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11. Der Brudermörder

Draußen herrschte ein schreckliches Regenwetter; klatschend schlugen die schweren Tropfen gegen die Scheiben; dies trug aber nur dazu bei, die Gemütlichkeit des roten Boudoirs der Duchesse zu erhöhen.

Die Teemaschine summte, der aromatische Duft des heimatlichen Getränkes durchzog das Zimmer, und das durch einen Schirm gedämpfte Licht der Lampe übergoß alles mit einem traulichen Schein.

Eine gemütliche Stimmung hatte sich ausnahmsweise auch einmal des ränkevollen Weibes bemächtigt; die Duchesse wollte für eine halbe Stunde ihre ehr- und rachsüchtigen Pläne vergessen und mit ihrer neuen Freundin Phöbe, die bei ihr wohnte, ein Familiengespräch beginnen.

Letztere hatte sich geändert. Sie war nicht mehr das eitle, kokette und abenteuerlustige Weib, das wir in ihr am Anfang kennen lernten, in ihren Zügen war eine gewisse Traurigkeit oder Melancholie ausgeprägt, die sie früher nie gezeigt, und so hatten sich auch ihre Sprache, ihr ganzes Benehmen geändert. Die Duchesse fragte sich oft, ob dies denn dasselbe Weib sei, welches ihr vor ihrer persönlichen Bekanntschaft oft geschildert worden war, und dann, ob sich Phöbe wirklich zur Ausführung der geplanten Intrigen eigne.

Vielleicht war das Klima an dem Wechsel schuld, und damit muß man stets rechnen, will man nicht große Fehler begehen. Der im Norden energischste Mensch wird im Süden oft ganz willensschwach; eines anderen Charakter wächst oft wieder im Süden, man bekommt jedenfalls ganz andere Neigungen, Empfindungen und Gedanken. Deshalb ist es auch ganz richtig, wenn die Kolonien eigene Gerichtsbarkeit verlangen, und wenn ein Mensch, der im Süden eine strafbare Tat begangen hat, das über ihn in seiner nördlichen Heimat gefällte Urteil nicht anerkennen will, weil er die Richter nicht für kompetent hält.

Doch bald erfuhr die Duchesse, daß Phöbes Stimmungswechsel eine andere Ursache hatte.

Freilich war es auch noch zu keiner ausführlichen Aussprache über diesen Punkt gekommen.

Jetzt war Zeit zum Erzählen.

»Es ist mir nie gelungen,« sagte die Duchesse, ihre Freundin mit Tee bedienend, »das Ende Ihrer abenteuerlichen Laufbahn in England zu hören, und ich glaube, darin liegt der Schlüssel Ihrer Traurigkeit. Hatten Sie sich Pläne für die Zukunft gemacht und sind diese gescheitert?«

»Allerdings,« sagte Phöbe, »vollständig gescheitert. Meine Pläne waren dieselben, wie jetzt noch, aber ich hoffte, die Früchte meiner Bemühungen an der Seite eines Mannes genießen zu können, den ich liebte. Ich bin frei; sobald wir unser Ziel erreicht haben, dann kann mich auch Francoeur nicht mehr halten. Um meine schönste Hoffnung bin ich aber betrogen worden.«

»Ihr bisheriges Leben kenne ich ja, bis Sie aus England fliehen mußten. Sie ließen Ihre frühere, dort wiedergefundene Liebe zurück, einen Herzogssohn, der es bis zum Räuber gebracht hatte; allerdings eine pikante Liebe! Doch ich weiß selbst, daß das Frauenherz keine Rücksichten kennt, wenn es liebt. So weit also habe ich von Ihnen alles erfahren. Habe ich nun recht, wenn ich glaube, daß Ihre Verstimmung mit jenem Alphons de Lacoste zusammenhängt?«

»Ja.«

»Ist er Ihnen untreu geworden? Warum folgt er Ihnen nicht in das Land, was zur Liebe geschaffen ist, und beteiligt sich an unseren Unternehmungen?«

»Weil er nicht kann.«

»Es fehlt ihm an Mitteln? Kleinigkeit!«

»Er ist tot!«

»Ah, das ist etwas anderes! Meine arme, liebe Freundin, da müssen Sie sich mit der Zeit zu trösten suchen. Der Tod ist nun einmal das Los eines jeden Menschen. Er ist doch nicht etwa wieder gefangen worden und dann ...«

Die Duchesse machte eine Bewegung nach dem Halse.

»Er hat sich selbst getötet – ertränkt!«

»Wie? Das sieht dem Charakter Ihres Freundes, wie Sie ihn mir geschildert haben, allerdings gar nicht ähnlich. Ich denke, er war immer heiter, selbst in der größten Gefahr, und besaß einen ausgeprägten Humor?«

»Ja, so war er, und ich glaube nimmermehr, daß sich Alphons selbst ertränkt hat – überdies ein schweres Kunststück – nein, er ist von unbekannter Hand ermordet worden.«

»Ermordet? Man soll den Räuber heimlich ermordet haben?« rief die Duchesse erstaunt.

»Vielleicht aus Gründen, die unsere Sache angehen. Ich habe Ihnen schon erzählt, daß Alphons durch Zufall Einblick in unsere Pläne bekam, aber nur ganz wenig, er hätte uns nicht schaden können, was er übrigens nie getan haben würde; denn seine Absicht war, in unseren Bund zu treten. Meine Meinung nun ist, daß Alphons entweder von einem der Unsrigen ermordet wurde, weil er unser Geheimnis bei ihm nicht treu verwahrt glaubte, oder aber von einem Vertrauten des Vaters. Letzteres glaube ich, weil plötzlich, als das Gerücht auftauchte, in der Leiche des angeblich durch freiwilliges Ertränken Getöteten sei Gift gefunden worden, die Sache niedergeschlagen wurde. Der Vater hat es vorgezogen, seinen Sohn als einen Selbstmörder gelten zu lassen, der in der Erkenntnis seines verfehlten Lebens freiwillig daraus schied.«

»Hm, ein seltsames Motiv! Wollen Sie mir nicht den näheren Sachverhalt erzählen?«

»Daß Alphons gefangen genommen wurde und seinen Häschern sofort wieder entsprang, wissen Sie schon. Ich las dies auch alles erst hier, teils schon auf der Reise in Zeitungen.

Einige Tage darauf wurde an einer Sandbank in der Themse ein Leichnam angetrieben, in dem man bald Alphons erkannte. Es wurde Selbstmord angenommen, er sollte die Energie besessen haben, sich selbst, ohne Gewicht an Hals oder Füße zu binden, zu ertränken. Den Tod beim Durchschwimmen in der Themse gefunden zu haben, schien kaum glaublich; denn Brücken gibt es in London genug, und Verfolger waren ihm nie auf den Fersen gewesen. Die Leichenschau ergab Erstickungstod durch Ertrinken. Da machte ein junger Arzt auf eine brandige Stelle im Nacken des Toten aufmerksam und wies mit einer Lupe nach, daß in der Mitte dieser Stelle ein winziger Stich vorhanden war. Der Arzt war in Indien gewesen und erklärte, dort gäbe es eine seltsame, furchtbar giftige Pflanze mit Dornen, ein leichtes Ritzen an diesen führe sofort den Tod herbei, und die verletzte Stelle bekäme nach einigen Stunden genau dasselbe Aussehen wie die vorliegende. Daraufhin wurde die Leiche untersucht, und man konstatierte im Blute wirklich ein noch unbekanntes Gift. Dann aber beschäftigten sich alle Zeitungen nicht mehr damit, den Redakteuren schien der Mund gestopft worden zu sein, sie berichteten nur noch einmal, daß Alphons de Lacoste, genannt die schwarze Maske, sein Leben durch Selbstmord geendet habe. Ist das nicht sonderbar?«

»Allerdings. Und was schließen Sie daraus?«

»Alphons ist wirklich ermordet worden, und zwar hat man ihn mit einem Instrument in den Nacken gestochen, welches mit jenem uns unbekannten Gift imprägniert war, und ihn dann ins Wasser geworfen. Der Vater hielt einen Selbstmord für besser und ließ die Resultate der Leichenschau unterdrücken.«

Die beiden Damen wurden wieder unterbrochen, Mirzy trat ein und überreichte ihrer Herrin eine Karte, die keinen Namen enthielt, sondern nur ein mit Bleistift daraufgemaltes Zeichen.

Die Duchesse sprang vor Überraschung auf.

»Wie, schon heute abend? Ich hatte ihn erst für morgen bestellt. Ist er selbst da, Mirzy? Doch ja, er muß es ja sein, es ist das ihm gegebene Zeichen. Sage ihm, Mirzy, er möchte sich eine Viertelstunde gedulden, ich hätte noch eine Unterredung zu erledigen.«

»Wissen Sie, wer mich besucht?« wandte sie sich dann an Phöbe.

»Einer aus unserem Bunde?«

»Ein Schüler, ein Lehrling, auf den wir einst große Hoffnungen setzten, die sich aber nur zum Teil erfüllt haben, nicht durch seine Schuld. Vielleicht läßt er sich noch verwerten, nun vielleicht. Es ist niemand anders als Edgar Westerly, jetzt Seine Herrlichkeit der Lord von Leicaster.«

»Wie, Westerly ist hier?« sagte Phöbe erstaunt.

»Wir ließen ihm die Aufforderung zukommen, morgen zu einer bestimmten Stunde hier zu erscheinen, sonst ... Sie wissen, wie wir ihn zu allem zwingen können, wir haben ihn vollständig in unseren Händen, und ganz besonders ich, wie ich Ihnen schon erzählt habe.«

»Und wie gedenken Sie ihn zu verwenden?«

»Ich weiß noch nicht, jedenfalls als Spion. Schade, daß er nicht mehr in der diplomatischen Karriere ist! Doch er hat noch Verbindungen, und die müssen wir ausnützen.

Sollen wir ihn etwa seine neuerlangte Würde in England mit Ruhe genießen lassen, während wir uns abquälen? Mitnichten, er soll auch mit arbeiten. Ich verlasse Sie auf zehn Minuten, um ein Schauspiel vorzubereiten, dem Sie als Zuschauer beiwohnen dürfen. Es soll Ihnen eine Episode aus meinem Leben vorgeführt werden.«

»Noch eine Frage: Weiß Westerly, wer Sie in Wirklichkeit sind?« »Nein, er soll jetzt daran erinnert werden, daß ich es bin, die ihn in der Tasche hat.

Vorläufig kennt er mich nur als Signora Bellani mit dem Beinamen Duchesse, gesehen hat er mich als solche noch nicht.«

Noch vor Verlauf der zehn Minuten kam die Duchesse zurück, nicht mehr als Dame in französischem Geschmack gekleidet, sondern wie ein indisches Haremsweib in weiße, weite Gewänder gehüllt.

»Dies ist mein Kostüm zu der Komödie. Bitte, ziehen Sie sich in dieses Gemach zurück und beobachten Sie mein Auftreten; aber enthalten Sie sich aller Beifalls- oder Mißgunstbezeugungen.«

Als Phöbe hinter der Portiere Platz genommen hatte, schraubte die Duchesse die Lampe ganz niedrig, so daß nur ein schwaches Dämmerlicht im Zimmer herrschte und ließ sich in der dunkelsten, der Tür entferntesten Ecke in einem tiefen Fauteuil nieder.

Westerly saß unterdes in dem eleganten Wartezimmer und harrte der Aufforderung, die ihn zu der Person rief, welche ihn durch ein befehlerisches Schreiben, das bei seinem Nichtkommen mit allerlei Enthüllungen drohte, von England hierher bestellt hatte.

Er wußte nur, daß hier eine Duchesse Bellani wohne; aber daß diese zum Bunde der Verschwörer gehörte, unterlag für ihn keinem Zweifel.

Die Aufforderung hatte zwar erst auf morgen abend gelautet, doch er kam schon heute, denn er brannte vor Verlangen, sich mit den Verschwörern zu vereinigen.

Die verbundene Hand, auf der die Schwiele wie Feuer brannte, war schuld daran, daß er nicht mehr bereute, sein Heimatland verlassen zu haben. Er hätte allerdings überhaupt gehorchen müssen, jetzt aber tat er es gern.

Rache wollte er an dem nehmen, der ihn geschlagen hatte, furchtbare, blutige Rache.

Da meldete Babur, die Duchesse wünsche ihn zu sprechen. Westerly erhob sich und folgte dem Diener durch einige nur schwach erleuchtete Gänge.

Plötzlich fühlte er sich von hinten von kräftigen Armen umschlungen, Gestalten sprangen auf ihn ein, und ehe er noch an Abwehr denken konnte, waren ihm schon die Hände auf den Rücken gebunden.

»Bin ich hier in eine Räuberhöhle geraten?« knirschte Westerly. »Was hat man mit mir vor?«

»Still!« raunte ihm Babur mit zorniger Miene zu. »Du hast meine Herrin beleidigt und wirst ihr jetzt ausgeliefert! Möge sie gnädig gestimmt sein, sonst ist dein Tod unvermeidlich!«

»Aber ich kenne sie ja gar nicht! Wie soll ich sie da beleidigt haben? Wer ist denn deine Herrin?«

Halb betäubt von dem eben Geschehenen, das er sich nicht im geringsten erklären konnte, wurde Westerly fortgeschoben, eine Portiere flog zurück, und plötzlich stand er in einem rotausgeschlagenen Boudoir, in dem nur so viel Licht war, um die nächsten Gegenstände erkennen zu lassen.

Westerly kam alles wie im Traume vor. Hatte er nicht schon einmal etwas Ähnliches erlebt? Vor langen, langen Jahren, als ...

Wahrhaftig, da erhob sich aus einer Ecke abermals eine weiße, verschleierte Gestalt, schwebte auf ihn zu und blieb vor ihm stehen.

Westerly sank von einer Erinnerung überwältigt, in die Knie.

»Ayda.!« flüsterte er wie geistesabwesend. Die Gestalt schlug den Schleier zurück; der Kniende erblickte ein Gesicht, das ihm bekannt war. Es war etwas verändert, aber es waren dieselben Augen, die selben Züge.

»Ja, ich bin's, Ayda! Und wo bist du, Treuloser, der du mir ewige Liebe schwurst, so lange gewesen?«

Westerly brachte keine Antwort hervor. Es er schien ihm alles wie im Traum, er glaubte sich achtzehn Jahre zurückversetzt.

Da blitzte in der Hand des Weibes ein Dolch, er war auf Westerlys Brust gezückt.

Angesichts der Todesgefahr erhielt er sein Bewußtsein wieder, er richtete sich auf. »Ayda, bist du es wirklich? Ich habe nichts getan, was deinen Zorn erregen könnte. Du aber hast mich ins Unglück gestürzt.«

Das Weib lachte leise, trat hinter den Gefangenen und zerschnitt seine Fesseln.

»Genug des Possenspiels, Lord Westerly!« sagte sie lachend, jetzt auf englisch mit veränderter Stimme, und schraubte die Lampe höher. »Ich sehe, Sie haben ein sehr gutes Gedächtnis. Es wäre wohl gar nicht erst nötig gewesen, Ihre Erinnerung, vor wem Sie stehen, wachzurufen. Eine Erklärung hätte schon genügt! Bitte, setzen Sie sich, Mylord!«

Mechanisch nahm Westerly Platz, das Weib ihm gegenüber.

»So sind Sie wirklich jene – jene Haremsdame, die mir schon damals einen Possen spielte?«

»Ja, ich bin jene Haremsdame, doch einen Possen habe ich Ihnen nicht gespielt, vielmehr Sie mir!«

»Es sind für mich unangenehme Erinnerungen,« sagte Westerly zögernd.

»Sie meinen, weil Sie sich am Morgen des anderen Tages in den Armen einer Bajadere wiederfanden, und weil ich darum weiß? Ah, Sie waren damals noch sehr jung; jungen Leuten verzeiht man solche Torheiten!«

»Sie hatten mich betrogen!«

»Bitte, ich hatte nicht Sie, sondern Lord Canning gebeten, mir die langweiligen Stunden zu verkürzen. Sie hatten mein Billett unterschlagen, das erforderte Sühne!«

Westerly war bei Nennung dieses Namens zusammengezuckt.

»Aber Sie taten zuerst, als nähmen Sie mich gern als Ersatz an,« sagte er.

»Ich hatte eine Absicht dabei. Es galt, zu erfahren, wer der Überbringer der geheimen Order sei, die durch Indien zirkulieren sollte. Ich brauche Sie wohl nicht erst daran zu erinnern, Mylord, was ihr Inhalt war. Machen Sie sich keine Vorwürfe, daß Sie das Geheimnis mir verraten haben. Lord Canning hätte meinen Verführungskünsten ebensowenig widerstanden!«

Durch dieses schamlose Geständnis war man auf das eigentliche Thema gekommen.

»Ich wünschte, ich hätte damals keinen Gebrauch von der Einladung gemacht,« murmelte Westerly. »Es wäre alles anders gekommen!«

»Vielleicht, vielleicht auch nicht! Über uns Menschen waltet ein Verhängnis, dem man nicht entrinnen kann. Sie geben also doch zu, daß Sie sich in meiner Macht befinden?«

»Hätte ich Ihrer Aufforderung, hierherzukommen, sonst wohl so unverzüglich Folge geleistet? Ich verließ mein eben erst angetretenes Besitztum, ein ehrenvolles Leben, und vertauschte es mit dem Aufenthalt in dem heißen, ungesunden Indien – weil Sie es wünschten!«

»Merkwürdig, was das kleine Medaillon, das ich damals zum Andenken an Sie behielt, für eine Anziehungskraft auf Sie ausübt!« lächelte die Duchesse.

»Behalten Sie es. Ich vermache es Ihnen, wenn Sie an dem Bildnis meines Vaters solchen Gefallen finden. Mich fesseln noch stärkere Bande an die Verschwörer Englands als dieses mir geraubte Medaillon.«

Westerly war erregt aufgestanden.

»Sie haben recht, Sie haben sich schon zu weit mit uns eingelassen, Monsieur Francoeur hat Sie bereits zu einem der Unsrigen gemacht.«

»Wäre ich es noch nicht, ich würde es jetzt freiwillig werden, ja, ich würde mich freiwillig Ihnen und den Ihrigen anschließen.«

»Das ist schön! Sie sehen also ein, daß unsere Sache Zukunft hat und wollen sich für spätere Zeiten einen Posten sichern! Wir haben alle dasselbe Bestreben. Bitte, setzen Sie sich wieder, wir wollen in Ruhe überlegen, wie Sie verwendet werden können!«

»Nein, ich arbeite nicht für einen Posten, den ich, wenn Indien Frankreich gehört – denn weiter ist es doch nichts – einnehmen soll. Ich will für meine Rache arbeiten!«

»Ah! Also auch Sie verfolgen Privatinteressen!«

»Von jetzt ab erst!« Westerly setzte sch nieder und versank in finsteres Brüten.

»Darf ich das Nähere erfahren?« begann die Duchesse, als er nicht von selbst das Wort nahm.

»Erst möchte ich mir eine Frage erlauben: Sie nannten sich früher Ayda, jetzt Duchesse Rosa Bellani, damals erschienen Sie mir wie ein Haremsweib diesen Eindruck machen Sie mir jetzt gar nicht. Wollen wir in nähere Verbindung treten, so ist es nötig, daß ich über Ihren wahren Charakter aufgeklärt werde.«

Erst hatte die Duchesse eine scharfe Antwort auf der Zunge; sie wollte ihm kurz erklären, daß nur sie zu fragen, er zu antworten habe, denn sie sei die Herrin, er der Knecht, doch sie änderte schnell ihren Sinn.

Sie ergriff, ihm freundlich ins Auge sehend, seine Hand.

»Betrachten Sie mich als Ihre Freundin, und lassen Sie sich daran vorläufig genügen, als Ihre Freundin, die in der Verschwörung so ziemlich den wichtigsten Rang einnimmt. Und zeigen Sie sich mir als Freund, so ... was ist Ihnen, Lord?«

Sie hatte die Hand erfaßt, die am oberen Teil verbunden war, und diese bei den letzten Worten etwas gedrückt. Westerly .war schmerzhaft zusammengefahren.

Sind Sie verwundet?«

»Mir brennt meine Hand,« sagte er mit unheimlich glühenden Augen, »und das Feuer pflanzt sich fort bis in mein Herz! Sehen Sie hier!«

Er nahm den Verband ab; auf dem Handrücken zog sich eine blutrünstige Schwiele hin.

»Was ist das?«

»Das, was meine Rache erheischt!«

»Es sieht aus wie ein Hieb!«

»Lord Canning hat ihn geführt!« zischte er.

Der Duchesse ging plötzlich ein Verständnis auf.

»Ja, er hat mich geschlagen,« fuhr Westerly fort, »geschlagen wie einen Hund, und mir die Möglichkeit genommen, Rechenschaft zu fordern. Wie sollte ich auch? Das Duell ist bei uns Engländern verpönt, Lord Canning ist Herrscher in Indien, er gibt die Gesetze, hat also das Recht auf seiner Seite. Nur eine Abbitte könnte mich versöhnen; er hat sie mir ausdrücklich verweigert, und so bleibt mir nur ein Weg offen – mich an ihm zu rächen!«

Das Weib forschte nicht, was die Veranlassung zu dem entehrenden Schlage gebildet hatte, ihre Gedanken erfaßten sofort nur einen Punkt. Jetzt wußte sie, wozu Westerly zu gebrauchen war, sie kannte seine schwache Seite, und diese mußte sie bis aufs Äußerste ausnutzen.

Sie war eine perfekte Schauspielerin, doch sie brauchte sich im Moment nicht einmal besonders zu verstellen. Auch ihre Augen funkelten plötzlich auf. Sie war aufgesprungen.

»Sie hassen Lord Canning?« stieß sie hervor.

»Wie die Pest.«

»Und wissen Sie, was er mir getan hat?«

»Nein.«

»Sie selbst haben den Haß mir ins Herz gesät. Hat er nicht meine Einladung, die ihm galt, mit schnöden Worten abgewiesen und über mich als ein sentimentales Weib gelacht?«

»So ist es, wir können uns gegen ihn verbünden.«

»Und wir wollen es tun, wir wollen uns in den Haß teilen. Aber Lord Canning ist Generalgouverneur.«

»Das entrückt ihn nicht meiner Rache.«

»Auch meiner nicht. Ich meine nur, er steht uns allen im Wege, denn er ist scharfsinnig und gewandt; wäre er nicht mehr, so hätten wir leichtes Spiel.«

Das war eine deutliche Anspielung, doch Westerly bebte nicht zurück; als hätte er nur darauf gelauert, so ergriff er sofort den Gedanken und führte ihn weiter aus.

»Sie sprechen von seinem Tod,« flüsterte er und richtete sich hoch auf; »wohlan, ich bin der Mann, ihn zur Seite zu schaffen, zum Nutzen der Verschwörer gegen England, ohne eine Belohnung zu fordern; denn es gilt nur, diesen entehrenden Schlag mit der Reitpeitsche zu rächen.«

So leicht hatte sich die Duchesse das Spiel doch nicht gedacht, sie hätte aufjubeln mögen.

War aber Westerly auch der Mann, eine solche Tat auszuführen? In ganz Indien gab es keinen Menschen, der gewagt hätte, gegen den zugleich gefürchteten und geliebten Generalgouverneur die Waffe zu erheben. Schon mehrere Versuche, Mörder zu werben, waren erfolglos gewesen.

»Sie selbst würden es wagen?« fragte das Weib wie erstaunt.

»Ich oder ein anderer.«

»Wer ist der andere?«

»Mein Diener namens Aleen. Aus einem mir unbekannten Grunde haßt er Canning glühend.«

»Hm, also ein Indier. Auf diese ist kein Verlaß. Weiß er, daß Canning der Herrscher Indiens ist?«

»Nein.«

»Dann ist er nicht brauchbar.«

»Aleens Haß überwiegt die Ehrfurcht, scheint mir.«

»Nein, kein Indier darf es sein. Fällt er durch die Hand eines solchen, dann ist bewiesen, daß ein Aufstand vorbereitet wird.«

»Nun,« stieß Westerly hervor, »so bin ich bereit, die Tat auszuführen.«

»Sie? Wissen Sie auch, mit welch einem Gegner Sie es aufnehmen wollen? Lord Canning ist einer der stärksten und gewandtesten Männer, die ich je gesehen habe; man hört nur nicht viel von seinen ritterlichen Eigenschaften, weil er sie bloß im geheimen übt. Ich war einst Zeuge, wie er über eine zwei Meter hohe Mauer sprang. Wir hatten schon einmal einen Meuchelmörder gedungen, einen Spanier, ihm das Stilett von hinten ins Herz zu stoßen; die Waffe berührte nur seinen Rock oder ritzte ihm vielleicht auch die Haut, da drehte er sich blitzschnell um und packte den Mörder. Diesem gelang es noch einmal, zu entkommen; er schlüpfte mit seiner schmächtigen Gestalt durch ein Mauerloch, Lord Canning aber sprang darüber, packte ihn und übergab ihn herbeieilenden Polizisten.«

»Ist er auch gegen Gift gefeit?« fragte Westerly höhnisch.

»Es gibt kein Gift, welches augenblicklich wirkt. Lord Canning würde doch den Mann noch fassen und ausliefern, und das darf nicht geschehen. Schon hat man gegen uns in gewissen Kreisen Argwohn gefaßt. Wird Lord Canning ermordet gefunden, so forscht man nach dem Grunde, und man wird sich zuerst an uns wenden. Auch ich hasse den Gouverneur, denn er hat mich verhöhnt, ich hasse ihn auch als Feindin Englands, und viel wäre uns geholfen, wäre er beseitigt, doch unauffällig muß sein Tod herbeigeführt werden. Wären Sie der Mann dazu?«

Mit einem furchtbaren Gesichtsausdruck zog Westerly aus der Brusttasche einen kostbaren Dolch hervor und entblößte den Stahl.

»Ja, ich kann es tun!« hauchte er. »Dieser Dolch ist das Mittel, ihn in die Ewigkeit hinüberschlummern zu lassen.«

»Er ist vergiftet?«

»Mit einem furchtbaren Gift.«

»Aber es wirkt auch nicht sofort.«

Westerly trat einen Schritt näher an das Weib heran.

»Es wirkt sofort, auf der Stelle. Ich brauche die Spitze nur jemandem auf den Nacken zu setzen, nur einen Stich zu machen, hundertmal kleiner als den, den eine Nadelspitze hinterläßt, und wie vom Blitz getroffen, sinkt der Mann zusammen, keinen Laut kann er mehr ausstoßen, und nichts verrät, daß er kein natürliches Ende genommen hat – was war das? Sind wir nicht allein?«

Hinter der Portiere hatte es geraschelt.

Die Duchesse schlug diese schnell zurück und lud Phöbe ein, hereinzukommen. »Sie kennen sich schon, eine Vorstellung ist nicht nötig. Madame Dubois, Sie haben gehört, um was es sich handelt. Gut, Mylord, Sie sollen der Auserwählte sein! Dieses Edelwild darf nicht durch die Hand eines Kulis fallen, sondern durch die Ihre, und Ihre Belohnung soll königlich sein.«

»Ich tue es umsonst,« sagte Westerly grimmig; »denn es handelt sich dabei nur um meine Rache.«

Die sehr aufgeregte Duchesse verließ das Boudoir. Westerly war so von dem gegenwärtigen Plan eingenommen, daß er die anwesende Phöbe gar nicht beachtete, nicht einmal begrüßte.

Diese sah geisterhaft bleich aus, ihre Augen glänzten unheimlich, als sie dem im Zimmer auf und ab Wandernden folgten. Endlich zwang sie sich wieder zu einem harmlosen Aussehen.

»Ich hatte nicht erwartet, Mylord, Sie in Indien, wiederzusehen!« begann sie.

»Ich mußte hierherkommen, Sie wissen es.«

»Wann verließen Sie England?«

»Etwa vor sechs Wochen.«

»Darf ich nicht das genaue Datum erfahren?«

»Ist Ihnen daran so viel gelegen?«

»Ja, ich möchte Sie dann über etwas fragen.«

Westerly nannte das Datum.

»Nein, dann waren Sie schon fort,« entgegnete Phöbe, sich zur Gleichgültigkeit zwingend.

Nach einer Pause fragte sie wieder.

»Ist der Dolch wirklich mit einem furchtbaren Gift imprägniert?«

»Ja, es tötet sofort,« entgegnete Westerly zerstreut.

»Und hinterläßt keine äußeren Kennzeichen einer Vergiftung?«

»Ein kaum sichtbares. Etwa zwölf Stunden später wird die gestochene Stelle etwas brandig, aber kaum bemerkbar.«

Phöbe mußte mit aller Macht kämpfen, ihrer Aufregung Herr zu werden.

»Sie haben es selbst schon probiert?« fragte sie leise, um das Beben ihrer Stimme zu verbergen.

»Ja.«

»Wen haben Sie damit getötet?«

»Keinen Menschen,« lachte Westerly; »ich stellte meinen Versuch mit einem Hunde an, dessen Haar ich an einer Stelle abrasieren ließ.«

Westerly war selbst zu erregt, als daß er das seltsame Benehmen Phöbes bemerkt hätte, wie sie nach Selbstbeherrschung rang, wie sie beständig die Farbe wechselte, und dabei den auf und ab Gehenden stier anblickte.

Die Duchesse trat wieder ein. Alles an ihr drückte eine nervöse Hast aus, ihre Augen strahlten in triumphierendem Feuer.

»Jetzt ist die passende Zeit dazu, Mylord,« flüsterte sie.

»Wozu?«

»Lord Canning zur Seite zu räumen.«

Westerly erschrak doch, so nahe hatte er sich der Ausführung seines Entschlusses nicht gewähnt.

»Schon jetzt?«

»Ja, je eher, desto besser. Die Gelegenheit ist günstig.«

»Wo befindet er sich?«

»In seiner Wohnung.«

»Im Gouvernements-Palast?«

»Ja, er ist von einer Reise zurückgekehrt und hat sich bereits um zehn Uhr zur Ruhe begeben. Jetzt liegt er schon im tiefsten Schlafe.«

Westerly war doch erschüttert. »Nun, zögern Sie etwa?« fragte sie schneidend.

Er richtete sich auf, seine Hand brannte ihm.

»Nein. Woher aber wissen Sie, daß er schläft?«

»Ich habe es soeben erfahren.«

»Durch wen? Sie waren nur fünf Minuten entfernt.«

»Ich stehe mit einem Getreuen im Gouvernements-Palast durch eine unterirdische Sprachleitung in Verbindung und weiß alles, was im Palast vorgeht. Genügt Ihnen das?«

»Also im Bett soll er sterben?«

»Es ist das Unauffälligste.«

»Aber ich muß deshalb in den Palast, in sein Schlafzimmer eindringen!« sagte Westerly bestürzt.

»Es hat dies keine Gefahr auf sich, ich selbst begleite Sie und wohne der Handlung bei.

Lord Canning liebt keine Diener um sich; nur ein Indier oder vielmehr ein Halbblut schläft im Nebenzimmer. Dieser wird von meinen Getreuen zur bestimmten Zeit, wenn wir dort erscheinen, unter einem Vorwand entfernt werden. Lord Canning schläft bei unverschlossener Tür, nichts steht uns im Wege, und sollte uns doch jemand hindern, nun, so muß er zur Seite geräumt werden. Dann gilt es nur noch den Mord des Verhaßten.«

»Aber ich begreife nicht, wie Sie in den Palast gelangen wollen!« murmelte Westerly.

»Wir müssen doch das Tor passieren.«

»Das lassen Sie meine Sache sein. Ich garantiere Ihnen mit meinem Leben, daß alles glückt, denn ich begleite Sie ja bis ans Bett Cannings. Wenn Sie nur sicher sind, daß das Gift auf der Stelle, ohne Todeskampf, tötet, denn auch noch sterbend muß Lord Canning ein furchtbarer Gegner sein.«

»Ein Ritz in den Nacken vernichtet das Leben sofort,« sagte Westerly unbewußt; »ich selbst war schon Zeuge davon. Doch könnte nicht mein Diener Aleen der Lord Canning ebenfalls –«

»Ha, wollen Sie sich so drücken?« unterbrach ihn das Weib spöttisch. »Mit Ihrem Dolche würde ich es ohne Zögern allein wagen, doch es fehlt mir die Kraft, den Mechanismus einer geheimen Falltür in Bewegung zu setzen. Natürlich, prahlen konnten Sie mit Ihrem Rachedurst uns gegenüber, aber den zu töten, der Sie wie einen Sklaven geschlagen, dazu fehlt Ihnen der Mut, wenn es darauf ankommt.«

»Genug!« rief Westerly mit zuckenden Lippen und umklammerte mit der verwundeten Hand den Dolch. »Führen Sie mich, wohin Sie wollen, meinetwegen direkt in die Hölle, wenn ich nur Lord Canning dort finde!«

»So kommen Sie! In einer Stunde spätestens sind wir wieder hier,« wandte sie sich im Hinausgehen noch einmal an Phöbe, »und der, den wir von unseren Gegnern am meisten zu fürchten haben, ohne den die englische Partei in Indien keine Stütze mehr hat, wird bei unserer Rückkehr nicht mehr am Leben sein.«

Phöbe wartete, bis die Portiere hinter ihnen gefallen war und hob dann drohend die Faust.

»Jetzt weiß ich, woran und durch wen Alphons gestorben ist« flüsterte sie. »Wohlan, Lord Westerly, du wirst es furchtbar büßen müssen, mich meines Geliebten beraubt zu haben. Geh hin und werde nochmals zum Mörder; leugnest du auch einen göttlichen Richter, so sollst du doch einen irdischen in mir kennen lernen. Hoffentlich verfällst du nicht zu früh der Justiz, damit ich noch Zeit habe, Beweise zu sammeln, unter deren Last du gestehen mußt.« – Westerly wurde angewiesen, sich seiner modernen Kleidung zu entledigen und dieselbe mit einem indischen Gewande zu vertauschen. Der Gürtel enthielt außer dem Dolch noch ein Paar dicker Filzschuhe.

Als die Duchesse wieder zu ihm kam, hatte auch sie sich verändert, auch sie trug indische Männerkleidung, welche sich eng an ihre vollen Formen anschloß. Doch hätte Westerly jetzt auch Sinn dafür gehabt, ihre deutlich erkennbaren Reize zu bewundern, er hätte es nicht lange gekonnt, denn das Weib erklärte ihm sofort, ihm die Augen verbinden zu müssen. »Wozu diese Vorsicht?« fragte er. »Gehöre ich nicht zu Ihrem Bunde, daß Sie mir den Weg verhehlen wollen?«

»Niemand kennt diesen Weg, als ich allein, und ich werde ihn nicht einmal meinem bewährtesten Freunde zeigen. Überdies, Lord, noch sind Sie jetzt nicht ganz der Unsrige, sondern erst, wenn Sie die Tat ausgeführt haben.«

»Schon der Wille sollte mich dazu machen.«

»Wir begnügen uns nicht mit dem Vorsatz, wir brauchen Taten.«

Sie band ihm ein schwarzes Tuch fest um die Augen, nahm ihn an der Hand, und die Wanderung begann.

»Es dauert nicht lange, so dürfen Sie wieder sehen,« flüsterte sie; »halten Sie sich immer zu mir, sollte uns doch etwas Ungewöhnliches in den Weg treten. Aber wir haben nichts derartiges zu fürchten, unser Weg ist einsam und daher sicher.«

Westerly wurde durch mehrere Zimmer und Korridore geführt, dann eine Treppe hinunter, dann noch eine und schließlich eine dritte. Eine kühle, fast kalte Luft umgab ihn, er mußte sich in einem Keller befinden.

Nach Zurücklegung eines geraden Weges hielt die Führerin. Westerly vernahm ein schwaches Geräusch, wie ein Knacken und Rasseln; wahrscheinlich öffnete sich eine Falltür.

»Jetzt gehen Sie vorsichtig, nur jetzt, damit Sie nicht fallen!« flüsterte das Weib und dirigierte ihn mit Worten so, bis sein Fuß die Sprosse einer Leiter fand. Nach einem ziemlich langen Abstieg in die Tiefe fand er den Boden; seine Stiefel plätscherten im Wasser.

Nachdem er einige Meter im Zickzack und im Bogen geführt worden war, wurde ihm der Verband abgenommen. Neben ihm stand das Weib in Männerkleidung, in der Hand eine brennende Kerze, welche einen mannshohen, gemauerten Gang beleuchtete.

Die Wände waren trocken und mit zahllosen Spinnweben bedeckt, der Boden aber feucht; an einigen Stellen stand sogar Wasser.

»Ich weiß,« begann Westerly, brach aber erschrocken ab, denn wie Donnerhall schallten die Worte, obgleich nur leise gesprochen, in dem Gewölbe wider.

»Sie dürfen getrost laut sprechen!« sagte die Duchesse. »Hier hört uns niemand, und an den Widerhall werden Sie sich bald gewöhnen. Was wissen Sie?«

»Ich weiß, wo ich mich befinde!« flüsterte Westerly trotzdem kaum hörbar.

»Nun?«

»In der alten Wasserleitung.«

»Richtig, in der von Pandus angelegten Wasserleitung.«

»Sie ist doch von den Engländern untersucht und die Gänge sind von ihnen vollständig verschüttet worden?«

»Ja, vor langer Zeit!« lachte die Duchesse. »Übrigens haben sie nur die äußeren Gänge untersucht, die inneren kennen sie gar nicht. Auch ist noch ein Geheimnis dabei, welches ich Ihnen nicht verraten darf. Würden Sie sich von hier aus nach meinem Hause zurückfinden können?«

»Wenn ich lange genug suchte, vielleicht. Aber die Leiter ist doch wieder hinaufgezogen worden.«

»Und wenn Sie bis in alle Ewigkeit suchten, würden Sie den Weg doch nicht wiederfinden können. Sie befinden sich in einem Labyrinth, gegen welches das des Minotauros noch ein Promenadengang war. Wer hier hereingerät, ist unrettbar verloren. Kommen Sie jetzt, wir haben einen nassen Weg, doch zuletzt wird er besser. Sprechen Sie nicht mehr zu mir, ich muß genau die Schritte zählen, sonst könnte auch ich mich verirren und nie mehr das Tageslicht erblicken.«

Schweigend schritten sie nebeneinanderher, die Duchesse zählte leise. Fortwährend zweigten sich links und rechts andere Gänge ab, und schlug sie einen solchen ein, so begann sie wieder von eins an zu zählen.

Die Gänge waren sich alle gleich, gemauert, oben gewölbt, gut erhalten, und der Boden schlammig oder mit Wasser bedeckt. Auch hier hatte sich Leben eingebürgert. Spinnen krochen an den Wänden und machten auf schwarze Käfer Jagd, und hier und da huschte eine Eidechse vorbei.

Westerlys Herz erfüllte sich mit Grausen, während er diese öden, kalten Mauern betrachtete und dabei das flüsternde Zählen vernahm.

Ein Schauer rann über seinen Rücken herab, wenn er sich ausmalte, wie beide ziellos zwischen den nackten Mauern umherirrten, wie sie endlich vor Hunger erschöpft zu Boden sinken würden, ein Fraß für die Spinnen und Käfer ...

Westerly verscheuchte diese schrecklichen Gedanken, indem er an sein Vorhaben dachte, und wie er mit der schmerzenden Hand den Dolch umklammerte, gelang ihm dies auch. Die Furcht wurde von der Hoffnung auf Rache vertrieben.

Da blieb die Duchesse stehen.

»Haben Sie sich verirrt?« rief er erschrocken.

»Nein, wir sind gleich am Ziel,« entgegnete sie, »wir müssen nur Vorbereitungen zu einem Schleichweg treffen ...«

Beide setzten sich auf den hier völlig trockenen Boden und vertauschten die durchnäßten Stiefel mit den Filzschuhen. Dann gingen sie unhörbar noch einige Schritte weiter, und das Weib deutete auf eine nach oben führende Steintreppe.

»Wir befinden uns unter dem Gouvernements-Palast,« flüsterte sie; »diese Treppe bringt uns in seinen Keller.«

»Und niemandem ist dieser unterirdische Gang bekannt?«

»Auch der, welcher uns die Keller- und anderen Türen öffnet, kennt diese Treppe, aber nicht den Weg nach meinem Hause. Er würde nicht wagen, den Gang zu betreten.«

Die Treppe war breit genug, daß beide sie nebeneinander passieren konnten. In der Decke des Gewölbes war ein Loch, in diesem verschwand die Treppe, und wie in einem Tunnel stiegen die beiden empor.

Als die Stufen endeten, verlöschte die Duchesse das Licht, einige Augenblicke vergingen, sie tastete mit den Fingern an der Wand umher, dann erklang ein ganz geringes Geräusch, als ob sich etwas in Angeln drehe, und in der Decke war eine Öffnung entstanden.

Jetzt stießen sie auf kein Hindernis mehr, welches beseitigt werden mußte. Als die Duchesse also sagte, ihre Kraft reiche nicht, den Mechanismus zu bewegen, hatte sie gelogen.

Die Wanderung ging durch einige Kellergewölbe, Treppen hinauf, einige Türen wurden passiert, dann kamen Gänge des Erdgeschosses, und Westerly hörte durch ein offenes Fenster das Rauschen der Blätter.

Draußen war finstere Nacht, auch hier leuchtete kein Licht, nur aus einem anderen Gange drang ein schwacher Schein zu ihnen.

Die Duchesse betrachtete das Fenster, an dessen Riegel ein weißes Bändchen hing, jedenfalls ein Zeichen.

»Wir sind sicher, der Weg ist offen,« flüsterte sie Westerly ins Ohr, ergriff seine Hand und zog ihn um eine Ecke.

Der Lord erschrak doch, als er sich plötzlich auf einem fürstlich ausgestatteten, mit Teppichen belegten Korridor sah. Er befand sich im Innern des Gouvernements-Palastes.

Doch die Führerin ließ ihm nicht lange Zeit zum Überlegen; von ihr geführt, huschte er über den Korridor, wie durch Zauberei öffnete sich eine Tapetentür und schloß sich wieder hinter ihnen.

Sorglos brannte die Duchesse ein Wachskerzchen an und leuchtete beim Besteigen einer Wendeltreppe. Keine Stufe knackte, vollkommen lautlos erreichten sie ihr Ende.

Hier blieb das Weib stehen und lauschte – Totenstille umgab sie.

»Wir sind am Ziel,« flüsterte sie Westerly wieder ins Ohr, »nur mutig und kaltblütig, wir riskieren nichts dabei! Dies ist das Zimmer des Dieners, er ist abwesend. Wir gehen beide hindurch in das des Gouverneurs.«

»Und wenn wir getrennt werden? Ich finde den Rückweg nicht.«

»Wir werden nicht getrennt.« Unter dem Druck ihrer Hand öffnete sich abermals völlig geräuschlos eine Tapetentür, ein gedämpftes Licht fiel ihnen aus dem Gemach entgegen.

Aber was war das? Beide blieben mit stockendem Atem stehen – dort an dem Tisch stand ein Indier. Er drehte ihnen den Rücken, er sah oder hörte nicht, was hinter ihm vorging.

Nur einen Moment währte der Schrecken des Weibes, dann drückte sie die Hand des Gefährten und deutete auf jenen Mann.

Westerly hatte verstanden. Der Weg nach dem Schlafgemach des Gouverneurs ging über die Leiche dieses Dieners, und er zögerte nicht.

Die Lippen fest zusammengepreßt, in der erhobenen Hand den Dolch, schlich er vorwärts, ihm zur Seite die Duchesse. Er hatte ja schon gesehen, wie es gemacht werden mußte. Jetzt wollte er seine Erfahrung verwerten.

Er stand dicht hinter dem völlig Ahnungslosen, der Dolch senkte sich, die Spitze berührte den bloßen Hals des Indiers, und plötzlich, wie vom Herzschlag getroffen, ließ der Mann beide Arme schlaff herabfallen und neigte sich zur Seite.

Er wäre geräuschvoll zu Boden gestürzt, hätte ihn das Weib nicht in den Armen aufgefangen und den Körper langsam nieder gleiten lassen.

Sofort deutete sie nach der Tür, und Westerly zögerte nicht, sein Hauptwerk zu verrichten.

Fest umklammerte er den Griff des Dolches.

Ehe er zur Tür schlich, warf er noch einen Blick auf sein Opfer und – plötzlich taumelte er zurück, stieß einen markerschütternden Schrei aus und brach fast selbst zusammen.

»Was geht da vor, Abel?« rief im Zimmer nebenan eine tiefe Stimme; es erfolgte ein Sprung, und gleichzeitig erklang ein Ton wie das Knacken eines Pistolenhahnes.

Fort stürzte Westerly, der Tapetentür zu, verfehlte die Stufen und schlug hinunter, doch schon war die Duchesse neben ihm, faßte seine Hand und zog den Halbbetäubten mit sich, durch Gänge und Keller, bis sich die Falltür wieder hinter ihnen schloß. Sie hörten noch eine Glocke schallen, dann standen sie wieder im Gange der Wasserleitung.

Wütend entzündete die Duchesse ihre Kerze und leuchtete dem Begleiter ins Gesicht. Sie erblickte plötzlich ganz fremde Züge, sie waren von einer entsetzlichen Angst entstellt. Beim Fall von der Treppe hatte sich Westerly ein tiefes, dreieckiges Loch an der Stirn zugezogen, aus dem das Blut über das Gesicht lief. Dabei zitterte er wie Espenlaub am ganzen Körper; klirrend entfiel seiner Hand der Dolch, den er bisher umklammert gehalten hatte. Schnell eignete die Duchesse sich ihn an.

»Sie wären wert, daß ich diese Waffe jetzt gegen Sie richtete!« stieß sie endlich mühsam hervor. »Ganz nahe dem Ziele, befällt Sie die Angst, und Sie machen diese Dummheit. Lord Canning besitzt zwar einen sehr leichten Schlaf, er hätte uns aber doch nicht eintreten hören.

Nun ist alles verdorben.«

Westerly vernahm die Vorwürfe gar nicht. Sein Zittern nahm immer mehr zu, er mußte sich an die Wand lehnen, und dabei griff er fortwährend wie tastend an der Stirn herum, seine Hand mit Blut befleckend und diese dann entsetzt betrachtend.

»Mensch, was haben Sie denn nur?« herrschte ihn das Weib an. »Sind Sie solch ein Schwächling? Wischen Sie sich wenigstens das Blut aus dem Gesicht.«

»Abel, Abel!« stammelte Westerly, und konnte auch nichts weiter hervorbringen.

»Na ja, so ist der Diener Lord Cannings getauft, er ist von Missionaren erzogen worden.

Hätten Sie nur mir den Dolch gegeben, ich würde Lord Canning doch noch entgegengetreten sein.«

»Abel – Abel!« wimmerte Westerly.

»Sie tun gerade, als wären Sie Kain, der seinen Bruder Abel ermordet hat.«

Westerly sank bei diesen Worten fast in die Knie, die Duchesse trat einen Schritt zurück und hob zu ihrem Schutz den Dolch, denn sie glaubte es mit einem Irrsinnigen zu tun zu haben, ein so entsetzlicher Ausdruck lag in seinen Augen.

»Abel – Kain!« ächzte er. »Sehen – auch Sie schon das Mal auf meiner Stirn?«

»Sie sind von der Treppe gestürzt.« »Ich habe meinen Bruder ermordet!« schrie er gellend.

Das Weib erschrak doch etwas.

»Unsinn, Sie träumen!«

»Haben Sie nicht gesehen – die Narbe an seiner Wange – es war Abel – mein Bruder – der Sohn meiner Mutter – und ich habe ihn ermordet – das Mal – das Mal an meiner Stirn!«

Plötzlich wurde sein Blick noch starrer, er stierte in die Ferne, dann stieß er ein gellendes Geschrei aus.

»Da – da kommt er schon, der Rächer mit dem flammenden Schwert.«

Er stürzte davon. Die Duchesse wollte ihn rufen, zur Besinnung bringen, aber das Wort erstarb ihr auf den Lippen. Gleichzeitig erscholl ein klagender, wimmernder Ton, wie der eines Sterbenden, nur hundertmal lauter.

Von dort, wohin er gedeutet hatte, näherte sich ihr ein flackerndes Licht, es schien durch die Luft geschwungen zu werden, schnell kam es näher, und da erkannte sie auch schon eine geisterhafte Gestalt, welche der Unterwelt entstiegen sein mußte.

Welcher Mensch kann sich rühmen, nie von Gespensterfurcht befallen zu werden? Prahler, welche es spöttisch bestreiten, hört man oft, aber gerade ihnen sträubt sich das Haar am leichtesten auf dem Kopfe.

Auch der Duchesse, sonst ein furchtloses Weib, sank plötzlich der Mut bis auf ein Minimum zusammen; angesteckt von dem Entsetzen ihres Begleiters, jagte sie davon, ihm nach, ohne sich um die Richtung zu kümmern.

Nur ihm nach, nur nicht allein hierbleiben, und hinter beiden her jagte eine wilde Gestalt, einen brennenden Zweig in der Luft schwingend, und dabei erfüllte ein unnatürliches, heulendes und wimmern des Geschrei die Gewölbe mit einem tausendfachen Echo.


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