Adolph Freiherr Knigge
Der Traum des Herrn Brick
Adolph Freiherr Knigge

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Vierter Abschnitt

Von Erhaltung der Einigkeit und des Zusammenhangs unter den Mitgliedern und der Gewalt über die Feinde des Ordens

Ein Hauptaugenmerk unsrer hochwürdigen Obern ist die Erhaltung wahrer, brüderlicher Einigkeit unter den Mitgliedern des Ordens. Sie bieten daher alle Kräfte auf, um jedes echten Bruders bescheidne Wünsche auf eine solche Weise zu befriedigen, daß sein Vorteil mit dem Interesse der übrigen nie in Streit gerate. Und was wünscht denn auch ein wahrer vollendeter Pinsel in dieser Welt anders als Gemächlichkeit und zeitliche Güter? Die zahllose Menge der beschwerlichen geistigen Bedürfnisse überläßt er gern den Weltkindern – ja, wenn er auch gar nichts von jenen erlangen kann, so ist er doch zufrieden, insofern er nur weiß, daß kein andrer mehr davon besitzt als er. Wo wir daher einmal ein Übergewicht im Staate erlangt haben, da pflegen wir uns bescheiden und brüderlich in die schlechtem irdischen Vorteile zu teilen und die stolzen Geistesgaben und Güter den armen Vernunftmenschen preiszugeben.

Kein ärgerlichers Schauspiel aber kann erdacht werden, als wenn zwei Pinsel sich, wie ein Paar Philosophen, vor dem Publiko zanken und schimpfen. Dergleichen haben wir noch kürzlich erleben müssen, da gegen einen unsrer würdigsten Brüder, der mit allen Weltkindern in Teutschland in Streit geraten war, weil sie ihm schnöde Ruhmredigkeit und dabei grobe Tücke schuld gaben, ein anders, obgleich heimliches Mitglied unsers Ordens unter erborgten Namen eine Epistel in Versen schrieb. Solche Irrungen aber rühren gewöhnlich daher, daß die Brüder nicht immer wissen, wer zu dieser ausgebreiteten Verbindung gehört; denn wir haben nicht nur Stufen und Grade, sondern auch besondre Nebenabteilungen, so daß ein Mann in einem bestimmten Fache für den Pinselorden arbeiten kann, der im übrigen zu den schnöden Vernunftmenschen gehört. Das aber müssen wir allen Brüdern, den Aufgenommenen, Affilierten und Ordensfreunden zum Ruhme nachsagen, daß alle Mißverständnisse unter ihnen aufhören und sie ein Herz und eine Seele sind, sobald es darauf ankömmt, gegen einen gemeinschaftlichen Feind zu operieren. Wir wollen nun einige Vorschriften geben, wie dies am behendesten und sichersten anzufangen ist.

Die Hauptunternehmung gegen unsre Feinde muß darin bestehn, daß man ihnen die Achtung des Publikums, den Mut und die Zuversicht zu sich selber benehme. Wenn daher jemand den Verdacht auf sich ladet, daß er sehr tätig und würksam sei, sich gern durch Gemeinnützigkeit und nicht alltägliche Handlungen auszeichne, sich über wohl hergebrachte alte Gewohnheiten hinaussetze, sich einfallen lasse, gewisse Meinungen, wovon man nicht grade den Grund angeben kann, Vorurteile zu nennen oder das, was so mancher ehrliche Mann auf Autorität glaubt, bloß deswegen nicht ohne Beweis annehmen zu wollen, weil es mit der sogenannten gesunden Vernunft streitet, endlich, daß er gern über kleine Torheiten lache und satirisiere: so soll man vor einem solchen, als vor einem unruhigen Kopfe, neuerungssüchtigen, höchst gefährlichen, feindseligen, keine Subordination vertragenden Subjekte, das Gott und Menschen nicht schone, die ganze Christenheit treufleißig warnen, und dies nicht nur mündlich und durch bedeutende Mienen und Achselzucken, sondern auch durch Briefe an alle Mitverbündeten in solchen Gegenden, wo er etwa sein zeitliches Glück machen könnte, damit er zu nichts in der Welt gelangen möge. Doch soll dies auf gerechte und liebreiche Weise geschehn, nämlich also, daß man dabei das sogenannte Gute nicht verschweige. Man kann daher immer sagen: »Es ist wahr, der Mann hat Verstand; schade, daß er ihn nicht besser anwendet«, oder: »Es fehlt ihm nicht an Kenntnissen; aber, leider! taugt sein Herz nicht« usf. Dies pflegt selten seiner Würkung zu verfehlen; sollte es aber nicht helfen, so darf man auch, der guten Sache wegen, die Sitten des Mannes verdächtig machen, ärgerliche Anekdoten von ihm ausbreiten, wozu kleine, in der Jugend begangne Übereilungen leicht Stoff liefern. Es gibt dann eine Kunst, die Fakta durch die Art der Darstellung umzumodeln und Bewegungsgründe, die er hätte haben können, anzuführen, als wenn er sie würklich gehabt hätte, welches alles man verstehn muß. Kann man die Eitelkeit und Neugier der Frauenzimmer, den Stolz und Eigennutz der Geistlichen zur Rache gegen ihn aufbringen, so ist man des Siegs gewiß. Es findet sich ja auch wohl die Veranlassung, ihn als einen Religionsspötter abzuschildern. Hat er etwa einmal über die jüdischen Geschichtsbücher, die freilich mit der christlichen Lehre nichts gemein haben, oder über die Patriarchen im Orient, die uns in der Tat nichts angehen, ein wenig frei geurteilt, so gibt das Gelegenheit, ihn, als einen Verächter des göttlichen Worts, bei dem Volke anzuschwärzen. Sollte aber ein solcher Widersacher zu vorsichtig im Reden und Handeln sein, als daß man ihm im gemeinen Leben etwas anhaben könnte, so sucht man freundlich sein Zutraun zu gewinnen, ihn treuherzig zu machen, und sammelt dann, wenn er sich aufschließt, seine übereilten Reden, um, wie er es verdient, seine geheime Tücke der Welt bekannt werden zu lassen. Wenn man auf solche Art Jahre hindurch seinen Feind unaufhörlich geneckt und beunruhigt hat, so müßte es wundersam zugehn, wenn er nicht endlich in Zorn geriete und in diesem Zorn etwas redete und täte, was würklich nicht recht wäre – und dann hat man ja auf alle Weise gewonnen. Überhaupt muß man den erhabnen Grundsatz nie aus den Augen verlieren, daß man durch Ausdauren, wenn man dabei alle Demütigungen und Erniedrigungen nicht achtet, am Ende immer seinen Zweck erlangt – und man sage, was man will, dies eigentliche Ausdauren verstehen wir besser als die Kinder der eiteln Vernunft. Auf Männer, die sich durch Schriften, in welchen die verblendeten Weltmenschen Weisheit oder Witz bewundern, bekannt machen, soll man vorzüglich aufmerksam sein. Diese können großes Unheil stiften. Es stehen deren jetzt viele in Teutschland bei uns auf dem schwarzen Brette und Lichtenberg, der Sohn der Finsternis, an ihrer Spitze. Wir wollen unter der Menge der andern nur den einzigen verstockten Nicolai anführen, der sowohl mit seiner sündlichen »Allgemeinen Deutschen Bibliothek« als auch mit seinen eignen Schriften nun seit einer langen Reihe von Jahren uns auf alle nur ersinnliche Weise verfolgt. Angehende Schriftsteller, die es wagen, gegen uns zu Felde zu ziehn, kann man schon zu Paaren treiben, indem man feile Rezensenten an sie hetzt oder sie als gefährlich verschreiet oder affektiert, sie als unbedeutend zu verachten. Die Schriften unsrer Leute hingegen läßt man ausposaunen und im Notfalle für Geld eine vorteilhafte Rezension derselben in den gelehrten Artikel des »Hamburgischen Korrespondenten« einrücken. Im ganzen aber taugt das Bücherschreiben nicht; es kömmt nichts dabei heraus, als daß allerlei naseweise Wahrheiten unter solchen Menschenklassen ausgebreitet werden, die ohne diesen Unfug gänzlich in unsrer Gewalt bleiben würden. Auch gibt es Gelegenheit, daß Leute, die wir sorgfältig unterdrückt, von öffentlichen Ämtern ausgeschlossen und als unbrauchbare Subjekte geschildert haben, uns zum Trotze sich durch die Schriftstellerei einen größern Namen in der Welt machen als unsre vornehmsten Mitglieder, die am Ruder sitzen. Das muß nicht sein; zuletzt sollten ja wohl der schnöde Verstand und Witz und Talente und Philosophie in der Welt ebensoviel gelten als Rang, Geburt und Sitz und Stimme im Staatsrate! Daß übrigens die verruchte Preßfreiheit allerorten gehindert, für strenge Zensur gesorgt werden und daß man besonders diejenigen züchtigen müsse, die es wagen, über Gesetze, Verordnungen, öffentliche Anstalten und landesväterliche Einrichtungen ihre Meinung zu sagen, das versteht sich wohl von selber. Zu diesem Endzwecke ist es gut getan, die Zensur in die Hände der Geistlichkeit oder solcher Männer zu legen, die ehemals sich dem geistlichen Stande gewidmet haben. Ein glorreiches Beispiel davon sehen wir an unserm hochwürdigen Bruder – doch wir nennen ihn lieber nicht; wir beleidigten sonst die Bescheidenheit dieses von ruchlosen Vernunftmenschen allgemein verhöhnten Märtyrers unsers Ordens.

Wie dem einreißenden Freiheitstriebe, dieser Pest, die zu uns aus Frankreich herübergekommen ist, entgegengearbeitet werden müsse, davon gibt uns der sehr ehrwürdige Bruder Generalprokurator des Ordens, Herr von Sch...ch, in seinem p. J. das Muster. So muß man die Fakta verdrehn, die Nachrichten verstümmeln, so einseitig urteilen, so die Fürsten schmeicheln, so die Schwachen in Furcht setzen – oh, unnachahmlicher Sch ..ch! wenn dir das keine Vermehrung deiner Pension und deiner Titel einbringt, so ist keine Gerechtigkeit mehr auf Erden.

Nie kann endlich der Orden, um seine Macht zu erhalten und seine Feinde zu stürzen, aufmerksam genug auf die Besetzung aller Bedienungen im Staate sein. Unsre Vettern, Freunde und Bundesverwandte müssen allerorten in die ersten Stellen eingeschoben werden, und wo das Häuflein derselben nicht groß genug ist, da setze man wenigstens solche an, die sich im verborgnen lenken lassen, denen es nicht einfällt, Aufsehn zu erregen, damit die goldne Mittelmäßigkeit aufrechterhalten werde; Sela!


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