz besonders in Ägypten. Auch da werden dem Gast vor dem Schlafengehen in jedem Dorfe Mädchen vorgeführt, nicht nur dem reisenden Scheich oder englischen Offizier, sondern oft genug auch dem armen europäischen Handwerksburschen. Es gehört dies eben zur Gastfreundschaft; ländlich – sittlich.

So ist es auch in Indien, von dem malaiischen Archipel gar nicht zu reden, wo das holländische Militär eine geradezu schreckliche Sittenlosigkeit eingeführt hat. Bekanntlich werden der holländischen Fremdenlegion von der Regierung aus unentgeltlich malaiische Weiber geliefert, die Soldaten müssen sogar heiraten, und die Kinder gehören der Regierung, sie werden wieder zu Soldaten erzogen.

Das Schiff nun, welches einen Hafen in Holländisch-Indien anläuft, wird gleich von Soldaten erstürmt, die ihre Frauen den Matrosen für eine Kleinigkeit, für einen Groschen, zum Kauf anbieten.

Auf dem indischen Kontinent haben besonders die Beamten der ostindischen Kompanie viel gefrevelt. Diese Herren waren allmächtig, ein reisender Kommis war der liebe Herrgott selbst; wohin er kam, mußten sich ihm alle Türen öffnen, und damit der Mankdrallah des Dorfes nicht erst grob angefahren wurde, ließ er gleich alle Weiber und Mädchen des Dorfes zusammenholen und stellte sie dem Beamten zur Auswahl vor.

Westerly schaute geringschätzend auf die Dorfschönen herab, für ihn war das nichts Neues. Er konnte diesen indischen Mädchen keinen Geschmack abgewinnen.

Es war eine Form der Höflichkeit, des ‚guten Anstandes', die man dem hohen Gast schuldig war, weiter nichts.

Der Mankdrallah kroch wieder in seiner alten, gebückten Stellung herein.

»Sie sind versammelt, großer Gouverneur,« murmelte er, »die Schönsten, die dein Diener dir bieten kann. Laß dein Auge gnädig auf ihnen ruhen und suche die aus, welche würdig ist, in deiner Nähe weilen zu dürfen.

»Führe sie wieder fort!« sagte Westerly gleichgültig. »Sie sollen an dem Feste teilnehmen.«

Die Mädchen marschierten wieder ab; jetzt vermischten sie ihr Jauchzen mit dem der übrigen Dorfbewohner.

Westerly blickte noch immer in den Abend hinaus. Auch seine eingeborenen Diener beteiligten sich an den Vorbereitungen der Schmauserei; sie hatten vor der Karawanserei Feuer entzündet, und häuteten die Schlachttiere ab, welche an der Bambuswand hingen.

Der Brunnen vor der Karawanserei war von Mädchen dicht umringt. Sie ließen an der langen Hebelstange den tönernen Krug hinab, brachten ihn gefüllt wieder herauf, setzten ihn auf den Kopf und balancierten ihn so mit sicherem Tritt nach ihrer Kochstätte.

Die Zuletztkommenden stellten sich hinten an und warteten, bis die Reihe an sie kam. Ein junger Kuli bediente den Hebel und füllte den Mädchen unter Späßen und humoristischen Worten den Krug, setzte ihn auch jeder auf den Kopf und sorgte dafür, daß er überlief und sich das Wasser über Brust und Nacken des Mädchens ergoß, was stets ein kreischendes Gelächter hervorrief.

Da bemerkte Westerly ein Mädchen, welches in ganz auffallender Weise zurückgesetzt wurde. Zuerst stand sie immer hinten, die Neuankommenden stellten sieh immer wieder vor sie hin, dann rückte auch sie durch Zufall einmal langsam vor, aber wieder drängten sich andere vor ihr in die Reihe. Endlich, nach langem, langem Warten, hatte sie den Brunnen erreicht, sie hielt ihren Krug dem Burschen hin, dieser griff erst darnach, zog aber die Hand schnell wieder zurück und sagte kopfschüttelnd etwas, worüber die anderen in ein lautes Gelächter ausbrachen.

Das Mädchen wurde sichtlich verachtet. Die Krüge aller anderen wurden gefüllt, sie hielt den ihren vergebens hin, bis sie ihn endlich auf den Rand des Brunnens setzte und geduldig wartete. Sie mußte wahrscheinlich harren, bis alle mit Wasser versehen waren. Westerlys Augen betrachteten entzückt dieses verachtete Mädchen. Ja, das war etwas anderes als die indischen Weiber, und sie war nicht unter denen gewesen, welche vorhin zur Schau gestellt wurden.

Es war etwas ganz Fremdländisches an ihr. Ihre Gestalt war klein und zierlich, aber herrlich entwickelt. Das Gesicht zeigte nicht den Typus der indischen Mädchen. Die Augen waren nicht etwas schiefliegend, sondern groß und rund; dichte, schwarze Brauen wölbten sich darüber, die Nase war leicht gebogen, der Mund sehr klein, der Teint nicht schwarzbraun wie der der Indier, sondern mehr ins Gelbliche spielend.

Auch ihre Kleidung war eine ganz andere, an die der Araberinnen erinnernd.

Sie trug ein blaues Jäckchen, mit großen, blanken Knöpfen besetzt; den trotz ihrer zierlichen Figur vollen Busen bedeckte ein rotes, baumwollenes Hemd, welches jedoch in der Mitte nur ganz wenig offen war.

Ein blauer Rock reichte bis weit über die Knie, unter ihm aber sahen noch die roten, weiten Pantalons hervor, welche über einem plumpen, mit starken Sohlen versehenen Schuh am zarten Knöchel fest zusammengeschnürt waren.

Um den Kopf trug sie ein rotes Tuch geschlungen, unter dem blauschwarzes Haar hervorquoll. Obgleich die Entfernung ziemlich groß war, konnte Westerly doch das ausdrucksvolle Spiel der herrlichen, großen Augen bemerken und bewundern. Sie blickten schüchtern und ängstlich, als sich immer wieder andere Mädchen vor ihr eindrängten, und bittend, als sie dem Burschen den Krug zum Füllen hinhielt, und gleichgültig und stolz, zugleich aber auch wehmütig, als sie wartend dastand.

Und wie graziös lehnte sie sich an den Brunnenrand, die eine Hand auf den Krug gelegt, die andere leicht in die breite Hüfte gestützt, wobei der geschlitzte Ärmel auseinanderfiel und den vollen, runden, gelbbraunen Arm zeigte! Ihre Stellung drückte eine nachlässige Gleichgültigkeit aus, als läge ihr gar nichts daran, ob sie jetzt oder zuletzt daran käme; denselben Ausdruck versuchte sie auch dem Gesicht zu geben, aber es gelang ihr nicht. Sie sah so traurig aus.

Westerly konnte seine Augen nicht von der schönen Gestalt wenden.

»Mankdrallah!« rief er.

Wie ein Wiesel schlüpfte der Gerufene sofort herein.

»Wer ist jenes Mädchen in dem blauen Kleide?«

»Nur eine Jüdin, Sahib,« war die verächtliche Antwort.

»Sie war vorhin nicht unter denen, welche du mir vorführtest.«

»Sie ist heute nachmittag in Begleitung eines alten Juden zugereist gekommen. Beide schlafen in der Karawanserei.«

»Die Karawanserei muß jetzt doch ganz voll von meinen Dienern sein.«

»Das ist sie.«

»Und das Mädchen muß unter den Männern schlafen?«

»Ja, die Indier murren schon, daß sie mit der Jüdin unter einem Dache schlafen müssen,« entgegnete der Ortsvorsteher, Westerlys Frage einen anderen Grund gebend.

»Ist der Jude ihr Vater oder ihr Mann?«

»Ihr Vater; er ist alt und häßlich. Er ritt einen mageren Esel, sie ging zu Fuß nebenher. Ich hätte sie nicht in die Karawanserei gelassen, doch dein Befehl, Sahib, will es so.«

Die Karawansereien standen für jeden offen, es durfte niemand vom Zutritt ausgeschlossen werden.

»Warum gibt ihr der Bursche kein Wasser?«

»Sahib, sie ist ja eine Jüdin, muß also warten, bis alle anderen Wasser haben. Dann kann sie ihren Krug selbst füllen.«

»So geh du hin und fülle ihr den Krug.«

Der Mankdrallah glaubte falsch verstanden zu haben.

»Ich, Sahib?« rief er erschrocken. »Ich soll die Jüdin bedienen?«

»Ja, du selbst.« »Sahib, es ist ja ein Judenmädchen!«

»Hund, willst du gehorchen?« rief Westerly, ergriff vom Tische eine Reitpeitsche und holte zum Schlage aus.

Blitzschnell war der kleine Mann verschwunden.

Gleich darauf sah Westerly ihn mit gravitätischen Schritten, aber weinerlichem Gesicht, zum Brunnen gehen. Die Mädchen, die dem Dorfschulzen nicht respektvoll auswichen, weil sie ihn nicht sahen, stieß er unsanft beiseite und sprach zu dem Burschen. Als dieser ihn erstaunt ansah, empfing er sofort eine Ohrfeige, daß er bald in den Brunnen gefallen wäre.

»Du Lump, du Hundesohn!« brüllte ihn der entrüstet tuende Mankdrallah an. »Glaubst du etwa, weil das Mädchen eine Jüdin, eine schmutzige Jüdin ist, brauchst du ihr kein Wasser zu geben? Du bist ja selbst nichts weiter als ein räudiger Hund! Schnell, gib ihr Wasser, zu allererst und immer wieder zuerst, wenn sie wiederkommt. Und du?« fuhr er ein anderes Mädchen an. »Was hast du den Mund vor Staunen aufzureißen?«

Patsch, klatschte seine Hand an ihren Kopf.

Der Bursche fragte nicht erst lange, was den Mankdrallah plötzlich so für die verachtete Jüdin einnahm; schnell griff er nach dem Kruge, da aber ließ sich Westerlys Stimme am Fenster vernehmen: »Mankdrallah, du selbst sollst des Mädchens Krug füllen, sofort! Hörst du?«

Der Ortsvorsteher ließ sich das nicht zum zweiten Male von dem Gouverneur heißen; demütig schöpfte er Wasser, während die Jüdin erstaunt nach dem Manne am Fenster blickte, der ihr nicht nur so wohlwollte, sondern ihr sogar eine solche Auszeichnung zuteil werden ließ.

Westerly sah ihr nach, wie sie mit graziösem Schritt, sich in den breiten Hüften wiegend, dabei den Krug sicher auf dem Kopfe oder vielmehr auf der Stirn balancierend, der Karawanserei zuschritt und darin verschwand.

»Großer Gouverneur, ich habe deinem Befehl mit Freuden gehorcht, zürne mir nicht länger!«

Mit diesen Worten trat der Dicke wieder in das Zimmer, sich nicht mehr aus seiner Verbeugung aufrichtend.

»Laß dir gesagt sein, ich will nicht, daß diese Juden zurückgesetzt werden. Es geht auch nicht, daß dieses Mädchen in der von Männern gefüllten Karawanserei schläft. Hast du noch in deinem Hause ein Zimmer leer?«

Der Indier wagte nicht, den Gouverneur noch einmal daran zu erinnern, daß das Mädchen eine Jüdin sei, deren Aufenthalt in seinem Hause dasselbe verunreinige.

Im Zimmer rechts richtete sich eben Aleen ein, das Zimmer links war frei, und Westerly bestimmte es als Aufenthalt der Jüdin für die Nacht.

»Geh hinüber und bitte sie mit freundlichen Worten, in deinem Hause zu schlafen.«

»Sahib, sie wird es mir nicht glauben.«

»Warum nicht? Hole sie herüber, ich befehle es dir.«

»Auch den Juden?«

»Nein, der mag in der Karawanserei bleiben. Stelle ihm einige Mädchen zur Verfügung, daß er seine Tochter bei der Bereitung des Abendessens nicht vermißt.«

Der Mankdrallah hatte Einwendungen nur gemacht, um sich unwissend zu stellen, denn er wußte ganz genau, was der Faringi beabsichtigte.

Ob das Mädchen einwilligte, oder ob es sich weigerte, der Einladung Folge zu leisten? Nur an so etwas zu denken, war schon Torheit.

Der Indier der unteren Klassen war an sich willenlos, und noch mehr die Juden, obgleich diese durch ihr zusammengeschachertes Geld auch eine gewisse Macht ausübten, allerdings nur indirekt.

Westerly hielt den Indier noch einmal zurück.

»Du verstehst mich doch recht? Das Mädchen soll hier schlafen, weil die Karawanserei mit Männern überfüllt ist. Deute ihr meine Einladung nicht anders.« Der Mankdrallah nickte schlau und ging. Die Karawanserei war wirklich bis auf den letzten Platz mit Teppichen belegt, auf denen später die jetzt draußen Schmausenden schlafen wollten. Es waren auch einheimische, berauschende Getränke ausgeteilt worden, die Diener führten selbst welche mit, und obgleich die Indier im Trinken mäßig sind, so war doch zu erwarten, daß es in der Karawanserei heute nacht noch manche Szene geben würde.

In einer Ecke hockten zwei Gestalten, das vorhin beschriebene Mädchen und ein alter Mann mit weißem Bart, in einem schmierigen Kaftan, und auf dem Kopfe ein Käppchen.

Zwischen sich hatten sie zwei Näpfchen stehen; in dem einen war Hartbrot in Wasser aufgeweicht, das andere enthielt einige Oliven.

Er nahm abwechselnd ein Stück Brot und eine Olive, doch das Mädchen biß von den Dingerchen ab, als könne sie eine ganze Frucht gar nicht in den Mund bringen, um dem Vater die Zukost zu überlassen. Das war ihre armselige Mahlzeit, die sie mit einem Trunk Wasser aus dem nebenstehenden Kruge würzte.

»Iß, Mirja,« nötigte der Alte das Mädchen, »iß nur Oliven und denke nicht immer an mich.

Sind sie auch nicht billig, der Gott meiner Väter wird doch sorgen dafür, daß es dem alten Sedrack nicht fehlen wird daran.«

Das Mädchen schob die Schälchen dem Vater hin.

»Ich bin satt,« sagte es mit sanfter, etwas tiefer Stimme. »Ach, Vater, wären wir doch nicht hier eingekehrt. Die vielen Männer! Sie werden uns, wenn sie hereinkommen, belästigen und verhöhnen, wenn nicht gar hinausweisen.«

»Hat nicht der große Gouverneur von Indien dich genommen in seinen Schutz? Er wird die tausendfältig schlagen, die uns schlagen.«

»Er erbarmte sich meiner nur, weil er mich so lange warten sah. Jetzt wird er nicht mehr an uns denken.«

»Der große Gouverneur von Indien ist ein weiser Herrscher, wie Salomo, und gerecht, er wird auch noch weiter für uns sorgen, daß uns kein Leid widerfährt. Ich habe gehört, er nimmt sich auch der Auserwählten Gottes an, und Gott wird ihn nicht verdammen, wenn er die Christenhunde in den feurigen Pfuhl wirft, er wird ihn zu den Juden schicken.«

»Laß uns lieber die Karawanserei verlassen und im Freien schlafen,« bat das Mädchen.

»Wir bleiben!« entgegnete der Vater mit Betonung.

»Der Sahib wird nicht an uns denken, man wird uns mißhandeln!«

»Gott ließ vor Davids Höhle die Spinne ein Netz weben, fester denn eine Burgmauer; er wird auch uns eine unsichtbare Mauer bauen.«

Das Mädchen konnte dieser Glaube nicht beruhigen, ängstlich lauschte es dem johlenden Treiben.

Da kam der Mankdrallah herein, feierlich, mit wichtiger Miene; ihm folgten einige Mädchen mit Schüsseln voll dampfendem Fleisch und Gemüse.

Des Juden Augen erweiterten sich, er ahnte, daß auf Befehl des fremden Gastes auch seiner gedacht worden war. Er durfte das Fleisch essen, denn die Indier stechen die Tiere auch; und murmelte er einige Sprüche darüber, so war es für ihn koscher.

Der Mankdrallah blieb vor ihm stehen und berührte mit dem Stock seine Schulter.

»Der große Gouverneur, der mich beehrt hat, in meinem Hause zu wohnen, hat geruht, dir dieses Fleisch und Gemüse zu schicken, Jude. Er will nicht, daß deine Tochter in der Karawanserei unter den Männern schläft, sie soll in meinem Hause ein Zimmer für sich bekommen.«

Der Jude verneigte sich mit ausgebreiteten Armen und verzückten Augen.

»Sagte ich dir nicht, Mirja, der Gouverneur ist weise und gerecht wie Salomo? Er ist wert, ein Jude zu sein. Iß, Mirja, und geh mit dem Mankdrallah, der vor dem Herrn ist wie ein Wurm im Staube!«

Der Ortsvorsteher warf dem Juden, der plötzlich so keck wurde, da er einen Beschützer hatte, einen bösen Blick zu, schluckte aber seinen Zorn hinter. »Das Mädchen mag gleich mitkommen,« sagte er, »für sie steht eine andere Mahlzeit bereit.«

Mirja war unschuldig; doch böse Erfahrungen hatten ihren Verstand gewitzigt, sie war mißtrauisch.

»Ich, eine Jüdin, soll in deinem Hause schlafen?« fragte sie argwöhnisch.

»Der gnädige Gouverneur will es so. Bei ihm gelten alle Menschen gleich.«

»Ja, ich gehe, wenn mein Vater mitkommt.

»Der bleibt hier!« fiel der Indier hastig ein.

»Dann bleibe auch ich!«

Der Alte schüttelte mißbilligend den Kopf. Seine Augen funkelten schon vor Begier, über das Fleisch herfallen zu dürfen, doch die Mädchen hatten die Schüsseln noch nicht hingesetzt.

»Warum zauderst du, Mirja?« sagte er. »Fürchtest du dich? Warum? Hat dich der Gott Israels nicht schon in tausend Gefahren beschützt? Bist du dort sicherer als hier?«

»Du warst immer bei mir!« murmelte sie leise.

»Und könnte ich dich schützen? Nur Gott kann es, und er wird auch dort bei dir sein! Ich bin alt und werde dich bald verlassen müssen. Geh, Mirja, unser Gott wird bei dir sein! Ich weiß, der große Gouverneur ist ein edler Mann und wird nicht mißbrauchen die Hilflosigkeit eines armen Mädchens, das auch noch eine Jüdin ist. Geh, Mirja!«

Das Mädchen sah sich verlassen. Was blieb ihm nun übrig? Die Juden waren, wie die Kulis, nur Spielzeuge in der Hand der Europäer und Hindus, und in wie vielen Gefahren war Mirja schon gewesen, in welchen sie ihre Ehre verloren haben würde, wenn nicht Gottes Hand sie immer wunderbar beschirmt hätte. Diese Gefahr lauerte überall auf sie, auf der Landstraße, in der Herberge, an jedem Ort und in jeder Minute. Schließlich war es auch sicherer, sich dem Edelmut des Mannes anzuvertrauen, von dessen ernstem, sittlich strengem Charakter sie schon gehört hatte. Gesehen hatte sie ihn vorhin am Fenster zum ersten Male, und er hatte ihr gefallen. Wie hatte er sich gleich des verachteten Mädchens angenommen! Er hatte sogar den hochmütigen Indier vor ihr gedemütigt, und das weiß ein Weib zu schätzen.

In der Karawanserei wäre sie heute nacht auf alle Fälle einem Angriff ausgesetzt gewesen; schlief sie im Freien, nicht minder. Ihr ganzes Leben war nur ein Kampf zur Wahrung ihrer Ehre. Nur einen verborgenen Ort wußte sie, wo sie bis jetzt wenigstens sicher gewesen war.

Doch sie mußte den Vater ja immer auf seinen Handelsreisen begleiten.

Das arme, schöne Judenmädchen erhob sich mit einem Seufzer, nahm sein Bündel und folgte dem vorausgehenden Mankdrallah. Als es sich in der Tür noch einmal umblickte, sah es noch, wie ihr Vater die Fleischstücke heißhungrig hinunterschlang.

Ach, auch Mirja hatte Hunger. Sie konnte sich kaum noch entsinnen, jemals satt gewesen zu sein. Und mußte sie denn hungern? Ja, denn der Vater weinte bei jeder Kupfermünze, die er dem Geldbeutel entnehmen mußte.

Sie ging dem führenden Mankdrallah ins Haus nach.

Westerly war allein in dem Gemach. Auf dem Tische brannte ein Licht, denn es war schon dunkel. Es beleuchtete ein von Aleen bereitetes Abendessen, bestehend in Konserven.

Jetzt hörte er draußen Schritte; zwei Personen betraten das leerstehende Zimmer nebenan –der Mankdrallah und seine Schutzbefohlene. Sie hatte also der Einladung Folge geleistet.

Natürlich! Der Indier ging noch mehrmals aus und ein, wahrscheinlich brachte er Teppiche und Matten zum Nachtlager, dann kam er nicht wieder. Drüben raschelte es noch einige Male, dann wurde es still.

Das Essen wurde kalt, der menschenfreundliche Westerly durfte nicht länger zögern, das Mädchen einzuladen, wenn dasselbe für sie bestimmt war.

Er ergriff die Kerze und ging hinüber. Das Mädchen kauerte in einer Ecke auf dem Teppich und blickte den Eintretenden mit großen, scheuen Augen, die vom Licht nicht geblendet wurden, an, doch Furcht drückten sie nicht aus.

»Bist du das Mädchen, dem man verweigerte, am Brunnen Wasser zu geben?« »Ja, Herr, und ich danke dir, daß du dich einer armen Jüdin angenommen hast,« antwortete ihre melodische Stimme. »Gott wird es dir vergelten!«

»Warum betonst du so, daß du eine Jüdin bist?«

»Weil wir verachtet sind!«

»Ich verachte euch nicht.«

»So bist du edel!«

»Bei mir sind Juden Menschen wie andere, und ich will es dir noch mehr beweisen. Wie heißt du?«

»Mirja!«

»So komm, Mirja, ich habe für dich ein Abendbrot bereiten lassen. Iß von meinen Schüsseln und trink aus meinem Becher!«

Westerly verstand es meisterhaft, die Begierde, die ihn beim Anblick des schönen, reizvollen Mädchens, das ihm jetzt ganz überlassen war, befiel, zu verbergen. Mirja, fortwährend mit fremden Menschen verkehrend, hatte zwar keine Furcht, zögerte aber doch, ihm in das Nebenzimmer zu folgen.

»Du bist ein mächtiger Mann, und ich bin eine verachtete Jüdin! Es paßt sich nicht, daß ich an deinem Tische esse!«

»Und noch weniger paßt es sich, daß du in der Karawanserei zwischen rohen Männern schläfst. Deshalb habe ich dir hier ein Zimmer einrichten lassen. Du dauerst mich, Mirja.

Komm jetzt, oder soll ich dir das Mahl herüberbringen?«

»Gott verhüte, daß du mich bedienst!« rief das Mädchen, stand auf und ging mit ihm hinüber.

Westerly setzte sich auf das Bett und schaute der Essenden schweigend zu. Entzückt hing sein Auge an den reizenden Formen, an dem Spiel der vollen Arme, die sich bei jeder Bewegung entblößten. Und dieses wunderbar schöne Gesicht, dieser fremdartige Reiz darin! Wie mußte dieser kleine Mund küssen können! Die Augen verrieten die Glut, die in dem Mädchen wohnte, und die leicht zum Ausbruch zu bringen war.

Üppige Bilder umgaukelten Westerlys Phantasie, doch noch beherrschte er sich, er wollte das Mädchen während des Essens nicht stören.

Mirja hatte allerdings Hunger, doch sie brauchte nur wenig, um ihn zu stillen. Sie verschmähte Messer und Gabel und führte alles mit der Hand zum Munde, aber mit solcher Grazie, daß man sich nichts Zierlicheres vorstellen konnte. Den vorgesetzten Wein berührte sie nicht.

»Trink, Mirja,« sagte Westerly, als sie anscheinend gesättigt war, »er flößt dir neues Leben ein und verbannt trübe Gedanken.«

»Ich danke, Herr! Noch nie ist über meine Lippen Wein gekommen; er würde meine Sinne verwirren.«

Sie stand auf und warf einen Blick durchs Zimmer. Die Fenster waren mit Teppichen verhängt, die Kerze verbreitete nur ein schwaches Licht und mußte bald niedergebrannt sein.

Da bemerkte Mirja, wie Westerlys Auge mit so seltsam glänzendem Ausdruck auf ihr ruhte, und sofort wußte die schon so oft verfolgte Jüdin, was ihr bevorstand. Doch sie zeigte weder Verlegenheit noch Furcht; was hätte ihr das auch genützt? Sie dachte nicht einmal an Flucht, denn wohin hätte sie fliehen sollen? »Ich danke dir, Herr!« sagte sie nochmals. »Erlaube deiner Dienerin, daß sie nun schlafen geht, denn sie hat heute einen weiten Weg gemacht.«

Sie verneigte sich gegen Westerly und wollte in ihr Zimmer gehen, doch er sprang auf und vertrat ihr den Weg.

»Du willst mich schon verlassen, Mirja? Bleib noch etwas bei mir und leiste mir Gesellschaft.«

»Herr, ich bin müde!«

»So ruhe dich in meinen Armen aus,« rief Westerly, umschlang ihre Taille und zog das Mädchen neben sich nieder. Mirja sträubte sich nur schwach, aber Schamröte übergoß ihr Gesicht.

»So ist es recht, Mädchen!« scherzte er. »Sei nicht blöde. Komm, schlinge die Arme um mich!«

Als sie seiner Aufforderung nicht nachkam, umarmte er sie und suchte sie zu küssen, doch noch vermochte ihn das Mädchen von sich abzuhalten.

Ihr Gesicht war plötzlich bleich geworden, ihre Augen seltsam starr, und ihre Stimme klang hart und fest, als sie sagte: »Herr, ich bin deine Dienerin, du hast mir zu befehlen, und ich werde auch gehorchen; hast du aber Böses mit mir vor, so werde ich mich wehren. Du kannst mich wohl töten, doch nicht bezwingen!«

Westerly lachte laut auf.

»Man erschrickt ja ordentlich, wenn du so sprichst! Ich will dir ja nichts Böses tun, kleine Hexe!«

Er umschlang sie wieder, preßte sie an sich, und da er natürlich bedeutend kräftiger war als sie, so half ihr Stemmen und Sträuben nichts, er drückte sie immer fester an sich, und endlich gelang es ihm, seine Lippen auf ihre Wangen zu pressen.

Da verwandelte sich sein Lachen plötzlich in einen Schmerzensschrei, er fuhr zurück und griff an sein Ohr. Mirja hatte mit ihren scharfen Zähnchen hineingebissen.

Der Schmerz vermochte aber weder des Mannes kochendes Blut abzukühlen noch seine Laune zu verderben.

Mirja hatte den Moment benutzen und aufspringen wollen, doch Westerly ergriff sie noch zur rechten Zeit an beiden Armen und drückte sie auf das Bett zurück.

»Du willst dich also wirklich wehren?« lachte er.

»Ja, Herr, ich werde mich wehren,« stöhnte sie, »ich bitte dich aber, verschone mich! Ich bin nicht das, für was du mich hältst.«

Ihr Gesicht war dunkel gerötet, Westerlys Blicke ruhten mit gesteigertem Verlangen auf der schönen Jüdin.

»Desto besser, wenn du's nicht bist! Nimm Vernunft an, Mädchen, sträube dich nicht länger! Du bist mein!«

»Nur tot werde ich es sein!«

»Das sind Redensarten, ich kenne euch Mädchen.«

»Ich bitte dich, Herr, verschone mich!«

»Willst du dich nicht gutwillig fügen?«

»Nein, nimmermehr!«

»So brauche ich Gewalt!« stieß Westerly atemlos hervor, und wieder fand zwischen beiden ein Kampf statt.

Er riß Mirja das Gewand von den Schultern, und nun entflammte sich seine Begier erst recht.

Dem Mädchen schwanden die Kräfte. Schon konnte eine Hand von ihm ihre beiden Arme halten, gebrochen lag sie da.

Doch wieder fuhr er mit einem Wutschrei zurück, diesmal floß Blut über sein Gesicht.

Mirja hatte ihn in die Backe gebissen.

Da verlor er vollkommen die Herrschaft über sich, er sank zum Tier herab.

Den Kopf des Mädchens, das sich erheben und fliehen wollte, traf ein Faustschlag; mit einem Hilferuf sank es halbbetäubt zurück; doch nicht genug damit, Westerly hob die Faust zum zweiten Schlag, der das Mädchen widerstandslos machen sollte.

Da pfiff es durch die Luft, ein klatschender Schlag, und Westerlys Hand sank von einem schweren Hieb getroffen, nieder.

Mit einem Wutschrei fuhr er herum und stand einem Manne in grauem Reiseanzug gegenüber, in der Hand Westerlys Reitpeitsche. Es war der andere Gast des Dorfes.

Der Getroffene stand wie versteinert da, ihm gegenüber, drohend, mit finsterem Gesicht, der andere. »So lange ich in Indien zu befehlen habe, soll kein Mädchen ungestraft in seiner Ehre beleidigt werden, und wenn Sie nicht – ah, Mister Westerly!« unterbrach sich der Fremde erstaunt. Jener hatte den Störenfried eher erkannt, als dieser ihn; schnell gesammelt, richtete er sich auf.

»Lord Westerly, bitte!« sagte er, als wäre nichts geschehen.

»Richtig, Sie hatten den Verlust Ihres Bruders und seiner ganzen Familie zu beklagen. – Mankdrallah!«

Der Gerufene mußte draußen an der Tür gelauscht haben, er war sofort im Zimmer, machte aber ein sehr ängstliches Gesicht, denn er sah, was der Generalgouverneur vorgehabt hatte, und nun war der Fremde auch im Zimmer.

»Bringe dies Mädchen,« der Fremde deutete nach Mirja, »zu deinen Töchtern und laß es bis morgen bei ihnen. Wird ihm auch nur ein Haar gekrümmt, so wirst du mich kennen lernen.«

Die Worte waren in einem solchen Tone gesprochen, daß der Indier eiligst gehorchte, ohne auch nur einen Blick auf den vermeintlichen Generalgouverneur zu werfen.

Seine Töchter kamen und trugen Mirja hinaus, welche übrigens nicht betäubt war, sondern mit offenen Augen dalag. Aber sie schien wie leblos zu sein, sie hatte nur Interesse für den Fremden. Wie gebannt hingen ihre Blicke an ihm.

Bis zum letzten Augenblick hielt sie ihre Augen auf ihn gerichtet.

»Wer ist das? Wie heißt dieser Mann?« flüsterte sie.

Sie erhielt keine Antwort.

Der Fremde wollte auch sofort das Zimmer wieder verlassen, ohne Westerly zu berücksichtigen, doch dieser vertrat ihm den Weg.

»Ich darf Sie wohl ersuchen, Mylord,« sagte er, die mit einer blutunterlaufenen Schwiele bedeckte rechte Hand ausstreckend, »daß Sie mich um Entschuldigung bitten.«

»Warum?«

»Nun, Sie haben mich vorhin versehentlich mit der Reitpeitsche auf die Hand geschlagen.«

»Sie irren!«

»Wie? Sie hätten nicht geschlagen?«

»Doch, aber nicht versehentlich!«

»Wie meinen Mylord?«

»Der Schlag war mit Absicht geführt,« erklärte der Fremde ruhig; »einen Augenblick kämpfte ich sogar mit mir, ob ich Ihnen die Reitpeitsche nicht lieber ins Gesicht schlagen sollte.«

Ein zischender Laut kam über Westerlys Lippen.

»Das war eine tödliche Beleidigung,« keuchte er.

»Ich wüßte nicht!«

»Sie beschmutzen meine Ehre, das fordert Sühne.«

»Ich beschmutze Ihre Ehre?« fuhr der Fremde auf. »Sie selbst taten dies! Wer sich als etwas ausgibt, was er nicht ist, Herr Generalgouverneur, und wer ein unschuldiges Mädchen zu vergewaltigen sucht, Lord Westerly, der hat in meinen Augen keine Ehre. Nehmen Sie den Schlag von mir als eine wohlverdiente Züchtigung für einen Bubenstreich an.«

Ohne sich umzublicken, schritt der hohe, breitschultrige Fremde hinaus. Mit geballten Fäusten und knirschenden Zähnen sah Westerly ihm nach. Er war geschlagen worden, er, Lord Westerly.

»Wir werden uns darüber noch einmal auseinandersetzen, verlaß dich darauf!« murmelte er mit schäumenden Lippen.

Da wurde die Seitentür lautlos geöffnet, und auf der Schwelle erschien Aleen, .wie zum Sprunge zusammengeduckt, mit dem Blicke eines Tigers und in der Hand den furchtbaren Dolch, dessen Berührung schon tötete. »Wer – wer war das?« flüsterte er. Mit einem Sprung stand Westerly vor ihm und umklammerte sein Handgelenk.

»Mensch, was willst du?« raunte er ihm zu und nahm ihm den Dolch ab.

»Den will ich, der eben mit dir sprach.«

»Warum?«

»Damit ich ihn mit dem Dolch kitzeln kann.«

»So kennst du ihn?«

»Ja, und er oder ich muß sterben.«

Ein düsteres Lächeln überflog Westerlys Antlitz.

»Ich will dir Gelegenheit verschaffen, ihn unschädlich zu machen, wenn du ihn fürchten mußt ...«

»Ich fürchte ihn nicht, ich hasse ihn aber so, daß ich es nicht aussprechen kann,« hauchte der Indier.

»Du sollst deine Rache befriedigen können. Jetzt rufe die Leute zusammen, wende die Peitsche an, wenn sie zögern – wir reisen sofort ab, es gibt einen Nachtmarsch. Besorge alles Nötige.«

Eine Stunde später, mitten in der Nacht, bestieg Westerly seinen Elefanten; mit mürrischen und schläfrigen Gesichtern ordneten sich die mit Fackeln versehenen Kulis zum nächtlichen Marsch.

Da drängte sich der Mankdrallah hervor.

»Sahib,« rief er mit weinerlicher Stimme, »du hast vergessen, die geschlachteten Tiere zu bezahlen, sie sind nun schon gegessen und ...«

»Und hier ist dein Nachtisch,« unterbrach ihn Westerly und schlug ihn mit der Faust ins Gesicht, daß der Mann zu Boden stürzte, »laß ihn dir gut schmecken, die Kosten trägst du!«

Am andern Morgen rötete die Sonne kaum den Horizont, als der Ortsvorsteher von dem Diener zu dem fremden Herrn beschieden wurde. Der arme Mann hatte noch kein Auge zugetan, sondern sich bis jetzt die zerschlagene Nase mit Umschlägen gekühlt.

Mit verbundenem Gesicht erschien er vor dem Faringi, der schon reisefertig war. Alles, bis auf den Tisch und einen Stuhl, war schon zusammengepackt.

»Nenne mir deinen Namen und den des Dorfes,« sagte der Mann, der an dem Tisch vor Papieren saß.

Er notierte die genannten Namen.

»Weißt du als Mankdrallah nicht, daß es auf Befehl des Generalgouverneurs verboten ist, über Nacht bleibenden Gästen Mädchen anzubieten?«

Der Indier wurde ängstlich, verbarg aber seine Angst hinter einem dummdreisten Lächeln.

»Verboten ist es wohl, aber es wird doch überall gemacht. Der große Gouverneur hat ja selbst ...«

»Schon gut! Kennst du die Strafe, die darauf steht, wenn jemand Mädchen feilbietet, ohne daß sie es wollen, sich allein auf seine Macht stützend?«

»Ja – nein,« stotterte der Indier.

»Es sind fünfundzwanzig Stockhiebe. Hat dir der Sahib, welcher gestern Nacht noch abreiste, die geschlachteten Tiere bezahlt?«

»Nein.«

»So sollst du die Kosten tragen, ich werde dafür sorgen. Einmal hast du den Befehl übertreten, du hast Mädchen vorgeführt, wie es früher Sitte gewesen sein mag, und dann warst du behilflich, eine Jungfrau zu überwältigen.«

»Sahib, das ist nicht wahr.«

»Du hättest es verhüten müssen und hast es nicht getan, hast sogar Posten gestanden. Hier, nimm dies,« er übergab ihm ein Kuvert, »in acht Stunden kannst du in Delhi sein und wirst auf der ersten besten Polizeistation dies abgeben. Es ist eine Anweisung.«

»Auf Geld?« fragte der Indier unsicher. »Nein, auf fünfundzwanzig Stockhiebe. Kommst du nicht, so wirst du geholt und bist nicht mehr Mankdrallah dieses Dorfes. Geh, und mache dich reisefertig.«

Niedergeschmettert schlich der Ortsvorsteher hinaus, bestellte sein Haus und machte sich gleich auf den Weg.

Als er eine halbe Stunde später von dem fremden Reiter und dessen Diener auf der Landstraße überholt wurde, warf er sich auf den Boden und küßte den Staub.

»Ach, ich Esel,« seufzte er dann, »ach, ich dummer Esel. Der Faringi, der mich auf die Nase geschlagen hat, ist gar nicht der große Gouverneur gewesen, aber der da, der mir die Stockhiebe geben läßt, das ist er! Was soll ich nun tun? Ich muß hingehen. Brahma schenke mir Geduld und ein hartes Fell.«

Der Jude schlief noch in der Karawanserei, unter dem Kopfe ein Bündel, das er auch noch mit beiden Händen krampfhaft umklammert hielt, als er gerüttelt wurde.

Mit einem Angstschrei fuhr er empor und preßte das Bündel an sich.

»Ich habe nichts, nichts, ich bin ein armer Jude,« murmelte er.

Doch es war nur seine Tochter, die vor ihm stand. Ihr Gesicht war seltsam verklärt.

»Vater, ich habe ihn gesehen, ihn sprechen hören,« flüsterte sie.

»Wen?«

»Ihn, der mich aus Feuer und Wasser und aus den Rachen der Krokodile gerettet hat.«

Des Alten Hand zitterte, als sie in dem Bündel wühlte.

»Wo ist er, daß ich ihm geben kann eine Belohnung?«

»Er ist fort.«

»Fort? Das ist schade! Ich würde ihm gern haben gegeben etwas, das ihn hätte gemacht glücklich. Weißt du nun, wie er heißt?«

»Nein, sagte Mirja, und ihr Gesicht hatte sich bei den Worten des Vaters verfinstert, »ich konnte seinen Namen nicht erfahren.«

»So schenke ihm der Gott unserer Väter ein langes Leben, was ich nicht kann, und das ist besser als Gold und Edelstein, was der arme Sedrack nicht hat, aber beten will ich für ihn.«

Sie sattelten den mageren Esel, der alte Jude setzte sich darauf, nahm die Bündel vor sich, und dann trieb Mirja mit einem Stecken das müde Tier vor sich her.

Sie erzählte nicht, wie es ihr in der Nacht ergangen war, nicht, wie sie von dem Manne, der sie schon einmal gerettet hatte, zum zweiten Male gerettet worden war, finster blickte sie auf den Vater, dessen Lippen Zahlen murmelten; dann aber verklärte sich wieder ihr schönes Antlitz zu einem glücklichen Lächeln. So zogen die beiden auf Delhi zu.


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