Ludwig Kalisch
Schlagschatten
Ludwig Kalisch

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Aus den Papieren
eines
Leihbibliotheks-Gehülfen.

Jeder Stand hat seine Plage! Das ist eine alte Wahrheit. Der Stand eines Spezereiladendieners ist gewiß kein süßer Stand, obgleich Kandiszucker und Raffinat eine große Rolle darin spielt. Es ist ein Stand, den alle Wohlgerüche Arabiens nicht versüßen können. Ja, es ist fast ein gottloser Stand. Denn da ein Spezereiladendiener so viel Umgang mit Talg und Oel hat, kann er leider keinen fleckenlosen Wandel führen. Von frühester Morgendämmerung bis zur spätesten Nacht muß er die menschliche Küche mit gutem Geschmack versehen. Kaum hat ihn der Käse in einen üblen Geruch gebracht, muß er sich auch schon zu miserabeln Häringsseelen herablassen, und kaum war er in der Gegend, wo die 97 Citronen blühen, jagt ihn eine alte Köchin gleich hin, wo der Pfeffer wächst. –

Der Stand eines Schneiders ist auch kein angenehmer Stand, obgleich ihm die Hölle selbst höchst ersprießliche Dienste leistet und die Blößen seiner Familie gratis verdeckt. Denn ein Schneider hat von der schiefen Richtung der Menschheit viel auszustehen und der Faden der Geduld darf ihm doch nicht reißen. Die geheimen Gebrechen der Sterblichen muß er mit dem Mantel der christlichen Liebe bedecken, und trotz aller verdrießlichen Auswüchse, darf er doch nie das Maaß verlieren.

Der Stand eines Nachtwächters ist gewiß auch kein angenehmer Stand; denn ein Nachtwächter ist der Antipode der Menschheit. Ein Nachtwächter gleicht dem deutschen Volke. Während Alles wacht und sich des hellen Tages freut, schließt er die Augen und schnarcht, und während Alles der süßen Ruhe pflegt, muß er in Wind und Wetter tauben Ohren singen. Ach, wer in der Finsterniß singt, hat noch nie sehr viel erreicht, und unter allen Nachtwächtern hat's nur einer weit gebracht, weil er nämlich so politisch war, keiner zu bleiben. Ein Nachtwächter gleicht auch einem Propheten. Der größte Theil hört ihn nicht und die Wenigen, die ihn hören, verwünschen ihn, weil er ihnen den Schlaf raubt. –

98 Der Stand eines Setzers ist leider auch ein höchst unangenehmer Stand. Der Verfasser eines langweiligen Romans träumt in seiner Eitelkeit von Monumenten und Lorbeerkränzen und fühlt sich in dieser Eitelkeit höchst glücklich, und der Leser eines langweiligen Romans hat doch das schöne Recht, bei dieser großen Opiumfrage die müden Augen zuzudrücken. Der arme Setzer aber ist verdammt, die Langeweile buchstäblich zu genießen. Er muß nach dem Frevel so oft greifen als nach der Tugend und nach den Eheleiden so oft als nach dem Pantoffel. Er hat mit der Freiheit eben so viel zu schaffen, als mit der Sklaverei, und das Philisterthum macht ihm sogar mehr Mühe als das Himmelreich. Wie oft muß er bei der Treue und Unschuld ein Fragezeichen setzen! Er muß gar oft Bündnisse trennen und Dummheiten zehnmal auseinander legen.

Ja, der Stand eines Setzers ist ein höchst unangenehmer Stand. Die schönsten Blüthen des menschlichen Geistes muß er blätterweise zusammenklauben, und nach dem Unrath hirnverbrannter Köpfe alle Finger ausstrecken, und so verdirbt er sich den Genuß des Schönen und so wird er vom Widerwärtigen hundertfach beleidigt. Er kennt kein Gut auf dieser Erde als das Letterngut und muß jahraus jahrein für plumpe Bengel arbeiten. Und 99 hat er sein Werk vollendet, dankt ihm Niemand, und nicht sein Fleiß und seine Tugenden, sondern seine Fehler kommen an den Tag. Kein Verbrecher wird so korrektionel behandelt als ein Setzer.

Der Stand eines Metzgers ist ohne Zweifel ein sehr betrübter Stand. Ein Metzger muß sich an grausames Blutvergießen gewöhnen und Schafsköpfe gehörig zu behandeln wissen. Er muß das Herz und die Nieren des Rindviehs prüfen und wie ein ehrgeiziger Feldherr Schlachten zur Lieblingsneigung machen. Er darf die Menschheit nur von der fleischlich gesinnten Seite betrachten und muß grausam in den Eingeweiden unschuldiger Lämmer wühlen. Stets ist sein ganzer Geist darauf gerichtet, das Fleisch zu tödten und dennoch wird er nie für einen Heiligen erklärt. –

Ein bitterböser Stand ist auch der eines Souffleurs; denn so groß sein Verdienst, so groß ist auch der Undank, der ihm lohnt. Kaiser und Könige horchen auf ihn mit durstigem Ohre und schließt er den Mund, so verstummen die gewaltigen Beherrscher der Bretterwelt. In seiner Macht liegt es, die Weisen irre werden zu lassen und die großen Fürstinnen zum Falle zu bringen. Am Anfange jeder Bühnenweltschöpfung war das Wort; aber das Wort war bei dem Souffleur und der Souffleur 100 war das Wort. Wo er aufhört, hört alles auf. Aber welche Stellung nimmt er ein? Wie ein miserables Knollengewächs ragt er höchstens einige Zoll aus dem Boden; aber während jenes wenigstens den freien blauen Himmel über sich hat, deckt ihn der plumpe Kasten, die blecherne partie honteuse aller Thalia-Tempel. Spricht er laut, bringt ihn das Publikum auf's unzarteste zum Schweigen, und spricht er leise, bringen ihn die Komödianten auf's unhöflichste zum Reden. Er gleicht den meisten Völkern. Die Fürsten, die irgend eine bedeutende Rolle spielen, spielen sie nur durch Hülfe ihrer Völker; dennoch schämt man sich ihrer. Man läßt sie so tief wie möglich stehen und wenn sie laut werden, bringt man sie durch Fußtritte zum Schweigen. Den armen Souffleur, der sich eifrigst bestrebt, daß Götter, Helden und Menschen nicht stecken bleiben, läßt man immer im Kasten stecken. Steigt Jemand in die Wolken, muß der arme Souffleur ihm noch die letzten irdischen Worte in den Mund legen und fährt ein Schuft zum Teufel, so ist der Souffleur der erste, welcher von dem Schwefelgestank heimgesucht wird. Ja, der Stand eines Souffleurs ist ein bitterböser Stand!

Den schwersten Stand unter allen Ständen, selbst die Meiningen'schen Landstände nicht ausgenommen, hat 101 aber gewiß ein Leihbibliotheks-Gehülfe. Es ist schon schlimm, vor lauter Titeln keine Menschen kennen zu lernen; es ist aber noch schlimmer, vor lauter Büchertiteln kein Buch kennen zu lernen. Ich hab' es durchgemacht. So lange ich als Leihbibliotheks-Gehülfe fungirte, war ich nichts als ein schlanker Katalog mit eingefallenen Backen und langen Beinen. Jedes Nähmädchen wollte mich nachschlagen; jede Köchin wollte mich durchblättern. Ich hatte keinen Augenblick Ruhe und kam mir manchmal vor wie ein geplagter Heiliger, den die unvernünftige Menge mit Bitten und Forderungen betäubt. Bald verlangte ein Kammerkätzchen »die Wonnemonde der Liebe« von mir; bald mußte ich einem Ladenschwengel den »Sittenspiegel für das weibliche Geschlecht« geben. In diesem Augenblick brachte mir eine Magd »das Kind der Liebe« zurück und im nächsten Augenblick mußte ich auf die Leiter steigen, um einem Bedienten den »Himmel der Ehe« herab zu holen. Kaum hatte ich einem Barbiergesellen »die zwölf schlafenden Jungfrauen« gereicht, so beklagte sich ein Bügelmädchen, daß die »weibliche Sittsamkeit« gar zu langweilig. Hier wollte ein Waschweib die »Schauderthaten in den finstern Schluchten der Apeninnen« und dort wünschte eine Wittwe den zweiten Theil von dem 102 »geduldigen Ehemann«. Aber kaum hatte ich diese befriedigt, so bestürmte mich schon ein Dritter mit der Frage, ob »das Mädchen unter den Husaren« noch nicht zurückgekommen, und während ein Vierter tobte, daß »Unsere Zeit« so viel schmutzige Blätter habe, schalt ein Fünfter, daß in »der Liebe Tändeleien« die interessantesten und schönsten Seiten fehlten. Ja, ich war ein geplagtes Geschöpf!

Eines Sonntags nun dacht' ich, du hast die ganze Woche so viel Plackerei gehabt, greif' dich mal an, lieber Junge, und trinke ein gutes Gläschen. Gedacht, gethan! Ich verließ die Bibliothek und ging in ein Weinhaus. Du lieber Gott, das war eine Herzensstärkung! Ja, es ist ausgemacht, in einem guten Glas Wein schwimmen alle Herrlichkeiten und Seligkeiten. Mein bestaubtes Herz wurde rein gespült von diesem Göttertrank und ging wieder auf wie eine welke Rose nach einem warmen Frühlingsregen. Ich trank und trank und trank und trank, und jemehr ich trank, desto durstiger ward ich, und je durstiger ich war, desto mehr mußt' ich trinken. Bald hatte ich des Guten so viel gethan, daß ich die ganze Welt für eine Leihbibliothek ansah und die Menschen für schmutzige, vergriffene Schaudergeschichten. Aber selig war ich, so selig, daß ich mich selbst hätte 103 küssen können. In diesem Zustande ging ich nach Hause. Ich ging eigentlich nicht; ich torkelte auch nicht; ich ging torkelnd und torkelte gehend. Ich neigte mich bald zum rechten Centrum, bald zur äußersten Linken, von juste milieu war damals gar keine Rede bei mir. Endlich kam ich in die Bibliothek. Nun mußt du einen Schwank ausführen, Junge, rief ich, und fing an die Bücher, die nach einem gewissen System geordnet waren, unter einander zu mischen. Ich stellte einen Band eines Romans unter die Bände eines religiösen Werkes. Ich drückte einige Bände Jung Stilling in Voltaires sämmtliche Werke hinein. Ich stieß den Spieß in den Göthe und warf den Leibrock auf Jean Paul. Ich schleuderte einen Stahl auf Schiller und einen Stein auf Bürger und fügte Herdern einen Schaden zu. Kaum hatte ich aber diese Verwirrung angerichtet, als ich eine Bewegung wahrzunehmen glaubte. Diese Bewegung wurde immer stärker, und nach einigen Minuten fing es an zu murren, zu toben, zu heulen, zu zischeln, zu pfeifen, zu rasseln, zu singen, zu rumoren, zu rauschen, daß mir schier Hören und Sehen verging. Wunderbare und höchst absonderliche Gestalten stiegen aus den Brettern und wuchsen allmählig zu einer Riesengröße heran. Die Wände erweiterten sich in's Unendliche und die Decke erhob sich 104 bis zur Thurmeshöhe. »Die Glocke der Andacht« fing an zu brausen und »die Posaune des jüngsten Gerichts« zu schmettern. Die verweinte »Mimili« ward von Faust verfolgt und »Marmorino, der edle Bandit« kam mit der »Familie Schroffenstein« in unangenehme Berührung; »Johanna, die Heldin der Bluthochzeit« warf sich auf »das Sopha« und das »schöne Gespenst in fünfzigjährigen Wirkungen« huschte in den Winkel, auf welchen »Rinaldo Rinaldini« wüthend und racheschnaubend sprang. »Sebastiano der Verkannte« warf sich der »Faustine« zu Füßen und »der Jesuit« umarmte »Wally die Zweiflerin« und führte sie in »die schauervolle Mördergrube in den Abruzzen«. »Die jüngsten Kinder meiner Laune« liefen zu »Rektors Minchen« und »der Naturmensch« strauchelte und fiel auf »die Verirrungen des menschlichen Herzens«. »Der Junker zum ersten Male in der Residenz« gerieth auf »die Wege des Schicksals« und stolperte über den »Schutt«; und »Romeo und Julie« liefen zu »Robert auf der einsamen Insel«. »Die Löwenritter« kämpften mit dem »Opfer des Herzens« und »der gestiefelte Kater« warf sich auf »die Elixire des Teufels«. »Zadie« vertrieb »die Stunden der Andacht« und »Don Juan« faßte »die Nonne von Appenzell« und führte sie in »die Gemächer des Elends und des Jammers«. Kurz, es war 105 ein solcher Teufelsspuck, ein solcher Höllen-Wirrwarr, daß mir Hören und Sehen verging. Ich konnte mich der herandrängenden Erscheinungen nicht erwehren und flüchtete von einer Ecke zur andern. Doch hier stieß mich »Götz von Berlichingen mit der eisernen Hand« hinweg; dort gab mir »Fiesko« ein Tritt, daß ich schier zu Boden stolperte. Hier stach mich »die verhängnißvolle Gabel« und dort wollte »der edle Don Quijote von der Mancha« einen Kampf mit mir beginnen. Verhöhnt, verfolgt, gedrückt, gequetscht, verlacht, getreten und gestoßen, fiel ich endlich zu Boden und verlor die Besinnung. Als ich erwachte, mußte ich mich aus einem Haufen von Büchern empor arbeiten, die aus mir lagen. Statt, daß ich mich auf die schönen Wissenschaften hätte legen sollen, hatten sich die schönen Wissenschaften auf mich gelegt. Meine erste Freude gereichte mir zum gewaltigen Schrecken, doch kam ich mit einem blauen Auge davon. 106

 


 


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