Adolph Freiherr Knigge
Der Traum des Herrn Brick
Adolph Freiherr Knigge

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Siebenter Abschnitt

Noch etwas über die Reden, Gewohnheiten, feine Lebensart, Vergnügungen und Liebhabereien unsrer Mitglieder

Wenn, teils durch Instinkt, teils durch Bildung, unsre Mitbrüder dahin gelangen, daß sogar in allen ihrem äußern Tun und Lassen die genaueste Gleichförmigkeit herrscht, so muß um so mehr bei wichtigern Gegenständen, nämlich in ihren Beschäftigungen, Reden, Vergnügungen und Liebhabereien, ein einförmiger Geschmack und eine gemeinschaftliche Methode gefunden werden.

Was den Vortrag in der Rede betrifft, so pflegen die Bösen das Weitschweifigkeit und Unordnung zu nennen, wenn wir die Sache, welche wir erzählen, mit allen Umständen auseinandersetzen und kleine Nebendinge, die uns dabei einfallen, mit einmischen; allein diese Art dient sehr zur Erläuterung, und es vergeht manche Stunde damit.

Seine Muttersprache rein sprechen zu wollen, das ist eine unnütze Pedanterei. Die Leute verstehen uns ja doch, besonders wenn wir die in der Gegend, wo wir leben, üblichen Provinzialismen nicht verwerfen.

Es ist nützlich, einen gewissen Vorrat Lieblingshistörchen und kleiner Schwänke, soviel es das Gedächtnis leidet, in Bereitschaft zu haben, die man dann erzählt und wieder erzählt, sooft sich eine Veranlassung dazu findet. Sind sie artig und lustig, so hört man sie gern oft wiederholen. Rätsel, Kunststückchen und Sprüchwörter, zu rechter Zeit angebracht, besonders in Männergesellschaften, wo sonst leicht der Ton ernsthaft wird, tun auch Würkung.

Pfandspiele, Schenken und Logieren und Kämmerchenvermieten schärfen den Witz. Kurze Sprüchwörterkomödien, die man auswendig lernen und in Gesellschaft spielen kann, haben einige gute Leute ausdrücklich dazu drucken lassen, doch kann man davon nur in größern Gesellschaften Gebrauch machen. Was aber die gewöhnliche Unterhaltung betrifft, so wollen wir einiger sehr interessanten Gegenstände derselben Erwähnung tun.

Sooft jemand zu uns kömmt, so fragt man, wie er sich befinde; die Antwort braucht man nicht zu erwarten, sondern man fügt gleich hinzu: man freue sich, ihn wohl zu sehn (denn man setzt voraus, daß ihm wohl sei). Dann kann man ihm sagen, wie das Wetter beschaffen ist.

Es ist angenehm, sich zu erkundigen, wie die Leute miteinander verwandt sind, und unerwartet weitläuftige Vetterschaften zu entdecken. Nicht weniger unterhaltend sind die Gespräche über Ähnlichkeiten in der Gesichtsbildung mit diesem oder jenen, die man ausfündig macht.

Die Welt wird immer ungeschliffner; unsre Mitglieder sollen sich bestreben, die Höflichkeit, die man jetzt verächtlich leere Komplimente und Zeremonien nennt, aufrechtzuerhalten. Vornehmern Leuten soll man immer etwas Verbindliches und Schmeichelhaftes sagen.

Von Verstorbnen muß man stets Gutes reden; sie können uns ja nicht mehr schaden.

Man sage nie gradezu seine Meinung, bevor man gehört hat, wie die mehrsten und Vornehmsten in der Gesellschaft über die Sache denken, denn das wäre unbescheiden. Sagt ein angesehener Mann etwas, was witzig sein soll, so lache man darüber, wenn man auch nicht eigentlich verstehn sollte, wovon die Rede ist.

Kömmt man in die Notwendigkeit, über etwas zu disputieren, so rede man so viel und so laut und mische, wenn man dazu aufgelegt ist, so viel Spott hinein, daß dem andern die Lust vergehe, mit seinen sogenannten Vernunftgründen hervorzurücken.

Wenn jemand dir sein Bildnis zeigt, so mußt du immer antworten: es habe zwar einige Ähnlichkeit mit ihm, sei aber gar nicht geschmeichelt; er sei da viel zu alt dargestellt!

Wenn uns Eltern ihre Kinder vorführen, so muß man ihnen bezeugen, daß sie dem Vater außerordentlich gleichen und daß sie für ihr Alter sehr groß wären. Die kleinen Knaben pflegt man denn zu fragen, was sie einst werden wollen. Immer aber muß man die Kinder in Gegenwart der Mutter loben und verteidigen, wenn sie sich Verweise vom Vater zuziehen.

Für seine eignen Kinder pflegt man zu antworten oder ihnen eine verständige Antwort in den Mund zu legen, wenn Fremde sie anreden.

Bittet dich jemand zu raten, wie alt er sei, so rate immer zehn Jahr weniger, als er sichtbarlich hat!

Wenn man in den Fall kömmt, sich rühmen zu müssen, so sage man doch immer dabei: »Ohne mich zu rühmen!«

Dergleichen Floskeln und die Ausdrücke: unmaßgeblich, wenn ich fragen darf, mit Erlaubnis u. dgl. und solche allgemein eingeführte Bemerkungen, wie zum Beispiel: »daß die Zeit schnell hingehe, daß das Schlittenfahren ein kaltes Vergnügen, Musik ein angenehmer Zeitvertreib sei« usf., muß man sich eigen machen, denn sie gehören zur guten Lebensart.

Es kann nicht schaden, wenn man ungewisse Gerüchte und Anekdoten nacherzählt. Wenn dadurch auch mancher Unschuldige auf eine Zeitlang in bösen Ruf kömmt, so bleibt doch die Wahrheit nicht immer verborgen, und ganz ohne Grund pflegt doch auch dergleichen nicht zu sein.

An fremden Tischen lobst du alle Gerichte, und wenn man dich zum Essen nötigt, versicherst du: »du habest schon des Guten zuviel genossen.«

Man gibt sich bei den Leuten einiges Ansehn, wenn man sie zuweilen durch seine Reden in Verlegenheit setzt und auf Sachen anspielt, die sie nicht gern hören.

Es gibt uns eine Art von Wichtigkeit, wenn wir in Gesellschaft unserm Nachbar ins Ohr flüstern, sollten wir ihm auch nichts Geheimes zu sagen haben.

Es bedarf wohl keines Beweises, daß für Leute unsrer Art das Kartenspiel eine sehr anständige Unterhaltung ist. Der Nachmittag, an welchem man ohnehin zu keiner Arbeit aufgelegt ist, wird dazu vorzüglich bestimmt.

Im Sommer dienen uns das Kegelschieben und Scheibenschießen zu einer angenehmen Erholung.

Doch soll man nicht bloß körperliche Freuden suchen; eine Sammlung von adeligen Petschaften, von Blumen, die man in Töpfen stehn hat, Vögel, in Bauern, die dazu abgerichtet sind, gewisse Stücke zu singen, Hunde, die Kunststücke machen – das alles beschäftigt, neben dem Vergnügen, das es gewährt, auch zugleich den Geist und ist sehr anzuempfehlen.

Solche mechanische Arbeiten, als da sind: pappene Kästlein zu machen, zu schnitzeln und allerlei weibliche Arbeiten, dienen zu einer artigen Erholung.

Auf großen Märkten und Messen – man pflegt oft die scharfsinnige Bemerkung zu machen, daß es allerorten fast immer regnet, wenn Markt gehalten wird. Es wollen zwar einige Leute behaupten, das sei eine alberne Bemerkung; vielmehr werde umgekehrt fast allgemein zu der Zeit Markt gehalten, wenn es der Jahrszeit nach zu regnen pflege, nämlich im Frühlinge und Herbste; allein es kann doch nicht schaden, jenen alten Satz zuweilen anzubringen – doch wir kommen von unserm Gegenstande ab! Auf großen Märkten also und Messen soll man sich im Kaufen nicht übereilen, sondern sich die Zeit nicht verdrießen lassen, manche Stunde der bloßen Beschauung zu widmen. Es pflegen wohl Spottvögel sich darüber aufzuhalten und die Kaufleute ungeduldig zu werden, wenn man für tausend Taler Waren besichtigt und befühlt und nur für einen Taler kauft; allein es hat doch seinen Nutzen, und die Zeit geht angenehm damit hin.

Bei dem Reisen kömmt eigentlich überhaupt nicht viel heraus, und ein gutes altes Sprüchwort sagt: »Bleibe im Lande und nähre dich redlich!« Soll und muß man aber reisen, so nehme man gute Empfehlungsbriefe mit, sonst währt uns die Zeit lang; und wem ist es immer gegeben, sich unter ganz fremden Menschen selbst bekannt zu machen? Kann man an entfernten Örtern Landesleute antreffen, so halte man sich zu denen; so braucht man sich um die dortigen Menschen nicht viel zu bekümmern. Man gehe auch auswärts nur mit Personen seines Standes um, besuche vorzüglich die Höfe und die Zirkel der Noblesse! Auf Reisen spare man nichts im äußern Aufwande, damit man, in den Wirtshäusern und sonst, seinen Landesleuten Ehre mache! Weiter als von der einen Seite nach Straßburg, von der andern nach Wien und etwa den Rhein hinunter bis Köln braucht man nicht zu reisen; man ist dann doch auf gewisse Weise in Frankreich, Österreich und den Niederlanden gewesen, wenn davon die Rede ist. In Wetzlar hält man sich einige Zeit auf. Wo Bibliotheken sind, läßt man sich dieselben zeigen und sieht die Wachtparaden aufziehn; wo sich Menagerien, Kabinette und dergleichen befinden, und was sonst zu sehn ist, das kann man am besten von den Lehnlakaien erfahren. Man findet auch auf Reisen die bequemste Gelegenheit, mit den Regeln der Hofetikette, des Gesandten-Zeremoniells und dergleichen bekannt zu werden, welches alles sehr nützlich und angenehm zu wissen ist. Zuweilen trifft sich's sehr glücklich, daß man grade zu der Zeit reist, wenn in den Gegenden, die man besucht, etwas Merkwürdiges vorfällt, zum Beispiel: eine Revue, eine Kaiserwahl, wo ein ganzer Ochse am Spieße gebraten wird und soviel fremde Gesandten gegenwärtig sind, das Aufsteigen eines Luftballs, ein Feuerwerk, eine hohe Vermählung oder, in Kriegszeiten, ein Lager, oder daß Viktoria geschossen wird, welches oft geschieht, wenn auch die Schlacht nicht gewonnen ist – dergleichen pflegt lustig anzusehn zu sein, insofern keine Gefahr dabei ist.

Gegen Vornehme und Reiche betrage man sich mit derjenigen Ehrerbietung und Unterwerfung, die man ihnen schuldig ist; die Geringern und Untergebnen gewöhne man, daß sie nicht vergessen, wer sie und wer wir sind! Leute, die nichts als Talente, Geschicklichkeit, und was man Verstand nennt, aber keinen Rang und Titel haben, mögen ganz gute Leute sein, aber sie gehören nicht in vornehme Gesellschaften. Sie vergessen sich leicht und können es nicht übelnehmen, wenn man sie nicht zuläßt. Wollen sie in der Welt etwas gelten, so mögen sie sich einen Adelsbrief, einen Titel oder in Reichsstädten ein Doktordiplom kaufen!


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