Adolph Freiherr Knigge
Der Traum des Herrn Brick
Adolph Freiherr Knigge

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Des seligen Herrn Etatsrats Samuel Conrad von Schafskopf hinterlassene Papiere; von seinen Erben herausgegeben

Die Narren sollten einem Schriftsteller danken, wenn er ihre Torheiten so schildert, daß sie selbst in allen Ehren darüber mitlachen können; aber sie verraten sich mehrenteils durch Zorn.

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Bruchstücke aus der Lebensbeschreibung des Herrn Etatsrats von Schafskopf; von ihm selbst gesammelt

Meine Familie ist bekanntlich eine der ältesten, angesehensten und ausgebreitetsten in unserm Vaterlande; ein Zweig derselben aber hat sich in Dänemark niedergelassen und dort vorzüglich sein Glück gemacht. In Teutschland sind, besonders an einigen kleinern Höfen im ober- und niederrheinischen Kreise, oft die wichtigsten Hof- und Staatsbedienungen mit meinen Verwandten besetzt, ja, so wie in manche Domstifter nur Personen aus gewissen Familien aufgenommen werden, so wie der Kaiser, wenn er bei seiner Krönung Ritter schlagen will, erst fragen muß: »Ist kein Dalberg da?«, so gibt es Provinzen, in denen niemand zu einer Ehrenstelle gelangen kann, der nicht, durch Geburt oder Heirat, zu dem Stamme derer von Schafskopf gehört. Die mehrsten meiner Verwandten aber leben, als Landedelleute, auf ihren Gütern. Dies war auch bei meinem wohlseligen Herrn Vater der Fall. Er wohnte mit den Seinigen auf unserm Gute Hammelsburg, war in seiner Jugend Kadett in holländischen Diensten gewesen, hatte sich aber hernach, als er vierundzwanzig Jahre alt war, in Ruhe gesetzt und für hundert Dukaten einen Kammerherrn-Schlüssel gekauft, wodurch er dann Generalmajorsrang bekam.

Ich war in meiner ersten Jugend ein wenig schwächlich, wurde desfalls sorgfältig gewartet und gepflegt, sehr warm gehalten, auch vor frischer Luft und vor körperlicher Bewegung bewahrt. Bis in mein vierzehntes Jahr erhielt ich meine Erziehung von meiner Mutter und vier alten Tanten, die würdige Frauenzimmer waren und die sich gewiß in ihrer Jugend würden verheiratet haben, wenn sie nicht unglücklicherweise verwachsen gewesen wären. - Lieber Gott! Seine Gestalt hat man sich nicht selber gegeben; aber heutzutage sieht man, leider! immer bei dem Heiraten auf das Äußere. – Sobald ich konfirmiert war, verschrieb mein wohlseliger Herr Vater einen Informator für mich. Es war ihm daran gelegen, einen Mann von exemplarischer Rechtgläubigkeit zu finden; desfalls mietete er einen jungen Gottesgelehrten aus dem Württembergischen, der in einem der dortigen Seminarien der Geistlichkeit war abgerichtet worden. Er gab diesem einen guten Lohn und ließ ihn, wenn wir keine Fremde hatten, mit an unserm Tische speisen. Mein Gedächtnis ist von jeher nicht sehr gut gewesen; allein meinem Herzen gab der Magister Psalmann immer das beste Zeugnis. Der gute Mensch bekam aber bald einen Ruf in sein Vaterland und heiratete meiner wohlseligen Frau Mutter Kammermädchen, worauf denn mein Herr Vater seliger beschloß, mich auf die Schule nach Kloster Bergen zu schicken. Hier ließ ich es, ohne mich zu rühmen, unter Gottes Segen an gutem Willen und Fleiße nicht fehlen, war aber fast immer mit Schnupfen und Husten geplagt. Als endlich mein Vater seliger glaubte, daß ich alt genug wäre, auf Universitäten zu gehn, zog ich mit einem Bedienten nach Rinteln und, anderthalb Jahre nachher, nach Kiel. Ich habe viel Kollegia gehört, besonders in Rinteln; in Kiel waren die mehrsten Professoren damals verreist. Ich hielt mir auch einen Repetenten und ließ alles in Hefte aufschreiben, die sich noch unter meinen Papieren finden müssen; mein alter Bedienter Jakob weiß Bescheid, wo sie liegen.

Grade als ich lange genug studiert hatte, starben meine wohlseligen Eltern beide. Bei meinem Herrn Vater seliger waren wohl Hämorrhoidal-Umstände mit im Spiele; was aber der Mama gefehlt hat, weiß ich nicht. Der Pastor Rehbock hat beiden die Parentationen gehalten, die gedruckt sind und sich noch unter meinen Papieren finden müssen. Jakob weiß auch, wo sie liegen und daß ich damals honett dafür bezahlt habe.

Der eine Professor in Kiel (sein Name ist mir wieder entfallen; sie sagten aber alle, er wäre ein sehr geschickter Mann) riet mir, auf Reisen zu gehn, und gab mir sieben Briefe mit. Ich reiste erst im Osnabrückschen und Westfälschen herum, auch über Bremen, wo der große Roland auf dem Markte steht, und ging denn ganz hinauf bis nach Straßburg, wo sogar die gemeinen Leute französisch sprechen können. Was ich Merkwürdiges sah, das schrieb ich alles auf in ein Buch; das Buch wird sich auch noch wohl finden, wenn Jakob nachsucht.

Am besten gefiel mir's auf dieser Reise in Mannheim. Das ist des Kurfürsten von der Pfalz seine Residenz und die schönste Stadt, die ich je gesehn habe; lauter kleine niedliche Häuser! Da hatte ich nun einen Brief abzugeben an einen Professor, der ein Jesuit war, aber sonst ein sehr ehrlicher Mann. Derselbe riet mir, in pfälzische Dienste zu treten, welcher Vorschlag mir ungemein wohl anstand. »Es taugt nicht«, sagte mein Herr Vater seliger immer, »wenn ein junger Mensch sich nicht erst eine Zeitlang in der Welt umher versucht, ehe er sich zur Ruhe begibt.« Nun hatte er, wie ich schon erzählt habe, in Kriegsdiensten gestanden; allein dies unruhige Leben paßte nicht für mich; ich wollte lieber so im Zivil etwas werden, hauptsächlich, weil ich doch auf Universitäten gewesen war. Da jedoch mein Gedächtnis schwach ist, wie ich auch schon erzählt habe, so konnte ich mich eben nicht immer auf das besinnen, was ich gelernt hatte, und wollte mich daher nicht gern examinieren lassen, wie es in einigen Ländern üblich ist. Das war aber hier nicht nötig. Der Herr Professor in Mannheim machte mich mit einem Juden bekannt, und dieser brachte es durch sein Vorwort dahin, daß ich Hofkammerrat wurde. Mit der Arbeit ging es nun anfangs nicht sonderlich, bis ich erst in die Gewohnheit kam; aber der Herr Professor half mir, und zuletzt konnte ich ganz ohne Beistand fertig werden und habe drei Jahre hintereinander die neue Auflage vom pfälzischen Staatskalender ganz allein besorgt.

Der Herr Professor führte mich auch in einem Hause ein, wo ich ein hübsches Fräulein fand, welches mir bald ausnehmend gefiel. Mein einziger Anstoß war, daß sie sich zur katholischen Religion bekannte; aber der Herr Jesuit benahm mir gänzlich den Widerwillen dagegen und vermochte mich, um das Fräulein anzuhalten, welche mich auch heiratete. Er machte mir begreiflich, daß bald ein Hirt und eine Herde unter den Christen sein würde. Hernach war ich bei den Katholiken wie zu Hause, und wenn in Heidelberg um Ostern die Prozession gehalten wurde, lieh ich immer meinen damastnen Bräutigams-Schlafrock an den, welcher den Moses mit den Hörnern vorstellte.

Meine Frau Liebste hatte viel Freunde unter den Vornehmen. Der Herr Minister selbst war uns sehr gewogen und bewürkte, daß ich in München eine gute Stelle erhielt. Als nun die Untersuchung gegen die schändlichen Illuminaten anging, wurde ich auch dabei gebraucht und erwarb mir das Zutraun des Herrn von Kreittmayr, von Dummhof und des hochwürdigen Paters Frank. Es war in der Tat Zeit, daß diese Leute ausgerottet wurden, sonst würde es bald in Bayern ausgesehn haben, wie es, leider! in andern Ländern, zum Beispiele im Preußischen, Hannöverschen, Braunschweigischen und in Sachsen aussieht. Kaum war auch dies Illuminaten-Nest zerstört, so fanden die Angesehensten unter den Verführern, die mit der Rotte Coran, Datan und Abyram vergleiche, allerorten, sogar in Wien, Schutz und Ehrenstellen – so verderbt ist die Welt, außer Bayern.

In München hatte ich auch das Glück, in die gebenedeiete Brüderschaft der teutschen Gold- und Rosenkreuzer aufgenommen zu werden und es bei selbiger in kurzer Zeit, durch Gottes Segen, ziemlich weit zu bringen. Diese erhabne Brüderschaft besitzt das natürlich-magische Urim und Thummim, das rechte Urimasda, Asch-Jah oder das Feuer Gottes, durch welches sie der ganzen Natur ins Herz sehen, Kunst, Weisheit und Tugend erlangen, Gott gefallen und den Menschen dienen können, und dieses von bösen Menschen verfolgte Häuflein ist es, wovon Jesaias, Kap. LIV, Vers 11, sagt: »Du Geplagte, von allen Wettern Zerrüttete und du Trostlose! Siehe, ich bin, der deine Steine nach der Reihe in Puch setzt und will dich gründen mit Saphiren; deine Tore sollen Karbunkel sein und alle deine Grenzen Steine des Verlangens.«

Es konnte aber meine Frau Gemahlin die Luft in München und das Bier nicht vertragen; deswegen bat sie mich, diesen Ort zu verlassen, und brachte es dahin, daß ich wieder in Mannheim, und zwar beim Lotto, angesetzt wurde. Vorher machten wir, ihrer Gesundheit halber, eine Reise nach dem Wilhelmsbade. Dies ist ein berühmter Brunnenort bei Hanau. Man speist vortrefflich da und kann auch allerlei mineralische Wasser bekommen.

Dort machten wir die Bekanntschaft eines artigen jungen Offiziers unter einem kaiserlichen Freibataillon. Derselbe war, wie sich's fand, ein Vetter von meiner Frau Gemahlin und bezeugte ihr und mir desfalls viel Freundschaft. Da ich mit ihm zuweilen von geheimen Bündnissen redete, so lenkte er meine Aufmerksamkeit auf den alten, berühmten Pinselorden und versprach, mir zu der Aufnahme in denselben zu verhelfen. Ich hatte diese Verbindung nie, wenigstens unter dem Namen nicht, gekannt, obgleich meine hochwürdigen Rosenkreuzer-Obern, wie ich nachher erfuhr, mit ihr in genauen Verhältnissen standen und größtenteils nach gleichförmigen Planen handelten. Was mich noch mehr für dieses Bündnis einnahm, war, daß mir auch mein Freund, der Jesuit und Professor in Mannheim, als ein Mitglied desselben genannt wurde. Ich mußte aber, um zur Aufnahme zu gelangen, eine Reise nach Nürnberg machen, welche Mühe und Unkosten ich mich auch nicht verdrießen ließ. Der Lieutenant, welcher mir Empfehlungsbriefe an einige Patrizier und andre angesehene Mitglieder des Ordens in Nürnberg mitgab, hatte noch die Gefälligkeit, während meiner Abwesenheit, meiner Frau Gemahlin, die in Mannheim blieb, Gesellschaft zu leisten.

Die ganze Einrichtung nun dieses hochverehrten Pinselordens fand ich, meinem schlechten Verstande nach, vortrefflich. Ich habe alle Papiere, welche die Verfassung desselben betreffen und mir mitgeteilt wurden, sorgfältig aufgehoben. Jakob hat sie mir neulich noch in ein Bündel binden müssen, und wenn ich einmal aus diesem Jammertale abgerufen und in das himmlische Jerusalem versetzt werde, woselbst ich zu den Füßen des großen Zoroasters, Athanasii, Kircheri, Asch-Mezareph und andrer Weisen-Meister das echte Buch Jazirah und die Alphabete des Notariakon und der Gematria studieren werde, dann sollen meine Erben, will's Gott, jene Papiere, zur Belehrung der argen Welt, in Druck herausgeben.Welches in den folgenden Blättern hiemit geschieht.

So weit reichen die von dem Herrn Etatsrate von Schafskopf selbst zu Papier gebrachten Nachrichten von seinem Lebenslaufe. Wir, die Herausgeber, fügen denselben nur noch die Erzählung folgender Umstände hinzu: Unser wertester Herr Vetter bekam, nachdem er einige Jahre der wohltätigen Anstalt des Lotto in Mannheim vorgestanden hatte, vermutlich durch Mitwürkung der geheimen Bündnisse, in welchen er zu stehn das Glück hatte, einen Ruf nach Hessen, welchen er annahm. Hier widmete er sich vorzüglich den sogenannten höhern Wissenschaften, als da sind: Alchimie, Trosophie, Erfindung der Universalarzenei und Geisterzwang. In diesem Lande behauptete er nun, wie er zu sagen pflegte, recht in seinem Elemente zu sein. Dennoch verließ er dies Gosen, weil er sich, durch Familienverhältnisse und höhere Protektion, eine Aussicht in Dänemark eröffnet hatte. Dahin zog er also, bekam den Titel als Etatsrat, kaufte sich ein Gut im Holsteinischen und starb auf demselben in vorigem Jahre an der Wassersucht. Seine Kinder sind sämtlich aufs beste versorgt.


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