Ludwig Kalisch
Schlagschatten
Ludwig Kalisch

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Goldene Regeln
eines
deutschen Edelmanns für seinen Sohn.

Rousseau sagt: Nur aus Liebe zum Müßiggange ist der Mensch fleißig. In der That, sein ganzes Leben hindurch gönnt sich der Mensch keine Ruhe, um sich im Alter derselben erfreuen zu können, und so ruht er nicht eher, bis ihm endlich die ewige Ruhe zu Theil wird. – Aber der Mensch soll nicht seine rosigen Jugendjahre, seine strotzende Manneskraft an das genußunfähige Greisenalter vergeuden, oder gar das schöne, heitere Leben der Gegenwart seiner dunkeln Zukunft aufopfern.

Wozu läßt der liebe Gott die Kapaune wachsen, wenn sie nicht gegessen werden sollen? Ja, die Austern im Meere und die Schnepfen auf dem Lande zeigen eben so sehr von seiner Güte und ewigen Fürsorge, als die 70 Sonne und der Mond und alle himmlischen Trabanten und sind eben so gut wie diese geschaffen worden, daß der Mensch sich an ihnen ergötze.

Kann man nicht ein braver, gottesfürchtiger Mann sein und dennoch gute Saucen und gefüllte Tauben lieben? Ist es denn gar nicht möglich, daß man sich auf dieser Erde kann wohl sein lassen, ohne sich seiner Ansprüche auf die himmlische Seligkeit verlustig zu machen? Muß man durchaus diesseits des Grabes den Leib peinigen, damit jenseits die Seele schwelge? Das glaub' ich nimmermehr!

Die verdammte Lehre, die den Menschen auf dieser Erde der Entsagung opfert, mag höchstens für das dumme Volk, für die einfältige Masse, für den unvernünftigen Pöbel, kurz: für die Canaille gelten, damit sie nicht übermüthig werde. Für den Adel aber taugt diese Lehre nicht. Wer einen Stammbaum aufzuweisen hat, der kann auch die goldenen Früchte vom Baum des Lebens genießen, ohne sich aber, wie unsere Urahnen, von einem himmlischen Gensdarmen aus dem Paradiese jagen zu lassen. Das merke dir, mein Sohn! der du vom ältesten deutschen Adel bist; denn unsere glorreichen Väter haben sich schon während der Kreuzzüge mit Lorbeern bedeckt; ja, einer unserer 71 würdigen Ahnen hat sogar in Syrien dem großen Kaiser Friedrich Barbarossa zweimal den rothen Bart ausgekämmt (worüber sich noch eine Urkunde vorfindet). Bedenke also, mein theuerer Sohn, welchem edeln Geschlecht du entsprossen und beherzige, was ich dir jetzt sagen werde.

Ich habe in allen Ländern und zu allen Zeiten gegessen und getrunken und folgende Bemerkungen aufgeschrieben, auf daß sie auch Dir, mein lieber Sohn, Nutzen bringen, wenn ich nicht mehr bin, d. h. wenn ich nicht mehr speise, sondern selbst verspeist werde.

Mein Sohn, was Du auch immer beginnst, Du mußt es mit vollem Bewußtsein, mit männlicher Ausdauer beginnen. Darum sei hungrig, wenn Du Dich zu Tische setzest. Es muß sich Deines Magens ein Feuereifer, ein heiliger Zorn bemächtigt haben, wenn Du ein rechtschaffener Esser genannt sein willst. – Lasse Dich nicht viel mit Brod ein und kehre besonders dem Schwarzbrod Deinen Rücken. Brod überfüllt den Magen, läßt aber keine Befriedigung zurück.

Das Geschlecht der Suppen ist unter den Speisen, was die Philister unter den Menschen sind – dünn, langweilig und überall voran; doch sind Suppen besser als Philister, weil sie warm und nahrhaft sind. Ich 72 wünsche, lieber Sohn, daß Du hier die goldene Mittelstraße beobachtest. Iß wenig Suppen und wo möglich nur solche, die kompakt sind. (Gegen Speisen, die man mit Löffeln essen muß, hatte ich von jeher eine Antipathie.) Große Nationen, wie die Engländer und Reußgreizschleizlobensteiner, essen wenig Suppe, und daß die Spartaner Suppe gegessen, hat schon Stephanus, Lipsius, Ernesti, Heyne, Creuzer, Herrmann und Thiersch in Erstaunen gesetzt. – Hüte Dich vor Nudelsuppe. Sie ist ein zeittödtendes Gericht, ja, ich behaupte sogar, eine Mystifikation der civilisirten Welt.

Rindfleisch ist eine Gabe Gottes, die Du schätzen sollst. Ein gutes Stück Rindfleisch ist eine Zierde der Tafel, ein Trost des Magens. Ein gutes Stück Rindfleisch ist mir lieber, als das moderne deutsche Drama. Ehre das Rindfleisch durch Meerrettig, durch Gurkensalat und sonstige Würze; aber Kirschen, Compott und dergleichen charakterlose Dinge sollst Du mit Gleichgültigkeit, ja mit Verachtung behandeln.

Von edeln, frischen Gemüsen war ich stets ein Freund; aber gottlose Wirthe mißbrauchen das menschliche Herz und setzen ihm frischen Kohl, einfältiges Kraut und impertinente Rüben vor. Wie manches fromme Menschenherz hat sich schon den Magen überfüllt mit eitel nichtsnutzigem 73 Gemüse! Du wirst also wie ein Mann zu handeln wissen und Dich mit Abscheu wegwenden von jeder bestialischen Nahrung. Freundlich gesinnt sei den Kartoffeln. Die Kartoffeln sind wahrhafte Genies; darum fehlt es ihnen immer am eigenen Fett. Für's Wohl der Menschheit müssen sie in's Feuer und weil sie allen dienen, werden sie auch von allen ausgezogen. Das undankbarste Geschäft auf Erden ist genial zu sein. Du aber wirst Dich über Undank nicht zu beklagen haben; denn du bist ein Edelmann und kannst von Renten leben. An Genie-Ueberfluß wirst Du gewiß nicht zu Grunde gehen. –

Ueber Sauerkraut herrscht nur eine Stimme; es ist das deutsche Nationalgericht. Dem Deutschen, dem gar vieles sauer wird – die Milch, das Leben und die Freiheit, war das Sauerkraut von jeher ein homöopathisches Mittel; er versüßte sich sein Leben damit. In Bezug auf das Sauerkraut hat auch der Deutsche im Strom der Zeit sein Gemüth nicht geändert. Die deutsche Liebe zum Sauerkraut hat das deutsche Reich überlebt. Der Erfinder des Sauerkrauts war gewiß ein großer Mann, der es verdient, in eine Ruhmeshalle gestellt zu werden; denn er hat doch wenigstens in einer Beziehung die deutsche Einheit befördert.

Lasse dich mit keinen Hülsenfrüchten ein, mein lieber 74 Sohn! Sie müssen von einem Magen verbannt werden, der so viele Ahnen zählt.

Erbsen, Bohnen und die Hoffnung erfreuen nur das Herz, wenn sie grün sind; wenn sie welk und gelb werden, gehören sie für's Volk. Hirse hat mich von jeher mit Abscheu erfüllt und Heidegrütze gehässige Ideen in mir erweckt.

Eine geräucherte Kalbszunge, mein lieber Sohn, ist eine sehr schöne Idee und viel genießbarer als manche Zunge, die von Moral gewürzt ist. Es ist ein humanes Gericht, das den Zähnen keine Verlegenheit bereitet und dem Magen keinen Kummer verursacht. Schenke dieser Speise deine wärmste Empfindung. – Von Würsten laß mich schweigen; schon der bloße Gedanke an sie lockt mir Thränen der Dankbarkeit ins Auge. Sie haben mir die angenehmsten Stunden meines Lebens bereitet. Was Göttingen in dieser Beziehung geleistet, steht in den unauslöschlichen Blättern der Weltgeschichte. Der Ruhm der Göttinger Würste hat den der Universität überlebt. In einer Göttinger Wurst steckt oft mehr Genießbares als in einem Göttinger Professor. Ich habe mit mehreren Edelleuten in Göttingen studirt, darum weiß ich auch die Göttinger Würste gebührend zu schätzen.

Ein guter Kapaun ist eine unaussprechliche 75 Seligkeit; ich mußte immer meine Weste aufknöpfen, wenn ich mich damit beschäftigte. Ich habe lange die Thorheit begangen, zu überlegen, welcher Theil des Kapauns am besten und delikatesten, und habe tückisch die schöne Zeit getödtet, bis mir die glückliche Idee aufstieß, daß an einem Kapaun, wie an dem Traumbild Nebukadnezars, alles trefflich bis auf die Füße; darum hab' ich außer diesen ihn auch stets gänzlich verspeist. Was ein welscher Hahn ist, kann nur derjenige begreifen, welchem ein lebendiger Sinn für wahrhaft Edeles verliehen worden. Genieße ihn mit Bewußtsein, mein lieber Sohn.

Die Mehlspeisen habe ich zum Gegenstande ernster Betrachtungen gemacht und gefunden, daß in Staaten, wo ein religiöser Typus vorwaltet, den Mehlspeisen besonders gehuldiget wird. In München, wo so viel Religion herrscht, speiste ich einst im goldnen Kreuz. Mir gegenüber saß ein Mann, der bei der königlichen baierischen Religion angestellt war. Er bestand blos aus Talg, ob aber ein Licht aus ihm gezogen werden konnte, wissen die Götter. Auf seinem zufriedenen Gesicht, das wie ein gut gerathener Pfannkuchen aussah, lag himmlisches Lustgefühl. Er verzehrte gerade Kartoffelklöße und benahm sich dabei, als wäre es die letzte und schönste Handlung seines Lebens, nämlich voll Glorie und 76 Verzückung. Ich bewunderte seine Capacität; er aber sagte: »Nächst meinem Berufe gibt es nichts Besseres auf Erden, als Kartoffelklöße.« – So viel ist gewiß, wenn Kartoffelklöße auf unsere Hochachtung Anspruch machen wollen, so müssen sie zart sein, wie ein schwäbisches Gedicht, weich, wie eine verliebte Putzmacherin, und fett, wie eine reiche Wittwe.

Ueber Leberknödel und Topfnudeln ließe sich mehr sagen, als ich zu schreiben wünsche. Sie haben etwas Mystisches in sich. Nach Guido Görres, dem Sohne des Ritters Joseph von Görres, soll der Leviathan vorzüglich mit Leberknödeln gespeist werden; doch fehlt immer noch die historische Begründung dafür. Mit Puddings geht ein Betrug vor, mein lieber Sohn. – Viele bestehen blos aus Schwarzbrod mit sentimentaler Sauce, andere aus spießbürgerlichem Reis mit noblen Gedanken. Darum sei vorsichtig!

Mein Sohn, du bist ein deutscher Edelmann; darum hasse den Auflauf. Die Wirthe suchen ihn zwar zu versüßen; aber er bleibt immer hohl und aufgeblasen. Er schwimmt in der Milchsauce wie das deutsche Volk in seiner Sanftmuth und scheint von außerordentlichem Umfange; kommt es aber zum Genuß, zerfließt er in lauter Nichts. Schenke dein Herz den Karthäuserklößen; 77 sie sind der Zuneigung eines deutschen Edelmannes würdig. Die Karthäuserklöße gleichen der Liebe; selbst derjenige, welcher durch sie krank wird, ist noch beneidenswerth. Schwänden alle Herrlichkeiten von dieser Erde; dennoch wäre sie schön, so lange es noch Karthäuserklöße auf ihr gäbe. Karthäuserklöße sind auch, beiläufig gesagt, das einzig Gute, das wir dem Mönchthum zu verdanken haben.

Auf Braten richte Deine Aufmerksamkeit. Rindsbraten behandle mit aufrichtiger Liebe, Kalbsbraten mit treuer Freundschaft, gebratene Tauben mit Zärtlichkeit, Entenbraten mit überlegener Ruhe, Rehbraten mit Gleichgültigkeit, Hasenbraten mit frohem Muthe und Gänsebraten mit chevalereskem Sinn; Leipziger Lerchen aber behandle gar nicht, sondern esse davon so viel Du kannst. Von den charakterlosen Ragouts war ich nie ein Freund; doch will ich Deiner Neigung keinen Zwang anthun. Begeisterte Feinschmecker halten das Ragout für den Probierstein eines guten Kochs. Ich will mir aber in dieser Beziehung kein entschiedenes Urtheil anmaßen. Ueber Fische sende ich Dir nächstens eine ganze Brochüre.

Beim Dessert benimm Dich wie ein gütiger Fürst: liebe Alles und schone Nichts. Obst, Konfekt, Südfrüchte – Alles koste und schmecke. Widme diesem Geschäfte 78 eine volle Stunde. Beim Dessert zeigt sich der Mann von Bildung und Geist: spielend vollbringt er das Größte. Beim Dessert pflegt auch das Gespräch am lebhaftesten zu sein. Gewöhnlich dreht sich dasselbe um Politik; sei also politisch! d. h. lasse die Andern reden und freue Du dich deiner Thätigkeit. Politische Meinungen haben schon viel Unheil über die Welt und viele Menschen in's Gefängniß gebracht. Der Genuß Deines guten Desserts aber gibt einen innern Frieden und bewahrt vor Verlegenheit.


Allgemeine Regeln.

Lese viele Kochbücher; denn sie enthalten die positivste aller Wissenschaften und lehren, wie man zu einer guten Konstitution kommt. Studire die Schriften des »Verstorbenen« und beschäftige dich auch zuweilen mit den klassischen Schriftstellern. Die Römer geben treffliche gastronomische Regeln.

Setze dich nie in engen Kleidern zu Tische und fliehe einen Nachbarn, der mehr zu essen vermag als Du. Ein Tischnachbar mit gesegnetem Appetit ist ein mitleidloses Ungeheuer. Selbst der Hungertod seines Nächsten kann 79 ihn nicht bewegen, die Schüssel aus der Hand zu geben, bevor er sie bis auf den Grund ausgebeutet. Uebrigens sei auch Du nicht übermäßig human und reiche deinem Tisch-Nächsten nicht eher die Platte, bis Du sie selbst geputzt. Setze Dich niemals neben einen Engländer, denn was ein solcher in Rindfleisch und Pudding leistet, geht über alle Erwartung. Wie im Handel, will er auch am Tisch alles für sich ansprechen. Setze Dich auch nie zwischen zwei dicke Personen; denn sie hemmen die freie Bewegung und Du mußt Dich dann wie ein von zwei Bergen eingeklemmter Fluß durchwühlen, wenn du fortkommen willst. Vermeide es auch, neben Damen zu sitzen; denn vor lauter Höflichkeiten und feinen Redensarten, vor lauter Tellerreichen und Präsentiren, kannst Du dann die Wünsche deines sehnsüchtigen Herzens nicht befriedigen und gehst mit unbeschreiblicher Reue und peinigendem Weltschmerz von der Tafel.

Das unglückseligste Geschick ist es aber, neben einem Sonntagsgast zu sitzen, d. h. neben einem solchen, der sich die ganze Woche kasteit und aushungert und nur an Sonn- und Feiertagen die Table d'hote besucht. Ein solcher Sonntagsgast frißt für die ganze Woche, sowohl um den erlittenen Hunger zu befriedigen, als auch den Magen für die nächsten sechs magern Schöpfungstage 80 wieder zu verproviantiren. Der Sonntagsgast hält auf die Unschuld des Tellers und wischt ihn so blank, daß auch die gewissenhafteste Gewissenhaftigkeit keinen Makel mehr daran bemerkt. Ich hatte einst das Unglück, neben einem solchen Sonntagsgast zu sitzen. Er sah aus wie der Menschenhaß, und wenn eine Speise in seinen Wirkungskreis kam, arbeitete er dermaßen mit seinen rasenden Armen, daß er mir zwei meiner kräftigsten Rippen lädirte. Ich sage dir nochmals, mein lieber Sohn, hüte dich vor Sonntagsgästen!

Sei mild und freundlich gegen die Kellner. Censoren und Kellner können einem ehrlichen Herzen die schlimmsten Streiche spielen, wenn man sie reizt. Wie jener den Lebensfaden der Gedanken, kann dieser den Weg zu allem Guten, nämlich zu den schönsten Gerichten, unbarmherzig abschneiden. Ein freundschaftlich gesinnter Kellner ist nicht mit Gold aufzuwiegen, mein lieber Sohn! –

Ehe Du Dich zum Essen rüstest, untersuche Deine Waffen recht genau. Mit schlechten Instrumenten läßt sich nur schlecht operiren und eine zerbrochene Gabel, oder gar ein stumpfes Messer führen unvermeidlich zum Uebel.

Der beste Sitz ist unstreitig an der Spitze des Tisches. 81 Occupirst Du einen solchen, so verhalte Dich mit deinem rechten und deinem linken Nachbar zugleich, auf daß Du keine feindselige Stimmung gegen Dich erweckst, die Dir in einem ungünstigen Augenblick zum Nachtheile gereichen könnte.

Beherzige diese Lehren, mein lieber Sohn und bewahre Dir ein festes Gemüth und einen gesunden Magen; denn beide sind nothwendig, wenn man nicht an den harten Bissen dieses Lebens zu Grunde gehen will. 82

 


 


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