Adolph Freiherr Knigge
Der Traum des Herrn Brick
Adolph Freiherr Knigge

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Fünftes Kapitel

Der Kronprinz erlebt einen verdrießlichen Vorfall, verläßt die hessischen Dienste und geht wieder auf Reisen

Ich habe vorhin gesagt, daß unsre letztre Reise keine lobenswerte Veränderung in der Gemütsart und in den Sitten des Kronprinzen von Abyssinien bewirkt hatte und daß dies unangenehme Vorfälle nach sich zog; jetzt komme ich zu der Erzählung dieses Umstandes.

Die Ausschweifungen, denen sich Seine Hoheit ergab, hatten seine Natur geschwächt. Er war nicht mehr so leicht aus dem Schlafe zu wecken als ehemals und mehrenteils übler Laune, wenn er aus dem Bette aufstand. Eines Tages, da sein Kammerdiener vergebens sich bemüht hatte, ihn zu gehöriger Zeit auf die Beine zu bringen, erschien er vor seines Hauptmanns Hause, als die Kompanie schon nach dem Paradeplatze marschiert war. Der Kapitän, ein Herr von Natsmer, der überhaupt den Ruf hatte, ein wenig strenge im Dienste zu sein, fragte den Prinzen, als er sich endlich bei der Kolonnade am Schlosse einfand, warum er so spät käme. Seine Hoheit nahmen dies sehr ungnädig, antworteten etwas naseweis und wurden (es tut mir leid, daß ich es erzählen muß), nachdem man Ihnen erst zwanzig derbe Stockprügel hatte zumessen lassen, verurteilt, einige Stunden krummgeschlossen zu werden.

Sobald ich Nachricht von dieser unehrerbietigen Behandlung erfuhr, begab ich mich zu dem Herrn General, Kommandanten und Obersten der ersten Garde, bat, versprach, drohete sogar mit der strengsten Ahndung von selten Seiner abyssinischen Majestät, mußte aber die Demütigung erleben, daß auf dies alles nicht geachtet und mir sogar bedeutet wurde, ich sollte mich bescheidner ausdrücken, wenn ich nicht Lust hätte, an mir selber eine kleine Exekution vollziehen zu lassen. Was war also zu tun? Der Prinz mußte seine Strafe aushalten.

Wütend kamen Seine Hoheit aus der Wachstube in Ihr Hotel zurück; ich tat alles, um den Prinzen zu trösten. »Man muß«, sagte ich, »aus jedem widrigen Vorfalle im menschlichen Leben nützliche Lehren zu ziehen suchen. Unsers allergnädigsten Königs Majestät haben gewünscht, daß Sie mit der militärischen Subordination bekannt werden möchten, und Sie haben diese Bekanntschaft, obgleich freilich auf schmerzliche Art, gemacht. Wer einst befehlen will, muß gehorchen lernen; auch diese Lektion haben Euer Hoheit heute erhalten. Endlich aber kann Sie dieser Vorfall noch auf wichtige Betrachtungen leiten. Sie sind von königlichem Stamme; in ganz Afrika macht man Ihnen das nicht streitig; hier hingegen will niemand Sie für einen Prinzen anerkennen; man behandelt Sie bloß als einen Menschen in den Verhältnissen von Unterwürfigkeit gegen stärkere Menschen. Dies, denke ich, müßte Euer Hoheit auf den Gedanken führen, daß es doch wohl nicht eigentlich ein allgemeines Naturgesetz ist, was gewisse Sterbliche zu Fürsten macht, sondern daß man die Rücksicht auf den Unterschied der Stände nur der Übereinkunft zu danken hat; daß die Menschen, was in ihrer Macht steht zu geben und einzuräumen, auch wieder nehmen können; daß es also höchst wichtig und nötig ist, sich Eigenschaften zu erwerben, die nicht von der willkürlichen Bestimmung des größern Haufens abhängen, sondern deren Wert von jedem Erdensohne anerkannt werden muß. Setzen Euer Hoheit nun den Fall, daß, so wie man hier nichts von Ihrer königlichen Abstammung wissen will, auch die Völker in Afrika plötzlich auf den Einfall kämen, Sie nicht mehr für vornehmer halten zu wollen als jeden andern Bürger im Staate, dann, gnädigster Herr, würden Sie doch wirklich aufhören, Fürst zu sein, weil Sie nur dadurch Fürst sind, daß man Sie dafür anerkennt, weil nicht die Natur, sondern die Konvention Fürsten schafft. – Was würde Ihnen dann übrigbleiben, womit Sie sich Unterhalt, Schutz und Achtung erwerben könnten, wenn Sie nicht dafür gesorgt hätten, sich zu einem bessern Menschen zu bilden? Sie sehen hier, daß man in der Welt Schläge austeilt und Schläge bekömmt, je nachdem die äußern Umstände es mit sich bringen, und daß die Natur es nicht ist, die manche Menschengattungen geboren werden läßt, um ewig geprügelt zu werden, und andre, um immer zu prügeln.«

Sehr kräftige dauernde Eindrücke machte diese meine Predigt nun wohl nicht auf den Prinzen; aber ich tröstete mich damit, meine Pflicht erfüllt zu haben; übrigens war doch auch mir dieser Vorfall sehr ärgerlich, und da ohnehin nie zu erwarten war, daß Seine Hoheit in Deutschland zu höhern militärischen Ehrenstellen hinaufrücken würden, so glaubte ich es verantworten zu können, daß ich den Prinzen seinen Abschied fordern ließ, welcher ihm, seiner Kapitulation gemäß, nicht verweigert werden durfte. Die Begebenheit selber aber berichtete ich, mit einiger Vorsicht, nach Abyssinien und meldete dem Könige, daß wir nun unsre Reise durch Deutschland fortsetzen und auch die Höfe besuchen würden.

Von dieser Reise werde ich, wie von der vorigen, keine weitläuftige Beschreibung liefern, sondern wiederum nur einzelne Bemerkungen mitteilen, die meine Abyssinier über die Sitten und Einrichtungen in Deutschland machten, und hie und da irgendeinen Vorfall erzählen, der uns begegnete. Wir durchstreiften übrigens diesmal den größten Teil der westlichen und südlichen Provinzen meines Vaterlandes und nahmen dann, wie man hören wird, den Rückweg durch die preußischen Staaten.

Äußerst auffallend war meinen Reisegefährten die Menge und Mannigfaltigkeit der Gesetze, die Verschiedenheit des Münzfußes, des Maßes, des Gewichts, der Regierungsform, der Lebensart und der Gebräuche. Sie meinten, auf unsern Reichstagen, wo doch wohl manche wichtige Dinge verhandelt würden, möchte es der Mühe wert sein, diese Buntscheckigkeit endlich abzuschaffen. »Für Fremde und Einheimische ist das alles gleich unbequem«, sagte Manim, »in manchem deutschen Staate, der kaum drei Quadratmeilen groß ist, gibt es mehr zum Teil sich widersprechende Verordnungen, als ein Mensch, erreichte er auch Methusalems Alter, im Gedächtnisse fassen kann. Jeder Stand, jeder Ort hat seine eignen Sitten, und mit der feinen Lebensart, mit welcher man in einer Gesellschaft allgemein gefällt, gilt man in der andern für einen abgeschmackten Menschen. Die Verschiedenheit des Maßes, Gewichtes und Münzfußes macht unbeschreibliche Verwirrung und Erschwerung im Handel. Ihr rechnet nach Geldsorten, die gar nicht existieren. Der Kaufmann, der sein Hauptbuch schließen will, muß sich den Kopf zerbrechen, um die Prozente mit kurrenten, mit den Species-, mit den Banco-Talern, leichten und schwerern Gulden, Kreuzern, Stübern, guten Groschen, Mariengroschen, Albus, Dreiern, Batzen, Pfennigen, Hellern, lübischen, dänischen, flämischen Schillingen und Groten, Petermännchen und, Gott weiß! mit welchem Zeuge zu vergleichen, seine Agio-Rechnung und seinen Abschluß zu machen. Postanstalten, Meilenberechnung, Wege, Zölle, alles ist unendlich verschieden. Man verliert Geduld, Zeit und Geld dabei.«

Was die Post betrifft, so hatten wir damit einen sonderbaren Vorfall. Einer unsrer Bedienten hatte, ich weiß nicht mehr wo, der öffentlichen fahrenden Post einen Koffer, worin seine sämtliche Wäsche war, weil kein Raum mehr dafür auf unserm Bagagewagen gewesen, anvertrauet. Der Adresse nach sollten wir ihn in Frankfurt finden; allein es kam die Nachricht, der Koffer sei vom Wagen gestohlen worden und man könne ihm nichts dafür vergüten, weil in dem Lande, wo er ihn auf die Post gegeben, eine Verordnung statthabe, nach welcher man nur dann den Wert der von dem Postwagen gestohlnen Sachen ersetzte, wenn dieser Wert von dem Eigentümer vorher wäre angegeben worden. Wir stellten dagegen vor, es sei albern, von einem Fremden zu verlangen, daß er jede Verordnung eines Landes kennen sollte, besonders solche Verordnungen, die gegen alle Begriffe von Billigkeit und Recht stritten. Ein Landesherr sollte überhaupt, soviel er kann, für die Sicherheit der Heerstraßen einstehen und selbst dann, wenn die Post mit Gewalt angefallen und bestohlen würde, den Schaden ersetzen, weil die Post ihm eine Revenue gewährte, weil man teures Porto bezahlen müßte, weil es einem Reisenden in diesem Lande nicht einmal freigestellt sei, ob er mit der Post oder mit anderm Fuhrwerke reisen wollte; allein diesmal sei gar nicht der Fall einer gewaltsamen Beraubung gewesen, sondern man hätte denen Leuten den Koffer unter den Händen weggestohlen, welchen er anvertrauet gewesen. Die Postdirektion sei doch also wenigstens gewiß als ein negotiorum gestor anzusehen und müsse für dasjenige haften, was durch Vernachlässigung ihrer Leute verlorenginge. Die Verordnung, daß der Wert der Sachen vorher angegeben werden müßte, sei dem Fremden, bei Ablieferung des Koffers, nicht bekanntgemacht worden; woher sollte er sie also wissen? Man könne sich leicht einbilden, daß, wenn er sie gewußt hätte, er, da es nicht wohl möglich sei, seine Wäsche u. dgl. genau zu taxieren, den Wert zehnmal höher würde angegeben haben, da dies doch nichts mehr kostete; und wäre das geschehen, so müßte sie nun mehr bezahlen, als gerecht wäre. Diese ebenso unbillige als zwecklose Verordnung könne also nur dazu dienen, die Postknechte zu verleiten, daß sie unerfahrne Reisende bestöhlen, und Fremde zu bestimmen, ein Land zu fliehen, wo man seines Eigentums nicht sicher sei, wenn man nicht zehntausend Verordnungen in der kurzen Zeit seines Aufenthalts durchstudieren könne. – Alle diese Vorstellungen halfen nichts, und der arme Bediente erhielt keine Vergütung für seinen Verlust.

In einer Stadt, die ich nicht nennen will, waren wir Zeugen einer Szene, die mich innigst rührte, weil sie mir bewies, daß noch nicht alle Stände in Deutschland den Sinn für Tugend und Keuschheit verloren hatten. Dem regierenden Fürsten daselbst, der ein sehr ausschweifendes, sittenloses Leben führte, war einst die Tochter eines Bürgers begegnet; sie hatte ihm gefallen, und er hatte ihr den Antrag tun lassen, seine Buhlerin zu werden. Das Mädchen verwarf mit Würde diesen entehrenden Antrag, und ihr Vater, ein nervichter Bierbrauer, warf den Unterhändler zur Tür hinaus. Kurz darauf starb das ehrliche Mädchen; und nun beeiferte sich jedermann, ihren Sarg mit atlaßnen Kissen, mit Kronen und Blumen zu schmücken, und vor des Fürsten Schloß vorbei führte man den Leichenzug, dem unzählige gutgesinnte Einwohner aus allen Ständen folgten. Wir hatten das Glück, grade um diese Zeit in der Stadt zu sein, und ich nützte die Gelegenheit, um meinem Prinzen eine kleine Lektion zu geben, die aber, leider! auf seinem polierten Fürstenherzen abgleitete.

Auf der benachbarten Universität hielten wir uns einige Tage auf und besuchten da einige berühmte Männer, von denen ich hier keine Schilderung entwerfe, weil ich es für unverschämt halte, dem Beispiele unserer neuern Reisenden zu folgen, die sich in die Studierzimmer der Gelehrten eindrängen, ihnen da eine Menge platter Schmeicheleien vorsagen und, wenn dann die gutmütigen Männer das für bares Geld annehmen, in froher Herzensergießung irgendein nicht ganz weises Wort fallenlassen oder in Augenblicken der Zerstreuung und Überraschung ein wenig unzusammenhängend reden oder das Unglück haben, nicht grade so zu sein und auszusehen, wie es den Reisenden gefallen hat, sich den Mann zu denken, das Unglück erleben müssen, eine schiefe Schilderung von sich oder eine wörtliche Wiederholung ihrer vertraulichen Gespräche in irgendeinem Journale gedruckt zu lesen.

Man behandelte uns sehr ehrenvoll auf dieser Universität, und ich beschloß, mit meinem Prinzen sechs Wochen dazubleiben und einigen Vorlesungen beizuwohnen.

Einst hatte ich mit einem Professor der Statistik ein Gespräch über die Sitten einiger wilden Völker. Ich wagte es, zu behaupten, daß nicht eigentlich die Natur, sondern nur gewisse durch Vorurteil erzeugte Begriffe uns einen so großen Abscheu gegen das Essen des Menschenfleisches einflößten. Ob Menschenfleisch ein appetitlicher Bissen sei, sagte ich, das wüßte ich nicht; aber das glaubte ich nicht, daß ein allgemeiner Instinkt in uns einen größern Ekel gegen das Fleisch eines frisch getöteten Menschen erzeugte als gegen das Fleisch irgendeines andern Tiers. Dies war eine Hypothese, die ich nur so hinwarf; aber ich war nicht wenig verwundert, als ich kurz nachher in einer historischen Zeitschrift, die dieser Professor herausgab, die Nachricht las, daß die Abyssinier Menschenfresser wären.

Man tat kurz vor unsrer Abreise von da dem Kronprinzen den Antrag, die Doktorwürde in der Rechtsgelehrsamkeit anzunehmen. Ich hatte Mühe, Seiner Hoheit begreiflich zu machen, wozu eigentlich diese pedantische Posse dienen könnte; und als es ihm deutlich wurde, da konnte ich doch weder ihn noch einen von seinen Hofleuten bewegen, diese Farce mit sich spielen zu lassen, welche sie wirklich als ein Überbleibsel der Barbarei und als eine Satire auf die wahre Gelehrsamkeit ansahen. Der einzige Soban entschloß sich endlich, diese Mummerei mit sich vornehmen zu lassen. Zu diesem Endzwecke schrieb ich ihm eine sehr gelehrte Dissertation. Ich wählte einen Gegenstand aus der Lehre von den Testamenten und bewies, wie philosophisch, billig und vernünftig das Gesetz in Ansehung der Quadrigae wäre. Dies Gesetz nämlich, welches vielleicht manchen meiner Leser unbekannt ist, verordnet, daß, wenn jemand in seinem Testamente einem Freunde einen Zug von vier Pferden vermacht und indes eines von den vier Pferden stirbt, der Freund – gar nichts bekömmt, weil der Erblasser ihm nicht drei, sondern vier Pferde habe schenken wollen. In der Tat kann man nichts Weiseres ersinnen als dies Gesetz; auch fand meine Disputation allgemeinen Beifall; der Ritter und Hofnarr Soban wurde Doktor juris darüber, las Reden und Antworten her, die ich ihm aufgesetzt hatte; ich und der Reisestallmeister opponierten, und alles ging vortrefflich vonstatten, denn bei dem Examen wurde alter Rheinwein herumgereicht. Zwei Tage nach dieser Feierlichkeit reiseten wir weiter.


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