Ludwig Kalisch
Schlagschatten
Ludwig Kalisch

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Rede eines Vielgewanderten.

Unsere Lebensbahn liegt voll Steine des Anstoßes und des Aergernisses. Ach, wir gehen eigentlich gar nicht; wir stolpern und straucheln nur durch's Leben. Von der Kindheit bis zum Greisenalter ist unser ganzes Dasein meistens zwischen Fallen und Aufstehen getheilt und wir brauchen erst dann nicht mehr das Fallen zu fürchten, wenn wir aufzustehen nicht mehr Kraft haben, wenn man uns hinausträgt auf jene Friedensstätte, wo selbst an den Leibern der Fürsten demagogische Würmer Bacchanalien feiern. – Meine Herren, weinen Sie nicht; wir kehren wieder vom Kirchhof auf den Markt des Lebens zurück und diese Rede macht es wie eine junge Wittwe; sie fängt zwar mit Thränen an, hört aber mit Lachen auf. Ich sage Ihnen indessen nochmals, die Lebensbahn ist so schwer zu durchwandeln, daß Mancher schon auf halbem Wege die Geduld und den Muth verliert und sich lieber 55 dem schwarzen Tod in die Arme stürzt, als sich noch länger von der grünen Hoffnung foppen zu lassen. Indessen gibt es doch einige Auserwählte, denen das Schicksal Blumen auf den Weg streut, die statt der Steine des Anstoßes und des Aergernisses nur Rosen und Veilchen finden: und diese Auserwählten sind – die Einfältigen. Wer aber nicht zu diesen Auserwählten gehört, wer nicht das Glück hat, dumm zu sein, sollte der verzweifeln müssen? Nein, meine Herren; es gibt noch ein Mittel, welches uns nicht allein das Leben erträglich, sondern sogar angenehm macht und dieses Mittel heißt in unserer deutschen Sprache – Grobheit. Ich verstehe aber hier unter Grobheit nicht etwas Negatives, nicht bloßen Mangel an feiner Lebensart, nicht das Nichtvorhandensein der Höflichkeit; sondern ich meine hier die positive, eine und untheilbare Grobheit mit breiten Schultern und dicken Fäusten; jene Grobheit, die mit dem Kopf wider die harte Mauer rennt, aber sich dabei nicht den Kopf zerbricht, sondern die Mauer spaltet, kurz: ich meine die deutsche Grobheit.

Meine Herren, ich habe mich in der Welt umgethan und es gibt fast kein Land, welches ich nicht kennen gelernt. Ich war viele Jahre in Spanien, in jenem schönen Lande, aus welchem wir früher die Inquisition und die spanischen 56 Fliegen bezogen haben; ich war im schönen Frankreich, welches wegen der französischen Küche und Revolution sich ewigen Ruhm verschafft hat; ich war im stolzen England, das durch seine Beefsteaks und seine Freiheit allgemein bekannt ist; und ich war auch in Rußland, in dem unendlichen Lande unendlicher Knuten, in dem schönen, an Deutschland grenzenden Lande, welches beherrscht wird von dem milden Kaiser aller Reußen, welches hervorbringt Juchten, Sklaven und Caviar, in dem gefräßigen Lande, welches nicht allein andere Länder und Völker, sondern auch die Gottheiten anderer Völker verschluckt, kurz, in dem Lande, wo taubstumm zu sein, das größte Glück ist. –

Wie verschieden nun diese und andere Länder, die ich besucht, auch von einander sein mögen, überall hab' ich Grobheit angetroffen; allein es war nicht die ächte Grobheit. Der Spanier ist zu stolz, um eigentlich grob zu sein und selbst dem allerniedrigsten Franzosen ist die Höflichkeit so zur zweiten Natur geworden, daß seine Kraft ihn gewöhnlich im Stich läßt, wenn auch sein Wille in einer verhängnißvollen Stunde ihn zur Grobheit treibt. Der Engländer versteht sich schon besser auf die Grobheit; allein er treibt sie gewöhnlich blos aus Liebhaberei oder aus Laune. Er macht nie eine Profession, oder einen Lebensberuf daraus. Die Grobheit füllt nicht sein Leben 57 aus. Auch findet der Engländer so leicht keinen Landsmann, der sich die Grobheit gefallen ließe; er ist höchstens grob, wenn er deutsche Luft einathmet. Und auch in Rußland kann die Grobheit nicht aufkommen; denn wo man mit eisernen Sohlen tritt, braucht man ja wahrlich nicht mit Fäusten drein zu schlagen und wo ein Wink schon zittern macht, ist's da noch nöthig, daß man sich grober Worte bedient? Nein, in allen diesen und anderen Ländern ist die wahre Grobheit nicht zu finden. Die wahre Grobheit ist nur in Deutschland.

Sie werden nun, meine Herren, die Frage an mich richten: »Wenn die wahre Grobheit ein Mittel ist, das Leben erträglich, ja, angenehm zu machen und diese Grobheit nur in Deutschland zu finden: wie kommt's, daß gerade in Deutschland das Leben mit jedem Tage unerträglicher wird?«

Auf diese höchst natürliche Frage, meine Herren, geb' ich Ihnen folgende höchst natürliche Antwort: die wahre beseeligende Grobheit ist in Deutschland leider nicht das Gemeingut Aller. Nur die deutschen Beamten dürfen grob sein; das deutsche Volk muß sich die Grobheit gefallen lassen und das ist eben das Unglück des armen deutschen Volkes. Diese deutsche Beamten-Grobheit setzt selbst denjenigen in Verwunderung, den das geprüfteste 58 Leben gelehrt, auf Erden über nichts mehr in Verwunderung zu gerathen; denn wenn er glaubt, in einem Winkel Deutschlands den gröbsten Beamten gefunden zu haben, so findet er im entgegengesetzten Winkel noch immer einen gröbern und denjenigen Sterblichen möcht' ich sehen, der sich mit Fug und Recht schon vor seinem Tode rühmen könnte, den allergröbsten deutschen Beamten gesehen zu haben.

In der That! Nichts geht über deutsche Beamten-Grobheit; aber deutsche Beamten-Grobheit geht über alles. Die deutsche Beamten-Grobheit pflanzt sich stets vom Vater auf den Sohn fort und es frägt sich nur, ob sie eine erbliche Krankheit, oder ein erbliches Recht ist? Es ist nicht zu läugnen, auch der deutsche Beamte hat seine schwachen Seiten; auch der deutsche Beamte hat Augenblicke, wo sein Auge freundlicher blickt und seine Zunge sanfter spricht. Er hat Augenblicke, wo er nicht grob ist; aber auch dann ist er nicht höflich, sondern höchst nur gröblich. Solche schwache Momente hat übrigens ein deutscher Beamte nur sehr selten und wenn er wieder zum Selbstbewußtsein kommt, sucht er sobald wie möglich die Lücke in seinem Beamten-Gewissen auszufüllen, und wenn er früher ein simpler Grobian war, wird er jetzt ein doppelter Flegel.

59 In andern Ländern geht's mit der Grobheit wie mit der Luft; je näher diese der Erde, desto dicker ist sie. Die größte Grobheit findet man daher in andern Ländern, wenn man sie bei Beamten findet, höchstens bei den untersten Beamten. In Deutschland aber findet gar keine Abstufung in der Grobheit statt; hier ist ein geheimer Polizeirath eben so grob wie ein öffentlicher Polizeidiener, nur mit dem Unterschied, daß Jener seine Grobheit schriftlich und dieser handgreiflich bekundet.

Ja, wer einige Erfahrungen im Leben gemacht, wird sich leicht überzeugt haben, daß in Deutschland die Priester der Gerechtigkeit gewöhnlich nur etwas mehr Methode in der Grobheit haben, als die ordinären Handlanger der Gerechtigkeit. Bei Jenen hat die Grobheit einen groben Kittel an und bei diesen zeigt sie sich in ihrer Nacktheit. Das ist der ganze Unterschied.

Ich weiß wohl, daß es viele Ausnahmen gibt. Aber man spricht ja nie von der Gesundheit, sondern nur von den Krankheiten. Wie dem aber auch sei, es ist nicht zu läugnen, daß die Grobheit wahrhaft beseeligend auf den Besitzer derselben wirkt; denn es gibt in der That keinen unumschränktern Herrscher, als einen Grobian. Wer nun wie ein deutscher Beamter im Reich der 60 Grobheit begütert ist, hat ein Besitzthum, das ihm der Teufel selbst nicht streitig machen kann.

Die deutsche Beamten-Grobheit ist übrigens für deutsche Regierungen von höchstem Nutzen, und eben so wenig wie in der Landökonomie kann man in der deutschen Staatsökonomie die Flegel entbehren, wenn man aus dem Stroh die goldenen Körner dreschen will. Wie viel Stroh aber muß in Deutschland sein, da man in Deutschland so vieler Flegel bedarf? – – – 61

 


 


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