Ludwig Kalisch
Schlagschatten
Ludwig Kalisch

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Leben, Thaten und Untergang
des
deutschen Junkers Balthasar Nix.

Der edle Ritter, Balthasar Nix, dessen bedeutendes Dasein hier nicht ohne einen leisen Anflug von Begeisterung geschildert werden soll, erblickte das Licht dieser trostlosen Welt um die Mitte des vorigen Jahrhunderts. Da er im Augenblick seines Geborenwerdens über alle Maßen schrie, so war man gleich überzeugt, daß er dereinst nicht schweigend durch's Leben gehen würde. Kaum hatte Balthasar das erste Jahr und die Amme seine Windeln zurückgelegt, als er auf seinen eigenen Füßen stand, was man als ein höchst glückliches Zeichen früher Selbstständigkeit mit Freuden wahrnahm. Seine glorreiche 26 Laufbahn erstreckte sich damals von einer Wand bis zur andern; und obgleich er zu jener Zeit oft auf den Kopf gefallen, so beschädigte er sich dennoch nie, und die Umgebung ward dadurch zur schönen Hoffnung berechtigt, daß er, als ächter deutscher Ritter, zwar an Vielem Anstoß nehmen, sich aber niemals umsonst den Kopf zerbrechen würde. Kurz darauf erhielt er ein Steckenpferd; doch können wir dies hier als minder wichtig wohl füglich übergehen.

Noch nicht sechs Jahre alt, zeigte der Ritter bereits gegen Lesen und Schreiben eine höchst bewundernswürdige Abneigung; nicht minder legte er in diesem zarten Alter schon eine ungewöhnliche Vorliebe für Austern und Champagner an den Tag, ein Umstand, der einst die merkwürdigste Katastrophe in seinem Leben bilden sollte. (Daß er auch gutes Wildpret und starke Rheinweine nicht verschmähete, ist hier besonders zu erwähnen sehr überflüßig.) Aber in noch anderen ritterlichen Uebungen zeigte der edle Junker bald sein angeborenes Talent. Er hetzte jede Woche ein Pferd zu Tode; er ging und ritt auf die Jagd; er schoß nach der Scheibe und verpuffte so viel Pulver, als wenn er es selbst erfunden hätte. Große Hunde und Ebenbürtige liebte er eben so sehr, als er Bauern und Bürger haßte und eine wahrhaft erstaunenswerthe Gewandheit 27 zeigte er in Handhabung der Reitpeitsche, der er schon des Knalleffekts wegen, als wahrhafter Junker, sehr zugethan war. Als er sich im achtzehnten Jahre befand, in jenem Alter, wo die Blüthe der Flegelei zur üppigen Blume der Impertinenz sich entfaltet, ging er, nach zurückgelegten Vorstudien im Fechten und Parforcejagen, auf die Universität Göttingen, welche wegen ihrer Würste und Professoren einen Weltruhm genießt. (Er fand leider an jenen mehr Geschmack als an diesen.)

Die ersten Tage seines Aufenthalts waren für ihn sehr unangenehm. Sein Mangel an Wißbegierde und der Ueberfluß an Wissenschaften, ließen ihn nämlich im Zweifel, welchem Studium er sich zuwenden sollte; endlich aber ward er sich seiner Geburt bewußt und widmete sich dem Studium des Faustrechts. Bald schloß er sich verwandten Herzen an und fehlte nie, wo es galt, einem Professor die Scheiben einzuschmeißen, oder einen nächtlichen Randal vor dem Hause eines Philisters zu machen. Der edle Junker war so unermüdlich in seiner Thätigkeit, daß er oft noch wachte, wenn andere Christenkinder schon aus dem Bette stiegen. Auf der Mensur war er fast täglich und wäre sein Geist so scharf gewesen wie seine Klinge, er wäre gewiß eher in die Wissenschaften und die deutsche Philosophie, als 28 in die Nasen und Backenknochen deutscher Musensöhne eingedrungen. Sein Rapier war aber stets geschliffen, während er, ein ächter deutscher Junker, stets das Gegentheil war.

Viele behaupten, die Tugend sei das höchste Gut. Das höchste Gut des edlen Geschlechts der Nixe war aber durchaus nicht die Tugend, sondern im Gegentheil wenige Morgen kahlen Landes auf einem Bergkegel, in dessen Mitte auch das Schloß der Nixischen Ahnen stand. Nur eins hat dieses Gut mit der Tugend gemein; eben so wenig wie diese, war nämlich jenes im Stande, ein behagliches Auskommen zu sichern und wenn man den Junker einen Springinsfeld nannte, so war darunter durchaus nicht zu verstehen, daß er mit seinem Gelde große Sprünge machen konnte. Es ging ihm in vieler Beziehung wie dem Mond; erstens war er wie dieser nicht im Stande, aus eigenen Mitteln zu leuchten, zweitens trank er so viel, daß er sich beständig um die Erde und mit der Erde drehte und drittens war sein Wandel eben so wenig, wie der des Mondes, ganz ohne Flecken.

Daher kam es denn, daß der edle Junker viel Gläubiger und höchst merkwürdige Autographen von fast 29 sämmtlichen Gastwirthen, Schustern und Schneidern der Stadt hatte. Diese Gläubiger mahnten ihn zwar weit heftiger, als sein Gewissen; doch wenn er gegen dieses harthörig war, so war er gegen jene stocktaub.

Das Triennium war vorüber. Voll Schulden machte der edle Junker sein Examen und blieb in beiden stecken. So ausgerüstet, verließ der edle Junker seine Hochschule, auf welcher er nichts Wichtiges gelernt und nichts Unwichtiges vergessen hatte und da gerade das Vaterland sich des Friedens erfreute, wandte er sich dem Militärstande zu. Ehe der bleiche Mond sich dreimal erneut hatte, war der edle Junker ein stattlicher Kavallerie-Lieutenant, und da man als solcher nicht viel Kopf, sondern das Gegentheil gebraucht, so konnte Niemand den edlen Junker aus dem Sattel heben, ja, er saß so fest zu Pferde, daß man ihn mit dem Thiere zusammen gewachsen glaubte, und nicht bestimmt wußte, ob das Pferd sich in einen edlen Ritter, oder der edle Ritter sich in ein Pferd endigte.

Das Gesetz des Landes verbot jede Art von Zweikampf auf's strengste; daher kam es, daß fast täglich Duelle stattfanden. Es geht überhaupt mit den menschlichen Gesetzen, wie mit den großen Landstraßen; man 30 kommt gewöhnlich schneller zum Ziele, wenn man beide umgeht. Nachdem der edle Junker aus zwölf Ehrensachen sich mit viel Ruhm und wenig Narben gezogen, war er darauf bedacht, der Welt edle Nachkommen von sich zu liefern. Er hatte mehrere Jahre mit einer bürgerlichen Dame gelebt. Da aber die Folgen einer wilden Ehe nur natürliche Kinder sind, so entschloß er sich zu einer zahmen.

Eine reiche adelige Wittwe hatte auf den edlen Ritter ihr einziges Auge geworfen und der edle Ritter reichte ihr die Hand am Altare, da er hoffen durfte, daß sie nur ein Auge zuzudrücken brauchte, um im strengsten Sinne für ihn ganz blind eingenommen zu sein. Kaum zwei Jahre hatte der edle Ritter nöthig, um alles bewegliche Gut seiner Ehehälfte, bis auf ihre Zunge, todt zu schlagen.

Kurz nach diesem Zeitraum ging sein sehnlichster Wunsch in Erfüllung. Er brachte nämlich diejenige unter die Erde, welche ihm auf der Erde nichts mehr zu bieten hatte. Ihre letzten Worte waren – die schönsten für ihn. Als er sie in die Gruft senkte, ließ ihm sein schwacher Glaube den Trost zurück, daß es kein Wiedersehen giebt. Eine Thräne ließ er auf ihr Grab fallen, eine 31 aufrichtige, heiße Thräne verborgener Freude. Schon wollte er in der süßen Hoffnung, zum zweitenmale Wittwer zu werden, einer bejahrten reichen Jungfrau die Hand bieten, als sich ein Umstand ereignete, der seinen schätzbaren Tugenden auf einmal ein Ende machte. Er ging nämlich im unerschütterlichen Vertrauen auf sein vielumfassendes Talent mit einigen edlen Kameraden eine Wette ein, binnen einer Stunde dreihundert Austern und fünf Flaschen Champagner in das dunkle Reich seines Magens zu schicken. Die Austern waren bereits im Meer der Vergessenheit und schon setzte der edle Junker das letzte Glas der letzten Flasche an den Mund, als man plötzlich etwas an ihm wahrnahm, was noch niemals an ihm wahrgenommen worden. Er zeigte sich nämlich aufrichtig gerührt. Was dem Schmerz gekränkter Unschuld, was der Qual verletzter Ehre und der bittern Pein getäuschter Hoffnung niemals gelang, das brachte ein Schlagfluß in einem Nu fertig.

Die Kameraden überzeugten sich bald, daß der Freund das Leben verloren und sie also die Wette gewonnen hatten. Der edle Ritter war von jeher gewohnt, alles leicht aufzugeben, was für ihn keinen Werth hatte und so machte er es auch mit seinem Geist.

32 Die Freunde begruben ihn mit allen ihm gebührenden Ehren und lösten viel Salven an seinem Grabe, um zu zeigen, daß er noch mehr als einen Schuß Pulver werth war. Außer vielen unquittirten Rechnungen und einer Uniform ließ der edle Junker nichts zurück, als das Andenken an seine Virtuosität im Trinken und im Führen des Rappiers. Seine edlen Freunde ließen ihm einen Grabstein mit folgendem Epitaphium setzen:

        Hemm' nicht die Thränen deines Blick's,
O Wand'rer! weine bitter;
Denn unter diesem Stein liegt Nix,
Liegt, ach, ein deutscher Ritter!

 


 


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