Adolph Freiherr Knigge
Der Traum des Herrn Brick
Adolph Freiherr Knigge

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Dreiundzwanzigstes Kapitel

Kriegswesen. Handlung

Wir können nie in den Fall kommen, einen offensiven Krieg zu führen. Zufrieden mit unserm Zustande, wenn Fleiß, Industrie, Einfalt der Sitten und Frieden bei uns herrschen, bauen wir unsre Felder, verarbeiten unsre Produkte und begehren nichts von dem, was fremde Völker besitzen. Unser Land ist groß genug, um doppelt soviel arbeitsame Menschen zu ernähren, als jetzt darin leben; also suchen wir auch unsre Grenzen nicht zu erweitern. Überdies halten wir es für unnatürlich und den ersten Rechten der Menschheit zuwider, daß ein Staat sich die Befugnis anmaße, durch Eroberung, Tausch oder Vertrag ein anders Land an sich zu bringen, wenn er nicht weiß, ob die Einwohner desselben damit zufrieden sind, daß sie nun von andern Menschen regiert werden sollen. Denn wenn nun auch alte Usurpationen gegen die heiligen Menschenrechte ewig gültig bleiben und Völker, die vor tausend Jahren ihren Nacken unter das Joch eines einzelnen gekrümmt haben, immerfort auch noch den späten Nachkommen dieses einzelnen sklavisch gehorchen sollen, so empört doch das alle gesunde Vernunft, daß diese Herrschersfamilien das Recht haben sollen, sich einander Länder und Völker zu schenken, zu verkaufen oder zu rauben, wie man Herden Vieh veräußert.

Wir führen also keine offensive Kriege; allein wir müssen uns in einem solchen Stande erhalten, daß wir, sobald ein unruhiger Nachbar uns angreift, gerüstet seien, ihm mit einem starken und geübten Heere die Spitze zu bieten.

Zu diesem Endzwecke bleibt jeder Bürger bis in sein sechzigstes Jahr Soldat und muß in das Feld, sobald die Not es erfordert, ist in seinem Provinzialregimente eingeschrieben, hat in seinem Hause eine vollständige Kriegskleidung und Bewaffnung liegen und wohnt jährlich vierzehn Tage lang, wenn die Waffenübungen vorgenommen werden, denselben bei. Die übrige Zeit kann er ruhig zu Hause bleiben.

Drei Jahre seines Lebens hindurch muß aber jeder Abyssinier, auch in Friedenszeiten, fortgesetzt als Soldat dienen. Diese fangen mit seinem zwanzigsten Jahre an, das heißt, bevor er sich häuslich niederläßt. Ihm wird dann vom Staate eine vollständige Kleidung gegeben, die er aber hernach auf seine Kosten unterhalten muß; er lernt den Dienst und muß alles tun, was einem Soldaten obliegt; der Staat gibt ihm nur Brot; allein da er, wie man nachher hören wird, in seiner Heimat bleibt und nebenher seinen Unterhalt erwerben kann, man ihn auch für die öffentlichen Arbeiten, wozu das Heer gebraucht wird, zum Beispiel Straßen, Dämme, Wasserleitungen etc. anzulegen, besonders bezahlt, so kann er keinen Mangel leiden. Dieser Dienst ist aber nicht schwer, und wird ein Jüngling dadurch gewiß nicht in der Wissenschaft, der Kunst oder dem Handwerke, das er gewählt hat, binnen diesen drei Jahren zurückkommen, indem ihm Zeit genug übrigbleibt, sehr viel nebenher zu arbeiten. Nach Verlauf der drei Jahre geht er nach Hause und ist, außer den jährlichen vierzehn Tagen, wo die Waffenübungen getrieben werden, und außer dem Falle, wenn Krieg entsteht, völlig frei.

Jede Provinz hält in Friedenszeiten nur ein Regiment, das aus zwölf Kompanien, drei zu zweihundert und neun zu hundert Mann, besteht. In jedem der drei großen und neun kleinen Dörfer liegt eine dieser zwölf Kompanien, die aus den Jünglingen desselben Dorfs zusammengesetzt ist, so daß also keiner durch seinen Soldatendienst sich von seiner Heimat entfernt. Dies macht zuerst, in den zwölf Provinzen, ein Kriegsheer von achtzehntausend Mann, das in Friedenszeiten auf den Beinen und zur innern Sicherheit und den öffentlichen Arbeiten hinlänglich ist. Sobald eine Armee zur Verteidigung des Reichs zusammentreten und nun jeder Bürger unter sechzig Jahren die Waffen ergreifen muß, werden aus jedem kleinen Regimente vier stärkere gemacht. Dann haben wir ein furchtbares Heer, furchtbarer noch, weil es nicht aus Mietlingen und Fremden, sondern aus freien Menschen besteht, die für ihr Eigentum und ihre Ruhe fechten.

Die Städte liefern die Artilleristen, Ingenieurs, Pontoniers und Pioniers. Jeder Stadteinwohner muß sich gleichfalls im zwanzigsten Jahre zu einem von diesen Korps einschreiben lassen und bekömmt, während seiner drei Dienstjahre, unentgeltlich Unterricht in den dazu erforderlichen Kenntnissen.

Nur wenn Krieg entsteht, schafft der Staat Kamele und Elefanten an und besetzt diese mit einem Korps von Freiwilligen, die bald eine Fertigkeit erlangen, mit diesen Tieren gegen den Feind zu operieren, da überhaupt die Abyssinier zu Leibesübungen sehr geschickt sind. Übrigens machen wir, weil wir nur Verteidigungskriege führen, wenig Gebrauch von Reiterei.

Das bleibende Heer der Jünglinge übt sich jahraus, jahrein täglich eine Stunde in den Waffen. In einer Jahreszeit aber, wo der Landmann am wenigsten Geschäfte hat, wird die vorhin erwähnte größere Übung, vierzehn Tage hindurch, von allen Mitbürgern unter sechzig Jahren vorgenommen. Alsdann zieht sich in dem Mittelpunkte jeder Provinz das kleine Provinzialkorps, welches dann aus vier Regimentern besteht, zusammen, zu welchem die Korps aus den vier Städten stoßen und mit jenen gemeinschaftlich allerlei Kriegsevolutionen machen.

Wir halten es nicht für zweckmäßig, in unsern eigentlichen Schulen den Kindern Anweisung in körperlichen Übungen geben zu lassen. Bis zum fünfzehnten Jahre kann man die Stunden besser anwenden, und solange der Körper noch im ersten Wachstume ist, können Anstrengungen von der Art gefährlich werden. In jeder Stadt aber unterhält die Obrigkeit ein paar Männer, die in einem öffentlichen Gebäude Unterricht im Ringen und besonders im Reiten und schnellen Lenken der Kamele geben. Hier wird kein Schüler, der unter fünfzehn Jahre alt ist, angenommen. Wer Vermögen hat, muß dafür bezahlen, eine gewisse Anzahl Ärmerer aber wird ein Jahr lang unentgeltlich unterrichtet. Auf diese Weise kann doch nach und nach die sämtliche Jugend in den Städten sich in Leibesübungen geschickt machen. Monatlich an einem gewissen Tage stehen die dazu bestimmten Gebäude jedermann offen; dann können auch die, welche grade zu der Zeit keinen Unterricht mehr genießen, den Platz betreten und mit den Schülern wetteifern. Für die Landleute halten wir eine solche Anstalt überflüssig. Die Beschäftigungen, die bei dem Ackerbaue vorfallen, stärken den Körper hinlänglich; doch ermuntert die Obrigkeit das junge Volk in den Dörfern, an den beiden monatlichen Ruhetagen, die künftig, statt des ehemaligen wöchentlichen Sonntags, in ganz Abyssinien einzuführen sind, sich mit allerlei körperlichen Übungen, im Laufen, Springen, Ringen, Nach-dem-Ziele-Werfen und dergleichen, zu belustigen, und teilt dann Preise an die Geschicktesten aus. Was aber jenen monatlichen Tag in den Städten betrifft, so pflegen da viel Zuschauer gegenwärtig zu sein, und reiche Mitbürger machen sich das Verdienst, kleine Preise für diejenigen Jünglinge zusammenzulegen, die sich dabei vorzüglich auszeichnen. – Das sind unsre Schauspiele! Jährlich aber ist in jeder Stadt ein Festtag angesetzt, an welchem jene Gebäude von innen verziert und dann, bei dem Klange musikalischer Instrumente, große Wettübungen vorgenommen werden. Hier bezahlt jeder Zuschauer einen freiwilligen Beitrag, und von diesem Gelde werden denen, die an dem Tage besondre Ehre einlegen, Geschenke gereicht. Auf solche Weise erlangen wir, daß unsre Krieger keine unbehülfliche, bloß nach dem Stocke abgerichtete Maschinen sind, sondern daß ihr Körper stark und biegsam wird.

Ich muß nun sagen, auf welche Weise wir unsre Offiziersstellen besetzen. Da die ältern Mitbürger, binnen den vierzehntägigen jährlichen Waffenübungen, Gelegenheit haben, die Fähigkeiten der einzelnen jungen Leute kennenzulernen, so beruft jede Ortsobrigkeit, an dem letzten dieser vierzehn Tage, die zwölf Ältesten unter jenen Männern zusammen und läßt durch diese aus der Kompanie des Orts vier Unteroffizier unter den Jünglingen für das folgende Jahr wählen. Es muß aber ein solcher, der Unteroffizier werden soll, schon zwei seiner Dienstjahre zurückgelegt haben. Die übrigen Unteroffizier, nämlich die, welche, wenn die ganze Kompanie von alten und jungen Leuten beisammen ist, erforderlich sind, werden gleichfalls auf diese Weise gewählt, bekleiden aber lebenslang ihre Stellen und treten in Verrichtung, sobald sich die Kompanie zusammenzieht.

Jede Kompanie des bleibenden Heers der Jünglinge hat einen Hauptmann, zwei Lieutenante und einen Panierträger. Diese werden von der Ortsobrigkeit, mit Zuziehung der zwölf Ältesten, ernannt und behalten ihre Stellung lebenslänglich; denn auf ihre Erfahrung, Übung und Geschicklichkeit muß sich der Staat bei Bildung der jungen Mannschaft verlassen. Sie werden besoldet und avancieren unter sich bis zum Hauptmanne. Zu der größern Armee werden gleichfalls die Kompanieoffizier ernannt, die auch ihre Stellen lebenslang behalten, aber, da sie nur in der Exerzierzeit und im Kriege in Funktion treten, nicht besoldet werden.

Die Stabsoffizier wählt das Provinzialkollegium aus den Hauptleuten der Provinz. Sie bleiben immer in ihren Stellen, bekommen aber in Friedenszeiten keinen Gehalt.

Die Heerführer wählt die Nationalversammlung, sobald ein Krieg entsteht.

Jeder Hauptmann erstattet Bericht von dem Zustande seiner Kompanie an die Obrigkeit des Orts, die auch bei den Hauptwaffenübungen gegenwärtig ist. Da alle Abyssinier geübte Soldaten sind, so ist nie zu befürchten, daß unsre Magistratspersonen unwissend in diesem Fache sein sollten.

Wenn Krieg entsteht, so müssen zwar alle Mitbürger sich fertig halten, die Waffen zu führen; allein Städte und Dörfer dürfen deswegen nicht leerstehen, die Felder nicht unbebauet bleiben, noch die Geschäfte der Handwerker und Künstler ruhen. Die Obrigkeiten sorgen also dafür, daß, außer den Fällen der äußersten Not, niemand ins Feld rücke, der seinem Hauswesen unentbehrlich ist.

Im Kriege werden alle Soldaten aus der Staatskasse besoldet, und wenn diese den Aufwand nicht bestreiten kann, so werden sich's die Mitbürger gefallen lassen, eine außerordentliche Steuer zu bezahlen.

Es ist vorhin von einer Kriegskleidung geredet worden. Man muß sich dabei aber keine europäische bunte Soldatenröckchen denken, die dem Auge den lächerlichen Kontrast zwischen Armseligkeit und Flitterglanz darstellen. Unsre Soldaten sollen nicht glänzen; ihre Kleidung ist bequem, zweckmäßig, dem Klima angemessen, so wohlfeil als jede andre bürgerliche Kleidung und zeichnet sich nur dadurch aus, daß sie gleichförmig ist, die Provinzen sich aber durch die Farben unterscheiden. – Dies sei genug von unserm Kriegswesen; reden wir nun von dem Handel!

Wir kennen alle die schönen Floskeln, die sich über die Glückseligkeit, den Reichtum und den Wohlstand eines Landes, das einen vorteilhaften großen auswärtigen Handel treibt, sagen lassen; allein da wir uns fest vorgenommen haben, bei Einrichtung unsrer Staatsverfassung von Grundsätzen auszugehen, die nur auf gesunder Vernunft beruhen und über alle konventionelle Ideen und verjährte Vorurteile hinausgehen sollen, so gestehen wir, daß, wenn wir so glücklich sind, Abyssinien zu dem innern Flor zu bringen, nach welchem wir ringen, wir den Nationen, die durch auswärtigen Handel reich werden, ihre Glückseligkeit nicht beneiden. Wenn alle unsre Felder bebauet und fruchtbar sind, wenn wir dann Früchte genug ziehen, um, auch bei zunehmender Bevölkerung, uns reichlich zu sättigen, wenn wir alle unsre rohen Produkte selbst bearbeiten, alle unsre Bedürfnisse befriedigen können, kurz, wenn unser Land, wie es denn wirklich dazu imstande ist, uns alles liefert, was zur Notdurft und Annehmlichkeit des Lebens gehört, so begnügen wir uns gern mit diesem innern wahrhaften Reichtume und wollen lieber die echte Arbeitsamkeit unsrer Mitbürger als ihre Habsucht ermuntern. Wir möchten lieber auf die hochgepriesenen Vorteile, die der Handel gewähren soll, auf die Vermehrung und Ausbreitung so mancher nützlichen Kenntnisse, Vervollkommnung der Künste und dergleichen Verzicht tun, um nicht zugleich ihr trauriges Gefolge, den übertriebnen Luxus, die Entstehung so mancher unnützen Bedürfnisse, Unmäßigkeit, Korruption der Sitten, Verstimmung des Charakters, Verlust der Originalität, ausländische Krankheiten und Torheiten, Wuchergeist, Untreue und unzählige andre Verderbnisse mit aufnehmen zu müssen. Der Staat wird also nie den geringsten Schritt tun, um den Handel der Privatleute in fremde Länder zu befördern, doch will er auch nicht hindern, daß unsre Mitbürger ihre überflüssigen Produkte und diejenigen Waren und Fabrikate, deren man im Lande nicht bedarf, an fremde Nationen verkaufen.

Es steht also jedermann frei, einen uneingeschränkten Handel in und außer Lande zu treiben und jedes Landesprodukt aus dem abyssinischen Reiche auszuführen.

Von den ausgehenden Gütern wird nicht der geringste Zoll entrichtet. Ausländische Waren hingegen dürfen der Regel nach durchaus nicht in das Land eingeführt werden, bei Strafe der Konfiskation. Sollten vorerst, bis alle unsre Fabriken in vollem Gange sind, einige Artikel davon ausgenommen werden müssen, so wird von diesen der zehnte Teil des Werts als Zoll abgegeben.

Der Staat selbst aber treibt in und außer Lande einen Handel, der für das Reich höchst vorteilhaft ist. Er läßt durch Agenten den Überfluß der in den öffentlichen Fabriken und Manufakturen verfertigten Waren fremden Nationen für bares Geld verkaufen. Er häuft in den Magazinen Früchte und Waren aller Art auf und schlägt diese, sobald die Wucherer eine Teurung verursachen wollen, zu billigen Preisen los, so daß alle Artikel der Notdurft und der Gemächlichkeit stets in ganz Abyssinien in einem Mittelpreise bleiben. In diese Magazine kann auch jeder seine guten Waren, statt sie mit Unkosten auf fremde Märkte zu bringen, jedoch zu einem niedrigem Preise, abliefern und empfängt bares Geld dafür.

Die größten und wichtigsten Magazine dieser Art haben wir an den vornehmsten Grenzörtern angelegt. Dort werden auch zu gewissen Zeiten im Jahre große Märkte gehalten, wodurch wir zu bewirken hoffen, daß die Fremden die Kaufmannsgüter, deren sie bedürfen, dort abholen und daß nicht, unter dem Vorwande des Handels, müßige Ausländer in dem Innern unsers Reichs herumschleichen.


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