Ludwig Kalisch
Schlagschatten
Ludwig Kalisch

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Brief eines japanischen Kosmopoliten
an
seine Geliebte.

Schon oft, mein theueres Mädchen, hab' ich über das Wesen der Liebe nachgedacht, über jenes unbeschreibliche Gefühl, welches uns so ganz verwandelt, daß wir uns selbst nicht wieder erkennen. Ach, mein liebes Mädchen, die Liebe ist höchstens ein angenehmes Unglück; sie bringt uns mehr Schmerz in der Freude, als Freude im Schmerz. Sie gleicht dem überzuckerten Kalmus; sie hat eine dünne süße Schaale, aber einen festen bittern Kern. Ich glaube, unsere Liebe ist die Frucht ewiger Glückseligkeit, die aber nicht auf dieser kalten Erde, sondern vielleicht erst jenseits in wärmeren, reineren Lichtsphären reifen kann. Manche behaupten auch, die Liebe sei eine gefährliche Herzkrankheit, von welcher glücklicher 134 Weise nur wenig Menschen befallen werden. Das einzige Mittel gegen diese Krankheit sei aber die Ehe. Nach meinen Erfahrungen, die ich bisher im civilisirten Europa gemacht habe, kann ich dieser letzten Behauptung nur beistimmen. Glaube aber nicht, mein theueres Mädchen, daß man dieses Mittel hier anwendet, wenn die Krankheit schon ausgebrochen; im Gegentheil: man knüpft hier die Ehe, bevor sich noch die Liebe gezeigt. Die europäischen Ehen sind meistens Präservativmittel gegen die Liebe.

Große Philosophen haben behauptet, man könnte den Bildungsgrad eines Volkes nach dem Standpunkte ermessen, den bei ihm die Frauen einnehmen. Ich habe mir dies zu Herzen genommen und auf meinen Weltfahrten immer jenen Standpunkt in's Auge gefaßt. Bei den Beduinen in der syrischen Wüste stehen die Mädchen in sehr hohem Werth. Wenn dort ein Jüngling auf die Idee kommt, eine Gattin heimzuführen, so geht er zu irgend einem mit Töchtern gesegneten Vater und kauft ihm eine Tochter ab. Der Kauflustige gibt aber selten baares Geld für seine Zukünftige, sondern er tauscht sie ein und zwar um Vieh aller Art. Ist das Mädchen schön, so gibt sie der Vater nicht unter zwei Kühen, oder einem Kameele los; ist sie sehr schön, so findet sich leicht 135 ein Bewerber, der dem Vater zwei oder wohl gar drei Kameele zuführt. Wer dort mit vielen Töchtern gesegnet ist, der hat auch einst den schönsten Viehstall zu hoffen. Im civilisirten Europa sind aber die Töchter nichts werth, ja, der Vater muß sogar noch Geld geben, um sie los zu werden. Im civilisirten Europa werden die Mädchen an den Wenigstnehmenden versteigert. Ein Vater betrachtet also seine Tochter als ein wahres Unglück; hat er nun gar ein halbes Dutzend Töchter, so kannst du dir leicht denken, wie sehr er nach Männern haschen muß, die ihm das Unglück abnehmen. Hat der Vater aber kein Geld, so kann er natürlich das Unglück nie los werden.

Es gibt hier zu Lande große Pensionsanstalten, Anstalten nämlich, in welchen sehr viel Unglück beisammen ist; hier wird das junge Unglück groß gezogen und herangebildet. Ein Unglück, das nicht in einer solchen Anstalt gewesen, ist gar kein wahrhaftes Unglück.

Du wirst mich nun fragen, was eigentlich ein Mädchen in diesen Häusern lernt? Und ich muß dir gestehen, daß ich sehr verlegen bin, dir diese Frage erschöpfend zu beantworten. Doch will ich's versuchen.

Sobald ein Mädchen die Schwelle einer solchen Anstalt betreten, wird ihm ein bedeutungsvolles, 136 inhaltschweres Wort an's Herz gelegt. In diesem Worte liegt der Inbegriff seiner ganzen Zukunft, die Seele seiner ganzen Bestimmung. Dieses Wort heißt: weiblicher Anstand. Unter dem weiblichen Anstand versteht man aber in den Pensionsanstalten die Kunst, nach streng vorgeschriebenen Regeln zu scheinen, was man nicht ist und zu sein, was man nicht scheint. Nach diesen Regeln muß der Spiegel des Gesichtes die Züge des Herzens verkehrt wieder geben. Das Mädchen muß angenehm lächeln, wenn es sich ärgert und es muß schmollen, wenn es sich im tiefsten Innern freut. Es muß nach bestimmten Vorschriften die Augen niederschlagen und nach gewissen Methoden schamroth werden. Es muß die Muttersprache und die Sprache des Herzens vergessen und in einer fremden Zunge fremde Gefühle sprechen lernen. Es muß musikalisch nießen und nach Noten seufzen. Als lustiger, lebensfroher Schmetterling wird das Mädchen gewöhnlich in die Anstalt gebracht, und verläßt diese nicht früher, als bis es sich in eine Puppe verwandelt hat.

Sind nun achtzehn Lenze über das Haupt des Mädchens hinweggegangen, so ist das Unglück reif, und die Eltern müssen es sich vom Halse schaffen. Der besorgte Vater sieht einen jungen Mann und fragt ihn: »Willst 137 du mir mein Unglück abnehmen?« Der junge Mann lächelt und spricht: »Ich brauche dreißigtausend Gulden und wenn du mir diese Summe gibst, so will ich aus Dankbarkeit dich von deinem Unglück befreien.« Beide werden nach langen Unterredungen und vielfachen Vermittelungen Handels einig. Der junge Mann nimmt das Geld und das Unglück; der Priester spricht den Segen und die Ehe ist geschlossen.

Du kannst leicht begreifen, daß der Ehemann erst nach der Hochzeit sein Unglück genau kennen lernt. Im civilisirten Europa ist daher die Ehe ein langwieriger Krieg auf Tod und Leben, bis der ewige Friede zwischen dem Ehepaar vermittelnd auftritt. In diesem Kriege bleibt die Frau gewöhnlich Siegerin; denn eine Frau im civilisirten Europa ist Arsenal und Kriegerin zugleich. Sie besteht eigentlich aus lauter Waffen, die sie je nach den verschiedenen Angriffs- und Vertheidigungsplänen meisterhaft zu führen versteht. Die civilisirten Frauen schärfen diese Waffen an ihrem Verstande und selten fehlt ihnen der Sieg, wenn sie den Krieg beginnen wollen.

In den Flitterwochen machen die Frauen blos Manöver. Sie lassen die Truppen ihrer glänzenden Liebenswürdigkeiten vor dem jungen Gatten im Parademarsch 138 vorbei defiliren. Der Himmel ist heiter und in der klaren Sonne blitzen und flimmern die Waffen auf's prächtigste. Der entzückte Gatte ist reicher im Gewähren, als die Frau im Verlangen. Er liest ihre Wünsche, selbst wenn sie noch so undeutlich in ihrem Antlitz geschrieben sind und sie scheint ihm zu grollen, daß er sich zu freigebig zeigt. Der Barometer der Liebe zeigt anhaltend schönes Wetter.

Die Flitterwochen sind vorüber. Der Gatte liest jetzt mehr die Conto's in seinen Handlungsbüchern, als die Wünsche im Antlitz seiner Frau. An dem Himmel ihrer Stirne zeigt sich ein Wölkchen. Der Barometer der Liebe fällt um einen Grad. Der Gatte erschrickt; er bringt ihr einen schönen Shawl. Das Wölkchen schwindet; die Sonne scheint wieder. Mehrere Monate vergehn; die Wölkchen häufen sich. Der Gatte erschrickt nicht mehr. Da vereinigen sich die Wölkchen zu einer schweren Gewitterwolke. Es droht ein Sturm. Der Gatte zieht die Segel ein. Er lavirt. Der Sturm legt sich endlich. Der Barometer steht auf veränderlich. Der Gatte wird aber nach und nach gegen diesen Witterungswechsel sehr abgehärtet. Wie ein erfahrener Seemann, fährt er auf den bewegten Wellen des Ehestandes herum, oder er bleibt in dem Sicherheitshafen der Geduld ruhig liegen. 139 Die Geduld, mein vielgeliebtes Mädchen, ist das Universalmittel gegen alle irdischen Leiden. Die Geduld macht feuerfest und wasserdicht; sie schützt gegen die Kälte der menschlichen Selbstsucht und gegen die giftigen Bisse der Verleumdung. Die Geduld ist die Stiefschwester der Hoffnung; sie ist aber besser als diese. Während die Hoffnung sich grün macht und falsche Wechsel auf die Zukunft ausstellt, sagt uns die Geduld in ihrer Aufrichtigkeit, wie arm wir sind und lehrt uns die schweren Lasten der Gegenwart ertragen. Geduld ist der Muth der Schwachen. Wenn die Geduld nicht wäre, so würde die Verzweiflung Selbstherrscherin der ganzen Erde sein. Wenn die Geduld nicht wäre, gäb' es fast so viel Ehescheidungen als Hochzeiten; wenn die Geduld nicht wäre, könnten nicht so viel Schafe in einem Stall und nicht so viel Beamten in einem Lande leben, und wenn die Geduld nicht wäre, würdest du, meine theuere Freundin, diesen Brief weit schneller bei Seite gelegt haben, als ich ihn geschrieben. 140

 


 


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