Ludwig Kalisch
Schlagschatten
Ludwig Kalisch

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Allerlei.


An der Bahre eines Höflings.

So lange wir leben, schreibt man uns unsere Sünden mit doppelter Kreide an; ja man macht nicht nur unsere Schwächen, sondern auch unsere Tugenden zu Lastern. Sind wir klug, nennt man uns verschmitzt; sind wir ehrlich, nennt man uns dumm; sind wir tapfer, nennt man uns hochmüthig, und sind wir fest, nennt man uns hart. An dem Golde unserer guten Eigenschaften bemerkt man während unseres Lebens nur die Schlacke; sobald uns aber der Tod die Augen zudrückt, drücken auch die Menschen gegen unsere Gebrechen die Augen zu, und die Hand der Verleumdung, die unsern Namen früher besudelt, schwingt jetzt das Weihrauchfaß, um uns in guten Geruch zu bringen. Es ist kein lebender Biedermann auf Erden, dem man nicht etwas Spitzbübisches nachsagte und es ist noch kein Spitzbube in's Jenseits gewandelt, ohne daß man ihm irgend eine biedere That nachgerühmt 4 hätte. So vergißt man unsere Schattenseiten, wenn wir die Reise in's Schattenreich antreten, so wird gewöhnlich die Todespforte zu unserer Ehrenpforte. Wir wollen aber dem Verblichenen hier keine Lobrede halten; wir wollen ihm nur das nachsagen, was er im Leben nie gesagt – die Wahrheit nämlich.

Da liegt er, er, der einst ein Höfling war. Unter seinen vielen Tugenden zeichnete ihn auch die aus, daß er das, was er war, auch ganz war. Jeder Zoll an ihm war ein Höfling. Beginnen mir mit seinen körperlichen Eigenschaften! Giftige Verleumder haben ihm nachgesagt, daß kein gutes Haar an ihm gewesen; allein es ist Thatsache, daß er sich jedes neue Quartal eine neue kostbare Perrücke von Paris kommen ließ. Was seine Stirne betrifft, so war sie gewölbt und eisern; sie war also feuerfest und konnte daher nicht so leicht roth werden. Er konnte mit dem rechten Auge lachen und zugleich mit dem linken Thränen vergießen. Sein Gehör war im Allgemeinen fein ausgebildet und er konnte die verschiedensten Stimmen, nämlich die Stimme der Vernunft und die seines fürstlichen Gebieters, im stärksten Hoflärm genau unterscheiden; daß er aber die Stimme seines Gewissens nicht hörte, daran war nicht sein Gehör, sondern das Gewissen selbst Schuld, das wie die Hofsängerin nach 5 und nach die Stimme total verloren. Seine Nase war sehr hervorragend und scharf, was man von seinem Geist nicht sagen konnte. Seine Zunge war wirklich bewundernswürdig. Wie die Biene konnte sie stechen und Honig geben. Den Honig genossen der Fürst und die hohen Herrschaften, den Stachel aber seine Collegen. Ein Höfling kann überhaupt viel eher drei unter sich, als zwei über sich, und eher zwei über sich, als einen neben sich dulden, weil ihn die Hoffnung, Höherstehende zu erreichen, bei weitem nicht so sehr belebt, als ihn die Furcht peinigt, von Gleichstehenden überflügelt zu werden. Indessen hat er, als ächter Höfling, nie gestochen, ohne zugleich etwas Honig von sich zu geben. Dies sei ihm hier an seiner Bahre nachgesagt. Seine Schultern waren breit und er konnte daher auf beiden tragen; auch war er dadurch leichter im Stande, den Mantel nach dem Wind zu hängen. Seine Brust war hoch und breit; er konnte also dem Glück nachjagen, ohne den Athem zu verlieren und brauchte aus Mangel an Raum keinen Orden auszuschlagen. Was seine Extremitäten betrifft, so waren seine Hände fast noch feiner gebildet, als er selbst.

Die Menschen sind im Allgemeinen mit zwei Dingen sehr freigebig, sie sind nämlich immer bereut, einem Manne in der Noth entweder die Hand oder einen Rath zu geben. Der 6 Unglückliche findet daher gewöhnlich nur leere Hände, wo nicht geballte Fäuste. Was nun in dieser Beziehung von den Menschen im Allgemeinen gilt, das gilt von den Höflingen im Besondern. Die Hand eines Höflings greift sehr oft in die Taschen Anderer, findet aber nie den Weg in die eigene, um die goldenen Versprechungen in goldene Erfüllungen zu verwandeln. Die weißen feingeformten Hände des Verblichenen steckten in eben so seinen Glaçeehandschuhen und es muß für seine Bedienten ein wahres Vergnügen gewesen sein, von ihnen geohrfeigt zu werden. Seine Füße waren klein und schmal wie das Ländchen seines fürstlichen Herrn. Diese kleinen Füßchen berührten den Boden nur mit den Zehen; denn je leiser ein Hofmann aufzutreten weiß, desto sicherer geht er. Wer aber auf dem glatten parketirten Boden eines Palastes zu breit auftritt, kann leicht das Gleichgewicht verlieren und das Genick brechen. Das waren die körperlichen Eigenschaften des Verblichenen. Sprechen wir jetzt von seinem Charakter!

Der Verblichene wußte recht gut, daß Männer von Grundsätzen überall anstoßen und oft sogar gezwungen werden, wider ihre Grundsätze zu handeln. Er hatte also nur einen einzigen Grundsatz, nämlich: keinen zu befolgen und diesem Grundsatze blieb der Verblichene auch stets treu. Einen Menschen nur kannte er auf Erden, 7 den er aufrichtig liebte und dieser Mensch war er selbst. Sich unnöthig der Gefahr aussetzen, hielt er für ein großes Laster, Selbsterhaltung aber für die höchste Tugend. Für die gröbsten Gedanken fand er die feinsten Worte und kam nur in Verlegenheit, wenn es sein Vortheil erheischte. Thränen vergoß er nur in drei Fällen. Entweder wenn er an geschälten Zwiebeln roch, oder wenn ihm ein großes Unglück, oder endlich wenn einem seiner Collegen ein großes Glück widerfuhr. Die Gnade Gottes war ihm bei weitem nicht so viel werth als die des Herrn von Gottes Gnaden; darum verleugnete er auch Jenen, wenn dieser es wollte. Fürsten gewöhnen sich viel leichter, die nackte Armuth bei ihrem Volke, als die nackte Wahrheit in ihren Palästen zu sehen; das wußte der Verblichene recht gut und deßhalb hat er mit fast noch größerer Freude angenehme Lügen erfunden als unangenehme Wahrheiten verschwiegen. Er konnte sich in sehr vielen fremden Sprachen geläufig ausdrücken; von der Sprache des Herzens aber, die er nur in frühester Jugend gekannt, hatte er später sogar die Anfangsgründe vergessen. Er war viel eher dazu geneigt, sich selber vor seinem Fürsten zu erniedrigen, als Andere vor demselben zu erhöhen, und da er hoffähig war, so war er fast zu allem fähig. Das Leben faßte er von der heitersten Seite 8 und nichts machte ihm mehr Vergnügen, als das Vergnügen. Von guten Speisen war er ein eben so entschiedener Freund wie von guten Weinen, und die Verdauung fand bei ihm allein mehr Beschäftigung, als bei zehn Unterthanen seines gnädigen Herrn. Da sein Gewissen viel weiter war, als sein Herz, so konnte er recht bequem dieses in jenes stecken, ohne beiden wehe zu thun. Ueberhaupt hatte er die Ansicht, daß das Gewissen und der Magen nur dann gut sind, wenn man ihnen viel zumuthen darf und dennoch nie zu fürchten braucht. So stark sein Magen war, so schwach war sein Glaube; indessen war sein Verhältniß zu dem lieben Gott durchaus kein unfreundliches. Jeden Sonntag ging er sogar in die Kirche; aber nicht, um mit dem Volk Gott anzubeten, sondern vom Volk als ein Gott sich anbeten zu lassen; denn er wußte recht gut, daß die Scheinheiligen sich sehr schnell einen heiligen Schein erwerben und daß der Geruch der Frömmigkeit hohe Beamten am populärsten macht. – In der letzten Zeit seines Lebens empfand er, daß sein Kopf sehr schwach war, was in seiner frühern Lebensperiode nur Andere empfanden. Seine Brust ward immer mehr beengt und er theilte endlich das Loos mit vielen Völkern; er konnte nämlich nicht mehr frei athmen. Als er auf ewig das Auge geschlossen, ward er sezirt und jetzt erst war es möglich 9 sein Inneres zu durchschauen. Die Aerzte prüften nun Herz und Nieren und es ergab sich, daß er zwar ersteres auf der linken Seite, aber nicht auf dem rechten Flecke hatte. Die Stunde seines Todes war die aufrichtigste seines Lebens. Auf dem Kirchhofe wird er wahrscheinlich seinen Platz noch länger behaupten, als am fürstlichen, ohne wie dort dadurch Anderen sehr wehe zu thun. 10

 


 


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