Ludwig Kalisch
Schlagschatten
Ludwig Kalisch

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Die große Revolution.

Der Buchstabe tödtet; aber der Geist
macht lebendig.

Mehrere Jahrhunderte waren seit der Erfindung der Buchdruckerkunst verflossen. Die Weltgeschichte ging ihren gehörigen Gang. Die Erde und die Menschen drehten sich um sich selbst; Regen und Sonnenschein, Sommer und Winter, Krieg und Frieden wechselten mit einander ab. Wer reich war, konnte vierspännig fahren und Dummheiten begehen, ohne sich zu schaden; der Arme ward gedrängt und gedrückt und mit dem Straßenkoth besprützt, den die Pferde der Vornehmen mit den beflügelten Hufen aufwarfen. Reiche Mädel bekamen Männer und die armen blieben sitzen. Hunde und Katzen lebten in alter Zwietracht, und Fürsten und Schmeichler sah man immer zusammen. Plötzlich brach eine gewaltige Revolution aus. Unter den Deutschen? – Gott bewahre! Unter den Frauen? – Kein Gedanke! Es brach eine 200 Revolution aus unter – hört und staunet! – unter dem A B C.

An einem Herbsttag nämlich, der Himmel war dicht umnebelt und die deutsche Natur sah aus, wie die aschgraue Möglichkeit, da erhob sich in allen Offizinen ein ganz merkwürdiger Randal. Es rührte und regte sich in sämmtlichen Schriftkasten unseres Vaterlandes, so daß die Setzer schier in große Angst geriethen, und plötzlich springt das Y hervor und schreit mit gewaltiger Stimme:

»Die Sache muß anders werden, oder der Teufel soll mich holen! Welches Recht hat das dumme A den ersten Rang im A B C einzunehmen? Ist es von Gottes Gnaden zu dieser hohen Würde berufen? Das mögen die übrigen Buchstaben in ihrer Einfalt glauben; ich, ein Grieche von Geburt, glaub' es nimmermehr!«

Kaum hatte das Y geredet, als das Z wüthend aus dem Kasten sprang und zu schreien anfing:

»Wer hat wohl ein größeres Recht, über Undank zu klagen, als ich? Du, o Y, bist in unserer Sprache am leichtesten zu entbehren; ja, man braucht dich eigentlich gar nicht und doch fängst du den Spektakel an. Aber ich, das wichtige, unentbehrliche Z, ich der Anfang aller Zeiten und Zeitungen, alles Zarten und Zauberischen muß just den alleruntersten Rang im A B C 201 einnehmen. Ich schäme mich ordentlich vor den Schulbuben. Und warum bin ich der letzte? Eben weil ich unentbehrlich bin! Ohne mich könnte man keine Zeile schreiben oder lesen; ohne mich gäb' es keine lustige Zeche; ohne mich gäbe es kein Zepter; ohne mich würde Herr von Rothschild und Herr Moritz von Bethmann gar nicht existiren, weil es ohne mich keine Zahlen und keine Zinsen gäbe. Daß ich der Mittelpunkt von jedem Münzfuß bin, will ich gar nicht erwähnen; aber daß ich den ersten Rang in jedem Zirkel behaupte, das muß ich noch sagen. Und so belohnt man meine Dienste! Aber der Teufel hole mich, wenn ich das noch länger dulde. Der Erste will ich sein und der Erste muß ich werden.«

»Viel Geschrei und wenig Wolle!« rief das S aus dem Kasten springend. »Ich bin's, mit dem man künftig den Anfang machen muß. Sein oder nicht Sein, hängt von mir ab. Die Sanftmuth und die Süßigkeit verdankt mir ihr Dasein. Ohne mich gäb' es weder Sammt noch Seide, weder Stiefel noch Sporen, weder Spiegel noch Spieltisch. Ich bin es, dem die Sonne und die Sterne und alle Sachen ihren Anfang verdanken. Ich endlich bin die Wonne Deutschlands, das Entzücken Germania's; denn ohne mich gäb' es ja kein – Sauerkraut und keine Schlafmützen.«

202 »Elendes Philistergeschwätz!« schrie das K. »Ich brauchte nur ein Wort zu sagen, um euch alle zum Schweigen zu bringen. Ich bin der Anfang zu jedem Keim. Küch und Keller, Kisten und Kasten, kurz: jegliche Kostbarkeit verdankt mir ihren Anfang. Ohne mich gäb' es keine Kunst und also keine Künstler, keinen Kartoffelbrei und keine Klöße. Aber um euch gänzlich nieder zu donnern, sei euch gesagt, daß ohne mich es keine Krone gäbe, daß ohne mich Kaiser und Könige nicht existiren würden, daß ohne – «

»Das Maul gehalten, langweiliges K!« donnerte das G. »Y, Z, U, V, W und wie ihr alle heißen möget, Canaillen seid ihr gegen mich. Kennt ihr das Wort: Geld? Und wie könnte das Geld ohne mich existiren? Daß ich in der Tugend stecke, ist mir ganz gleichgültig, noch gleichgültiger ist es mir, daß jedes Verggen mich zweimal braucht; aber stolz darauf bin ich, daß ohne mich kein König ein Ende nähme und kein Kaiser Gehorsam fände. Man suche mich in jeder Gegend und man wird mich finden und man wünsche eine günstige Gelegenheit zum Gewinn und man wird mich immer zuerst brauchen.«

»Du miserables G!« schrie das H. »Du steckst in jedem Unglück. Jeder Gelbschnabel fängt mit dir an; 203 Gift und Galle verdanken dir ihren Anfang. Wenn du nicht wärest, gäb' es keine Gaudiebe, keine Galgenschwengel und keine Gewaltthätigkeit. Ich aber bin das Faktotum der ganzen Welt. Himmel und Hölle entstehen durch mich. Hunde und hohe Herrschaften fangen mit mir an. Ich bin der Mittelpunkt der Ehe, der Beginn jedes gekrönten Hauptes und der Schluß von jedem Buch. Ich stecke zweimal im Christenthum, und bin in jeder Thee-Gesellschaft doppelt anzutreffen. Das Königreich Holland braucht mich immer zuerst und Frankreich muß sich doch am Ende immer meiner bedienen, ja, der Nothleidende, der mich nicht zuerst sucht, wird keine Hülfe finden und wo ich nicht bin, ist keine Hoffnung vorhanden. Darum und von dessentwegen will ich, meines hohen Berufes eingedenk, nicht länger den achten Platz im Alphabet einnehmen. Ich will und muß von nun an der erste sein!«

»Du willst, du mußt von nun an der erste sein?« frug das L höhnisch. »Du? O wie ist die Bescheidenheit doch gewichen von dieser Erde! Wie ist doch jetzt nichts mehr unter dieser Sonne zu finden als eitel Hochmuth und blöder Dünkel. Was blähest du dich auf, du buckliches H und rühmst dich, eine so hohe Rolle zu spielen? Mich laß reden! Ein Wort ist genug, um 204 dich und alle Prahlhänse zu beschämen; dieses Wort heißt Liebe! Wenn ich nicht wäre, gäb' es keinen Verliebten und keine Geliebte, keinen geräucherten Lachs und keine Leberpasteten. Licht, Luft und Leben verdanken mir ihren Anfang; ohne mich könnte London nicht bestehen, ohne mich könnten Land und Leute nicht existiren und ohne mich würden Kameele und Philister kein Dasein finden. In der Walhalla, wo der große Tilly, der Magdeburg abgebrannt, nur einmal steht, bin ich dreimal.«

»Afrikanische Löwen und deutsche Lumpen verdanken mir ihren Anfang und wo ich nicht bin, gibt's keine Esel und keine Völker, keine Flegel und keine Ladendiener, keine Literatur und keine Makulatur, keine Journale und keine Lügen. Darum und von dessentwegen will ich, meiner hohen Wichtigkeit mir bewußt, nicht mehr eine solch untergeordnete Stellung einnehmen. Ich will und muß fortan der erste sein.«

Kaum aber hatte das L ausgesprochen, oder vielmehr ausgeschrieen, als auch die anderen Buchstaben zu rumoren anfingen. Jeder wollte der erste sein, sogar das X. Jeder tischte seine Vorzüge und Talente auf und da diese von den Anderen nicht anerkannt wurden, so kam es zum Raufen und Balgen. Ein Buchstabe hatte aber 205 bis jetzt an diesem Kampfe nicht Theil genommen und das war das A. Da verschaffte sich das D endlich Gehör und begann:

»Ich will jetzt meine Vorzüge nicht rühmen; aber daß ich das Ende vom Lied bin, unterliegt keinem Zweifel. Hört mich also, verehrte Mitbuchstaben! An unserem bisherigen gerechten Streite hat das A, welches uns leider allen voran geht, noch nicht Theil genommen. Laßt uns also das A fragen, welche Macht ihm das Privilegium gegeben, uns allen voran zu gehen? Das A soll uns Rede stehn!«

»Ja, ja, das A soll uns Rede stehn!« schrieen die Buchstaben wild durcheinander. »Das A soll reden!«

Das kluge A erhob sich langsam aus dem Kasten, wartete, bis sich der Lärm gelegt und begann:

»Meine hochzuverehrenden Mitlettern! Könnt ihr mir wohl einen vernünftigen Grund angeben, warum das Tüpfelchen just auf dem i und nicht auf dem h steht?« –

Das ganze Alphabet zerbrach sich den Kopf, um diese unerwartete Frage zu beantworten. Vergebens! Endlich sagte das i: »ich trage das Tüpfelchen, weil es so Gebrauch ist und weil ich es seit Jahrhunderten trage, deßwegen hab' ich auch ein Recht, es zu tragen.«

»Ja, ja, das i hat das Recht dazu,« schrieen die Uebrigen. »Es trägt das Tüpfelchen schon seit Jahrhunderten; oder will das A vielleicht auch noch dem i den alten Schmuck nehmen?«

»Behüte mich der Herr vor solch räuberischer Gesinnung,« sprach das A mit sanfter Stimme. »Ihr werdet mir zugeben, daß ich seit eben so langer Zeit im Alphabet den ersten Platz einnehme, als das i das Tüpfelchen trägt. Das i trägt das Tüpfelchen, weil es der Gebrauch so ist, weil es dasselbe seit Jahrhunderten trägt; und ich behaupte den ersten Platz unter euch ebenfalls, weil es der Gebrauch so will, ebenfalls, weil ich ihn seit Jahrhunderten behaupte. Und deßwegen hab' ich auch ein Recht dazu, ein historisches Recht. Versteht ihr mich, hochzuverehrende Mitlettern?« – –

Eine ziemlich lange Pause folgte diesen Worten. Endlich begann das R:

»O, ihr einfältigen Lettern, wie beschämt bin ich, daß ich euer Kamerad bin! Starke Mäuler habt ihr, aber einen schwachen Muth. Was hat euch das verschmitzte A auf eure Frage geantwortet? Nichts, gar nichts! Was ist ein historisches Recht? Eine Floskel, durch welche man die Einfaltspinsel hinter's Licht führt. Wenn das historische Recht ein wirkliches Recht wäre, dann thäte man Unrecht, die Wanzen aus den Betten 207 und die Mäuse aus den Löchern zu treiben; dann hätte Herkules eine unverzeihliche Sünde gegen den Dreck begangen, als er den Stall des Augias gesäubert; ja, dann hätte das Unrecht ein gewaltiges Recht, gar kein Recht mehr aufkommen zu lassen. Das A hat nur der dummen Vorliebe eines beschränkten Schulmeisters den hohen Rang zu verdanken, den es unter uns einnimmt; denn es hat weder mehr Talent, noch bringt es mehr Nutzen als wir. Und wenn ihr es noch länger an der Spitze duldet, so wird es einst aus einem Selbstlauter ein Selbstherrscher, ein furchtbarer Tyrann des ganzen Buchstabengeschlechts werden. Dixi! Punktum! Streusand drüber!«

Als das revolutionäre R seine censurwidrige Rede geschlossen, brach der furchtbarste Tumult aus, der noch je erlebt worden ist. Nicht allein, daß die Buchstaben das arrogante A gänzlich vertilgen wollten; jeder wollte jetzt der Herrscher der Uebrigen werden, weil jeder durch seine Leistungen die Uebrigen zu übertreffen glaubte. Ja, Einige droheten sogar, sich auf immer aus dem Alphabet zurückzuziehen, wenn ihnen nicht fortan der erste Rang zugesichert würde.

»Wollt ihr nicht mich zum Ersten unter euch nehmen,« schrie das F, »so sag' ich mich gänzlich los von euch, 208 so mögen die Fürsten und die Freiherren sehen, wie sie künftig existiren; so möge die deutsche Flotte sehen, wie sie zu Staude kommt; so mögen Freund und Feind sehen, wo sie bleiben; so möge jeder Funke zur Unke, jeder Flausrock zum Lausrock, jeder Geistesflug zum Geisteslug werden! Dixi!«

»Wenn ich nicht der Erste werde,« rief das B, »so sag' ich mich gänzlich los von euch; so mögen die Bäder und die Bälle und die Barbiergesellen sehen, wie sie künftig existiren; so mögen Braut und Bräutigam zusehen, wie sie fertig werden; so mögen die Ballettänzerinnen sehen, was sie anfangen; so mögen die Bierbrauereien und die Brabanter verschwinden und München und Frankfurt sich in Sack und Asche hüllen; so möge jedes Blockhaus zum Lockhaus, so möge jeder Brauch zum Rauch, jede Bleiche zur Leiche und jeder Bengel zum Engel werden. Dixi!«

»Wenn man mich nicht zum Ersten macht,« donnerte das X, »so sag' ich mich gänzlich los von euch und die Ehemänner mögen künftig sehen, woher sie eine Xantippe kriegen! Dixi!«

Schon wollte das Q zu reden beginnen, als ein gewaltiger Donner zu rollen anfing. Leuchtende Blitze 209 zischten durch die Luft und eine furchtbare Stimme ertönte und sprach:

»Der Teufel hole die Freiherren und die Flausröcke, die Bierbrauereien und die Ballettänzerinnen, die Bälle und die Badergesellen, die Bengel und die Xantippen! Ihr dummen, einfältigen Buchstaben! Was schwatzt und schreit ihr von einem ersten und einem zweiten Rang? Ihr habt gar keinen Rang; Lakaien seid ihr; Sklaven, Knechte seid ihr! Ich hab' euch gemacht; deßhalb solltet ihr auch mir gehorchen. Aber ihr gehorcht der Dummheit und der Tücke, der Gemeinheit und der Bosheit, und ich habe nicht übel Lust, euch gänzlich zu zertrümmern und mir statt eurer andere Diener zu schaffen, die nur mir gehorchen, damit die Welt glücklicher sei, als sie jetzt ist!«

»Wer bist du denn?« fragten die Lettern, bebend vor der gewaltigen Stimme.

»So hört!« rief die Stimme, so gewaltig, daß die ganze Erde erzitterte. »Ich bin der Geist! Nicht der deutsche Geist und nicht der französische Geist, nicht der Judengeist und nicht der Christengeist. Ich bin der Weltgeist, der Vater alles Geistigen. Wer mich kennt, der liebt mich, und wer mich liebt, der haßt Alles, was gemein, schlecht und nichtsnutzig ist. Ich bin das Licht 210 und das Leben. Wer mir huldigt, ist von wahrem Adel und ob er auch die Schellenkappe trägt; wer mich aber fürchtet und flieht, dem schickt die Weltgeschichte einen schmählichen Steckbrief nach; und wenn auch die prächtigste Krone seine Stirne geschmückt, die Nachwelt drückt ihm dennoch das Schandmal auf seine Stirne. Dixi!« 211

 


 


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