Adolph Freiherr Knigge
Der Traum des Herrn Brick
Adolph Freiherr Knigge

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Eilftes Kapitel

Bruchstücke aus der neuern Geschichte Abyssiniens

Wir haben gesehen, wie nach und nach sich das Familienregiment an der Hand der Zeit, durch natürliche Revolutionen, in eine republikanische, dann in eine monarchische Form ummodelte und endlich in unbegrenzten Despotismus ausartete. Allein bis jetzt wurde von Seiten des Königs dabei nicht eigentlich planmäßig zu Werke gegangen; doch bald kam es auch dahin, daß der Despotismus in ein System gebracht wurde. Aus dem vorhin Erzählten läßt sich leicht schließen, daß die Menschen, welche der König um sich her versammelte, eine Rotte nichtswürdiger, sklavischer Schmeichler ausmachten; denn die, deren Herz und Sitten noch unverderbt waren, flohen den Hof, welcher der Sitz der Schwelgerei, der Üppigkeit und des Müßiggangs geworden war. Jene aber verführten den Despoten zu immer größern Ausschweifungen, Inkonsequenzen, Torheiten und zu dem Mißbrauche seiner Gewalt. Die Schlauesten unter ihnen wurden seine Lieblinge, gaben ihm Anschläge, wie er es anfangen müßte, der Nation noch den letzten Schatten von Freiheit zu rauben, und indem sie ihm behülflich waren, die unumschränkteste Gewalt in seine Hände zu legen, regierten sie den Despoten und suchten sich auf Kosten des Staats zu bereichern.

Nun wurden alle Bedienungen mit den Kreaturen der Lieblinge besetzt, Besoldungen und Jahrgelder an Unwissende und Bösewichte ausgeteilt; Parteilichkeit, Ungerechtigkeit und Bestechung herrschten in allen Departements. Man gab willkürlich Verordnungen und Gesetze, deren eines dem andern widersprach, verhing gegen die Übertreter derselben Strafen, die nicht im Verhältnisse mit den Verbrechen standen und die man nach Gutdünken erschwerte, minderte oder nachließ. Freigeborne Menschen wurden wie Sklaven am Leibe bestraft, ja, endlich sogar am Leben.

In den Befehlen, welche der König gab, las man nun die Ausdrücke Gnade, untertänigste Befolgung und mehr solcher empörenden Phrasen. Man sprach von der Heiligkeit der Person des Monarchen, von Majestät und dem Verbrechen der beleidigten Majestät.

Rechte, die jedem freien Manne zukommen, zum Beispiel die wilden Tiere auf dem Felde, die Vögel in der Luft zu schießen und die Fische im Wasser zu fangen, erklärte man für Regalien oder beschenkte nichtswürdige Günstlinge mit diesen Befugnissen.

Auch Handel und Gewerbe blieben nicht frei. Man erteilte Privilegien, Monopolia, Exemtionen von gewissen Verordnungen an einzelne Personen und hielt es nicht für Pflicht noch der Mühe wert, der Nation andre Ursachen für dies alles anzugeben, als daß es Seiner Majestät gnädig gefallen habe, es also zu verordnen.

Um jedoch irgendeinen Schein anzunehmen, als wenn diese abscheulichen Eingriffe in die Rechte der Menschheit und der gesunden Vernunft mit Beistimmung des Volks geschähen, versammelte man noch einmal die Repräsentanten der ganzen Nation; allein man wußte durch Bestechungen, Verheißungen und Drohungen die Wahl dieser Repräsentanten so zu lenken, daß nur sklavische und unwissende Menschen sich dort versammelten und alles billigten, was der Despot vorschlug.

Der König bauete sich eine große, prächtige Stadt, die Axum hieß, jetzt aber nicht mehr die Residenz ist, seitdem Gondar gebauet worden. Dort lebte er in asiatischem Puppenglanze, von seinen Sklaven umgeben. Man veranstaltete daselbst das ganze Jahr hindurch Feste, Schauspiele und Feierlichkeiten, welche die Augen des Volks blendeten, die Sinne reizten, die Vernunft übertäubten und von ernsthaften Betrachtungen ableiteten. Da tanzte und spielte man die Grillen weg und umwand sich die Sklavenketten mit Rosen.

Allein noch gab es eine Anzahl fester, von der allgemeinen Korruption weniger angesteckten Männer, die endlich des Unwesens müde wurden, sich laut und kräftig den Tyranneien und Bedrückungen widersetzten und sich weigerten, willkürliche, törichte und verderbliche Verordnungen zu befolgen. Die Besitzer nämlich der größern Güter, die Häupter der Stämme, die des Hofs nicht bedurften, nach keinen Pensionen angelten, keine Bedienungen suchten, sondern fern von der Residenz auf dem Lande lebten und sich, wie billig, als Mitregenten und Stellvertreter ihrer ärmern Nachbarn ansahen, hielten lange Zeit dem Despotismus die Stange. Dies war der eigentliche Adel des Reichs. Es war eine mächtige Partei, die man schonen mußte; und wirklich sah sich der Despot gezwungen, einige seiner Verordnungen zurückzunehmen, um einem allgemeinen Aufruhr vorzubeugen. Freilich wurden viele von ihnen auch nach und nach des ewigen Protestierens müde, liebten die Ruhe und ließen manches geschehen, was grade nicht unmittelbar sie und ihre Untertanen traf; doch blieb diese Partei noch immer mächtig genug, um den Despoten in die Notwendigkeit zu setzen, auf andre Mittel zu denken, sich auch diesen Stand unterwürfig zu machen. Hierzu nun bediente man sich schlauer Kunstgriffe. Man erteilte einigen von ihnen wichtige Bedienungen, lockte sie in die Residenz, verführte ihre Kinder, erweckte in ihnen den Hang zur Pracht, zu eiteln Vergnügungen, zum Flitterstaate. Da ließen sie nun ihre Besitzungen in den Händen eigennütziger Verwalter und Pächter, verzehrten, was ihnen diese gaben, in der Stadt, richteten sich durch unnützen Aufwand zugrunde und verarmten. Als man viele so weit gebracht hatte, schoß man einigen Geld vor und machte sie dadurch abhängig vom Hofe. Andern tat man den Vorschlag, gegen gewisse Summen, die man ihnen schenkte, ihre Güter für ein Eigentum des Königs zu erklären und sie von ihm zu Lehn zu nehmen. Wenn die Familien ausstarben, erteilte man diese Lehne an Kreaturen des Hofs. Man reizte die Eitelkeit von andern, erfand unnütze Hofbedienungen, Titel und dergleichen, die man ausschließlich dem Adel zusicherte, maßte sich das Recht an, diesen Adel zu erteilen und erblich werden zu lassen. Man gewöhnte die Menschen, Wert auf kleine, elende äußere Auszeichnungen zu legen, auf Bänder und Ketten, die man ihnen umhing, auf gewisse Kleidungen, die man ihnen zu tragen erlaubte, auf Stellen, die einen gewissen Rang gaben. Da rissen sich dann die Leute um die Ehre, dem Könige den Sonnenschirm nachtragen zu dürfen oder den Schlüssel zu seinem heimlichen Gemache in Verwahrung zu haben, ihm die Braten zu zerlegen, seine Livree zu tragen, ihm die Schuhe küssen und dann wieder seine eignen Knechte zu ähnlichen niederträchtigen Diensten zwingen zu dürfen. Diese Vorrechte aber wurden nur dem Adel erteilt, und die Idee, daß hierin wirklich wahrer Wert beruhe, ging unmerklich in alle Stände über; jeder rang darnach, ein Ämtchen, wobei er müßiggehen konnte, ein Titelchen, einen Adelsbrief oder dergleichen zu erhaschen. Nun fehlte es dem Despoten nicht an Mitteln, das Volk zu fesseln, und der Adel, welcher ehemals eine Vormauer gegen die Eingriffe des Tyrannen gewesen war, wurde nun das Werkzeug zu gänzlicher Unterjochung der Nation.

Seitdem der König sich das Recht zu verschaffen gewußt hatte, nach Belieben seine Einkünfte zu vermehren, die Staatskassen als die seinigen anzusehen, Lehne einzuziehen, Regalien zu erfinden etc., war er freilich sehr reich geworden; allein der ungeheure Luxus, welcher am Hofe herrschte, die Verschwendung aller Art und dabei die unordentliche und betriegerische Verwaltung der Staatseinkünfte erschöpfte doch die Kassen. Davon war nun gar nicht mehr die Rede, daß man dem Volke Rechnung von Verwendung der Gelder tun müsse. Dem Könige war jedermann Rechenschaft schuldig; er niemand. Allerlei neue Regalien, die man erfand, Handlungsoperationen, neue Anlagen von Bergwerken, Marmorgruben, Zölle, Geldstrafen und viel andre Mittel hatte man schon versucht; doch war man noch nicht so kühn gewesen, das bestimmte Privatvermögen der Untertanen unmittelbar anzugreifen und sie mit Auflagen zu belästigen; jetzt kam auch daran die Reihe. Man forderte Abgaben, Steuern; um aber gegen alle Widersetzung sicher zu sein, befreiete man den Adel und andre Stände, die Einfluß auf das Volk hatten, von diesen Steuern und wälzte die ganze Last derselben auf den ärmern Teil der Nation, der nun, um das Geld herbeizuschaffen, wovon Müßiggänger, Hofschranzen, Geiger, Pfeifer und Huren besoldet wurden, vom frühen Morgen bis spät in die Nacht im Schweiße seines Angesichts arbeiten mußte. Da verlor dann der niedergebeugte Untertan allen Mut, allen Lebensgenuß, alle Hoffnung, ein wenig wohlhabender zu werden, für seine Kinder etwas zu sammeln. – Ja, man fing an, genau zu berechnen, wieviel man dem Bauer erlauben dürfe zu besitzen; wieviel man ihm jährlich von seinem eignen, selbst erworbnen Vermögen lassen dürfe, ohne daß er übermütig würde, das heißt, ohne daß er fühlte, daß er ein Mensch wäre, und damit er doch auch nicht verhungerte, auch Kräfte genug behielte, um wieder so viel herbeizuarbeiten, als man ihm im folgenden Jahre nehmen wollte.

Dabei herrschte in der Residenz und in den übrigen Städten das allgemeinste Verderbnis der Sitten. Die unnatürlichsten, unmenschlichsten Laster wurden öffentlich getrieben; man rühmte sich seiner Verbrechen; die abscheulichsten Ausschweifungen zu begehen, das gehörte zu dem Ton der großen Welt. Von den schändlichsten Krankheiten wurden ganze Familien angegriffen. Man erreichte nicht mehr die Hälfte des ehemals gewöhnlichen Menschenalters; häusliche Glückseligkeit, Treue und Glauben, Menschenliebe und Gesundheit fand man nur in den Hütten der Armen.

Die Vornehmen hielten sich berechtigt, nicht unter dem Zwange der Gesetze zu stehen, und konnten sie sich ihnen auch nicht ganz entziehen, so war doch mit einer Handvoll Geld alles wieder gutzumachen, und es gab andre Strafen für den Reichen als für den Armen, andre für den Edelmann als für den Bauer. Wenn dieser ein Jagdtier schoß, so wurde er lebendig gespießt; wenn jener einen Knecht tötete, so wurde er zu einer mäßigen Geldbuße verurteilt. - Ein Gesetz aber, dem der König unterworfen gewesen wäre, gab es gar nicht.

Nun wirkten in allen Ständen nur drei Triebfedern zu allen Handlungen: Eitelkeit, sinnlicher Genuß und Geldgier. Um Gewinst war es dem Richter bei Verwaltung der Justiz zu tun. Gerechtigkeit wurde eine Wissenschaft; die Menge der unbestimmten, schwankenden, sich widersprechenden Gesetze erforderte bei jedem einzelnen Falle eine besondere Auslegung. Man stellte Sachwalter an, welche die Kunst, diese Gesetze auf allerlei Seiten zu drehen, zu einem eignen Studium machten. Gesunde Vernunft und klare, kurze mündliche Darstellung wurden aus den Gerichtshöfen verbannt. Die einfachsten Prozesse wurden jahrelang herumgezerrt, bis beide Parteien soviel an Gerichtsgebühren und Prozeßkosten ausgegeben hatten, als der ganze Gegenstand des Streits wert war. Falsche Beredsamkeit, Bestechung, Gunst und Schikane lenkten das Urteil zu ihrem Vorteile.

Der für die Menschheit so wohltätige Stand eines Arztes verlor nicht weniger als der des Richters von seiner Würde. Zu ihm durfte nicht mehr der Arme seine Zuflucht nehmen, wenn der Tod drohete, sechs unmündige Kinder zu Waisen zu machen, die, sobald sie ihrer einzigen Stütze, ihres Vaters, beraubt wurden, von dessen Erwerbe sie lebten, betteln mußten, sondern der Arzt war nun nur für reiche Kranke sichtbar. Wie sollte er es anfangen, wenn er mit seiner Familie leben, und was man nennt anständig leben, wollte? Und anständig, das heißt: mit einigem Aufwande mußte er leben, wenn es ihm um Praxis zu tun war, denn sonst nannte man ihn den Betteldoktor, und niemand vertrauete sich ihm an; denn wenn der Kerl etwas verstünde, sprach man, so würde er nicht so armselig leben müssen. Der Staat besoldete ihn nicht; also mußte er sich bei den Großen und Reichen einzuschmeicheln suchen, des Morgens seine teure Zeit bei ihnen verlieren, um ihre Klagen über eingebildete oder solche Übel anzuhören, die sie sich selber durch Unmäßigkeit zugezogen hatten. Aber er mußte auch dabei ein Schmeichler, ein angenehmer Gesellschafter sein, mußte Stadtanekdoten zu erzählen wissen. Seine Arzeneien sollten leicht und angenehm zu nehmen, durften nicht zu wohlfeil sein, und da man immer nach neuen, unerhörten Dingen haschte, so mußten seine Methoden auch neu sein oder wenigstens neue Namen haben. Er durfte keine strenge Diät vorschreiben, und das Publikum mußte einige glückliche Hauptkuren von ihm zu erzählen wissen. Da war denn keine Art von Scharlatanerie, zu welcher sich die Söhne Äskulaps nicht herabließen, um Geld in ihren Beutel zu spielen, ihre Amtsbrüder herabzuwürdigen und sich zu erheben. Bei den unbedeutendsten Übeln schüttelten sie bedächtlich den Kopf, um nachher ihre Mühe und ihr Verdienst desto teurer anrechnen zu können; gegen eine Unpäßlichkeit, die durch das einfachste Mittel, vielleicht nur durch Lebensordnung, zu überwinden war, zogen sie mit ganzen Heeren von Quacksalbereien zu Felde. Sie suchten einer den andern zu verleumden und zu verfolgen, statt brüderlich in Gemeinschaft zu arbeiten, um ihre Kunst auf feste Grundsätze zu bringen. Sie verkauften Arkana, Wunderessenzen, von deren Nichtigkeit sie selbst überzeugt waren; sie machten an armen Leuten allerlei Proben von Kurarten und erhoben die, an welchen die wenigsten Schlachtopfer starben, als neu erfundne, unfehlbare Heilungsmittel. Da herrschten dann allerlei Moden in der Arzeneikunst, und was man in diesem Jahre in einer Krankheit für Gift hielt, wurde im folgenden als ein unfehlbares Mittel in derselben Krankheit angepriesen.

So wie mit der Heilkunde, so ging es auch mit den übrigen Wissenschaften. Die Begierde zu allem, was unbekannt, wunderbar, unerhört war, brachte eine Frivolität, Bizarrerie und Neuerungssucht in alle Fächer, die der wahren Gelehrsamkeit unendlichen Schaden taten; und da ernsthaftes Nachdenken über denselben Gegenstand Langeweile machte, so wurde alles nur oberflächlich behandelt, von der lustigen Seite angesehen.–Witz und Persiflage spielten den Meister über gründliche Darstellung; man bezahlte sich mit wohlklingenden Worten, ohne Sinn und ernsthaftes Studium; Bestimmtheit in Begriffen und Ausdrücken hieß Pedanterei. Jedermann wollte alles wissen, um von allem reden, über alles lachen zu können; ein Mann, der nur in einem Fache groß war, galt für einen beschränkten Kopf. Der Stutzer plauderte über Staatswirtschaft; in dem Zirkel um den Nachtstuhl einer Dame her wurden philosophische Probleme aufgelöset. Komische Gegenstände wurden metaphysisch; wichtige, der ganzen Menschheit interessante Materien in Marionettenspielen abgehandelt. Man prägte neue Worte für Dinge, womit man gar keinen Begriff verband; man appellierte an das Gefühl, wo die Vernunft zu ungeschmeidig war, sich von der Phantasie nicht wie ein Freudenmädchen wollte behandeln lassen. Man schwätzte, wo man wirken sollte; man spannte ohne Unterlaß die Einbildungskraft an, interessierte sich für eine Ideenwelt, indes man in der wirklichen alles gehen ließ, wie es ging. Man fand Genuß, Wonne darin, nie aus einem fieberhaften Zustande zu kommen, und machte sich eine Ehre daraus, an Leib und Seele kränklich zu scheinen. Männliche, ernste Beredsamkeit verwandelte sich in zierlichen, schallenden Wortprunk; die schönen Künste arbeiteten nur zu dem Zwecke, die Nerven zu kitzeln; die Dichter feuerten nicht mehr durch erhabne, geistreiche Gesänge zu großen Taten an, sondern sangen im Posaunenton das Lob der Großen und Reichen, beleierten unwichtige, kleine Gegenstände oder erhitzten durch üppige Bilder die Einbildungskraft feuriger Jünglinge und geiler Schwelger; und als auch dies Gewürz den Gaumen nicht mehr kitzelte, suchte man durch Darstellung riesenmäßiger Zauberszenen und schändlicher Greuel die verwöhnten, immer nach unerwarteten Eindrücken schnappenden Herzen aufzurühren. Eine natürliche, gesangvolle Melodie ermüdete die Ohren; man forderte ein Gewühl von Tönen. Ein einfacher Plan, kunstlos, mit Wahrheit und Würde ausgeführt, machte Langeweile; man forderte Verwicklung, Überspannung, buntes Guckkastenspiel.


 << zurück weiter >>