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Wir haben am Ende des neunten Kapitels gehört, daß die abgöttische Verehrung, welche man in den ersten Monaten der neuen Regierung dem jungen Könige erwiesen hatte, nach und nach der kältern Überlegung wich. Und diese kältere Überlegung lehrte die Abyssinier bald, wieviel sie bei der Veränderung gewonnen oder verloren hatten. Kaum war der erste Taumel der Feierlichkeiten vorüber und der Gang der Geschäfte wieder in die gewöhnliche Ordnung gekommen, als der junge Despot sich durch einige willkürliche Verordnungen ankündigte, die jedermann furchtsam und mutlos machten. Er führte das Kniebeugen und das alte sklavische Zeremoniell wieder ein, beschränkte die Freiheit der Presse, verstattete nicht mehr jedem aus dem Volke freien Zutritt zu seiner Person, sondern schloß sich mit seiner französischen Buhlerin und seinen Lieblingen in dem Palaste ein, lebte dort in Völlerei und Untätigkeit, erschien dann nur einmal in der Woche, und zwar, nach alter abyssinischer Weise, verhüllt, von Trabanten umgeben, in dem Zirkel seiner verachtungswerten Günstlinge, wovon die Niederträchtigsten in alle Departements eingeschoben, den verdienstvollen Männern vor und an die Seite gesetzt und zu Geschäften gebraucht wurden, wovon sie nichts verstanden. Diese machten dann den Negus mißtrauisch gegen seine treuesten Diener, welche er nicht mehr hörte, nicht mehr um Rat fragte, sondern sie kalt und rauh behandelte. Es wurden Einrichtungen gemacht, die nicht in die Landesverfassung paßten, alle natürliche Freiheit einschränkten und sehr drückend für die Untertanen waren. Er nahm keine Gegenvorstellungen an; sein Wink war strenger Befehl, sein Wille die Ursache; die geringste Weigerung oder auch nur ein bescheidner Einwurf war hinreichend, den würdigsten Mann um Bedienung und Freiheit zu bringen. Es schlichen Ausspäher, Auflaurer und Horcher in allen öffentlichen und Privathäusern herum und sammelten jedes Wort auf, das einem Manne in guter oder böser Laune entwischte. Dann wurde auf einmal ein sorgloser, unschädlicher Mann durch Wache des Nachts aus seinem Bette geholt und, ohne öffentlichen Prozeß, seiner Bedienungen entsetzt oder eingekerkert oder des Landes verwiesen oder verschwand, ohne daß man wußte, wohin. Zuweilen wurde bei Todesstrafe verboten, von gewissen Dingen oder von gewissen Personen zu reden. Gab jemand einmal seinen Freunden ein fröhliches Mahl oder vergnügte sich in seinem Hause mit Musik und Tanz oder kaufte sich ein schönes Kamel, so wurde dies dem Negus hinterbracht. Es hieß, dem Manne sei zu wohl, und es wurde ihm ein Teil seines Gehalts genommen. Allgemeine Mutlosigkeit herrschte nun, niemand trauete dem andern; Geselligkeit, heitre Laune und Gastfreundschaft verschwanden, und wer einen guten Bissen essen wollte, verschloß sich in sein Kabinett.
Desto üppiger und wollüstiger aber lebte das Kebsweib des Negus mit seinem Anhange. Paläste und Lustschlösser wurden für diese mit ungeheuren Kosten erbauet oder gekauft oder den Eigentümern abgenötigt, und nichts glich der Pracht, die in ihrem Putze und Hausrate herrschte. Unersättlich waren die Begierden des abscheulichen Weibes, in dessen räuberischen Händen Glück und Unglück von Millionen edler Menschen lag. Nun gab es kein andres Mittel, als diesen Götzen anzubeten und ihm Geschenke zu bringen, wenn man etwas erlangen wollte. Ihr Vorzimmer wimmelte von den Großen des Reichs, denen sie mit Übermut und Spott begegnete; Generale mußten ihr den Fußschemel nachtragen, ehrwürdigen Greisen äffte sie vor dem versammelten Hofe die körperlichen Schwachheiten ihres Alters nach und machte sie zum Gegenstande des allgemeinen Gelächters. Sie beherrschte despotisch ihren Negus; gab ihm nicht die Erlaubnis, mehr Weiber zu nehmen, ja, nur eine einzige freundlich anzublicken, und wenn er mit ihr und einem paar Günstlingen allein war, dann trieb sie mutwillige französische Scherze mit 353 ihm und nötigte ihn zu kindischen Spielen, die sonderbar mit der Majestät des Throns kontrastierten, worauf man so strenge hielt.
Nach dem Beispiele der königlichen Buhlerin waren auch die von ihr beschützten Lieblinge nicht untätig zu Vermehrung ihrer Gewalt und ihres Vermögens. Auch sie ließen sich Güter schenken, welche andern gehörten; auch sie ließen sich bestechen, um durch ihr Vorwort einen Schurken auf einen Platz zu stellen, auf welchen ein redlicher Mann Recht hatte, Ansprüche zu machen. Justiz wurde verkauft, ja, man mußte dafür bezahlen, daß man von seinen Nachbarn in Ruhe gelassen würde.
Bei dieser abscheulichen Wirtschaft konnte es freilich mit den Finanzen nicht besser aussehen als mit der Moralität. Die ungeheure Verschwendung, die am Hofe herrschte, erschöpfte die Kassen; man nahm seine Zuflucht zu allen Mitteln, welche in solchen Fällen angewendet zu werden pflegen; man forderte Abgaben von allen, auch von den nötigsten Bedürfnissen des Lebens; man erfand Auflagen, wovon in Abyssinien noch kein Beispiel war, und trieb diese mit einer grausamen Strenge ein, die die Menschheit empörte.
So standen die Sachen, als ein verderblicher Krieg mit dem Könige von Nemas das Werk, die abyssinischen Untertanen zugrunde zu richten, vollendete. Dieser Krieg hatte einer elenden Grenzstreitigkeit wegen seinen Anfang genommen; beide Monarchen wurden von schelmischen Lieblingen regiert, die voraussahen, daß sie dabei im trüben fischen könnten, und daher das Feuer anbliesen, das außer dem leicht zu dämpfen gewesen wäre. Man verwarf also von beiden Seiten alle Vergleichsvorschläge und rüstete sich zum Feldzuge. Die beiden Könige brauchten ja nicht mitzugehen, sondern konnten sich's bei Weibern und Flaschen wohl sein lassen, indes ihre Untertanen die Ehre hatten, sich die Hälse zu brechen. Nun wurde durch ganz Abyssinien eine gewaltsame Werbung vorgenommen; einzige Söhne, die Stützen ihrer Familien, Greise und Knaben mußten mit in den Krieg. An die Spitzen der Regimenter und des ganzen Heers aber wurden die Günstlinge der Buhlerin gestellt, die weder militärische Kenntnisse noch Mut besaßen, aber desto besser die Kunst verstanden, sich zu bereichern. Der Ausgang dieses Kriegs war leicht vorauszusehen. Die Soldaten stritten mit Unlust, liebten ihre Anführer nicht, wurden schlecht behandelt, dabei betrogen und durch die Unwissenheit der Generale aufgeopfert; am Ende des dritten Feldzugs erfolgte ein für Abyssinien sehr nachteiliger Frieden, durch welchen, ohne die ungeheuren Summen zu rechnen, die der Krieg gekostet hatte, mehr verlorenging, als vor demselben der König von Nemas je in Anspruch genommen hatte.
Allein wie verhielten sich denn der Herr Minister Joseph von Wurmbrand und der Baalomaal Benjamin Noldmann bei diesem allen? – Das werden wir im nächsten Kapitel erfahren.