Ludwig Kalisch
Schlagschatten
Ludwig Kalisch

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Langeweile.

Es gibt keine größere Qual als die Langeweile. Es gibt keinen größeren Schmerz für den Menschen, als wenn die Zeit seine Folter wird, wenn jede Stunde wie eine Marterzange, jede Minute wie eine Marterschraube seinen Geist zwängt und drückt. Unsere Philosophen, die alles erklären, was sie nicht wissen und was Jeder weiß, selten erklären können, haben uns Definitionen von allen irdischen und überirdischen Dingen gegeben. Sie haben uns mit einer Bestimmtheit vom Jenseits gesprochen, als ob sie geheime Sekretäre der Allwissenheit gewesen wären; sie haben die Zeit und die Ewigkeit, die Gottheit und die Menschheit genau zergliedert; sie haben das Unberechenbare berechnet, das Unsägliche gesagt, das Unbeschreibliche beschrieben. Aber über die Langeweile haben sie das geheimste Stillschweigen beobachtet. Wie 123 die Ewigkeit die Zeit der Unsterblichen, so ist die Langeweile die Ewigkeit der Sterblichen. Und wie sehr streben die Menschen, sich gegenseitig zu verewigen! Wie viel Anstalten und Vereine haben die Menschen nicht in's Dasein gerufen, um der langen Weile ihre Huldigungen darzubringen.

Wir schlagen unbarmherzig die Zeit todt; aber aus ihrem Grabe entsteht die rächende Langeweile, die uns mit tausend Riesenarmen faßt. Wir haben Abendunterhaltungen, wo der Geist der langen Weile auf der Oberfläche des Thees schwimmt, wo man nur den Mund, aber nicht das Herz öffnet, wo man viel spricht und nichts sagt, wo man nichts lobt als sich selbst und die Namen Anderer auf die Armesünderbank setzt. Wir haben Conzerte, wo die gequälte Harmonie nach Rache schreit und die Langeweile uns nach Noten foltert. Wir haben Theater, wo die Welt mit Brettern vernagelt ist, wo wir zwar einen Sitz, aber die Sängerinnen keine Stimme haben, wo jedes Lustspiel zum Trauerspiel, jedes Trauerspiel zum Lustspiel und die edle Kunst zur ordinären Posse wird. Da schleicht denn das Gespenst der getödteten Zeit langsam von dannen und die rächende Langeweile, die uns auf die Fünfakten-Folter einer Birch-Pfeiffer'schen Tragödie gelegt, läßt uns nicht eher los, bis uns die 124 letzte Scene die letzte Hoffnung auf einen Kunstgenuß benommen.

Wir haben auch große Gesellschafts-Essen, wo erst Jeder den Geist aufgibt und dann Toaste ausbringt, wo man mit vollem Magen das Andenken der großen Deutschen ehrt, die das große Deutschland verhungern ließ, wo man erst viel Wind macht und dann in Sturm kommt, wo man der Gespräche eher satt wird, als der Speisen, weil diese sehr stark und jene nur sehr schwach gewürzt sind. Aber auch hier, wo man die unschuldige Zeit meuchlings gemordet, steigt wie Banquos Geist, die Langeweile hinter der Tafel empor und bringt die Zecher zum Gähnen. –

Am meisten rächt sich aber die Langeweile an den Großen dieser Erde. Fürsten, die nur an Hirsch- und Vergnügungsjagden denken, die sich und ihren Günstlingen große Paläste und ihrem Volke große Luftschlösser bauen lassen; Fürsten, die vor lauter Schmeicheleien die Klagen und Forderungen der Unterthanen überhören; Fürsten, die sich zu erniedrigen glauben, wenn sie sich einmal helfend zur gedrückten Unschuld herablassen und sich am höchsten dünken, wenn das Volk am niedrigsten: kurz, solche Fürsten, die im Buche der Geschichte nur ein leeres oder blutiges Blatt zurücklassen, werden von der 125 langen Weile am meisten gefoltert. Nirgends wird so viel gegähnt als in den Prunkgemächern der Großen, wohin die Wahrheit entweder gar nicht, oder nur leise auf den Zehen gelangen kann und wo man die Worte erst versüßen muß, wenn sie gehört werden sollen.

Unter den Mitteln, die Qual der langen Weile zu verbannen, gehört die Lektüre, die Nahrung des Geistes; denn die Langeweile ist der Hunger desselben und die Journalistik ist das tägliche Brod, welches die Journalisten dem Publikum bescheeren müssen. Ihr armen Journalisten, wie wenig Dank erwartet euch! Wenn Ihr auch mit noch so viel Mühe den literarischen Sauerteig durcheinander knetet und mit attischem Salze zu würzen sucht, es wird euch nicht belohnt. Wahrlich! wenn das Publikum wüßte, wie sehr ein Journalist sich erst selbst langweilen muß, bevor es ihm möglich ist, nur in etwas die Langeweile seiner Leser zu mildern, es würde gerechter gegen ihn sein. Was ist ein Journal anders als ein Waschzettel, der die schmutzige und reine Wäsche der schönen Wissenschaft aufzählt? Wie viel literarische Schlafmützen, wie viel lyrische Nachtjacken, wie viel tragische Vatermörder muß ein armer Journalist durch die Lauge ziehen? Aber er ist nicht blos verdammt zu waschen; er muß auch flicken und 126 ausbessern. Wenn du, o menschenfreundlicher Leser, die Beiträge sähest, die einem geplagten Journalisten nur während eines Monats zukommen, du würdest staunen, über die Tinte, die in Deutschland vergossen wird, über die vielen Federn, die in Deutschland von stumpfen Geistern stumpf geschrieben werden. Bald sendet ihm ein junges Talent ein Gedicht »an Sie,« dem er die überflüssigen Füße amputiren muß, dessen Inhalt so weich wie zerlassene Butter, und dessen Sprache so hart wie der Eselskinnbacken, mit dem Simson einst die tausend Philister todt geschlagen. Bald muß er durch das irdische Jammerthal einer Tendenznovelle wandeln und bald wieder durch den Sumpf einer Korrespondenz waten. Und wie sehr wird ihm seine eigene Produktion erschwert. In Paris und London, wo die Politik und die Spitzbuberei im Großen getrieben wird, hat ein Journalist nie Mangel an Stoff. Er braucht dort keine Bücher, sondern nur Gesichter zu lesen und die gebratenen Aufsätze fliegen ihm gleich in's Maul. Wenn Herr Guizot vor seinem Fenster vorüberfährt und etwas melancholisch aussieht, kann er sich gleich an den Pult setzen und über die Ursache dieses melancholischen Aussehens unzählige Spalten füllen; und wenn ein englischer Journalist ein sanftes Lächeln um die Lippen Robert Peels bemerkt, hat 127 er gleich Anregung zu den interessantesten Artikeln über die Kornbill, über Irland, über die Töchter Rebeckas und über den chinesischen Handel. Aber in Deutschland, das so reich an Erwartungen und so arm an Erfüllungen; in Deutschland, das die stärksten Federn und die schwächsten Flügel hat; in Deutschland, wo man nur schweigt, oder höchstens aus dem Schlaf spricht und wo keine Hauptstadt die Tugenden und Laster des Volkes vereinigt: da ist es dem Journalisten fast unmöglich, seinem Blatte ein allgemeines Interesse zu verleihen. Ein deutscher Journalist kann zuweilen einen ganzen Tag am Fenster stehen, ohne nur die geringste Anregung zu einem Artikel zu finden.

Und wenn er auch alle Pflastersteine und Fensterscheiben genau zählt und wenn er auch genau weiß, wie viel groben Marino sein Nachbar zur Rechten, und wie viel Kanaster mein Nachbar zur Linken täglich konsumirt; und wenn er auch an Sonn- und Feiertagen mit wahren Argusaugen die geputzten Schönen betrachtet und in die geheimsten Geheimnisse der weiblichen Toilettenpolitik eindringt; und wenn er auch jeden Separatartikel kennt, welcher in den Kabinetten der schönen Mächte zur Unterjochung der Männer entworfen wird; und wenn er auch jede Schneidermamsell kennt, mit welcher jene Mächte 128 Alliancen geschlossen; und wenn er auch ganz genau weiß, wie viel jede unserer Damen von ihrer Constitution sich selbst, und wie viel sie den auswärtigen Hülfsmächten der Putzmacherinnen, der Friseurinnen und Nätherinnen zu verdanken hat: was kann ihm dies nützen? Mit seiner ganzen naseweisen Neugierde verliert er so lange die theuere Zeit, bis er auch die deutsche Geduld verliert, sich ärgerlich an den Pult setzt und, von der größten Langeweile geplagt, einen Aufsatz über die Langeweile schreibt, der gewiß nie ermangelt, bei den Lesern dasjenige zu erregen, welchem er, der Aussatz nämlich, sein trauriges Dasein verdankt. –

 


 


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