Ludwig Kalisch
Schlagschatten
Ludwig Kalisch

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Liebe und Liebhabereien.

In unserer Jugend leben wir der Liebe, dem »Glück ohne Ruh«; sobald die Jahre und die Täuschungen kommen, fliehen wir zur Liebhaberei, zur Ruhe ohne Glück. Unser Herz vermag nicht mehr ein theueres Wesen und in ihr das ganze All zu lieben; es widmet seine laue Neigung nur unvernünftigen Thieren oder leblosen Dingen, weil es von diesen nicht getäuscht werden kann. Jeder Hagestolz, jede alte Vestalin hat eine Liebhaberei; Kanarienvögel, Hündchen, Kätzchen, Meerschweinchen werden von ihren dürren Fingern gestreichelt und gehätschelt. Ich kenne einen Mann, der in seiner Jugend unglücklich geliebt und nun jede Regung seines Herzens nur den Tabaksdosen zuwendet. Er sammelt schon einige Decennien und man muß gestehen, sein Dosenmuseum ist überaus reich. Sie liegen alle nach Alter und innerem 107 Werth sorgfältig geordnet und so oft du ihn besuchst, mußt du dir tausenderlei Erklärungen, die er dir schon tausendmal von seiner Collektion gegeben, wiederum gefallen lassen. Er liebt auf Erden nichts als Dosen. Er hat so zu sagen nur ein dosensammelndes Dasein. Was er noch von menschlicher Leidenschaft fühlt, er fühlt es nur in Bezug auf Dosen. Er haßt dich, wenn du seine Dosen nicht bewunderst, und er beneidet dich, wenn du eine Dose besitzest, die ihm zur Completirung der Sammlung noch mangelt. Er hat seine Sammlung schon bis auf 369 Piecen gebracht; der Mann würde aber nicht ruhig sterben können, so lange er sie nicht bis auf 1000 vervollständigt. Ich kenne einen Andern, dessen ganze Neigung sich blos auf Federvieh erstreckt. Er kennt nichts Schöneres, nichts Edleres auf Erden als einen fetten Hahn, als ein starkes Huhn. Sein ganzer Hof wimmelt von blonden, braunen und schwarzen Hennen. Er trägt immer Hafer in der Tasche nach und wenn er irgendwo ein Hinkelchen erblickt, geht ihm das Herz auf und er wird vor Freude bis zu Thränen gerührt. Man muß diesen Mann nur im Hofe sehen. Mit welchem schmachtenden Auge betrachtet er da seine jungen, hoffnungsvollen Gänschen! Das Geschnatter ihrer grünen Schnäbel klingt ihm angenehmer in's Ohr als eine 108 Bravourarie der Kathinka Heinefetter, und ihr breiter watschelnder Gang, der Gänse nämlich, ist ihm eine größere Augenweide als der beschwingte Tritt der göttlichen Fanny. Ich bin fest überzeugt, daß sein Herz bricht, wenn ihm sein Lieblingskapaun krepirt; denn als voriges Jahr sein welscher Hahn etwas unwohl war, hatte der arme Mann keine heitere Stunde.

Ich kenne eine Dame, welche nur eine Seligkeit auf Erden kennt, und diese Seligkeit besteht in der Liebe zu ihrem Hündchen. Dieses Hündchen ist unstreitig die miserabelste Creatur auf Erden. Es besteht nur aus Knochen und Unarten, so daß man glauben sollte, es wäre ihm ein boshaftes Rezensentchen in den Leib gefahren. Dieses Hündchen, dessen Erzeuger ein wohlkonditionirter Pinscher und dessen Mutter dem hohen Geschlecht der Mopsiden entsprossen war, ist so lendenlahm wie der Witz eines alten Philisters und sieht so verkommen aus wie ein mittelalterliches Vorurtheil, und dennoch ist die Dame von den Vorzügen dieser vierfüßigen Erbärmlichkeit ganz entzückt und kein Mensch, so tugendhaft und liebenswürdig er auch sei, vermag sich in gleichem Grade die Zuneigung dieser Dame zu gewinnen. Sie lebt, sie fühlt und empfindet nur für ihr Hündchen. Es schläft an ihrer Seite und speist an ihrer Seite. Es wird mit 109 gebratenen Tauben gefüttert und mit Windsorseife gewaschen. Kein deutsches Genie hat noch je ein solches Leben geführt wie dieses Hündchen. Und wenn die Dame den Namen ihres lieben Hündchens nennt, was, beiläufig gesagt, in fünf Minuten fünfmal geschieht, so wird ihr Antlitz ganz verklärt und alle Runkelrübenzuckerfabriken Deutschlands enthalten dann nicht so viel Süßes als ihr sentimentaler Blick. Sie spricht mit ihrem Hündchen; sie tauscht ihre Ideen aus mit ihrem Hündchen und schwört jedem Menschen Haß, der ihr Hündchen nicht liebt, oder für dessen Tugenden nicht so begeistert ist wie sie. Und wenn sie mit ihrem lieben Hündchen ausgeht, wie sorgsam, wie wahrhaft mütterlich bewacht sie dessen Schritte! Wie fliegt ihr Auge links und rechts, wie wehrt sie die großen Hunde ab, wenn sie sich zu viel Vertraulichkeit mit ihrem Liebling erlauben wollen!

Als dieses Hündchen sich einst den Magen verdorben, wurden sämmtliche Aerzte aus der benachbarten Gegend herbeigerufen und die Dame wußte nicht recht, ob sie den Gegenstand ihrer Sehnsucht den Homöopathen, Allopathen oder Hydropathen anvertrauen sollte. Ja, sie war schon im Begriff nach Berlin zu reisen und Schönlein's Genie zum Heil ihres Lieblings zu Rathe zu ziehen.

Es gibt Andere, deren Liebe sich aus dem Herzen 110 in den Magen geflüchtet. Jedes Gasthaus ist ihnen ein Tempel der innigsten Andacht und sie besuchen diese Tempel sehr fleißig. Sie nennen das ihre Liebhaberei. Sie schwärmen für Austern und geräucherten Lachs; sie kennen keine größere Wonne als den Genuß einer guten Sauce und kein größeres Glück als eine gute Verdauung. Keine Kunst geht ihnen über die Kochkunst und von allen verehrungswürdigen Sterblichen verehren sie einen geschickten Koch am aufrichtigsten.

Wiederum Andere verlieren ihren innern Menschen ganz aus dem Auge und legen ihre größte Sorgfalt auf ihr Aeußeres. Der Kleiderschrank ist ihr Allerheiligstes, und wenn sie ausgezogen, sind sie nichts, als zweibeinige Thiere ohne Federn. Sie kennen keinen Wechsel auf Erden als den der Mode, und wenn man ihnen einst die Augen zudrückt, hinterlassen sie ihre Werke schmutzigen Trödlern.

Die Liebhaberei ist die arm gewordene Liebe. Wenn die Liebe bankrott macht, kommen die Liebhabereien. Die Liebe wiegt alle Liebhabereien dieser Erde auf; alle Liebhabereien dieser Erde aber vermögen nicht, auch nur eine einzige Stunde wahrer Liebe zu ersetzen. 111

 


 


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