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Delhi ist zwar noch jetzt die Hauptstadt Indiens und für die Eingeborenen wegen ihrer Tempel die wichtigste, jedoch längst nicht mehr die größte. Die Hafenstädte haben sie in dieser Beziehung bei weitem überflügelt. Aber sie ist noch die schönste und interessanteste Stadt der ganzen Halbinsel.
Damals zählte sie nur etwa 150 000 Einwohner, früher dagegen zwei Millionen, und so ist leicht einzusehen, daß über die Hälfte der Stadt nur ein Trümmerfeld ist.
Doch aus diesem ragen noch immer guterhaltene, imposante Gebäude hervor; der Zahn der Zeit vermochte sie wohl zu benagen, sie aber noch nicht ihrer Schönheit zu berauben.
Natürlich sind sie unbewohnt. So zum Beispiel der Palast Schahlimar, Monumente, das Grabgebäude des Großmoguls Humayun – alles dem Verfall geweiht, ebenso wie die kolossale Wasserleitung, welche einst die zwei Millionen Menschen mit Wasser versorgte.
Der liebe Leser verstehe unter solch einer indischen Wasserleitung nicht unser heutiges Röhrensystem. Das Wasser floß aus der durch Delhi gehenden Dschamma, einem Strom, durch mehrere Filterwerke hindurch und trat in mannshohe Kanäle, welche sich unterirdisch nach allen Richtungen hin erstreckten. Überall konnte das gereinigte Wasser durch Pumpen ans Tageslicht befördert werden.
Auch diese Wasserleitung ist zum Teil verfallen, die Filter sind verstopft, die Engländer haben Röhren gelegt, welche jedoch nur die Häuser der Reichen mit Wasser versehen, während sich die Armen das ihre weit herholen müssen.
Alles, was in Delhi aus früherer Zeit stammt, ist von einer solchen Solidität und Pracht, daß man fast nicht mehr daran zweifelt, wenn die Indier erzählen, die Straßen Delhis seien zur Zeit der Pandus, der Sonnenkinder, mit Gold gepflastert und die Fußwege mit Edelsteinen abgesteckt gewesen. Als dann Zwistigkeiten unter den Häuptlingen ausbrachen, hätte sich jeder von ihnen so viel wie möglich von diesen Schätzen angeeignet.
Man glaubt diese Sage um so mehr, als in einigen fürstlichen Häusern Delhis noch heute fabelhafte Reichtümer aufgespeichert sind; die öffentlichen Tempel strotzten damals von Diamanten und Juwelen, und die Fußböden waren wirklich mit Gold ausgelegt.
Delhis Einwohnerschaft besteht zur einen Hälfte aus Buddhisten, zur anderen aus Mohammedanern, der kleinste Teil sind Christen, also Europäer, meist Engländer. Jede Sekte bewohnt einen Stadtteil für sich, das Viertel der Europäer ist das kleinste, natürlich aber auch das modernste, und wirklich schön zu nennen.
Die vornehmste Straße darin ist die Tschandri-Tschak, breit, mit Trottoirs versehen und zu beiden Seiten Villen, Prunkhäuser von reichen Engländern, Konsulate und andere öffentliche Gebäude, so z. B. der Palast des General-Gouverneurs von Indien.
Da, wo das indische Viertel an das europäische stößt, steht ein Haus, noch in der Hauptstraße gelegen, welches so recht den Übergang bildet. Es ist in indischem Stil, dem bekannten maurischen ähnlich, erbaut, zeigt aber die Fenster, Schornsteine und anderes der englischen Baukunst.
Ein alter Lord hatte es einst aufführen lassen, der die Sitten und Gewohnheiten der Eingeborenen hatte annehmen wollen, die Bequemlichkeiten der Häuser seines Heimatlandes aber auch nicht entbehren konnte.
Nachdem es lange Zeit leergestanden hatte wurde es von einer Dame bezogen, die mit einer Kammerzofe, einer reizenden, jungen Südländerin, und einigen indischen Dienern und Dienerinnen in Delhi eintraf, das Haus kaufte und es glänzend einrichten ließ.
Die Dame nannte sich Signora Rosa Bellani, war also eine Italienerin, und gab an, daß sie sich schon seit Jahren zum Vergnügen in Indien aufhielte. Niemand hatte sie schon gesehen, ihre Worte fanden indes vollkommen Glauben.
Ob sie selbst vielleicht einmal eine Äußerung getan, oder ob das Kammerkätzchen geplaudert hatte, kurz, bald ging die Sage durch das europäische Viertel, Signora Bellani trüge nicht ihren wahren Namen, sie hätte das Recht, den Herzogstitel zu führen. Sie sei die Gemahlin eines italienischen Marchese, von dem sie nach kurzer, unglücklicher Ehe schon seit langen Jahren getrennt lebe und nun planlos in der Welt umherfahre – böse Zungen sagten: abenteure. In folgedessen wurde sie, wenn man von ihr sprach, nur die Duchesse genannt, und sie trat auch wie eine solche auf. Die Goldquelle, aus der sie schöpfte, war anscheinend unversiegbar.
Die Duchesse hatte es verstanden, ihr Haus, so abseits es auch gelegen war, bald zum Mittelpunkt des europäischen Viertels zu machen. Schon nach den ersten Wochen versammelten sich an den Abenden, an denen sie empfing, die ganze jeunesse dorée in ihren Räumen, Kaufleute, Beamte und Offiziere; es war allgemein bekannt, daß sie letztere bevorzugte, und die, denen der Eintritt dort zu jeder Zeit gestattet war, wurden beneidet. Zu letzteren zählten besonders die Offiziere der in Delhi oder in der Umgegend liegenden englischen Bataillone.
Man konnte der Duchesse zwar nicht gerade Sittenlosigkeit nachsagen; aber man durfte ihr, dem Kinde des heißen Italiens, auch nicht den Vorwurf der Tugend machen.
Böse Männer behaupteten, sie hielte ihre Leidenschaften nur deshalb im Zaume, weil sie ihr Netz nach einem in englischen Diensten stehenden Indier geworfen hätte, einem Leutnant Dollamore der Name wurde schon einmal erwähnt und dieser Leutnant sei weniger eifersüchtig, als vielmehr sehr sittenstreng im übrigen aber maßlos in die Duchesse verliebt.
Einmal kam eine böse Zeit über deren Haus.
Es wurde gemunkelt, das englische Gouvernement habe Argwohn gegen sie gefaßt, und sie werde beobachtet; die meisten lachten allerdings über diese Behauptung; eines schönen Tages aber erschienen englische Beamte und legten im Namen der Königin in dem Hause der schönen Strohwitwe Siegel an – es fand eine Haussuchung statt.
Eine Woche verging, das damals erst gelegte telegraphische Kabel spielte nach England, Frankreich und Italien und zurück. Während dieser Woche war der Jubel in dem sonst so lebhaften Hause verstummt; die Duchesse war angeblich maßlos darüber aufgebracht, als eine Spionin Frankreichs gegen England verdächtigt zu werden; aber ihre Entrüstung half ihr nichts, sie wurde fortan von Europäern gemieden, höchstens noch von Indiern besucht. Am schmerzlichsten mußte sie berühren, daß sich auch Leutnant Dollamore verächtlich von ihr wendete.
Dann kam wieder eine Zeit des Glückes. Der Verdacht wurde als unbegründet bezeichnet. Lord Canning, der Generalgouverneur von Indien, entschuldigte sich zwar nicht wegen seines energischen Vorgehens, denn er hatte nur über die englischen Interessen gewacht, aber er lud sich selbst eines Abends bei der schönen Italienerin zu Gaste, und mit ihm kam der ganze Schwarm der früheren Verehrer wieder, auch der stolze indische Leutnant; ja, Dollamore sollte die Duchesse unter Tränen um Verzeihung gebeten haben.
Daß die Bellani so viel mit vornehmen Indiern und deren Weibern verkehrte, erregte fortan keinen Verdacht mehr. Sie war ja selbst fast eine Indierin geworden, hatte die indische Lebensweise angenommen und sprach verschiedene indische Dialekte mit der größten Reinheit. Ebensowenig verargte man ihr, daß sie auch oft Besuche von Franzosen empfing.
Italiener und Franzosen harmonieren überhaupt in ihren Anschauungen.
Nachdem der liebe Leser so die öffentliche Meinung über die Duchesse erfahren hat, soll er selbst bei ihr eingeführt und mit ihrem wahren Charakter bekannt werden.
Das Boudoir, in dem sich die Duchesse befand, war ganz mit dunkelrotem Samt ausgeschlagen, alles Andersfarbige mit einem rötlichen Hauch übergießend. Statt der hölzernen Flügel verschlossen schwere Portieren von derselben Farbe die drei Eingänge des Zimmers. Die Möbel waren von Ebenholz und bestanden aus einigen Fauteuils, niederen Sesseln, Tischen und zwei üppig schwellenden Diwans, welche sich an den Wänden entlangzogen.
Rechterhand vom Fenster stand ein Damenschreibtisch mit kunstvollen Schnitzarbeiten.
In den offenen Fächern lagen Stöße von Briefen, welche alle die Adresse Signora Rosa Bellani trugen und dem Stempel nach meist aus Indien und Frankreich, nur zum geringen Teil dagegen aus Italien und England stammten.
In den freien Ecken des Gemachs erhoben sich lebensgroße Marmorstatuen aus den Ateliers berühmter Meister, eine die Nachbildung der Venus von Medici, die andere den Botschaft bringenden Hermes auf beflügelten Sohlen darstellend. Der von den Wänden ausgehende, rote Schein übergoß die weißen Gestalten und schien ihnen Leben einzuhauchen.
Wie es diesen Marmorfiguren vollständig an Kleidung mangelte, so auch den Gestalten der fünf Wandgemälde.
Es waren alles bekannte oder vielmehr berühmte Bilder. Leda, das schöne, nackte Weib, wie es den Schwan liebkosend an sich schmiegt; eine Kopie des berüchtigtsten Bildes aus der Gemäldegalerie zu Neapel, der Stier und die Frau; ferner ein Bild mit nackten Figuren in der herrlichen Fleischzeichnung von Rubens, ein viertes mit badenden Männern und Frauen, und schließlich eines, auf welchem eine Orgie von Bacchantinnen und Faunen dargestellt war, zwar sehr schön ausgeführt, doch von solch einer Realistik, daß es der Maler weniger aus Kunstsinn, als viel mehr aus Frivolität gemalt haben mußte.
Denkt man sich nun noch die Wände mit Sachen bedeckt, welche eine Art von Pfeifen und Waffensammlung bildeten, von der Kalkpfeife des Holländers bis hinauf zum juwelenbesetzten Tschibuk der Türken, von der alten, kostbaren Pistole der Indier bis hinab zum modernen englischen Revolver, denkt man sich noch an der Wand einen Gewehrständer, mit der zölligen Elefantenbüchse, sowohl auch mit der zierlichen Damenflinte, vor dem einen Diwan ein Rauchtischchen mit Aschenbecher, Zigaretten und Zigarren in silbernen Schalen, vor dem anderen Diwan ein Tischchen mit französischen, schlüpfrigen Romanen, so glaubte man, in dem Kabinett eines französischen Wüstlings sich zu befinden, der europäischen Kunstsinn mit orientalischem Raffinement verband, aber nicht in dem Boudoir einer Dame, die noch dazu auf guten Ruf hielt. Und doch war es so.
Bei der Duchesse waren dies alles auch nicht nur Schaustücke; mit jener mächtigen Büchse dort hatte sie einen Elefanten erlegt, mit jener Vogelflinte war sie in hohen Kniestiefeln und kurzem Röckchen durch sumpfige Dschungeln gewatet und hatte Reiher geschossen. Auch das Rauchtischchen war nicht nur zur Bequemlichkeit männlicher Besucher vorhanden. Die Asche in dem silbernen Becher rauchte noch, und neben dem starken Duft von Vanillewasser zog auch das süßliche Aroma von Zigaretten durchs Zimmer.
Die Bewohnerin selbst saß vor dem Schreibtisch und hatte eben einen längeren Brief beendet, faltete ein Stück Papier, das mit länglichen Ausschnitten versehen war, zusammen, brannte erst ein Streichholz, an diesem darauf das Papier an und entzündete an dessen Flamme eine Zigarette.
Als sie nach dieser griff und sie zwischen die roten, schwellenden Lippen führte, stahl sich der feine, schön geformte Arm aus dem offenen Ärmel des weiten, dunkelroten Hausrockes bis fast zur Schulter hervor. Die Hand war sorgsam gepflegt, im richtigen Verhältnis zu dem kleinen, zierlichen Fuß, an dessen äußerster Spitze ein goldledernes Pantöffelchen hing.
Alles, Fuß, Hand und der wunderschöne Arm, schien einem siebzehnjährigen, vollentwickelten Mädchen anzugehören, doch ein Blick in das Antlitz der Dame lehrte, daß sie über die erste Jugend hinaus war.
Es war schön, dieses Antlitz, wunderbar schön, doch von einer gefährlichen Schönheit.
Die Nase war feingeschnitten, die Brauen waren kühn gewölbt, die Augen groß und feurig und verrieten, welch ein leidenschaftlicher Charakter in diesem Weibe schlummerte. Der kleine Mund mit den schwellenden Lippen, hinter denen beim Sprechen die Zähne wie Milchperlen hervorschimmerten, gab dem Gesicht einen sinnlichen Ausdruck. Stolz wurde der Kopf, den das reiche Haar in einer antiken Frisur krönte, auf einem schlanken biegsamen Hals getragen, dessen Beweglichkeit an den des Schwanes erinnerte – oder an den der Schlange. Das Alter der Duchesse konnte man nicht schätzen; sie mochte fünfundzwanzig bis dreißig Jahre alt sein, jedenfalls befand sie sich in der Lebensperiode, in welcher das Weib aller Leidenschaften am heftigsten fähig ist, in welcher es gleichzeitig glühend lieben und glühend hassen kann und in der Befriedigung seiner Leidenschaften keine Grenzen kennt.
Das war der Eindruck, den man von Signora Bellani gewann, wie sie jetzt, in der rechten Hand die Zigarette, in der linken das brennende Papier, mit funkelndem Auge dem Verbrennen des letzteren zusah.
Sie wartete, bis die Flamme fast ihre rosigen Fingernägel erreicht hatte, dann schob sie mit einer hastigen Bewegung den Stuhl zurück, stand auf und warf das Papier hoch in die Luft, so daß es vollständig verbrannt war, ehe es den Smyrnateppich erreicht hatte.
Nicht zufrieden mit dieser Vernichtung stampfte das Weib noch so lange mit den Pantöffelchen auf die Asche, bis sie spurlos verschwunden war.
Mit einem triumphierenden Ausdruck trat sie darauf an den Tisch, kuvertierte und siegelte den Brief im Stehen.
Jetzt konnte man ihre königliche Gestalt bewundern Sie trug, wie schon erwähnt, ein weites, bequemes Hauskleid aus dunkelrotem Brokat, von einem goldenen Schuppengürtel zusammengehalten.
An diesem hing ein kleiner Damendolch mit ziselierter Scheide und Griff, beide reich mit Edelsteinen besetzt. Es war dies nicht nur eine Spielerei oder ein Schmuck. Erst vor einigen Tagen hatte sie den Stahl einem kecken Offizier, der sich im Weinrausche eine allzu freie Berührung erlaubt hatte, durch die Hand gestoßen. Das heißt, man flüsterte nur so etwas, die, welche dabeigewesen waren, plauderten nicht darüber. Jedenfalls mußte der Offizier mit verbundener Hand das Zimmer hüten und gab eine Selbstverwundung vor.
Über dem Gürtel war das Kleid vorn kreuzweise mit goldenen Schnüren besetzt, zwischen denen stellenweise das feine seidene Hemd sichtbar ward, das sich eng an den hochgewölbten Busen schmiegte, der von keinem Korsett gehalten wurde.
Alles an ihr, von dem durch das hochfrisierte Haar gesteckten goldenen Pfeil bis herab zu den zierlichen Pantöffelchen, war gewählt und elegant wie jede ihrer Bewegungen, die zugleich die in ihr wohnende Elastizität verrieten. Jetzt tippte sie mit den Fingerspitzen auf eine Glocke und trat, bis der silberne Ton den Gewünschten herbeirief, an das Fenster. Durch das Muster der durchbrochenen Gardinen konnte sie links den Palast des Generalgouverneurs sehen, rechts in weiter Ferne den mächtigen, imposanten Bau der Residenz des Padischahs und dahinter die Kaserne der englischen und indischen Truppen in welcher sich die Kommandantur befand.
Die Aufmerksamkeit der Duchesse wendete sich einer ihr gerade gegenüberliegenden Villa zu. Dieselbe hatte auch dem verstorbenen Lord gehört, war aber ganz nach europäischem Geschmack eingerichtet und noch jetzt mit vollständigem, fast neuem Mobiliar versehen.
Es mußte bald jemand in das Gebäude einziehen wollen, denn es wurden darin von indischen Weibern Reinigungsarbeiten verrichtet. Die Duchesse schien sich lebhaft dafür zu interessieren, wer ihr Visavis wohl werden würde. Bis jetzt hatte sie es trotz aller Fragen nicht erfahren können.
Die Portiere an der rechten Wand wurde etwas zurückgeschlagen, und ein junges Mädchen trat ein.
Man bekam einen flüchtigen Blick in das angrenzende Gemach. Es zeigte helle Wände mit badenden Nymphen in bunter Malerei, umgaukelt unter neckischem Scherzen von kleinen, nackten Knaben, ferner ein marmornes Bassin. Es war also das Badezimmer der Duchesse.
Das eintretende Mädchen war die Kammerzofe und paßte in ihrer phantastischen Erscheinung ganz der originellen Ausstattung des Hauses.
Sie war recht hübsch, üppig gebaut und besaß listige, zugleich aber auch etwas frech blickende Augen. Offenbar war sie eine Italienerin, doch dunkler als ihre Herrin, und hätte sich selbst für ein Hindumädchen ausgeben können.
Das rote Röckchen reichte ihr nur bis zu den Knien und ließ die drallen, mit bunten Strümpfen bekleideten Waden sehen, an denen sich die ledernen Riemen der gelben Schuhe bis an die Knie hinaufwanden. Aus dem schwarzen Mieder quoll das weiße Hemd, das den oberen Teil von Brust und Nacken freigab. Das lange, schwarze Haar fiel in unbändiger Fülle offen auf den Rücken herab und war mit Goldmünzen geschmückt.
Die Duchesse liebte es, sich von phantastisch gekleideten Gestalten bedienen zu lassen.
Ein Mädchen im Hauskleid und in weißer Schürze hätte ihr Auge in diesem geschmackvollen Boudoir beleidigt.
Diese Neigung trug auch viel mit dazu bei, die Gesellschaften in ihrem Hause so anziehend zu machen. Eine Rivalin hatte sie in der Kammerzofe nicht zu fürchten, neben der schönen Herrin sank diese zu einem Schatten herab.
Mit leichten, tänzelnden Schritten, sich in den breiten Hüften wiegend, näherte sich das Mädchen der Duchesse. Man kam fast auf die Vermutung, eine professionsmäßige Tänzerin vor sich zu haben. Doch der Gang der Frauen Südeuropas steht an Grazie ja überhaupt unerreichbar da.
»Du hast lange auf dich warten lassen, Mirzi,« sagte die Duchesse ungnädig, sich der englischen Sprache bedienend. »Nimm diesen Brief! Babur soll ihn sofort besorgen, sofort, sonst nimmt die nächste Post ihn nicht mehr mit. Beeile dich und komme dann noch einmal zu mir!«
Die Zofe entfernte sich mit dem Schreiben und kehrte nach einer Minute bereits zurück.
Die Duchesse stand wieder am Fenster und schaute einem jungen Engländer nach, der im militärischen Tropenanzug, die Ordonnanztasche unter dem Arme, eben das Gouvernementsgebäude verließ und den Weg nach der Kommandantur einschlug.
Hastig winkte die Herrin die Zofe herbei.
»Das ist der, von dem ich sprach. Suche seine Bekanntschaft anzuknüpfen und mache ihn dir gefügig. Setze alles daran, ich will es dir lohnen. Es wird dir nicht schwerfallen, etwaige Rivalinnen aus dem Felde zu schlagen. In etwa acht Tagen aber mußt du schon so weit sein, daß du alles von ihm verlangen kannst. Die nötige Zeit gebe ich dir.« Mit schlauem Lächeln und selbstbewußt blickte die Zofe dem hübschen, jungen Soldaten nach, der, seiner verantwortlichen Stelle als Ordonnanz bewußt, stolz und mit gehobener Brust die Straße dahinschritt.
»Ich kann ihn bereits um den Finger wickeln,« lächelte Mirzi.
»Wie? So hast du dich schon mit ihm befreundet?«
»Mehr als das. Er hat schon Feuer gefangen und sucht mich; ich gehe ihm aber noch aus dem Wege, um seine Neigung noch mehr zu entflammen.«
»Recht so! Wo hast du ihn kennen gelernt?«
»Vorgestern abend auf dem Ball den das Bataillon zur Feier des Geburtstages von Kapitän Atkins abhielt.«
»Ich liebe es nicht, daß du diese Bälle der englischen Soldaten besuchst!« sagte die Duchesse, mißbilligend den Kopf schüttelnd.
»Bitte, warum nicht?«
»Nun ja, es schadet an sich zwar weiter nichts, aber du hast dem Soldaten doch nicht gesagt, wessen Dienerin du bist?«
»Gott bewahre! Ich gab mich für das Dienstmädchen eines Engländers aus. Delhi ist groß, er wird mich nicht finden noch erkennen, wenn ich nicht will!«
»Er darf es auch nicht, wenigstens soll er nicht wissen, daß du meine Kammerzofe bist!«
sagte die Duchesse ängstlich.
Das Mädchen schaute die Herrin aufmerksam an.
»Warum nicht?« fragte sie.
»Weil – weil – den Grund sage ich dir später, wenn es Zeit dazu ist, daß du seine Liebe ausnützt. Jetzt erzähle, wie du dich ihm nähertest.«
»Sehr einfach. Er fand mich anziehend, engagierte mich und wir tanzten öfter zusammen.
Er gab mir deutlich zu verstehen, daß er mich liebe, und ich, eingedenk Ihres Wunsches, kam ihm entgegen, natürlich nur durch Händedruck und Blicke. Gern hätte ich ihn einmal an einem versteckten Orte gesprochen, um ihn noch mehr auf das vorzubereiten, was ich mit ihm vorhabe, doch ein Trommeljunge folgte ihm wie sein Schatten, zum Ärger von Green selbst.«
»Green heißt der Mann?«
»Jim Green, gnädige Frau.«
»Auf keinen Fall darfst du ihm also verraten, wer du bist, und in wessen Diensten du stehst! Wenn er dich nur nicht einmal erkennt!«
»Ohne Sorge, gnädige Frau! Wie ein Dienstmädchen gekleidet, das Haar in einen Knoten geschlungen und glatt aus der Stirn gestrichen, dazu eine recht unschuldige, zimperliche Miene aufgesetzt, sah ich so verändert aus, daß ich mich selbst kaum im Spiegel wiedererkannte, jedoch,« fügte sie kokett hinzu, »sah ich trotzdem noch immer recht hübsch aus.«
»Also du glaubst, er liebt dich?«
»Sicherlich ist er Feuer und Flamme. Das nächste Mal schon könnte ich von ihm verlangen, was ich wollte.«
»Noch nicht. Ich sage dir, wenn du den vollen Angriff auf ihn eröffnen sollst. Es hat noch acht Tage Zeit. Dann aber, Mirzi, mußt du ihn dir zu Willen machen, du mußt, Mirzi, und solltest du auch seinem Verlangen nachgeben, obgleich du es nicht gern tust.«
»Ich verstehe,« entgegnete Mirzi mit frivolem Lächeln, »und ich werde mich nicht mit Widerwillen dazu zwingen; Jim Green ist ein hübscher, schmucker Bursche. Darf ich aber nicht schon jetzt erfahren, was ich von ihm erreichen soll? Ich könnte ihn vielleicht bereits etwas darauf vorbereiten oder mir meinen Plan zurechtlegen.«
Die Duchesse sah ihre Zofe lange an. Sie brauchte vor ihr eigentlich keine Geheimnisse zu haben; daß sie zögerte, ihr die Mitteilung zu machen, bewies, wie wichtig und gefährlich sie war. »Gut, es ist besser, wenn du schon jetzt erfährst, um was es sich handelt,« sagte die Signora dann langsam. »Dieser Jim Green ist Ordonnanz, er trägt die Briefe zwischen dem Gouvernement und der Kommandantur hin und her.«
»Ach so, ich soll ihm ein Geheimnis entlocken, das auf den Büros bekannt ist, aber nicht in die Öffentlichkeit kommt. O, das soll mir eine Kleinigkeit sein!«
»Das ist es nicht. Deiner harrt eine schwere Aufgabe. Du sollst dich an einem bestimmten Tage zu einer bestimmten Stunde der Brieftasche der Ordonnanz bemächtigen und den Mann so lange aufhalten, bis wir von den Briefen Abschriften genommen haben. Wenn er es hinterher erfährt, schadet es auch nichts weiter, dann ist er eben einer der Unsrigen geworden.
Diese Gelegenheit uns zu verschaffen, dazu müssen uns deine Verführungskünste verhelfen, du mußt es erreichen, Mirzi, und du sollst reichlich dafür belohnt werden.«
Die Kammerzofe schien zu erschrecken.
»Gnädige Frau, das ist ein gefährlicher Auftrag!« stammelte sie.
»Du wirst ihn ausführen. Du bist schön, und der junge Soldat wird deinen Lockungen nicht lange standhalten. Überlege dir, wie du die Sache anfängst, ich werde dir mit meinem Rate beistehen, außerdem stelle ich dir alles zur Verfügung, was du brauchst: Zeit und Geld.
Schreckst du davor zurück?«
Mirzi hatte sich besonnen.
»Ich werde die Briefe bringen!« entgegnete sie mit siegesbewußtem Lächeln. »Und wenn der junge Engländer ein Herz von Stein hätte, ich würde es doch in Flammen setzen!«
»Hast du nun erfahren, wer in die gegenüberliegende Villa einziehen wird?« fragte darauf die Duchesse.
»Noch nicht. Ich werde dann mit Ihrer Erlaubnis ausgehen, mich danach erkundigen und zugleich versuchen, mit der Ordonnanz ein Rendezvous für heute abend zu arrangieren.«
»Tue das! Nur hüte dich, ihm schon Freiheiten zu gewähren, welche seine Neigung zu dir erkalten lassen, statt sie mehr zu entflammen!«
Die Zofe ging.
Es lag wie ein Zug des Ekels um den Mund der schönen Frau, als sie an das Fenster trat und wieder den Arbeiterinnen in der Villa zusah.
»Einst wurde ich selbst zu solchen Verführungen benutzt, man verlangte es wenigstens von mir!« flüsterte sie. »Jetzt bin ich schon so weit gekommen, daß ich mir dazu meine Leute halte. O, ich bin avanciert und kann es noch weit bringen! Doch was macht's,« der Zug des Ekels verschwand, ein gehässiger und zugleich triumphierender Ausdruck trat an seine Stelle, »doch was macht's, gern will ich mich erniedrigen, komme ich doch dadurch meinem Ziele, der Erfüllung meiner Rache, immer näher!«
Draußen erscholl ein heller Gongton. Die Duchesse erwiderte ihn auf ihrer Klingel, und durch die Portiere links trat mit tiefer Verbeugung ein indischer Diener ein, ein athletisch gebauter Mann mit brutalem Gesicht, ebenfalls in einem bunten, phantastischen Kostüm.
»Nun, Babur,« redete die Duchesse den Diener an, »wieder Besuch? Ich nehme heute vormittag niemanden an, mit Ausnahme des Leutnants Dollamore!«
»Zwei Frauen sind angekommen, welche dich, o, Herrin, zu sprechen begehren. Die eine ist gekleidet und vermummt wie eine Araberin und in Begleitung eines Arabers, die andere trägt die Kleidung einer Bäuerin und zeigt ihr Gesicht ebenfalls nicht. Sie reitet auf einem dürren Esel, der sich kaum auf den Beinen halten kann und von einem Bauer getrieben wird.
Der Araber gab mit der Hand das zweite Zeichen, doch nicht er, sondern seine Begleiterin will dich, o, Herrin, sprechen.«
»So muß ich sie empfangen. Was für ein Zeichen gab dir die andere?«
»Gar keins. Sie spricht mit verstellter Stimme und will so schnell wie möglich hierhergeführt werden.«
»Sie mag warten! Führe die Araberin herein!«
Der Diener entfernte sich, doch alsbald wurde die Portiere wieder zurückgeschlagen, und die mittelgroße Gestalt einer Frau trat ein, welche ganz in weiße Gewänder gehüllt war. Schon der Gesichtsschleier deutete an, daß es eine Araberin war oder sich wenigstens als solche gekleidet hatte.
Er wurde zurückgeworfen. Die Duchesse erblickte die pikanten Züge einer europäischen Dame von mittleren Jahren. In anderer Kleidung mußte sie bedeutend jünger erscheinen als in diesem faltigen Gewande.
Die Duchesse suchte sich vergebens zu entsinnen, wo sie dieses Gesicht, welches einen fast schwermütigen Ausdruck zeigte, schon einmal gesehen hatte.
»Kennen Sie mich nicht, Signora Bellani?« fragte die Fremde.
»Ich weiß nur, daß Sie das zweite Zeichen geben können, also in unsere Sache ziemlich eingeweiht sind, und daß Sie sich als Araberin verkleidet haben, um nicht erkannt zu werden.«
»Ich könnte auch das erste Zeichen geben!«
»Das wäre! Und ich sollte Sie nicht kennen? Kaum möglich. Mit wem habe ich die Ehre?«
»Ich nenne mich vorläufig noch so wie früher: Madame Phöbe Dubois.«
Einen Augenblick fand die Duchesse keine Worte; mit flammenden Augen betrachtete sie das Weib; keine Freude war in ihrem Gesicht zu lesen viel eher aufsteigender Haß, als stände sie einer Rivalin gegenüber.
Ebenso schnell aber wechselte dieser Ausdruck mit dem der Freude; mit ausgestreckter Hand ging Bellani der falschen Araberin entgegen.
»Willkommen, willkommen in meinem Hause!« sagte sie mit herzlich klingender Stimme, »Endlich wird mir die Freude zuteil, die kennen zu lernen, welche so uneigennützig für unsere Sache kämpft und schon so viel erreicht hat. Sie kommen aus Bengalen, wo Monsieur Francoeur für uns wirkt? Sind Sie auf der Durchreise? Können Sie mir wichtige Nachrichten geben? Doch nebenbei, ich habe Sie mir der Beschreibung nach heiter und lebenslustig vorgestellt, und Sie machen ein so ernstes, ja, sogar trauriges Gesicht. Doch nichts Schlimmes? Sie wissen, ich darf alles erfahren, selbst wenn Ihnen sonst Schweigen auferlegt worden wäre.«
Sie hatte Phöbe neben sich auf den Diwan gezogen und schaute ihr mit gespanntester Aufmerksamkeit in die Augen.
»Ich möchte erst fragen, wie ich Sie anreden darf,« entgegnete Phöbe. »Sie nennen sich Signora Rosa Bellani, werden aber gewöhnlich Duchesse angeredet.«
»Wissen Sie, wer ich eigentlich bin?«
»Ja.«
»Nennen Sie mich einfach Rosa, wie ich Sie Phöbe nennen werde, liebe Freundin!«
»Nein, auch ich werde Sie Duchesse nennen.«
»O, warum denn?« lachte das Weib. »Ich bin keine Herzogin. Ein besonderer Umstand veranlaßt mich, mich für die getrennt lebende Gattin eines italienischen Herzogs auszugeben, ohne Verrat oder Argwohn fürchten zu müssen.«
»Ich werde Sie dennoch Duchesse nennen, denn nicht lange wird es dauern, so werden Sie einen noch höheren Titel führen.«
»Welcher wäre das?«
»Padischahin, erste Frau des Padischah!«
Die Duchesse – wie wir sie vorläufig noch nennen wollen – wurde etwas verlegen.
»Sie denken an eine ferne Zukunft!« entgegnete sie. »Bahadur ist zwar schon alt, aber noch rüstig, und nicht Nana Sahib ist sein Nachfolger, sondern ein Weib. Doch nun sprechen Sie, was führt Sie zu mir?«
»Ich reise als Botin der Agitationspartei in Bengalen durch ganz Indien!« sagte Phöbe dumpf, so daß die andere sie betroffen ansah. »Wohin ich komme, erblicke ich hoffnungsvolle Gesichter, und gehe ich, haben sie sich in trostlose verwandelt.«
»Die Agitation in Bengalen hat nichts erreicht?«
»So viel.«
Phöbe schnippste mit den Fingern. Die Duchesse war aufgesprungen und ging aufgeregt in dem Gemach auf und ab. Dann blieb sie vor Phöbe stehen.
»Was ist daran schuld, daß unsere Bemühungen dort erfolglos sind, während doch sonst alle Indier unseren Einflüsterungen zugänglich sind?«
»Die freien Bengalen haben den Druck der Sklavenkette noch nicht gefühlt.«
»Sie wird ihnen noch aufgelegt werden. England annektiert Bengalen, und das in kurzer Zeit.«
»Das haben wir ihnen gesagt; sie wollen es nicht glauben.«
»Es ist aber so.«
»Sie wissen es ganz bestimmt?«
»Aus sicherer Quelle.«
»Beweisen Sie es den Radschas von Bengalen, dann können wir sie vielleicht aus ihrer Lethargie noch rechtzeitig aufrütteln.«
»Ich kann die Beweise bringen.«
Phöbe schaute die Sprecherin ungläubig an.
»Sie könnten ...?«
»Ja. Ich weiß, daß die Ausarbeitung der Annektion bereits in den Händen des Generalgouverneurs ist,« sagte die Duchesse und ließ sich wieder auf dem Diwan nieder; »schon finden mit der Kommandantur Unterhandlungen statt, welche Aushebung von Rekruten in Bengalen stattfinden soll. Ich weiß genau Tag und Stunde, wann dieses Schreiben und noch andere durch eine Ordonnanz nach der Kommandantur General Havelocks geschickt werden; man benachrichtigt mich davon, und an demselben Tage,« das Weib dämpfte ihre Stimme zu einem Flüstern herab, »werden diese Schreiben in meiner Hand sein.
Nun, was werden die Radschas von Bengalen sagen, wenn sie lesen, daß sie in kurzer Zeit Spielpuppen der Engländer werden?«
»Ganz Bengalen wird sich wie ein Mann erheben,« rief Phöbe begeistert, »nur muß dies zeitig genug geschehen, daß sie noch vor dem Aufstand heimliche Rüstungen treffen können.«
»In acht Tagen ist es noch Zeit. Ich versichere Sie,« sagte die Duchesse mit Nachdruck, »Sie haben eine schlimme Botschaft unnötig verbreitet, und kraft der mir von Bahadur verliehenen Vollmacht, enthebe ich Sie Ihres Auftrages, der in kleinlichen Herzen nur bangen Zweifel erzeugt.«
Phöbe verneigte sich zustimmend.
»Ich gehorche der geheimen Führerin unseres Unternehmens; der große Bahadur könnte keine bessere gewählt haben.«
»Es ist kein Befehl, sondern eine Bitte,« lächelte die andere, fuhr dann aber stirnrunzelnd fort, »und überschätzen Sie meine Stellung nicht! Ich habe nur eine scheinbare Macht, auch ich muß gehorchen, und noch dazu einem Menschen, einem Emporkömmling, den man wie einen Gott anbetet, Bahadur nicht ausgeschlossen – nun, Sie wissen, wen ich meine, selbst seinen Namen darf man kaum aussprechen. Sonst noch etwas Neues, liebe Freundin?«
»Ja, leider.«
»Leider?«
»Meine Unglücksbotschaften haben sich noch nicht erschöpft, alles wendet sich jetzt gegen uns.«
»Spannen Sie mich nicht auf die Folter!«
»Es ist etwas, was ganz besonders Sie angeht. auch der zweite Gefangene ist aus dem Felsentempel geflohen.«
Wie gelähmt saß Rosa Bellani da. Dann sprang sie mit geballten Fäusten auf.
»Geflohen, sagen Sie?« kam es dann zischend von ihren Lippen.
»Geflohen und spurlos verschwunden.«
»Von wem haben Sie es erfahren?« »Von Tipperah selbst. Als er den Tempel wieder betrat, war sein Gefangener schon seit Wochen fort.«
»Auf welche Weise ...?«
»Er ist auf ebenso rätselhafte Weise verschwunden, wie der Chinese, der jetzt gemütlich in Indien herumzieht, die Herren und die Damen, meine früheren Gutsnachbarn, führt, und den Tempel der Kali sucht, um sich seinen Zopf wiederzuholen. Sie haben wohl erfahren, daß jene in Indien sind? Ich möchte ihnen nicht begegnen.«
Die Duchesse hatte die Frage überhört. Es dauerte lange, ehe sie sich wieder gefaßt hatte; sie murmelte unverständliche Worte vor sich hin. Phöbe hörte sie einmal sagen. »Ich werde ihn, wenn er noch lebt, zu finden wissen.«
»Haben Sie noch eine Botschaft?« fragte sie dann, ohne sich wieder zu setzen, als könne sie einen neuen Schlag im Stehen besser aushalten.
»Basrab ist in Mirat eingetroffen, ich bin ihm dort begegnet und habe mit ihm gesprochen.«
»Ah, das ist ja eine freudige Nachricht und keine schlechte! So ist er nicht mehr weit von seinem Ziele entfernt. Auch Sinkolin ist schon auf dem Wege nach dort, um das Mädchen seinem Volke vorzustellen. Es wird die höchste Zeit; denn in sechs Tagen muß es wieder hier sein, damit das zum Feste Sivas zusammengeströmte Volk ihm huldigt. Das soll ein Leben werden. Was sagte Basrab? Haben Sie die Begum gesprochen? Sie durften sie natürlich sehen.«
»Ich habe sie nicht gesehen, und Basrab war der Verzweiflung nahe.«
»Was? Warum?«
»Basrab war allein in Mirat, die Begum ist verschwunden.«
»Nicht möglich!« hauchte die Duchesse erbleichend.
»In der Nähe von Mirat wurde der Elefant, der den Baldachin des Mädchens trug, vom Amok befallen, er rannte davon; dem Mahaut gelang es nicht, das Tier zu töten, der Mann wurde abgeschleudert und brach den Hals. Basrab setzte dem Durchgänger bis zum Abend nach, bis sein Tier stürzte; am anderen Morgen fand er in einem Walde wohl die Trümmer des Baldachins, die Begum aber war verschwunden, und bis jetzt fehlt noch jede Spur von ihr.«
Bei dieser Mitteilung verlor die Duchesse vollständig ihre Fassung, sie vergaß sich.
»Damned,« erklang es rauh von ihren schönen Lippen.
Ein Zwischenfall brachte sie jedoch bald wieder zu sich selbst. Im Nebenzimmer war mehrmals das Gong ertönt, und als die Klingel im Boudoir nicht antwortete, erschien das brutale Gesicht des Dieners zwischen der Spalte der Portiere. Es sah ängstlich aus.
»Was gibt's, Babur?« herrschte die Duchesse ihn an.
»Sei nicht ungnädig, o, Herrin, du hörtest mein Zeichen nicht!«
»Schon gut! Nun?«
»Jenes Weib, die verhüllte Bäuerin will nicht mehr warten, sie verlangt zu dir.«
»Kann sie kein Zeichen geben?«
»Nein.«
»Nennt sie ihren Namen, oder sagt sie, was sie von mir will?«
»Nein.«
»So kann sie auch warten. Störe mich nicht wieder!«
Der Kopf des Indiers verschwand.
Die Duchesse wandte sich abermals an Phöbe.
»Also sie ist verschwunden!«
»Vorläufig, ja. Es ist natürlich Hoffnung vorhanden, daß sie wieder auftaucht.«
»Wenn aber nicht zur rechten Zeit?«
»Das wäre fatal! Dann müßte eben etwas ausgesonnen werden, die Verzögerung als etwas Selbstverständliches, als etwas von den Göttern Gewolltes hinzustellen, wie es schon so manchmal geschah. Sie sind darüber besser orientiert als ich.« »In diesem Falle nicht, Sie waren ja Erzieherin der Begum. Falls sie nun nicht wieder auftaucht, könnte sie nicht durch eine andere ersetzt werden?«
»Unmöglich!«
»Ich meine, nicht gerade zur bestimmten Frist! Die Vorstellung, unser ganzes Ziel müßte eben etwas verschoben werden.«
»Unmöglich!« wiederholte Phöbe bestimmt. »Wir würden auf der ganzen Erde kein anderes Weib finden, das so wie Bega befähigt ist, die ihr zugeteilte Rolle zu spielen. Ich habe Bega erzogen, ich kenne sie, und unsere Erziehung ist nach langer Mühe vollständig geglückt. Das in ihr Herz gegossene Gift hat gewirkt; sie haßt die Engländer, die ihren Vater und ihre Mutter unglücklich gemacht haben, sie brennt darnach, Rache zu nehmen, sie will Indien befreien und die Faringis vernichten, sie ist geistig und körperlich dazu geschaffen, die Kaiserin eines Landes zu sein. Passen Sie auf, die Indier werden dem schönen Mädchen in maßlosem Jubel zujauchzen; es wird ihnen eine Wonne sein, für die junge Königin zu sterben.
Bega nimmt ihre Sache mit einem geradezu erschreckenden Ernst auf, sie ist sich ihrer Stellung vollständig bewußt, und, das kann ich Ihnen schon jetzt versichern, sie wird keinen Rivalen neben sich dulden, wenn er etwas anderes will als Glück Indiens.«
»Hm, sie ist sehr selbständig?«
Phöbe lachte leise auf.
»Bega besitzt kleine, zierliche Hände, was sie aber mit ihnen einmal gefaßt hat, das läßt sie nicht wieder los. Ich sage Ihnen, sollte man etwa mit dem Gedanken umgehen, etwa jener Geheimnisvolle, das Mädchen auf den Thron zu setzen und dann, wenn der Zweck erfüllt ist, sie wieder herabzustoßen, so wird man sich bitter täuschen.«
»Das meinte ich nicht,« wich die Duchesse aus, »als ich von ihrer Selbständigkeit sprach.
Ich meinte: Würde sie, falls sie sich noch am Leben befindet, eine uns bekannte Person finden, ohne ihr Inkognito zu lüften?«
»Ah, ich hatte im Eifer ganz vergessen, zu erzählen, was ich von Basrab erfuhr. Bega hat die Instruktion bekommen, wenn sie einmal verlassen dastehen sollte, sich unverzüglich an Ihre Adresse zu wenden. Sie ist im Besitze bedeutender Mittel; es würde ihr also nicht schwerfallen, sich unerkannt bis zu Ihnen durchzufinden.«
»So kennt sie meine Namen?«
»Nein, nur Ihr Haus.«
»Sie kann sich durch einen Händedruck legitimieren?«
»Nein, auch diese Zeichen kennt sie nicht.«
»Es ist eine Unvorsichtigkeit, daß man sie noch nicht eingeweiht hat.«
»Sie vergessen, daß Bega vieles nicht erfahren darf, was mit den geheimen Zeichen zusammenhängt. Sie ist eine edle Natur, es würde sie empören, wenn sie wüßte, daß unsere treuesten und stärksten Verbündeten die Thags sind.«
»Richtig, Sie haben recht! So konnte ich sie also noch erwarten.«
»Hoffentlich erscheint sie noch zur rechten Zeit.«
»Das werden schwere Stunden des Wartens für mich sein, gerade jetzt, da ich mich mit vielen anderen Plänen beschäftigen muß. Dieses Warten auf sie wird alle meine Gedanken einnehmen, und schließlich kommt sie nicht einmal. Man stürzt nicht schadlos von einem jagenden Elefanten herab. Hätte sie aber den Tod gefunden, so müßte man doch ihre Leiche oder wenigstens die Überreste einer solchen gefunden haben.«
Die beiden Damen hingen eine Zeitlang ihren eigenen Gedanken nach. Dann merkte Phöbe, wie die Duchesse sie von der Seite her scharf fixierte.
»Wissen Sie nicht, von welcher Abstammung Bega eigentlich ist?« begann die Duchesse wieder.
»Das weiß wohl nur einer in Indien. Der Geheimnisvolle. Ich glaube kaum, daß auch Bahadur eingeweiht ist.«
»Auch Sie nicht?« »Wie sollte ich? Sie gilt als die Tochter des alten Tipperah. Meiner Schwester Kind ist sie jedenfalls nicht, denn ich habe nie eine Schwester besessen,« fügte Phöbe lachend hinzu.
»Ich habe Bega noch nie gesehen und brenne vor Verlangen, sie kennen zu lernen; hoffentlich ist es noch möglich. Es soll ein ganz außergewöhnliches Mädchen sein.«
»Das ist sie.«
»Eine Engländerin?«
»Ich weiß nicht. Ihr Typus ist kein englischer.« Wieder fixierte die Duchesse Phöbe. »Sie wissen wirklich nicht, wer Bega ist?«
»Duchesse, Sie verlangen Unmögliches von mir. Ich weiß es nicht.«
Signora Bellani zuckte die vollen Schultern und begab sich ans Fenster. Von der Straße war soeben der taktmäßige Schritt von Soldaten erschollen. Ein Bataillon war vorübermarschiert. Jetzt kamen auch die Offiziere vom Exerzierplatze.
Die Duchesse rief Phöbe zu sich; beide Damen spähten durch die offenen, aber mit Gardinen verhängten Fenster auf die Straße.
»Sehen Sie nur,« lachte erstere, »wie die armen Herren Offiziere auf dem Exerzierplatz mitgenommen worden sind. Ihr Zeug klebt schweißtriefend am Körper wie die Haare am Kopfe, die Gesichter ähneln Klatschrosen, obgleich sie mit einer Schicht Staub dick bedeckt sind. Ja, ja, meine Herren, der neue Kommandeur, Kapitän Atkins, versteht keinen Spaß. Die Offiziere voran! ist sein Wahlspruch. Da kommt er selbst, der Eisenfresser, wie gewöhnlich an jedem Arme eine Geliebte.«
Unter den Offizieren, welche teils zu Fuß, teils zu Pferd ihren Garnisonen zuschritten, befand sich auch Kapitän Atkins. Der noch immer junge Mann ging auf dem Trottoir, ein Reitknecht führte sein Pferd auf der Straße. Er hatte sich ebensowenig geschont wie seine Offiziere, sondern war ihnen mit gutem Beispiel vorangegangen.
Sporenklirrend ging der Eisenfresser auf dem Trottoir, am rechten Arme seine Gattin, Clarence, die Tochter des Generals Havelock, unterm linken Arme den mächtigen Pallasch tragend.
Das waren die beiden Geliebten, von denen die Duchesse gesprochen hatte.
Die Frau mit dem schelmischen, fröhlichen Gesicht führte an der Hand ihr zehnjähriges Töchterchen, ein Junge von acht Jahren trug stolz das untere Ende von des Vaters Pallasch.
So zog die glückliche Familie jeden Tag zur bestimmten Stunde vorbei; immer holten Frau und Kinder den Vater vom Exerzierplatz ab, und mochte der Kapitän noch so müde sein, stets ließ er sein Pferd neben sich herführen.
»Wunderbar!« murmelte die Duchesse. »Ich habe wohl geglaubt, daß dieser junge Leutnant einst ein guter, zufriedener Familienvater würde, aber nie, daß er sich zu einem Offizier entwickeln werde, dem sein Dienst noch mehr als seine Familie gilt. Nun, wir werden ja sehen, wie er und die von ihm geschulten Truppen sich im Kampfe bewähren.«
Viele der Offiziere blickten zu den Fenstern des Hauses hinauf, da sie aber niemanden dort sahen, zogen sie ohne Gruß vorüber. Hätte die Duchesse am offenen Fenster gestanden, so wäre des Grüßens kein Ende gewesen.
Plötzlich erscholl ein schmetternder Marsch, und gleichzeitig übergoß sich das Antlitz der Duchesse mit purpurner Röte. Sie brach von einem Rosenstock die schönste Blüte ab und schob die Gardinen ein wenig zur Seite.
»Ich brauche nicht um Ihre Diskretion zu bitten,« sagte sie zu Phöbe. »Was ich jetzt tue, ist ein stadtbekanntes Geheimnis. Es wiederholt sich täglich.«
In scharfem Trabe kam, von eigener Musik begleitet, eine Schwadron stahlgepanzerter, indischer Kavallerie die Straße herauf. Es waren Gurgghas, ausgerüstet mit langer Lanze, Pallasch, Karabiner und Halfterpistolen, die Brust mit einem Schuppenpanzer, Oberarm und Schenkel mit Schienen aus bestem, poliertem Stahl bedeckt.
Die Gurgghas sind die Elitetruppen der englisch-indischen Armee und setzen sich nur aus Bergstämmen zusammen. Es ist eine Ehre, unter ihnen zu dienen, die Soldaten erhalten doppelte Löhnung, die Offiziere nehmen doppelt so hohen Rang als die in anderen Regimentern ein, bekommen aber keinen Gehalt, weshalb nur Reiche eine solche Stelle bekleiden können.
Eigentlich sind die Gurgghas ein verwegenes Reitervolk im Norden Indiens, und da die Truppe zuerst aus diesen starken, großen, schöngebauten Leuten rekrutiert wurde, erhielt sie den Namen, obgleich später auch andere Indier in sie eingestellt wurden. Allerdings müssen sie kräftig und schön gewachsen sein; der Offiziersrang ist nicht durch Geld zu erwerben.
Es war ein herrlicher Anblick, diese stahlgepanzerten Reiter auf den ausgesucht schönen Rossen zu sehen. Das Auge konnte das Gleißen der Panzer und Waffen kaum ertragen.
Voran ritt der Kriegsgott Mars in eigener Gestalt, das leibhaftige Modell eines Achilles, wie er in stählerner Rüstung, auf wildem Streitroß sitzend, gegen den Feind zieht.
Es war der Führer der Schwadron, ein Leutnant, aber im Range eines Kapitäns stehend.
Seine Figur überschritt bei weitem die gewöhnliche Menschengröße, er konnte für einen Riesen gelten, doch war er nicht im mindesten auffällig, weil alles an ihm harmonisch gebaut war. Zu ihm paßte das mächtige Roß, welches schäumend an dem Gebiß kaute, und aus dessen Augen wildes Feuer glühte, und das doch so willig der starken Faust des jungen Riesen gehorchte.
Der goldene Helm mit wehendem Haarbusch saß auf einem imposanten Haupte, um welches schwarze Locken in unbändiger Fülle flatterten; das bronzene Antlitz mit dem lang herabhängenden Schnurrbart und der edlen Römernase drückten Kampfesmut, Wildheit und Treuherzigkeit zugleich aus. Wie angegossen saß der Panzer an der hochgewölbten Brust, welche gar keines Schutzes bedurft hätte, denn sie war selbst wie aus Erz geformt.
Ob der flammende Blick des Offiziers die dichten Gardinen durchdringen konnte? Vor dem Fenster, hinter welchem die beiden Frauen standen, bäumte sich das Roß unter dem gewaltigen Schenkeldrucke seines Herrn, und grüßend schwenkte dieser die schwere Lanze, doppelt so schwer als jede andere, als wäre sie ein leichtes Bambusrohr.
Da flog von oben eine rote Rosenknospe herab. Ohne sein Pferd im raschen Lauf zu hemmen, senkte der Held die Lanzenspitze bis zur Erde, ein Schwung, die Rose wurde emporgeschleudert und von der freien Hand aufgefangen.
Noch ein Neigen des lockenumflatterten Hauptes, ein Wink, ein Blick, und die ritterliche Erscheinung, welche der Sagenwelt zu entstammen schien, war verschwunden, mit ihm der reißige Troß.
»Leutnant Dollamore!« sagte die Duchesse einfach sich zur Gleichgültigkeit zwingend.
»Wie, Dollamore?« rief Phöbe. »Ist das nicht der Sohn des indischen Nabobs, der kühne Mann, welcher, in seiner Verblendung treu zu England haltend, einst einen Aufstand mit rasch um sich gesammelten Leuten im Keime erstickt hat, worauf ihm die Königin eigenhändig einen Anerkennungsbrief geschrieben und ihn zum Leutnant ihrer indischen Garde ernannt hat?«
»Derselbe.«
Die Erregung der Duchesse beim Anblick Dollamores war Phöbe nicht entgangen.
»Darf ich mir eine indiskrete Frage erlauben, Duchesse?«
»Ich weiß, was Sie wissen wollen – ob mein Interesse für Dollamore auf Neigung oder auf Rücksicht für unsere Sache beruht.«
»Ja, das ist es.«
»Nehmen Sie beides an.«
Die Damen blickten einige Minuten schweigend auf die zu dieser Zeit besonders von Militär stark belebte Hauptstraße.
Wie die Duchesse, so beschäftigte sich auch Phöbe noch mit der ritterlichen Erscheinung, die wie ein Phantom an ihnen vorbeigejagt war.
»Wirklich ein schöner Mann, ein geborener Held!« murmelte Phöbe. »Wie schade, daß er zu den Engländern hält! Wenn der und seine Stahlreiter aus unserer Seite wären!« »Dies zu erreichen, ist meine Aufgabe. Tritt Dollamore über, so folgen ihm auch seine Scharen. Sie schwören zwar zur englischen Fahne, doch im Herzen nur zu ihrem Führer. Er ist ihr Gott.«
»Dollamore soll treu wie Gold sein, sagt man.«
»Und verliebt wie kein zweiter,« ergänzte die Duchesse spöttisch. »Ich bin nicht zweifelhaft, ob die Liebe oder das Pflichtgefühl im entscheidenden Moment über ihn den Sieg davonträgt.«
»Ein schöner Mann,« murmelte Phöbe nochmals, in Gedanken versunken, »er wäre zum Kaiser von Indien wie geschaffen.«
»Zum Kaiser von Indien,« murmelte die Duchesse träumerisch, »ja, er oder ein anderer.
Doch das ist zu spät, zu spät.«
Es lag fast wie Schwermut in den letzten Worten des sonst so leichtfertigen Weibes. An wen mochte sie wohl denken? Jedesmal, wenn sie Dollamore erblickte, stieg vor ihren Augen gleichzeitig ein Schatten aus längst vergangenen Zeiten auf, auch ein hoher, starker Mann mit schwarzen, feurigen Augen, aus denen Lebenslust und Kampfesmut blitzten.
Seufzend fuhr sich die Duchesse mit der Hand über die Stirn, als wolle sie trübe Gedanken verbannen.
»Nein, die Stelle, die Sie so freundlich Leutnant Dollamore zudachten,« fuhr sie dann spöttisch fort, eine komische Verbeugung nach der Straße und eine vorstellende Handbewegung machend, »diese Stelle ist schon vergeben. Ich erlaube mir, Ihnen vorzustellen Leutnant Eugen Carter, ein Bastard von unbekannter Herkunft, Adoptivsohn von Lady Carter, Seine Majestät der zukünftige Kaiser von Indien.«
Phöbe stimmte nicht in den Spott ein; mit Interesse musterte sie den jungen, schlanken Offizier, dessen gute Nachbarin sie in England gewesen war.
Eugen hatte keinen Blick für die Fenster der Duchesse, wie er überhaupt noch niemals – zum Ärger derselben – das Haus der schönen Frau aufgesucht hatte.
Jetzt blieb er vor der gegenüberliegenden Villa stehen und sprach mit einem der reinmachenden Weiber, zur größten Verwunderung der Duchesse.
»Wer mag nur drüben einziehen wollen?« dachte sie.
Eine Equipage kam die Straße herauf, darin ein alter Herr und ein junges Mädchen von etwa achtzehn Jahren. Der große Strohhut auf dem blonden Haar, das in zwei lange Zöpfe geflochten war, beschattete ein frisches, unschuldiges Mädchenantlitz mit treuherzigen, blauen Augen.
»Wer ist denn der alte Herr?« fragte Phöbe. »Mir ist, als müßte ich ihn kennen.«
»Seinen Sohn sicherlich, und dieser sieht dem Vater sehr ähnlich. Es ist Friedrich Reihenfels, ein deutscher Gelehrter, der es hier zu etwas gebracht hat. Sehen Sie nur, wie er von allen Seiten gegrüßt wird. Er könnte den Hut gleich in der Hand behalten.«
»Und das Mädchen?«
»Seine älteste Tochter, Franziska, ein naiver Backfisch. Dem Alten ist eine Professur in Oxford angeboten worden, er will sie in etwa einem halben Jahre antreten; wenn er aber Indien nicht bald verläßt, dürfte er England überhaupt nicht wiedersehen. Ha, was ist denn das nun wieder?«
Auch diese Equipage hielt vor der unbewohnten Villa. Eugen sprach mit den Insassen, dann stieg das Mädchen aus, ließ sich von dem Diener einige Pakete reichen und ging in das Haus.
Die Equipage rollte weiter, Eugen setzte seinen Weg fort.
Die Duchesse wurde plötzlich so erregt, daß sie einige Gänge durchs Zimmer machen mußte.
»Jetzt weiß ich, wer mein Nachbar werden wird,« sagte sie dann, und ihr Aussehen war plötzlich ein seltsames geworden. »Dies Haus bezieht niemand anders als jene Gesellschaft, über deren Aufenthalt in Indien sich einige der Unsrigen ganz unnötig ängstigen. Ihre Ankunft in Mirat ist mir gemeldet worden und ebenso ihre Absicht, nach Delhi zu gehen, vielleicht sind sie schon hier. Köstlich, herrlich! Eine bessere Wohnung hätten sie sich nicht aussuchen können.«
Zum Erstaunen Phöbes begann die exzentrische Duchesse plötzlich händeklatschend im Zimmer umherzulaufen, warf sich lachend auf den Diwan und sprang wieder auf.
»Herrlich, herrlich!« rief sie ein über das andere mal, »Lady Carter zieht in das Haus drüben, und wenn es auch nur einen Tag, eine Nacht ist, wie freue ich mich darauf!«
Phöbe wußte, welche Gesellschaft die Duchesse meinte, und sie kannte auch die Vergangenheit dieses Weibes.
»Aber warum freuen Sie sich denn so, wenn Ihre Schwe ...«
Das Weib blieb vor der Sprecherin stehen und schnitt ihr mit einer Handbewegung das Wort ab.
»Nennen Sie Lady Carter nicht meine Schwester; ich will es nicht!« rief sie heftig. »Und warum ich mich freue? Wenn sie auch nur eine Nacht drüben wohnt, so will ich doch diese wenigen Stunden nach Möglichkeit ausnützen. Ich will sie quälen, martern, ich will mit vergifteten Nadeln in ihrem Herzen wühlen. Oh, wenn sie doch länger drüben wohnen bliebe!«
»Aber ich verstehe Sie nicht.«
»Sie wissen nicht, warum ich Emily hasse?«
»Mir ist nur bewußt, daß Sie sie hassen, über das Warum zirkulieren verschiedene Gerüchte. Aber ich verstehe nicht, auf welche Weise Sie die Dame Ihren Haß besonders fühlen lassen können, wenn sie Ihnen gegenüber wohnt. Wollen Sie sich ihr am Fenster zeigen und in ihr dadurch unangenehme Erinnerungen wachrufen?«
»Sie soll mich nicht zu sehen bekommen – nur im Traum.«
Weiter ließ sich das Weib nicht aus, und Phöbe konnte ihren letzten Worten gar nichts entnehmen, sie waren ihr vollkommen unverständlich.
Die Duchesse war wieder ans Fenster getreten und beobachtete die Villa.
Franziska, Oskar Reihenfels älteste Schwester, leitete jetzt die Arbeit der Weiber, bestieg selbst eine Bockleiter und steckte Gardinen auf.
»Das ist ja seltsam,« sagte Phöbe. »Hat man je so etwas in Indien gesehen? Das Mädchen, eine junge Dame, geniert sich nicht am offenen Fenster Dienerarbeiten zu verrichten.«
»Sie ist eine Deutsche,« entgegnete die Duchesse geringschätzend, »dies erklärt alles.
Aber es ist kein Zweifel mehr, sie richtet das Haus für die Gesellschaft ein, welche unter der Führung des jungen Reihenfels reist. Hahaha, diese Toren, sie begehen einen absonderlichen Streich über den anderen. Schon ihre Hoffnungen sind Hirngespinste, ihr Hiersein ist völlig zwecklos, mir aber recht. Wenn sie nur länger hier wohnen blieben!«
Die Duchesse konnte sich nicht mehr der neuen Freundin widmen, sie hatte auch kein Auge für die Straße mehr, ihre Gedanken verweilten nur bei ihren zukünftigen Nachbarn, und der triumphierende Zug in ihrem Gesicht verriet, daß ihr diese Nachbarschaft sehr willkommen war. Phöbe konnte sich allerdings nicht erklären, inwiefern die Duchesse dadurch ihren Plänen näherkäme.
Schließlich vermochte Phöbe doch, der anderen Aufmerksamkeit wieder auf die Straße zu lenken.
»Der Generalgouverneur!« rief sie, und mit einem Sprunge stand die Duchesse am Fenster.
»Wissen Sie, was zwischen uns beiden einmal vorgefallen ist?«
»Der Generalgouverneur hatte einst einen Verdacht auf Sie, er glaubte, Sie wären eine französische Spionin.«
»Ja, er ließ eine Haussuchung bei mir vornehmen, fand natürlich nichts, und ich stellte mich äußerst beleidigt. Seitdem ist er die Höflichkeit selbst gegen mich. Passen Sie auf, mit welcher Ehrfurcht Lord Canning zu mir heraufgrüßt; ich glaube fast, in seinem Gruße liegt mehr als Höflichkeit. Bitte, treten Sie etwas zurück, man braucht Sie nicht zu sehen.«
Die Duchesse zog die Vorhänge zurück und lehnte sich halb aus dem Fenster. In einem Wagen fuhr Lord Canning, der Generalgouverneur von Indien vorbei, der Stellvertreter der Königin.
Die Zeit war fast spurlos an ihm vorübergegangen, das Gesicht war noch immer das ernste, männlich schöne von früher, die Augen blickten noch immer so klar und forschend, nur die Stirn war etwas höher geworden. Man sah ihm nicht an, daß er schon zweiundvierzig Jahre alt war, er hätte den Vergleich mit jedem jungen Manne ausgehalten.
Die Passanten blieben stehen und grüßten ehrfurchtsvoll den Stellvertreter der Königin; freundlich erwiderte Lord Canning die Grüße, gleichgültig, ob es ein Offizier oder ein sich bis zur Erde verneigender, nackter Eingeborener war; Bekannten oder Freunden dagegen winkte er nur mit der Hand.
Eben passierte die Equipage das Haus der Duchesse.
Lord Canning grüßte nach der anderen Seite hinüber, aber er vergaß ganz, sich auch nach dem Hause der Duchesse zu wenden. Fortwährend winkte er anscheinend der Herrengruppe zu, seine Blicke flogen jedoch über diese weg und dahin, wo ein junges Mädchen, bis an die Schläfe mit Purpurröte übergossen, auf einer Bockleiter stand und eine Gardinenstange in der Hand hielt.
Der Wagen war vorüber. Heftig riß die Duchesse die Gardinen wieder zusammen, dem verschwindenden Wagen noch einen gehässigen Blick nachwerfend. Durch ihre vorherige Äußerung war das Verhalten Lord Cannings, der das stolze Weib, das sich seinetwegen am Fenster gezeigt, gar nicht beachtet hatte, für sie eine Blamage geworden.
Natürlich hielt Phöbe jede Bemerkung oder Frage darüber zurück, sie tat, als wäre ihr gar nichts aufgefallen, und die Duchesse gebrauchte schnell eine diplomatische List, die Zeugin ihrer Niederlage auf andere Gedanken zu bringen.
Die Menschen sind Egoisten, am liebsten sprechen und denken sie von sich selbst.
Rosa Bellani schlang den Arm um Phöbe. »Nun seien Sie ehrlich mir gegenüber, ich bitte Sie. Ich lese in Ihren trübe blickenden Augen und in Ihren leidenden Zügen, daß ein geheimer Schmerz an Ihrem Herzen nagt. Wollen Sie sich mir anvertrauen? Vielleicht kann ich ihn lindern, sonst ist auch schon geteiltes Leid halbes Leid.«
Das schlaue Weib hatte das Richtige getroffen. Phöbe seufzte tief auf und schien ein Geständnis machen zu wollen, kam aber nicht dazu.
Im Zimmer links wurden zwei Stimmen laut, eine rauhe, männliche, die von Babur, und eine helle, aber zornige Weiberstimme. Dann mußte es drüben zu Handgreiflichkeiten kommen, es wurde ein Stuhl umgestoßen.
»Zurück, oder ich breche dir die Knochen entzwei, kleine Hexe!« rief Babur gedämpft.
»Ich muß zu ihr, versuche nicht, mich zurückzuhalten! Da, du Tölpel.« entgegnete das Weib zornig, und gleichzeitig flog ein schwerer Körper gegen einen Schrank.
Schnell schob die Duchesse Phöbe in das Badezimmer und schlug die Portiere des anderen Gemachs zurück, entrüstet über diese Ruhestörung.
Eine schlanke, weibliche Gestalt, in das ärmliche Gewand einer indischen Bäuerin gehüllt, auch das Gesicht bedeckt, stand mit ausgestreckten Armen vor Babur, der an einem Schranke lehnte, sich den Kopf mit beiden Händen hielt und scheu auf das Weib blickte.
Der starke Mann hatte eben eine Probe von der Kraft dieser Bäuerin erhalten.
Die Duchesse kam nicht dazu, ihren Mund zur zornigen Frage zu öffnen, schnell schlüpfte die Gestalt an ihr vorbei und stand alsbald hochaufgerichtet in dem Boudoir vor ihr.
Das Tuch wurde zurückgeschlagen, die Duchesse sah das schöne, braune Gesicht eines jungen Mädchens. Herrische Augen blitzten ihr entgegen.
Einen Augenblick stand die Duchesse wie versteinert da, dann taumelte sie wie von einem Schlage getroffen mit einem Aufschrei zurück und stürzte wieder auf das Mädchen zu. Doch dessen Blick war gleich dem eines Tierbändigers, er scheuchte das maßlos aufgeregte Weib zurück.
»Wer – wer bist du?« stammelte die Duchesse. »Die Begum von Dschansi,« entgegnete das Mädchen stolz, »und wenn du das Weib Nana Sahib's bist, so bin ich deine Gebieterin.«
In diesem Augenblick kam Phöbe hinter der Portiere hervor. Das Mädchen änderte ihre gebieterische Stellung und sprang mit einem Jubelrufe auf die Eintretende zu.
Die stolze Duchesse aber verneigte sich tief nach indischer Sitte, die Augen dabei schließend, als wolle sie deren dämonischen Ausdruck nicht sehen lassen und murmelte unterwürfig: »Sei mir gegrüßt, Begum; du befindest dich im Hause deiner Dienerin; laß ihr deine Gnade leuchten!«