Ludwig Kalisch
Schlagschatten
Ludwig Kalisch

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Der deutsche Magen
und
die deutsche Freiheit.

Jedes Volk hat seine besondere Eigenthümlichkeit. Der Spanier hat seinen Stolz, der Franzose seinen Ehrgeiz, der Engländer seine Liebe zur Freiheit, der Italiener seinen blauen Himmel und der Deutsche seinen Magen. So wie aber der deutsche Geist darin groß ist, daß er alle Wissenschaften aller Nationen aufnimmt und sich eigen macht, so zeigt sich der Magen der Deutschen darin groß, daß er alle Speisen aller Nationen aufnimmt. Der deutsche Magen ist ein Kosmopolit. Die spanische Olla, der russische Caviar, die italienische Maccaroni finden in seinem weiten Reiche gastfreundliche Aufnahme, und daß er mit Beefsteaks und Puddings, mit Vol au vents, Ragouts und andern Delikatessen jenseits des Canals und des 11 Rheins in herzlichem Einverständniß lebt, ist eine gar zu bekannte Sache. Der deutsche Magen und die deutschen Zeitungen nehmen alles auf; sie können beide die verdaulichsten und unverdaulichsten Artikel vertragen.

Dem deutschen Magen war früher jede Heuchelei fremd. Er machte kein Hehl daraus, daß er das Essen um des Essens willen liebte; auch machte es ihm gar keine Gewissensskrupel, daß man um seinetwillen so viel unschuldige Lämmer und Hämmel zur Schlachtbank führte, und daß so viel Blut von frommen Ochsen und Kühen vergossen wurde. Der deutsche Magen hielt sich für das absolute Sein. Er kannte weder Zeit noch Raum. Wie die Kunst, war auch er sich selbst Zweck genug. Da fällt es plötzlich dem deutschen Magen ein, durch scheinheilige Gründe seine Unersättlichkeit zu beschönigen. Er erfindet die Vereine, damit er einen Zweck für die Zweckessen habe und macht so die Humanität zu seiner Köchin. So hat gewiß der deutsche Magen die Vereine gegen die Thierquälerei in's Dasein gerufen. Jeden Monat versammmeln sich die Mitglieder und nachdem der Präsident über die abscheuliche Grausamkeit gesprochen, mit welcher noch in einigen barbarischen Gegenden Europas die harmlosen Flöhe verfolgt werden, setzt sich der Verein zu Tisch und der Magen in Thätigkeit. Die Kunstvereine haben 12 auch ihre monatlichen Zweckessen; nicht minder die Krankenvereine, die Sterbevereine, die Apothekervereine und die vielen andern Vereine, die sämmtlich im Dienste des vielbedürftigen, unersättlichen deutschen Magens stehen. Zwölf deutsche Vereinsmitglieder sind nichts anders als ein Dutzend zweibeiniger Mägen mit unbefriedigten Gefühlen.

Der Triumph des deutschen Magens ist aber die Erfindung der liberalen Fest-Essen. Seit einige Deutsche so frei sind, etwas mehr Freiheit zu fordern; seit einige kühne Zungen sich an harthörige Ohren wagen, lesen wir beständig von großen und kleinen liberalen Zweckessen. Wenn in der badischen Kammer ein muthiger Abgeordneter die Sache des Volkes verficht, wird ihm zu Ehren in Itzehoe gegessen, und wenn in Breslau ein liberaler Professor abgesetzt wird, setzen sich ihm zu Ehren in Buxtehude hundert Philister zu Tisch. Auf einen liberalen Mund kommen in Deutschland wenigstens tausend Freßmäuler und wenn es ein braver Mann mit der Regierung verdirbt, verderben sich ihm zu Ehren zweitausend Deutsche den Magen.

Ich glaube, Pythagoras war es, welcher der Wahrheit hundert Ochsen geopfert; der Deutsche setzt die Freiheit über die Wahrheit und opfert ihr ganze Viehheerden. Der Zeitungsstyl nennt solche Festessen Demonstrationen; 13 in der That ist auch nichts so geeignet, den deutschen Regierungen eine klare Uebersicht von den Fortschritten des deutschen Liberalismus zu gewähren, als die Register der Schlacht- und Mahlsteuer. Bis jetzt hat der deutsche Liberalismus den Metzgern und Beckern noch am meisten genützt.

Es ist nicht zu leugnen, daß Heroen gern essen, und der Appetit der trojanischen Helden hat durch Homer's ewige Gesänge sogar die Unsterblichkeit erlangt. Die homerischen Helden haben aber immer erst nach dem Kampfe gegessen; erst wenn ihre Schwerter und Lanzen müde waren, haben sie Messer und Gabel ergriffen. Nüchtern gingen sie zum Kampfe und erst nachdem sie alle Taschen voll Lorbern hatten, erfreuten sie sich des leckern Mahls. Die meisten unserer deutschen Liberalen aber wetzen lieber den Schnabel, als den Sabel. Sie meinen, sie wären schon frei, wenn sie nur ihrem Appetit keine Schranken setzten, und wenn sie das Sauerkraut im Leib haben, meinen sie gleich, sie hätten den Teufel im Leibe.

Wenn nun in Deutschland jetzt schon so viel gegessen wird, jetzt, da unsere freisinnigen Männer entweder ihre Stimme verlieren, oder ihren Sitz in irgend einem Kerker aufschlagen müssen: was wird erst erfolgen, wenn Deutschland wirklich frei wird? Wahrlich, kein Ochs wird dann mehr seines Lebens sicher sein und kein Schaf wird sich 14 mehr an's Tageslicht wagen, aus Furcht, sein Kopf könnte der deutschen Freiheit zum Opfer fallen.

Aber so weit wird es in Deutschland nicht kommen. Die deutschen Viehställe sind jetzt die Thermometer, an denen man die Temperatur der freisinnigen Ideen in Deutschland wahrnimmt. Wird das Rindvieh rar, so können die Regierungen gleich wissen, daß die freisinnigen Tendenzen mehr Raum gewinnen und demnach die geeigneten Maßregeln ergreifen. Die deutschen Regierungen behaupten, daß der deutsche Liberalismus ein Krebsschaden sei. Das ist nicht wahr; läugnen läßt es sich aber nicht, daß der deutsche Liberalismus sehr stark um sich frißt. 15

 


 


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