Adolph Freiherr Knigge
Der Traum des Herrn Brick
Adolph Freiherr Knigge

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Umständliche Nachricht von der verbesserten Einrichtung des uralten Pinselordens

Erster Abschnitt

Von dem Zwecke dieses Ordens

Der große Hauptzweck des ehrwürdigen, alten, nunmehro auf die festesten Grundsätze zurückgeführten und durch freundschaftliche Assoziation mit ändern Verbindungen und Brüderschaften zu einem hohen Grade von Macht gestiegnen Pinselordens ist der: der einreißenden Zuversicht zu der trüglichen menschlichen Vernunft und deren Herrschaft entgegenzuarbeiten; die alte Würde eines auf Autorität und Tradition gestützten Glaubens wieder herzustellen; dem mühsamen und beunruhigenden Untersuchungs- und Forschungsgeiste zu steuern; das Reich der sogenannten Aufklärer auf immer zu zerstören; diejenigen, die über ihre Brüder sich erhaben glauben könnten, auf alle Weise zur Demut zu bringen, um die goldne Mittelmäßigkeit unter den Menschen zu erhalten; das abscheuliche Laster der Toleranz zu bekämpfen und gegen die vermaledeiete Publizität, Denk-, Sprech- und Preßfreiheit mutig zu streiten.

Zweiter Abschnitt

Auszug aus der Geschichte des Ordens

Es ist der ehrwürdige Pinselorden so alt wie die Welt, obgleich er nicht immer in einerlei Gestalt existiert, bald als politisches System, bald als Religionspartei und herrschende Kirche, bald als gelehrte Gesellschaft und Fakultät, bald als geheime Verbindung gewürkt und sich offenbart hat. Aber seine Spuren waren unverkennbar in allen Zeitaltern; ihm haben wir unzählige landesherrliche Edikte, Bullen, Abhandlungen, Kunstwerke, Methoden in der Arzeneikunst, Kriege und Friedensschlüsse zu verdanken.

So wie dieser Orden nicht immer in derselben Form tätig gewesen ist, so sind auch seine Macht und sein Einfluß nicht in allen Perioden sich gleichgeblieben. Zuweilen bekam die verführerische Vernunft in einzelnen Provinzen die Oberhand; aber stets erhielt in irgendeinem Winkel des Erdbodens ein Häuflein echter Brüder seine Gewalt, ja, in manchen europäischen Ländern sind uns, alle Jahrhunderte hindurch, Monarchen, Staatsmänner, Gelehrte, Priester und Laien treu geblieben.

Unser erster Stifter war der hochwürdige, nun verklärte Bruder Adam; allein durch die abscheuliche List des Erzvaters aller Aufklärer, Satanas, wurde er und wir alle in namenloses Unglück gestürzt.

Unter den nachfolgenden Patriarchen halfen manche dem Orden ein wenig wieder auf. Bei der Sündflut wurden die Dokumente desselben glücklich gerettet; unser hochwürdiger Meister Noah hielt sie in einem Kästlein in der Kajüte seines Transportschiffs aufbewahrt. Durch die bekannte Sprachverwirrung bei dem Turmbaue in Babylon, welcher nützliche Bau eigentlich durch unsre Meister war veranstaltet worden, würden unsre Brüder auf immer zerstreuet und getrennt worden sein, wenn nicht, durch Hülfe unsrer geheimen, einem Eingeweiheten unverkennbaren Zeichen, von denen in der Folge gehandelt werden soll, bald nachher die getrennten Mitglieder sich einander wieder gefunden und vereinigt hätten. Abraham war einer unsrer besten Leute; die Art, wie er sein Weib Sarah zweimal für seine Schwester ausgab und sich dadurch ökonomische und politische Vorteile verschaffte, war ganz in unsrer Manier. Lot war so eifrig für unsre Verbindung, daß er sogar seine Töchter den Männern in Sodom preisgab, um dadurch ein paar reisende besuchende Brüder von unangenehmen Zudringlichkeiten zu befrein. Isaak gehörte gleichfalls zu der Verbrüderung, dagegen der Spötter Ismael es offenbar mit den Illuminaten der damaligen Zeit hielt. Unserm Jakob gelang es, über den unruhigen Weltbürger Esau zu triumphieren und ihm die Erstgeburt und des Vaters Segen abzugewinnen, weswegen er von den hochwürdigen Obern sehr gelobt wurde. Hingegen wurde er von seinem Schwiegervater, der ein Weltkind war, in Heiratsangelegenheiten überlistet. Allein im Schafhandel und durch Wegnahme seiner Hausgötzen drängte er es dem alten Laban wieder ein und rettete dadurch die Ehre des Ordens. Die zehn ältesten Söhne des alten Israel würkten treulich für den Orden und schafften den unruhigen Kopf Joseph fort; aber dieser schwung sich durch seine geheimen Wissenschaften in Ägypten empor, und als er nachher seine Familie zu sich berief und sich mit dem Orden wieder aussöhnte, legte er in die höhern Grade desselben die Kunst der Traumdeutung und andre geheime Wissenschaften, die er den Magiern abgelernt hatte, hinein, zeigte auch einen eifrigen Ordensgeist, indem er alle Untertanen des Königs Pharao durch Finanzoperationen zu Leibeignen machte.

Das jüdische Volk, welches nun im Besitze der hohen Mysterien war, nahm, bei seiner Abreise aus Ägypten, die goldenen und silbernen Logengerätschaften ihrer bisherigen unrechtmäßigen Obern mit. Auf der Reise zeichnete sich unser großer Klerikus Aaron durch die Geschichte mit dem Goldnen Kalbe sehr vorteilhaft aus. Bei der Ankunft im Gelobten Lande gaben unsre Brüder warnende Beispiele für die, welche sich etwa wollten einfallen lassen, sich dem abscheulichen Laster der Toleranz zu ergeben. Bei Eroberung der Stadt Jericho gingen auch allerlei Dinge von unsrer Art und Kunst vor. Josuas Firmamentsarbeiten bewiesen seine Fortschritte in höhern Wissenschaften. Die mehrsten der folgenden Richter waren Mitglieder unsers erhabnen Ordens. Von Simson braucht wohl kaum erwähnt zu werden, daß er alle die herrlichen Taten mit den Füchsen und so ferner nicht verrichtet, das geistreiche Rätsel nicht erfunden, sich aber auch von seiner Gutmütigkeit nicht würde haben verführen lassen, der schönen Delila sein Geheimnis zu entdecken, wenn er nicht in den Grundsätzen unsers Ordens wäre erzogen worden. Was Samuel über die Rechte der Könige sagt, beweist seine tiefen, auf unsre Grundsätze des Natur- und Völkerrechts gestützten Einsichten. Nach diesen Grundsätzen handelte denn auch die ganze Reihe der jüdischen Könige, unter denen David durch den kleinen Fürstenspaß, den er sich mit Urias machte, Salomon durch seinen scharfsinnigen Richterspruch, durch seine großen Kenntnisse in reiner Architektur und durch seine tausend Gemahlinnen, die nachfolgenden Könige in Juda und Israel, alle aber durch Anwendung unsrer Systeme, im Moralischen und Politischen, sich hervortaten.

Unterdessen war unsre vortreffliche Verbindung auch unter andern Völkern ausgebreitet worden, und nachdem das jüdische Volk in die babylonische und nachher in die persische Gefangenschaft geraten war, blühete eine Menge der schönsten Logen unsers Systems in Ninive, Babylon, Sardes, in ganz Ägypten, Medien und Persien. Nebukadnezar, Sardanapal, Krösus, Kambyses, Pseudo-Smerdis, die Xerxesse, Ochus und viel andre Monarchen waren alle unsre durchlauchtigste Brüder. In den mehrsten Provinzen Griechenlands wollte es anfangs mit unsrer Praxis nicht fort. Die Verfassung der freien Republiken ist uns von jeher ungünstig gewesen. Da war kein Systemgeist, weder im Politischen noch Wissenschaftlichen. Die unglücklichen Begriffe von Freiheit, der Mangel an Subordination, die Abschaffung der unumschränkten königlichen Gewalt und Würde, die philosophischen Schulen, darin jeder lehren durfte, was er wollte – du lieber Gott! Das alles mußte notwendig unsre Operationen hindern, bis endlich der große Alexander dem Unwesen ein Ende machte und, vorzüglich in den letzten Jahren seiner glorreichen Regierung, sich als ein würdiges Mitglied unsrer Verbrüderung zeigte. Wir müssen bei dieser Gelegenheit nochmals die Bemerkung machen, daß von Anbeginn der Welt her bis auf unsre Zeiten unter allen Selbstherrschern und unumschränkten Herrn unser erlauchter Orden immer geblüht hat, und schon das allein kann seinem innern Werte und umgekehrt wieder den Vorzügen einer monarchischen Verfassung das Wort reden. Daß aber diese Behauptung wahr ist, wird sich zeigen, wenn wir die echten Grundsätze des Ordens entwickeln, die, wie man sehn wird, durchaus nicht da gedeihn können, wo sogenannte Freiheit herrscht.

Unter den Römern ging es uns herrlich, selbst in den Zeiten der vermeintlichen freien Republik, denn da waren doch noch Patrizier, Sklaven, Luxus, stehende Armeen, Priester, Auguren; und nun vollends unter den Cäsarn und Kaisern – welch ein Paradies für unsre Ordensbrüder! Wieviel verdanken wir nicht den durchlauchtigst -hochwürdigen Brüdern: August, den die Weltleute einen kalten, eiteln Pedanten schimpfen; Hadrian, Konstantin dem Großen, welcher ein Konzilium wider die Arianer veranstaltete; Justinian dem Großen, welcher die herrliche Sammlung geistvoller Gesetze, das vortreffliche Corpus juris verfertigen ließ, seiner Base Amalasuntha wegen Krieg anfing und in Regierungsgeschäften dem weisen Rate der Damen folgte – und unter den Kaisern im Orient und Okzident so vielen, die unsrer Verbindung Ehre machen.

Das ganze türkische Reich ist bis auf den heutigen Tag nach unsern Grundsätzen regiert worden.

Nicht so glücklich, besonders seit Peter des Großen Zeiten, sind wir in Rußland gewesen.

Spanien und Portugal sind noch gegenwärtig unsre besten Pflanzschulen und waren es von jeher.

In Frankreich war eine unsrer glänzendsten Perioden die der Regierung Ludwigs des Vierzehnten; die Dankbarkeit, welche ihm der Orden schuldig ist, hat unser großer Bruder Bossuet unter andern durch seine herrliche Lobrede auf die Dragonaden an den Tag gelegt.

Mit Untergange des Hauses Stuart bekamen wir in England einen großen Stoß; doch ist Hoffnung da, daß, wenn Luxus, Einfluß des Geldes bei den Wahlen, Titelsucht, Sektengeist und Hang zur Mystik fortfahren, so wohltätig, wie seit einiger Zeit geschehn, in Großbritannien sich auszubreiten, wir dort wieder ein neues Reich gründen werden.

In Dänemark sind unsre stärksten Kolonien; in Schweden, Norwegen, Polen und den Niederlanden fehlt es nicht an mutigen Kämpfern für die gerechte Sache.

In der Schweiz sind uns wenigstens einige größere Kantons treu geblieben.

Von Italien ist es bekannt genug, wie groß dort das Ansehen unsers Ordens ist. Was hätten auch die Päpste, besonders der unvergeßliche Alexander der Sechste, ohne unsern Beistand ausrichten wollen?

Von allen Jahrhunderten ist vorzüglich das sogenannte mittlere Zeitalter reich an unsern Taten. Die vermaledeiete Reformation drohete uns den Untergang; aber zum Glück sind ihre Folgen nicht ganz so ausgedehnt geworden, als zu befürchten war, und unsre hochwürdigen Obern arbeiten mit Eifer daran, daß es dahin nicht komme.

Soviel aber lehrt uns die Geschichte, daß von Anbeginn der Welt her in allen Ländern, außer in denen, wo die bürgerliche Verfassung auf die gefährlichen Grundsätze von Freiheit und Gleichheit und bloßer gesetzlicher Unterwerfung beruhte, die Völker immer nach unsern Grundsätzen sind regiert worden. Auch hat allein uns die Welt die größten und herrlichsten Anstalten zu danken, welche aber nur in despotischen Staaten gedeihen können, als da sind: Inquisitionen, Tortur, Leibeigenschaft, Bücherzensur, lettres de cachet, Stiftung von Ritter- und Mönchsorden, Bluthochzeiten, Religionskriege u. dgl.

Da wir uns billigerweise aller Schmeicheleien enthalten, so wollen wir hier nicht namentlich die jetzt lebenden hohen Potentaten nennen, die wir vorzüglich als durchlauchte Brüder verehren (sie möchten uns einige Empfindlichkeit über ihre beleidigte Bescheidenheit zeigen), können jedoch, zum Troste jedes Aufzunehmenden, auf unsre Ehre versichern, daß noch jetzt viel gekrönte Häupter, große und kleine Fürsten, die eifrigsten Mitglieder unsrer Verbindung sind.

Leider! nur haben wir in manchen Ländern heftig zu kämpfen, werden aber überwinden, ja, überwinden. Von dem abtrünnigen Frankreich wollen wir gar nicht reden; allein man nehme nur einmal, wie es jetzt in Teutschland, besonders in den unglücklichen ober- und niedersächsischen Kreisen aussieht! wie frei dort die Menschen reden, schreiben, denken und atmen dürfen! wie sehr sich in Preußen die Denkungsart verändert hat, wenn man sich dagegen in die Zeiten von Friedrich, dem ersten Könige von Preußen, zurückdenkt, welcher deswegen die Vermählung mit der Prinzessin von Nassau nicht vollzog, weil ihre Mutter ihr, an dem feierlichen Tage, die Schleppe nicht nachtragen wollte, und deswegen die Holländer mit Zurückziehung seiner Armee bedrohete, weil die Gesandtin, eine Frau von Lintlo, der Gräfin von Wartemberg in Berlin am Hofe mit Faustschlägen den Rang streitig machen wollte – oh! wo sind jene goldnen Zeiten hin? – Doch sie werden ad majorem Dei gloriam wiederkommen; allein es ist Zeit, Ernst zu zeigen, sonst windet man uns hochwürdigen Pinseln das Ruder, das wir solange in der ganzen polizierten Welt geführt haben, aus der Hand.

Wir haben bis dahin nur von der Geschichte des Ordens in Rücksicht auf die politische Verfassung der Welt geredet; was nun die Gelehrsamkeit und Literatur betrifft, so hätten wir ein weites Feld vor uns, wenn wir entwickeln wollten, welchen Einfluß unser erhabner Orden darauf von Anbeginn der Welt her und vorzüglich seit Erfindung der Buchdruckerkunst gehabt hat. Hieran kann niemand zweifeln, wenn er bedenkt, daß gewiß von jeden zwölf Bogen, die jemals sind gedruckt worden, eilf mit unsern Grundsätzen angefüllt sind. Man betrachte doch nur, besonders in Teutschland, Frankreich und Holland, die herrliche Menge theologischer, besonders polemischer, exegetischer, homiletischer, asketischer Schriften, die Legenden, die Werke unsrer lieben Kirchenväter, die Arbeiten der scholastischen Philosophen, die Kommentarien über die römischen Gesetze, die philologischen und medizinischen Streitschriften, die mystischen, magisch-kabbalistischtrosophisch-theurgischen, alchimistischen und astrologischen Bücher, die Produkte mancher Freimaurer-Sekten, die zahllosen Romane, Märchen, Schauspiele, kritischen und ändern Journalen und Versesammlungen! – Und wer dann noch unsre Einwürkung mißkennt, der ist mit sehenden Augen blind. Vorzüglich tätig aber haben sich unsre Mitglieder in den neuern Zeiten in der schönen Literatur gezeigt. Sie haben die Kunst verstanden, bald diesen, bald jenen einförmigen Ton anzugeben, den dann alle junge Schriftsteller ganze Perioden hindurch fortgeleiert haben. Bald war es Tändelei, bald Sturm und Drang, bald Anakreontismus, bald unbändiges Geniewesen, bald Empfindsamkeit, bald Physiognomik, bald Mystik, bald Weltbürgergeist, bald Bardenton, bald Idyllensprache, bald altteutsches Ritterwesen. Und so künstlich wissen dies unsre erhabnen Obern zu veranstalten, daß sie selbst die Gedanken, Form, Art und Weise der Werke solcher verruchten Weltkinder, als Shakespeare, Yorick, Goethe, Wieland, Geßner, Klopstock, Schiller und andre sind, zu nützen wissen, um durch Nachahmung derselben die Manier dieser Unholde nach unserm Fuße zu behandeln und zu unsern Zwecken zu nützen.


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