Adolph Freiherr Knigge
Der Traum des Herrn Brick
Adolph Freiherr Knigge

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Zehntes Kapitel

Fragmente aus der mittlern Geschichte von Abyssinien

Wie groß der Einfluß ist, den der Handel auf die Kultur der Völker, auf ihren Geist und auf ihre Moralität hat, das erfährt jeder, der die Geschichte mit einiger Aufmerksamkeit studiert; auch das Königreich Abyssinien fühlte bald diesen Einfluß, wie wir jetzt sehen werden. Vorher aber müssen wir noch zergliedern, welche Art von Revolution die Einführung des Geldes und die Entdeckung der Bergwerke bewirkten.

Da der Tauschhandel große Ungemächlichkeiten hatte, so wünschte man längst, eine Ware zu finden, die immer gleichen Wert behielte, die jedermann brauchen, leicht herbeischaffen, leicht in Verhältnis mit allen seinen Bedürfnissen setzen, die der allgemeine Maßstab des Werts aller Landesprodukte werden könnte - mit einem Worte, die ihnen das würde, was wir Geld nennen. Ein Ausländer geriet nach Abyssinien und lehrte den Fürsten den Wert kennen, den andre Völker auf die edeln Metalle und auf Juwelen setzen, und den Gebrauch, welchen sie davon machen. Abyssinien ist reich an Gold, Silber, Eisen, Kupfer, Edelsteinen aller Art, hat Salz, Marmor und dabei einen solchen Überfluß von Früchten, Korn und andern Notwendigkeiten und Annehmlichkeiten des Lebens, daß es dem Fremden nicht schwer hielt, dem Fürsten zu beweisen, wie groß der Vorteil des Handels auf seiten der Abyssinier sein würde, wenn man die Bergwerke fleißig betriebe, Gold und Silber zum Maßstabe der größern Waren machte, zu kleinern Summen aber, statt der Scheidemünze, sich des blauen wollnen Zeugs bediente, welches im Lande verfertigt wurde.

Nun war nur die Frage, wer den Nutzen von den Bergwerken ziehen sollte. Erlaubte man jedem Eigentümer eines Bodens, alles, was dieser Boden enthielte, auszugraben und als sein Eigentum zu betrachten, so konnte das ungefähr den Besitzer eines kleinen Stückchen Landes unermeßlich reich machen, indes der Eigentümer einer zehenmal so großen Besitzung arm blieb, welches eine unnatürliche Verteilung des Vermögens zu sein schien. Noch fand man, daß Bergwerke viel Hände erfordern, folglich mancher unterirdische Schatz, aus Unvermögen des Grundeigentümers, ihn aus der Erde zu fördern, vergraben geblieben sein würde. Das Natürlichste war also, die Bergwerke auf Kosten und zum Vorteile des ganzen Staats zu betreiben, den Besitzern des Bodens aber, welchen man umwühlte, den dadurch verursachten Schaden zu ersetzen. Was sollte aber nun mit dem Schatze angefangen werden, den der Staat auf diese Weise gewann? Billig wäre es gewesen, ihn unter alle Familien zu verteilen. - Aber welche Weitläuftigkeit! Hierzu kam, daß man anfing, den Nutzen einer öffentlichen Staatskasse einzusehen. Wenn Heerstraßen, Wasserdämme, Wasserleitungen anzulegen und dergleichen dem ganzen Lande vorteilhafte Einrichtungen zu machen waren, so wurde es schwer, die entfernt wohnenden Familien an der gemeinschaftlichen öffentlichen Arbeit, ohne große Versäumnis ihrer eignen Geschäfte, ebensoviel Anteil nehmen zu lassen als die benachbarten Einwohner. Hatte man aber eine öffentliche Kasse, in welche die Einkünfte des Staats flossen, so wurden auch die öffentlichen Ausgaben daraus bestritten, und hatte man Geld, so konnte man die, welche an solchen Werken arbeiteten, daraus bezahlen, und das Geld, welches die Arbeiter gewannen, war hinreichend, sie dafür zu entschädigen, daß sie indes für sich nicht tätig sein konnten; denn für dies Geld vermochten sie alle Bedürfnisse des Lebens von denen, welche indes ihre Geschäfte trieben, einzuhandeln. Also wurde Geld eingeführt, eine öffentliche Kasse errichtet, und die Bergwerke gehörten dem Staate. Weil aber der Staat nur eine metaphysische Person ist, so glaubte der Vorsteher des Staats, der Fürst, sich an die Stelle desselben setzen zu dürfen. Als ich in Holzmünden auf der Schule war, nannte unser Rektor diese oratorische Figur eine Metonymia praesidis, pro re, cui praesidet – ich glaubte niemals, daß diese Pedanterei in der Anwendung so ernsthafte, wichtige Resultate liefern könnte. Also noch einmal! Hier setzte sich der Fürst zuerst an die Stelle des Staats, wurde der Verwalter der öffentlichen Kasse und der Inhaber der Bergwerke.

Allein es verstand sich doch von selber, daß der Fürst nicht willkürlich mit dem Staatsschatze wirtschaften durfte, sondern daß er zu gewissen Zeiten den Häuptern der einzelnen Stämme Rechnung von seinem Haushalte ablegen mußte. Da sich nun überhaupt die Geschäfte sehr vervielfältigten und er nicht allem allein vorstehen konnte, so beschloß man, Kollegia, das heißt Ausschüsse verständiger, alter Männer, aus dem Volke zu errichten, welche, unter Anführung des Oberhaupts, sich in die Geschäfte teilen mußten. Die Subjekte dazu oder die Repräsentanten der Nation wählte teils das Volk, teils ernannte sie der Fürst, weil es ihm doch nicht einerlei war, mit wem er gemeinschaftlich arbeiten sollte. Diese Männer aber mußten nun freilich ihre häuslichen Geschäfte aufgeben; man suchte sie dafür zu entschädigen und wies ihnen Besoldungen aus der öffentlichen Kasse an.

Die wohlverdiente Verehrung, welche man gegen das gewählte Oberhaupt des Reichs hatte, entfernte alles Mißtrauen. Man dachte nicht daran, ihn so sehr einzuschränken, daß man verlangt hätte, er sollte zu jedem Schritte erst die Beistimmung der Kollegien zu erlangen suchen. Der Fürst fing daher nach und nach an, nach Gutdünken die Besoldungen auszuteilen und die erledigten Bedienungen zu besetzen, und dies tat er damals sehr gewissenhaft, weil er für sich nichts durchzusetzen, kein andres Interesse hatte als das allgemeine, weil ihm nichts zu wünschen übrig blieb, als daß die Geschäfte ordentlich getrieben würden.

Das Ruder war also ganz in des Fürsten Händen, das Staatsvermögen unter seiner Aufsicht, und die Staatsbediente standen unter ihm; allein man setzte doch fest, daß große, wichtige Nationalangelegenheiten der Entscheidung gewählter Repräsentanten aus allen Stämmen, die sich, sooft es nötig wäre, versammeln würden, überlassen werden sollten.

Der Umlauf des Geldes machte bald eine gänzliche Veränderung in den Vermögensumständen der Einwohner. Da man sähe, daß man für einen Haufen von dieser kleinen Ware alles erlangen konnte, was man brauchte und wünschte, ohne selbst graben, säen, spinnen zu dürfen, so bemühete sich nun jeder, teils durch vorteilhaften Handel, teils dadurch, daß er sich für seine weniger mühsamen Dienste so teuer als möglich bezahlen ließ, soviel Geld, als zu gewinnen war, zu gewinnen.

Die Folgen davon auf die Moralität und auf die Industrie sind leicht zu überdenken. Der esprit public wurde lauer; man dachte bei jedem Schritte an das Privatinteresse. Der kriegerische Geist ließ nach; eine Gefahr, die dem Staate im allgemeinen drohete, schreckte den einzelnen nicht so sehr, insofern er nur hoffen konnte, für sich und die Seinigen ruhig zu bleiben. Durch Errichtung der Staatskasse war das Privateigentum von dem allgemeinen getrennt; man hielt den Staat für sehr reich und machte unaufhörlich Jagd auf Besoldungen und Vergütungen. Da diese von dem Fürsten abhingen, so fing man an ihm zu schmeicheln, sich ihm gefällig zu machen, um für kleine, unwichtige Dienste große Bezahlung zu erhalten. Der herrschende Gedanke nun, alles, Arbeit, Mühe, Verwendung zum Besten des Staats, nach barem Gelde taxieren zu können, erniedrigte die Seelen der Menschen; Großmut, Aufopferung, Uneigennützigkeit wurden seltner. Man hielt keine Art von Geschäfte mehr für unedel, sobald es nur Geld einbrachte. Die Notwendigkeit, sich einzuschmeicheln, um sich Gönner oder Käufer zu verschaffen, benahm dem Charakter Eigenheit und Energie, erzeugte Falschheit, Verstellung, Höflichkeit und feine Lebensart, und da man den Handel als einen freiwilligen Kontrakt ansah, so nahm man sich's nicht übel, wenn der andre den Wert der Ware nicht verstand, ihn zu überlisten, zu betrügen. – Treue und Wahrheit verschwanden.

Die Begierde, Geld zu erwerben, gab indessen doch auch Gelegenheit zu Erfindung mancher nützlichen Künste.

Die täglich zunehmende Vervielfältigung der Verhältnisse erforderte eine Menge neuer Gesetze. Je größer die Zahl derselben wurde, desto mehr verloren sie von ihrer Ehrwürdigkeit und Heiligkeit. Bald machte man sich kein Verbrechen mehr daraus, sie heimlich zu übertreten, wenn man seinen Vorteil dabei fand.

Der Fürst, der nun immer mehr anfing, sich an die Stelle des ganzen Staats zu setzen, wagte es, zuerst unwichtige und nachher wichtigere Gesetze aus eigner Macht zu geben. Man ließ ihn wirken; die mehrsten dachten an ihren Privatnutzen und ließen im Staate alles geschehen, insofern sie nicht unmittelbar dabei verloren; viele traueten dem Fürsten; auch hatte er ja noch kein Interesse dabei, schlecht zu handeln: allein die Sache war wichtig der Folgen wegen. Seine Macht wurde durch Indolenz der Nation immer größer; man hätte ihn im Zaume halten sollen; aber die Kollegien bestanden aus seinen Kreaturen, die Zahl der hungrigen Schmeichler nahm täglich zu, erfüllte ihn mit törichter Eitelkeit und verschrob ihm, seinen Weibern und seinen Kindern Kopf und Herz.

Auf einer großen Versammlung der Nationaldeputierten wurde nun aufs neue die Frage wegen der Erbschaften aufgeworfen. Man wollte es unbillig finden, daß einem Menschen, der keine Familie hinterließ, nicht das Recht zustehen sollte, das liebe, schöne Geld, welches er gesammelt hatte, nach seinem Tode einem Freunde zuzusichern, sondern daß diese Reichtümer in den öffentlichen Schatz kommen sollten. Diese Motion bewies genug, wie sehr man jetzt das Privatinteresse vom allgemeinen trennte. Wirklich wurden die Erlaubnis zu testieren und die Rechte der Seitenverwandten auf den Nachlaß eines Menschen, der ohne Testament starb, festgesetzt, und dies öffnete dann den Weg, durch Schmeichelei Erbschaften zu erschleichen, gab reichen Leuten Gelegenheit, ihre ärmern Verwandten zu tyrannisieren, brachte Eigennutz in die ehlichen Bündnisse, machte, daß die Leute anfingen, sich in ihrer Verwandten häusliche Geschäfte und Ehestandssachen zu mischen, und da der Staat nun nicht mehr Gelegenheit hatte, durch Verschenkung solcher heimgefallenen Güter an Ärmere eine gewisse Gleichheit der Vermögensumstände herzustellen, so wurden einige Stämme durch Erbschaften ungebührlich reich.

Das waren die ersten und natürlichsten Folgen, welche die Schätze, die man der Erde entlockt hatte, sodann der Geldumlauf, der inländische Handel und die dadurch entstandne große Verschiedenheit unter den Vermögensumständen in Abyssinien nach sich zogen. Der ausländische Handel aber bewirkte, außer allen diesen, noch weit wichtigere Revolutionen, wovon ich jetzt reden will.

Der Verkehr mit den benachbarten Nationen erzeugte den Luxus, machte die Abyssinier mit Annehmlichkeiten und Gemächlichkeiten des Lebens bekannt, die ihnen bis dahin fremd gewesen waren und die, nachdem sie dieselben einmal geschmeckt hatten, ihnen bald zum Bedürfnisse wurden. Sie lernten die Zubereitung betäubender, starker Getränke, den Gebrauch langsam vergiftender Gewürze, nervenkitzelnder Opiate, des Tobaks, des Rauchwerks und balsamischer Wohlgerüche. Die durch den Handel reich gewordnen Leute fingen an, einen asiatischen Aufwand in ihrem Hausrate, in ihrer Kleidung zu machen, schliefen des Nachts auf weichen Betten, wälzten sich bei Tage auf seidnen Polstern. Die starken Körper wurden entnervt; da erwachte eine Menge unmäßiger Begierden, heftiger Leidenschaften - Grillen, Launen, Kränklichkeit, kurz, Verderbnis der Sitten. Herabwürdigung an Leib und Seele waren die sichern Wirkungen dieser weichlichen, wollüstigen Lebensart. Hohe Tugenden schliefen; der Nerv zu großen Taten wurde gelähmt; Einfalt, häusliche Glückseligkeit, unschuldige Freuden, Kindersinn, Treue, herzliche Hingebung und froher, reiner Genuß verschwanden.

Da die Bedürfnisse immer mannigfaltiger wurden und die Preise der Lebensmittel stiegen, so bedurfte nun jedermann mehr als bisher; reich zu sein wurde also täglich wichtiger, nötiger; denn einfach, mäßig und weise sein hieß nun schon: sich etwas versagen; arm zu sein, kein Geld zu haben war eine Art von Schimpf; der Wohlhabende wurde geschmeichelt, geehrt, um von ihm zu ziehen, der Dürftige zurückgesetzt, verachtet; persönliches Verdienst kam nicht mehr in Anschlag; Eigennutz war die große Triebfeder, und man erlaubte sich, um reich zu werden, alle, auch die niedrigsten, schiefsten Mittel und Wege.

Der Reiche wollte nun nicht mehr arbeiten, hatte für nichts Sinn als für Genuß. Um sich her versammelte er einen Haufen bezahlter Schmeichler und Gaukler, die ihm die Zeit vertreiben halfen. Der Müßiggang erzeugte teils neue Laster und Torheiten, teils gab er Gelegenheit zu Erfindung und Vervollkommnung der schönen Künste. Der Mißbrauch derselben machte nun vollends weibisch, erhitzte die Phantasie, erregte die Begierden. Bald war der Geist der ganzen Nation nur für Kleinigkeiten, Torheiten, Spielwerke empfänglich. Witz galt mehr als gesunde Vernunft, Bombast in Worten mehr als nüchterne Weisheit. Die Sinne wollten ohne Unterlaß gekitzelt sein. Man entfernte von sich alles, was Anstrengung, Ernst, Ausdauer erforderte, und sehnte sich nur nach dem Genuß des Augenblicks; floh alles, was unangenehme Eindrücke machte, lebte und webte in immerwährendem sinnlichem Taumel und haschte nach Idealen.

Jetzt entstanden eine große Menge neuer Verhältnisse, Konventionen, Umgangsregeln, leere Komplimente, wobei man nichts dachte, unnütze Geschäfte, um die Zeit zu töten, gesellschaftliche Vergnügungen von alberner Art; und je mehr man darauf studierte, seinen Genuß zu vervielfältigen, um desto weiter floh die wahre, reine Freude; und Langeweile, die man ehemals nie gekannt hatte, nagte an den friedenlosen, von tausend unbestimmten, törichten Wünschen und Unruhen in Tumult gebrachten Herzen.

Der Reiche mißbrauchte das Übergewicht, welches er über den Armen hatte, den er nur geschaffen glaubte, um seinen Lüsten und Phantasien zu fronen; und dieser, der auch korrumpiert war und tausend Bedürfnisse hatte, die ihn von jenem abhängig machten, trug sklavisch sein Joch und beschäftigte sich nur mit listigen Planen auf den Geldbeutel des dummem Reichen.

Wer hatte aber ein größeres Recht über alle als der Fürst? Er hatte die Mittel in Händen, reicher als jemand im Lande zu werden; er wurde also auch üppiger und wollüstiger als einer; er wurde mehr als einer durch Schmeichelei verderbt. Er, in dessen Händen die Staatskasse war, hatte mehr als einer die Macht, die Ärmern zu drücken, die Lebensmittel zu verteuern und auf alle wirkliche und eingebildete Bedürfnisse seine schwere Hand zu legen. Auch tat er das, und die Menschen, die sich zu Sklaven ihrer Begierden gemacht hatten, mußten nun wohl die Sklaven dessen werden, der Gewalt hatte, diese törichten Begierden zu befriedigen oder nicht. Der genügsame, mäßige, gesunde Mann findet allerorten Freiheit und Vaterland; der schwache Wollüstling lebt in ewiger Knechtschaft von innen und außen. Luxus und Korruption wurden die ersten Grundpfeiler des Despotismus. Das entnervte Volk fühlte nicht nur die Fesseln nicht, die es sich geschmiedet hatte, sondern, da es auch durch den Handel mit Völkern in Verbindung gekommen war, bei denen der Despotismus schon größere Fortschritte gemacht hatte, so veränderten sich auch nach und nach ihre Ideen von den Verhältnissen zwischen Fürsten und Nation so sehr, daß sie sich's für eine Ehre hielten, einen ebenso unumschränkten, in eitler Pracht glänzenden Monarchen auf ihrem Nacken sitzen zu haben als ihre Nachbarn, die Völker Nubiens. In dieser Periode nahm denn auch das Oberhaupt der Abyssinier den königlichen Titel an oder den Titel des großen Negus.


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