Adolph Freiherr Knigge
Der Traum des Herrn Brick
Adolph Freiherr Knigge

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Achtzehntes Kapitel

Fortsetzung. Staatsbediente und Vorsteher. Ämter. Stände

Ich sehe voraus, daß, bei den besondern Vorschlägen, die ich nun zu Errichtung einer neuen Staatsverfassung wagen will, von allen Seiten der Einwurf mir entgegengestellt werden wird, solche gegen alle bisher herrschend gewesene Ideen streitende Einrichtungen ließen sich, ohne gänzlichen Umsturz der ganzen Verfassung und ohne unabsehliche Verwirrung, nicht einführen. – Ich will dies zugeben; allein meine Absicht ist auch nur, meinen Mitbürgern das Ideal einer vollkommnen Verfassung, wie ich sie mir denke, hinzustellen. Betrachten Sie dies Ideal genau, untersuchen Sie, ob es ganz oder zum Teil zu erreichen ist! Und wenn Sie dann auch nur einige meiner Vorschläge nützlich und anwendbar finden, so werde ich meine Mühe nicht verloren zu haben glauben. Allein ich muß Sie zugleich ermuntern, sich nicht durch Vorliebe für das Alte, nicht durch Privateigennutz noch durch Schwierigkeiten abschrecken zu lassen, das wahrhaftig Gute, dem Ganzen Nützliche, mit Hinwegwerfung alles dessen, was auch durch verjährte Vorurteile gleichsam geheiligt scheint, mit Wärme und unverdrossen zu ergreifen. Ist man einmal von der Güte eines neuen Systems und von der Mangelhaftigkeit des bisherigen überzeugt, so ist es besser, das alte mit Stumpf und Stiel auszurotten, als ewig zu flicken und nie ein vollkommnes Ganzes zustande zu bringen. Was helfen Palliativkuren, wenn man voraussieht, daß, früh oder spät, ohne gewaltsamen Schnitt der Tod unvermeidlich ist? – Rücken wir der Sache näher!

Ohne Haupttriebfeder kann keine Maschine bestehen, ohne Oberhaupt keine Gesellschaft Bestand haben; es muß also das Ruder des Staats gewissen Händen anvertrauet werden; nur muß dafür gesorgt sein, daß der Mechanismus des Ganzen so geordnet sei, daß die dirigierende Kraft darin dem Gange keine willkürliche Richtung geben, nichts mehr tun könne als grade, was eine Feder in einem Uhrwerke bewirkt, nämlich alle übrigen, nach gewissen Regeln fortlaufenden Räder und Walzen die erste Bewegung zu geben. Je einfacher dies erste Ressort ist, desto weniger Verwirrung wird zu besorgen sein; nach dieser Analogie halte ich es für besser, daß eine, als daß mehrere Personen die mechanischen Bewegungen des Staatskörpers dirigieren. – Ich rate euch also, einen Mann – nennt ihn König oder wie ihr wollt! – zu wählen, der für Ausübung eurer Gesetze und Aufrechthaltung eurer Einrichtungen sorge. Man weiß dann, an wen man sich zu halten hat, und er fühlt, daß Ehre und Schande und Verantwortung auf ihn allein fällt, statt daß da, wo mehrere die Hände am Ruder haben, Verschiedenheiten in den Charakteren, Zwist, Mißverständnisse die Einheit des Ganzen stören, die Geschäfte aufhalten und, indem einer die Schuld auf den andern schiebt, die Last dem andern aufladet, nichts mit Eifer und Ordnung betrieben wird.

Unsern König müssen wir aus dem ganzen Volke wählen, und das ganze Volk muß ihn wählen, und zwar einen Mann, der schon der Nation bekannt ist, folglich einen unter den Statthaltern, von denen ich nachher reden werde. Er bekleidet seine Stelle, so wie alle übrige höhere Staatsbediente, nur sechs Jahre lang und tritt dann in den Privatstand zurück, wenn man ihn nicht etwa aufs neue wählt. Während seiner Amtsführung kann niemand ihn zur Verantwortung ziehen; sobald seine Zeit verflossen ist, kann die Nationalversammlung Rechenschaft von ihm fordern. Eine Art, aller mannbaren Bürger Stimmen zu sammeln, habe ich vorgeschlagen, als ich den Häuptern des Kriegsheers meinen ersten Entwurf zu Errichtung einer Nationalversammlung vorlegte.

Der König hat, solange seine Regierung dauert, unumschränkte Gewalt, die Gesetze der Nation mit aller vorgeschriebenen oder erlaubten Strenge in Ausübung bringen zu lassen. Er wacht über die Ordnung im Ganzen; an ihn laufen die Berichte der Statthalter; bei eiligen, in den Gesetzen nicht bestimmten Fällen befiehlt er vorerst, was geschehen soll; ist die Sache wichtig, betrifft sie zum Beispiel Krieg und Frieden, so beruft er die Nationalversammlung oder erbittet sich schriftlich ihre Stimmen. Diese Nationalversammlung kömmt ordentlich zwar nur alle sechs Jahre einmal zusammen, weil dann die Mitglieder, woraus sie bestehen soll, aus allen Provinzen gewählt werden; allein diese sechs Jahre hindurch bleibt doch jeder von den Nationalräten in dem Verhältnisse, daß er bereit sein muß, mit seiner Person oder seinem Gutachten sich einzustellen. In allen Fällen, die einmal in den Landesgesetzen bestimmt sind, bedarf es weiter keiner Anfragen, der König darf darin nichts willkürlich tun, muß immer pünktlich auf Befolgung derselben halten, darf eigenmächtig keine Strafen verhängen, aber auch keine Strafen erlassen noch mildern.

Im Kriege ist der König kein Heerführer, sondern bleibt, so wie alle Staatsbediente, im Lande. Die Generale werden von der Nationalversammlung ernannt und mit Instruktionen versehen.

Er ist verpflichtet, jeden Morgen drei Stunden lang jedermann, der ihn sprechen will, vor sich zu lassen, Klagen anzuhören oder schriftliche Aufsätze darüber zu fordern, wenn das nötig ist, und dann die Sachen den verschiednen Gerichtshöfen zur Besorgung zu übergeben. Sechs untergeordnete Staatsräte arbeiten unter seiner Anweisung in diesen Geschäften.

Mit ihm zugleich wird ein Vizekönig erwählt, der aber nicht eher etwas mit Staatsgeschäften zu tun hat, als bis der wirkliche König krank, zur Arbeit unfähig wird oder stirbt.

Die Residenz des Königs und des Staatsrats wird gleichfalls alle sechs Jahre, nach der Reihe, aus einer der zwölf Hauptstädte des Landes in die andre verlegt.

Des Königs Person ist nicht heiliger als die eines jeden andern nützlichen Bürgers; ihm wird keine Art von äußerer, sklavischer Verehrung bewiesen; er ist kein Gesalbter und kein Statthalter Gottes; er hat keine Leibwachen, keine ausgezeichnete Kleidung; seine Kinder und Verwandte sind Privatleute, wie wir alle; er ist niemand in Gnaden gewogen, und niemand ist ihm untertänig. Er erhält während der sechs Jahre seiner Amtsführung, da er nicht Muße übrig hat, durch Betreibung andrer Geschäfte seinen Unterhalt zu gewinnen, ein ansehnliches, doch nicht das Einkommen eines reichen Privatmannes überschreitendes Jahrgeld; allein der Staat besoldet ihm keine Hofschranzen, keine Müßiggänger, hält ihm keine Spielwerke. – Unser König soll ein weiser Mann sein, und ein weiser Mann ist über Flitterstaat, unnütze Bedürfnisse und Torheiten hinaus.

Der König kann keinen, auch den geringsten Diener des Staats nicht, weder ernennen, befördern, noch absetzen. Alle werden entweder von ihren Untergebenen oder von ihresgleichen gewählt oder, besonders die, welche Besoldung erhalten, von dem Kollegio ihrer Vorgesetzten ernannt. Zu allen diesen Ämtern aber die Subjekte, sowie überhaupt alles, was der König nötig und nützlich findet, in Vorschlag zu bringen, das ist seine Pflicht; und seine Mitbürger werden gewiß gern, wenn sie können, auf seine Empfehlungen Rücksicht nehmen, da seine Geschäfte ihn in den Stand setzen, die Bedürfnisse des Landes und die Fähigkeiten einzelner Personen genauer kennenzulernen.

Wundert euch nicht, meine lieben Mitbürger, wenn ich meinem Könige sowenig willkürliche Macht einräume, ihn so gänzlich den Gesetzen und der Nation unterwerfe! Ihr habt es hier gesehen, welche schreckliche Dinge der Despotismus anstellen kann; und wenn ihr überleget, wie groß der Reiz eines ehrgeizigen Mannes ist, seine Gewalt über andre Menschen immer weiter auszudehnen, wenn ihr einen Blick in die Geschichte werfet und da leset, wie die Beherrscher der Völker in allen Zeitaltern stufenweise weiter gegriffen haben, von einer Gewalttätigkeit zur andern fortgeschritten sind, bis zuletzt ganze Völker sich und Gottes Erdboden, den sie bebauet hatten, als das Eigentum eines höchst elenden Menschen ansahen, der ihnen nach Belieben Gesetze gab, die er selbst nicht hielt, und, wenn er einmal einen Überrest von Menschlichkeit und Pflichterfüllung zeigte, dies denen Leuten, welche ihn ernährten und beschützten, für überschwengliche Gnade und Huld verkaufte – wenn ihr das alles überlegt, so denke ich, ihr werdet die Notwendigkeit einsehen, bei Gründung einer neuen Konstitution auch die entfernteste Möglichkeit, wiederum unter das Joch der Tyrannei zu kommen, aus dem Wege zu räumen. Wem schaudert nicht die Haut, wenn er lieset, wie Philipp der Zweite von Spanien und sein Herzog von Alba mit der Existenz der Menschen gespielt haben; wie gegen Sklaverei unempfindlich gewordene Menschen den kleinen, verachtungswerten Ludwig den Vierzehnten, der seiner niedrigen, kindischen Eitelkeit Millionen Leben und den Flor des Reichs aufopferte – den Großen nannten; wie das Oberhaupt eines Standes, der den Eid der Keuschheit schwören muß, der Chef einer Religionspartei, die Hurer und Ehebrecher zur Verdammung verurteilt, wie der Papst Alexander der Sechste seine anerkannten Bastarde zu Herzogen erhob und in öffentlicher Unzucht und Blutschande lebte; wie endlich noch jetzt in allen Ländern Europens große und kleine Fürsten mit Verordnungen und Strafen Unfug treiben und Todesurteile über Verbrechen unterzeichnen, die sie und ihre Lieblinge täglich begehen! – Und diese Beispiele sollten uns nicht die Augen öffnen? – Doch lasset uns jetzt von den übrigen Staatsbedienten reden!

Solange ein Mann Mitglied des Nationalrats oder des höchsten Volkstribunals ist, kann er kein Amt im Staate bekleiden, denn er kann nicht zugleich Herr und Diener sein.

Die Staatsräte des Königs haben keine Stimme, sondern besorgen nur, unter seiner Anweisung, das Mechanische der Geschäfte. Sie sind also eigentlich keine Staatsbediente, obgleich die Nation sie besoldet; der König allein wählt sie sich, kann sie nach Willkür annehmen und verabschieden, denn er allein hat mit ihnen zu arbeiten.

Das ganze Reich ist in zwölf Provinzen geteilt; jede Provinz hat eine große Stadt, die, wie ich schon gesagt habe, abwechselnd die Residenz des ganzen Reichs wird. In jeder dieser Städte wohnt ein Statthalter, der in seiner Provinz die Stelle bekleidet, welche der König im ganzen Reiche versieht, doch also, daß er an den König berichten muß. Der Statthalter ist der Präsident des Provinzialtribunals, das, außer ihm, aus sechs Räten besteht und Justiz-, Finanz- und alle andre Angelegenheiten der Provinz dirigiert. Jeder Rat hat eine Stimme; der Statthalter nur dann, wenn die Meinungen geteilt sind. Der Statthalter und diese Räte werden aus den Munizipalmagistraten und von denselben gewählt und von der Nation besoldet. Weiter hinunter muß jeder Staatsbediente sein Amt unentgeltlich verwalten. Nur die unbeträchtlichsten kleinen Stellen, wie zum Beispiele die der Aufseher über Straßen und Dämme, Nachtwächter und so ferner sind mit Gehalt verknüpft. Alle wichtige Ämter werden nur sechs Jahre lang von denselben Personen bekleidet.

Außer der großen Provinzialstadt sind in jeder Provinz nur noch drei kleinere Landstädte und drei große und neun kleinere Dörfer. Es ist vorgeschrieben, aus wieviel Häusern und Familien höchstens diese Städte und Dörfer bestehen dürfen. Dies ist nach der möglichst zu erwartenden Bevölkerung bestimmt. Nimmt irgendwo die Volksmenge über diese Grenze hinaus zu, so wird den übrigen Familien in einer andern Gegend, wo die Anzahl noch nicht vollständig ist, ein Aufenthalt angewiesen.

In jeder der kleinern Städte ist ein Munizipalmagistrat, der aus einem Vorsteher und vier Beisitzern besteht; diese werden aus und von der Bürgerschaft gewählt.

Drei kleinere Dörfer stehen unter einem Beamten, der zwei Gehülfen hat und mit diesen in dem größern Dorfe wohnt. Er und sie werden von den Landleuten gewählt. Es müssen aber Männer sein, die in dem größern Dorfe ansässig sind. Jedes kleinere Dorf hat einen Richter, den die Einwohner wählen.

Alle kleinere Stellen werden durch Wahlen in den Stadtquartieren und Dorfgemeinen alle drei Jahre besetzt. Berichte, Anfragen und Forderungen gehen von unten hinauf, doch also, daß die Dorfangelegenheiten durch die Beamten, die Stadtsachen durch die Magistrate an das Provinzialkollegium gehen. Ebenso laufen die Antworten und Bescheide von oben herunter. Was in den Gesetzen klar bestimmt ist, darüber wird nicht angefragt, sondern es wird kurz abgetan. Die letzte Instanz für jemand, der auf diesem Wege keine Befriedigung findet, ist der König, der, wenn die Sache wichtig ist, sie dem Nationalkollegio vorträgt.

Da die Regierungsgeschäfte auf diese Weise gar nicht verwickelt sein werden, so bedarf es nicht für jeden Zweig derselben eines eignen Kollegiums. Die Hauptregierung, die Provinzialdirektionen, die Stadtkollegia und die Dorfobrigkeiten haben zugleich das Justiz-, Finanz-, Kriegs- und Polizeiwesen, kurz, alles zu besorgen.

Jeder Abyssinier in der Stadt und auf dem Lande ist verbunden, noch außer den Jahren, da er die Waffen tragen muß, wovon in der Folge geredet werden wird, wenigstens drei Jahre seines Lebens hindurch unentgeltlich ein kleineres bürgerliches Amt zu verwalten – gleichviel welches! Er muß es annehmen, wenn das Zutrauen seiner Mitbürger ihn dazu erwählt.

Alle Ämter, Stände und Gewerbe im Staate aber sehen wir für gleich wichtig und vornehm an. Das Wort Rang wird bei uns gänzlich unbekannt werden. Der Staat bedarf ebenso notwendig eines Nachtwächters als eines Beamten, ebenso notwendig eines Schusters als eines Gelehrten. Wer kann bestimmen, wieviel eignes Verdienst der Mann und wieviel mehr oder weniger Nutzen das gemeine Wesen davon zieht, daß dieser Mann grade Talente zu dem und nicht zu jenem Geschäfte von der Natur erhalten oder ausgebauet hat? Und welcher Mann verdient wohl mehr Achtung und Vorzug, der, welcher mit besondrer Fertigkeit und mit unausgesetztem Fleiße, jahraus, jahrein, Schwefelhölzer schnitzelt und davon seine Familie ernährt, oder der Bücherschreiber, der einmal vortreffliche Dinge hat drucken lassen, die übrige Zeit seines Lebens aber gefaulenzt und, bei der Ungewißheit, ob er mit seiner Schriftstellerei wirklich etwas Gutes gestiftet, die Gelegenheit und Pflicht, unmittelbar seine Kräfte dem gemeinen Wesen zu widmen, verabsäumt hat? Vom Schuster kaufe ich Schuhe, weil er das Schuhmachen gelernt hat, vom Arzte eine Vorschrift für meine Gesundheit, weil er sich darauf versteht. Der eine kann sich glücklicher fühlen in dem Besitze einer edlen Kunst als der andre mit seiner bloß mechanischen Geschicklichkeit; das ist seine Sache; aber ich, der ich beider bedarf, warum soll ich weniger tief den Hut abziehen vor dem, der meine Blöße bekleidet, damit ich nicht durch Verkältung krank werde, als vor dem, der mir, wenn ich krank bin, zu helfen sucht? Mit der innern Ehrerbietung und Achtung, ja, da ist es ganz etwas anders; wenn wir diese zum Maßstabe unsrer äußern Behandlung annehmen wollen, so bin ich gern zufrieden. Da wird man denn aber auch dem ehrlichen Tagelöhner oft eine tiefe Verbeugung machen müssen, indes der schelmische Minister, wie er es verdient, über die Schulter angesehen wird. In despotischen Staaten hält sich der geringste Fürstensklave, und wäre er auch nur ein gemeiner Schreiber, für ein Wesen besserer Art als der freie, unabhängige Handwerksmann. – Fort mit diesen Armseligkeiten! Fort mit Rang und Titeln! Die Rücksichten, welche man auf höheres Alter, auf bessere Erfahrungen, auf Weisheit, Güte, feinere Sitten und Herzenssympathie nimmt und im äußern Betragen zeigt, die werden nie wegfallen; aber vor falschem Glanze und eingebildeten Vorzügen wollen wir nicht länger die Knie beugen. Der redliche und verständige Bauer stehe in unsrer Achtung hoch über dem nichtswürdigen Sohn des Staatsrats. Der Vorgesetzte im Amte ist nur in Amtsgeschäften vornehmer als sein Untergeordneter; außerdem gilt er nicht mehr, als was er, als Mensch betrachtet, wert ist. Sollten wir Gesandten an fremde Höfe schicken, so müssen diese in Gesellschaft andrer Botschafter allen Rangstreit aufgeben. Sie sind nicht Stellvertreter eines Despoten, sondern Geschäftsträger einer Nation; und ein Volk ist nicht vornehmer als das andre.

Noch viel alberner als die Idee von Rang und Titel überhaupt ist der Begriff von ererbten oder erkauften oder von einem Menschen dem andern verwilligten Range und Titeln – mit einem Worte! der Begriff von erblichem und erteiltem Adel. Wie kann ein Fürst, und wäre seine Macht auch unbegrenzt, ein ganzes Volk zwingen, einen Menschen für edel zu halten? Wie kann er die Nachkommenschaft dieses Mannes, die noch nicht existiert, schon zum voraus für edel erklären? Wie kann der, welcher Verdienste um sein Vaterland hat, die größere Achtung seiner Mitbürger auf einen ändern übertragen, der vielleicht gar keine Verdienste hat, gar keine Achtung verdient? Wie schreiet man über Ungerechtigkeit, wenn in einem Lande der rechtschaffne Sohn eines schlechten Vaters einen Teil der Verachtung und Strafe mit tragen muß, die sein Erzeuger verwirkt hat? – Und dennoch findet man es billig, daß ein verachtungswerter, dummer Mensch auf die größte äußere Ehre, auf die höchsten Staatsbedienungen, auf Freiheiten, Vorrechte, Exemtionen, Einkünfte und andre Vorteile Anspruch machen dürfe, weil das Ungefähr ihn mutmaßlich hat von einer Familie abstammen lassen, von welcher einmal ein Mann von vorzüglich guten Eigenschaften das Oberhaupt gewesen ist, vielleicht auch nur diese Vorrechte für sich und die Seinigen erkauft oder erschmeichelt hat!

Also kein Adel und keine Titel mehr unter uns! Ist es aber nicht grausam und gewalttätig, einer ganzen Klasse von Bürgern Vorrechte zu rauben, in deren langjährigem Besitze sie sind? – Nichts weniger! denn nach dieser Lehre dürften ja gar keine verjährte Mißbräuche abgeschafft, keine durch Usurpation erschlichene Rechte vernichtet werden. Und hätten unsre Vorfahren ihren Tyrannen und deren Gehülfen jene Privilegien, die wir nun aufheben, durch die heiligsten Eide auf ewig zugesichert – was kümmert das uns? Durften sie etwas verschenken, was nicht ihr Eigentum war? durften sie Gesetze geben, die den ersten Gesetzen der Menschheit widersprechen?

Allein ich sehe auch schon voraus, wie wenig Verwirrung diese Abschaffung der erblichen Vorzüge, diese Vernichtung eines falschen Stempels des Verdienstes stiften wird. Die Edeln unter den Edelleuten werden sich nun freuen, wenn sie überzeugt sein können, daß sie die Achtung, welche ihnen ihre Mitbürger vor wie nach beweisen werden, nun wirklich ihrem wahren Werte und nicht dem Vorurteile zu danken haben; ihre Kinder werden sich bestreben, sich zu guten, nützlichen Mitgliedern der Gesellschaft zu bilden, um nicht die Demütigung zu erleben, geringere Vorrechte als ihre Eltern zu genießen. Nur die sogenannten Parvenus, die so lange nach diesen elenden Vorzügen gekämpft haben, und die Unwürdigsten unter den jetzt lebenden Edelleuten werden murren und schreien, besonders die letztern, darüber, daß man ihnen das einzige nimmt, was sie noch ein wenig emporheben konnte – aber denen geschieht schon recht.

Daß Sklaverei und Leibeigenschaft von jetzt an auf immer in Abyssinien aufhören müssen, versteht sich wohl von selber. Wir sind alle freie Menschen, und wer bei dem andern in Dienste tritt, kann sich jeden Augenblick wieder frei machen, sobald er Mittel findet, sich häuslich niederzulassen und sein eigner Herr zu werden.


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