Adolph Freiherr Knigge
Der Traum des Herrn Brick
Adolph Freiherr Knigge

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Zweiter Abschnitt

Bemerkungen über gewaltsame Revolutionen überhaupt

Nichts kömmt mir alberner vor, als wenn man sich in moralischen und politischen Gemeinsprüchen über die Befugnisse und Nichtbefugnisse einer ganzen Nation, ihre Regierungsform zu ändern, ergießt; wenn man darüber räsoniert, was ein Volk, wenn es sich empört, hätte tun sollen und wie es hätte besser und gelinder handeln können und sollen und ob zuviel oder zuwenig Blut dabei vergossen worden. Ja, wenn von einem Plane die Rede ist, den ein einzelner Mann entwirft, wenn die Frage ist, ob Brissac recht und weise handelte, als er, ehe Heinrich der Vierte sich auf dem Throne befestigt hatte, über dem Entwurfe brütete, aus Frankreich eine freie Republik zu machen, dann läßt sich vielleicht entscheiden, inwiefern er dazu Befugnis und Veranlassung hatte, ob er, bei der damaligen Stimmung und politischen Lage der Nation, sich mit einem glücklichen Erfolge schmeicheln durfte oder nicht und welche Mittel er hätte anwenden sollen und können, um seinen Zweck zu erreichen; wenn aber ein ganzes Volk, durch eine lange Reihe von würkenden Ursachen, dahin gebracht ist, seine bisherige Regierungsform, die nicht taugte, die nicht in die jetzigen Zeiten, nicht zu dem gegenwärtigen Grade der Kultur paßte, in welcher sich der größte Teil der Bürger unglücklich fühlte, mit Gewalt über den Haufen zu werfen, wenn sie alle hierzu durch einen Geist belebt werden, den ihre elende, verzweifelte Lage in ihnen erweckt hat, wenn dies also nicht nach einem bestimmt angeordneten Plane, sondern durch einen Windstoß geschieht, der auf einmal das Feuer, das lange unter der Asche geglimmt hatte, in helle Flammen auflodern macht – wer kann da Ordnung fordern? wer kann da bestimmen, ob zuviel oder zuwenig geschieht? Schreibe dem Meere vor, wie weit es fortströmen soll, wenn es den Damm durchbricht, den Jahrhunderte untergraben haben!

Und wenn auch bei solchen gewaltsamen Umwälzungen Szenen vorfallen, bei deren Anblicke die Menschheit zurückschaudert, wer trägt dann die Schuld dieser Greuel? Ganz gewiß mehr die, gegen welche man sich empört (oder vielleicht ihre Väter), als die Empörer selbst – auf sie, die entweder durch despotische Mißhandlungen das Volk aufs äußerste gebracht oder durch Beispiel und Beförderung des schändlichsten Luxus und aller Wollüste wahren Seelenadel und Einfalt der Sitten in allen Klassen der Bürger zerstört oder wenigstens, sorglos in ihrem Berufe, von boshaften, gleisnerischen, raubsüchtigen Schranzen umgeben, die Untertanen der Verführung, der Plünderung und dem Drucke preisgegeben, es gegen jede Herrschaft, gegen jeden Zwang erbittert, alle Herzen von sich abgelenkt haben – auf ihnen ruht die Sünde. Die Menschen im ganzen lieben Ruhe und Frieden, setzen nicht leicht den mäßigen, aber sichern Genuß des Gegenwärtigen aufs Spiel bei der Aussicht eines mühsam zu erkämpfenden Ungewissen Künftigen; allein wenn der Despotismus es dahin gebracht hat, daß die Staatsverfassung einem Kriege aller gegen alle ähnlich sieht, wenn jeder nimmt, wo er ungestraft nehmen darf, niemand Gesetze anerkennt, sobald er sich Impunität erschleichen, ertrotzen oder erwürgen kann, wenn kein Eigentum mehr respektiert wird, wenn kein Bürger sicher ist, den Erwerb seines Fleißes vor den Klauen der Raubtiere bewahren zu können, wenn man endlich doch Leben und Freiheit wagt, man spiele das große Spiel mit oder nicht – wer wird es dann auch dem Sanftmütigsten zum Verbrechen machen wollen, daß er, statt sich geduldig schinden zu lassen, mit dreinschlägt, mit zugreift, da, wo soviel zu gewinnen und keine andre Gefahr zu laufen ist, als die ihm, nicht weniger, täglich in seiner friedlichen Hütte drohte, als er sich auch nicht regte?

Überhaupt ist es ganz verlorne Mühe, zu räsonieren über die Befugnisse eines Volks, seine Regierungsverfassung zu ändern. In den großen Plan der Schöpfung gehören diese Umkehrungen; sie sind unvermeidlich; sie werden herbeigeführt durch die Ebben und Fluten der Kultur; die Menschen sind nur die Werkzeuge in der Hand der alles ordnenden Vorsehung. Ist der Zeitpunkt da, stimmen alle Umstände dazu ein, so sind alle Würkungen einzelner Leute, alle Anstalten der Regenten, alle Predigten und Deklamationen dagegen vergeblich. Das Recht des Stärkern ist in der ganzen Natur herrschend. Worauf sonst als auf dieses Recht gründen die Despoten ihre Gewalt? Womit sonst als mit diesem Rechte des Stärkern machen sie uns, an der Spitze von hunderttausend Mann, die Gründe, worauf ihre Deduktionen gestützt sind, anschaulich? Ist dies Recht aber nicht auf ihrer Seite, so haben auch ihre Gründe wenig Gewicht, und sie müssen dem nachgeben, der mit mehr Nachdruck den Beweis seiner Rechtmäßigkeit führt. Von der Natur sind nun einmal die Menschen nicht in Klassen geteilt, nicht einige zum Gehorchen, andre zum Herrschen bestimmt. Der Mensch, der sich von einem Menschen regieren läßt, tut dies entweder, weil er muß oder weil er will. Er muß, wenn der andre stärker ist, sei es an Körper oder Geiste oder durch Bündnisse mit mehrern. Er will, wenn er sich behaglich dabei fühlt oder wenn er in dem Wahne steht, der andre sei auf irgendeine Weise berechtigt, ihm Gesetze vorzuschreiben. Wenn aber kein Übergewicht da ist, wenn Liebe und Zutraun aufhören, wenn Unzufriedenheit eintritt und Wahn verschwindet – dann demonstriere einmal, drohe einmal, Fürst, Moralist, Staatsmann! und siehe zu, ob du etwas ausrichtest! Denn (möge auch der Satz noch so herbe klingen!) man kann dem Menschen die Notwendigkeit der Erfüllung aller moralischen Pflichten unwiderleglich beweisen; aber ich weiß nicht, wie man es anfangen kann, einen Menschen zu überzeugen, daß er eine natürliche, angeborne Verbindlichkeit auf sich habe, einem ändern Menschen von Fleisch und Bein zu gehorchen, wenn er dies nicht glauben will, nicht glauben muß oder nicht sein Interesse dabei findet, es zu glauben. Seine Vernunft sagt es ihm nicht; die Religion sagt ihm, daß er seiner Obrigkeit gehorchen solle; aber wer diese Obrigkeit sein soll und wer das Recht hat, sie einzusetzen, da wir keine Theokratien mehr haben, das sagt sie ihm nicht, und das ist doch der Punkt, worauf es ankömmt. Gegen Kontrakte, die er nicht selbst geschlossen hat, wird er viel Einwendungen finden, wenn sie ihn drücken; die Beförderung der allgemeinen Ruhe, des allgemeinen Wohls kann einen Philosophen bewegen, Privatvorteile aufzuopfern, aber nicht den Pöbel - diesen zum ruhigen Gehorsame zu bringen, wenn man ihn weder durch Wahn noch Gewalt zwingen kann, dazu gibt es, ich sage es noch einmal, kein andres Mittel, als daß man in ihm den freien Willen erwecke, gern zu gehorchen. Wie dies möglich zu machen sei, das soll noch, zur Erbauung aller Regenten, in diesen Blättern gezeigt werden, und ich zweifle nicht, einer von ihnen wird mich für dies Rezept mit einer kleinen jährlichen Pension von einem paar tausend Tälerchen belohnen. Unter den zahlreichen Geschenken, die sie aus fremden Beuteln nehmen, würde dieses, denke ich, nicht am schlechtesten angelegt sein; und ich will ihnen dann nie wieder ein Rezept aufdringen.


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