Ludwig Kalisch
Schlagschatten
Ludwig Kalisch

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Ein alter, gewiegter Journalist
an
einen jungen, ungewiegten.

Jedes Ding hat seine zwei Seiten, bis auf die Einseitigkeit, welche auch deßhalb ein Unding ist. Da nun die Journalistik jedenfalls zu den existirenden Dingen gehört, so läßt sie sich natürlich auch von zwei Seiten betrachten. Merken Sie sich vor allem, daß wir in einer Zeit leben, die von Hans Dampf unumschränkt beherrscht wird. Seine Tochter und Mitregentin ist die Geschwindigkeit. Das alte Sprichwort: »Eile mit Weile!« muß jetzt in »Weile mit Eile!« umgewandelt werden. Unsere Zeit hat keine Zeit mehr sich Zeit zu nehmen; wie die galoppirende Schwindsucht eilt sie keuchend vorüber bis ihr der Athem ausgeht. Wenn Sie sich also der Journalistik widmen wollen, so befleißen Sie sich vor allen 62 Dingen der geschwindesten Geschwindigkeit. Schreiben Sie mit Dampf! Schreiben Sie mit 36 Pferdekraft! Der Zeitgeist verlangt, daß Sie Ihrem Geiste keine Zeit lassen. Ehe Sie sich aber die Journalistentugenden aneignen, legen Sie erst folgende Laster ab: die Gründlichkeit, die Aufrichtigkeit und das Ehrgefühl.

Da wir den Urgrund der Dinge doch nie erforschen können, so ist es schon von vornherein lächerlich, sich zur Gründlichkeit herabzulassen. Wenn Sie noch so tief steigen, Sie werden doch nur die Oberfläche berühren. Darum ist es besser, daß Sie gleich ein Anhänger der Oberfläche sind, auf welcher doch vor der Schöpfung sogar der Geist Gottes geschwommen. Wie bei der Milch und dem Champagner, ist auch im Leben die Oberfläche immer das Genießbarste und Beste. Das Schwere und Wichtige sinkt immer zur Tiefe hinab; das Leichte und Leichtfertige steigt ohne Mühe hoch empor. Warum aber sollten Sie nicht steigen wollen und wäre es auch nur in der Gunst des Volkes?

Die Aufrichtigkeit hat man von jeher für eine Tugend des Deutschen gehalten; wie weit es aber der Deutsche mit der Aufrichtigkeit gebracht, das wissen Sie so gut wie ich. Sein Sie aufrichtig gegen einen Freund, sagen Sie ihm seine Mängel, und er wird sich gleich grollend 63 von Ihnen abwenden. Sein Sie aufrichtig gegen einen Fürsten und das Lächeln der Gnade wird sich in einen ungnädigen Ernst verwandeln. Nur der Himmel belohnt die Aufrichtigkeit; auf Erden dankt man ihr gewöhnlich mit derben Ohrfeigen. Betrachten Sie nur die Diplomatie, welche doch jetzt die Welt regiert. Besteht sie nicht gänzlich in der Kunst, die Aufrichtigkeit zu vermeiden? Ein Journalist muß aber ebenfalls Diplomat sein; sonst hat sein Journal mehr Druckfehler als Abonnenten.

Ich komme jetzt auf das Ehrgefühl. Die Ehre ist der Stein des Anstoßes, über welchen jeder Ehrenmann so oft stolpert, bis er das Genick bricht. Gelangt man nicht meistens zu den größten Ehren, erst nachdem man die eigentliche Ehre verloren? Besteht nicht die menschliche Ehrbegierde meistens in der Begierde, die Ehre auf eine gute Manier los zu werden? Und ist in unserer Zeit ein Ehrenwort etwa mehr als ein bloßes Wort? Sie wissen, was John Falstaff über die Ehre gedacht und wie beträchtlich er durch seine edle Gesinnung an Fett und witzigen Redensarten zugenommen. Sein Ehrgefühl stand zu seiner irdischen Hülle in einem umgekehrten Verhältniß. Jemehr sein Ehrgefühl abnahm, desto dicker wurde sein Bauch, bis seine gränzenlose Unverschämtheit lebenslustig aus seinen geschmorten Backen leuchtete. Von allen 64 Gefühlen ist das Ehrgefühl am leichtesten zu verletzen; während die Ehrlosigkeit stich- und hiebfest ist. Warum sollten Sie sich also den Gefahren der Verwundung aussetzen? Warum sollten Sie nicht lieber furchtlos durch den Kampf des Lebens gehen, mit der festen Ueberzeugung, daß Sie unnahbar, daß Ihre Haut, wie die des Siegfried, mit Horn bedeckt?

Haben Sie die drei oben erwähnten Laster abgelegt, so gewöhnen Sie sich folgende Tugenden an und Sie werden sicher ein ausgezeichneter Journalist werden.

Sprechen Sie nie von dem, was Sie wissen; sondern sprechen Sie immer über das, was Sie nicht wissen. Sie haben dann einen unermeßlichen Spielraum für Ihre Feder. Ueber eine Sache, die wir durch und durch kennen, läßt sich nicht viel sagen; was aber läßt sich nicht über Dinge schreiben, die uns theilweise oder gänzlich unbekannt! Glauben Sie wohl, daß so viele Bücher über Himmel und Hölle geschrieben worden wären, wenn wir von beiden nur das Geringste wüßten? Daß die Erde rund, ist jetzt eine ausgemachte Sache und es läßt sich nichts mehr darüber sagen. Ob aber die Leiter, von welcher der Erzvater Jakob geträumt, von Tannen oder Mahagoniholz gewesen? Das ist eine Frage, über welche sich ein Dutzend dicker Bände schreiben ließe. Sprechen Sie 65 also über Hydraulik, Heraldik, Mnemonik, Pathologie, Mythologie, Theosophie, Hydropathie und Theologie. Sollten Sie aber das Unglück haben, von diesen Dingen wirklich etwas zu verstehen und überhaupt ein Vielwisser zu sein: so betrachten Sie alles von einem eigenthümlichen Gesichtspunkte, d. h. von einem verkehrten. Sprechen Sie überhaupt das, was Sie nicht denken, und Ihre Produkte werden einen gewissen Reiz des Eigenthümlichen erhalten, der durchaus ansprechen muß. Behaupten Sie zum Exempel: »Dr. Wolfgang Menzel in Stuttgart denkt, was er spricht, und spricht, was er denkt,« so haben Sie in einem kleinen Satze zwei große Lügen behauptet, die man aber gerne liest. Stellen Sie lauter verkehrte Ansichten auf. Sagen Sie, daß Eva darum in den Apfel gebissen, damit die Aerzte und Todtengräber nicht Hungers sterben. Sagen Sie, daß Gutenberg die Buchdruckerkunst erfunden, damit die Scheerenschleifer Geld verdienen. Sagen Sie, daß Vetter Michel blos darum einen Kopf hat, damit die Schlafmützenfabriken nicht einzugehen brauchen. Sagen Sie nichts und behaupten Sie, daß Sie etwas gesagt haben. So macht es ja auch mancher Minister in der Ständekammer. Nichts ist ein Stoff, aus dem Gott die Welt und die Welt schon manchen Gott erschaffen. Nichts ist das Sinnbild der 66 hannover'schen Constitution. Nichts ist die Auflösung des großen Räthsels: deutsche Nationalität.

Noch eine goldene Regel will ich Ihnen für Ihre Journalisten-Laufbahn geben. Das Wort ist, wie Sie wissen, für den Gedanken das, was das Kleid für den Körper ist. Wie aber Kleider Leute machen, eben so machen Worte Gedanken. Putzen Sie den kleinsten Gedanken mit den größten Worten heraus und Sie werden sich des besten Erfolges zu erfreuen haben. Ich will Ihnen aus unserer politischen Presse ein Beispiel geben. Wenn der Redakteur eines politischen Journals seinen Lesern anzeigen will, daß der Fürst Iks im Begriff ist sich zu verheirathen, so wird er diesen Gedanken nicht so nackt hinstellen; sondern er wird sagen: »In den höheren Kreisen scheint es keinem Zweifel mehr zu unterliegen, daß eines der allerhöchsten und dem Throne am nächsten stehenden Glieder unseres Herrscherhauses bald nach dem hohen Norden eine Reise unternehmen dürfte, um sich dort um die Hand einer Prinzessin zu bewerben, die durch ihre Schönheit und unübertreffliche Geistesgaben längst eine süße Neigung in dem Herzen des hohen Bewerbers erweckt haben dürfte.« Wie herrlich klingt nicht dieser Satz! Wie mystisch nimmt sich nicht das doppelte »dürfte« aus! Welche Ahnungen läßt er nicht 67 in dem Herzen des denkenden und gefühlvollen Lesers zurück!

Sie dürfen überhaupt nie in die bekannte Verlegenheit mit manchem Denker gerathen, daß Ihnen nämlich die passenden Worte für die Gedanken fehlen. Versehen Sie sich vielmehr nur immer mit passenden Worten; die Gedanken kommen schon von selbst. Die Worte haben einen doppelten Zweck. Sie dienen nicht allein, wie Talleyrand sagt, die Gedanken zu verbergen, die man hat, sondern auch Gedanken zu zeigen, die man nicht hat. Ein Fürst, der viel verspricht, oder auch nur viel spricht, wird sich schnell bei seinem Volke beliebt machen; denn das Volk urtheilt gewöhnlich nach Worten und nach den Thaten erst dann, wenn es selbst nach Thaten greift. Huldigen Sie der Meinung des Tages! Schmeicheln Sie immer der Masse und der Macht. Hunde und Katzen waren von jeher gut gepflegte Hausthiere; Löwen und Adler hat man stets in Käfige eingesperrt. Sie wissen aber recht gut, was der König Salomo sagt: Ein lebendiger Hund ist besser, als ein todter Löwe. Der König Salomo war ein höchst weiser König. Gehen Sie von dem Journalisten-Grundsatze aus, daß zum Schreiben nicht mehr gehört, als Schreibmaterialien. Schreiben Sie mit den Fingern und betrachten Sie Ihr Herz als 68 einen bloßen Muskel und so wird Ihnen der Stoff nie fehlen, so lange es Papier, Tinte und Feder gibt. Lachen Sie über die Thorheit der Menschen und eifern Sie nur ja nicht gegen dieselbe. Die größte Unvernunft ist, sie durch Vernunft besiegen zu wollen. Glauben Sie nie, daß das Volk denkt, und denken Sie immer, daß das Volk glaubt. Schließen Sie sich nicht der Partei an, welche den Mantel nach dem Winde hängt; gehören Sie vielmehr zu denjenigen, welche Wind machen. Je weniger Gesinnung Sie haben, desto mehr zeigen Sie sich dem Volke als ein Opfer derselben. Märtyrer, gleich viel ob wahre oder falsche, sind seit undenklichen Zeiten immer vom Volk verehrt worden; denn die große Menge liebt keinen Glücklichen und kreuzigt erst den Gott, bevor sie ihn verehrt.

Ich will übrigens in wenig Worten meine Regeln zusammen drängen, die Ihnen auf der Journalisten-Laufbahn von unberechenbarem Nutzen sein werden. Sagen Sie viel über Nichts und nichts über Vieles, und befolgen Sie nur einen einzigen Grundsatz, den Grundsatz nämlich, keinen zu befolgen. – 69

 


 


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