Ludwig Kalisch
Schlagschatten
Ludwig Kalisch

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Eine Fabel.

Als einst ein großer Poet in seinem stillen Kämmerlein saß und an einer seiner neuesten, gelungensten Dichtungen feilte, sprach die Feder in seiner Hand: »Was wärest du, o Dichter, ohne mich? Du erfassest mich und mir entströmen die Gedanken. Du nagst an mir und freudig opfere ich mich dir auf, damit dir das Werk gelinge. In der That! was wärest du ohne Feder?«

Kaum aber hatte die Feder geendigt, als sich eine Stimme aus dem Tintenfasse vernehmen ließ: »Was wärest du ohne mich, den Lebensquell aller Poesie und Begeisterung? Was sich verwirrt und gestaltlos in deiner Stirne regt, erhält durch mich erst bestimmtes Leben, und willig vertrocknet mein Quell vor dem Hauche deiner Gedanken. In der That, was wärest du, o Dichter, ohne Tinte?«

Die Stimme aus dem Tintenfasse hatte kaum 130 gesprochen, als sich auch ein langer Papierbogen majestätisch aufrichtete und den erstaunten Poeten folgendermaßen anredete: »Was wärest du ohne mich, ohne das Papier? Weiß wie die ewige Unschuld lieg' ich vor dir und gebe mich willig deinen Phantasieen hin. Alle deine schönen und wilden Träume halt' ich fest gebannt und bewahre deine flüchtigsten und innersten Gedanken, daß du dich durch mich erst recht kennen lernst. Ich bringe deinen Namen auf die Nachwelt und deßwegen hast du mir am meisten zu danken.«

Der Jüngling war eben im Begriff zu antworten, als die Lappen, an denen er die Feder abzuwischen pflegte, zu kreischen anfingen: »Was wärest du, o Dichter, ohne Lumpen? Wenn du schon dem Papier so viel von deiner Unsterblichkeit zu danken hast, um wie viel größer sollte deine Dankbarkeit gegen uns Lumpen sein, die wir doch dem Papier das Dasein gegeben. Sind wir Lumpen nicht die Ahnen aller Bücher? In der That, was wärest du ohne uns? Was wäre der größte Dichter ohne Lumpen?

Da entbrannte der Zorn des Jünglings. Er erfaßte zuerst die Feder und begann: »Du willst Dank von mir, du feile Sklavin? Bist du es, die mir Würde gibt, oder bin ich es, die dir Würde verleiht? Was 131 wärest du in der Hand eines feilen Wichtes? Gibst du dich nicht eben so willenlos her zu einem blutigen Urtheil, wie zu den süßen Seufzern der Liebe? Bist du nicht eben so sklavisch in der Hand eines völkerunterjochenden Tyrannen, als in der Hand des Wohlthäters, des alles aufopfernden Menschenfreundes? Schnöde Sklavin, ich zertrümmere dich.«

Und hiermit zerpflückte er die Feder und warf sie in den Winkel. Dann ergriff er das Tintenfaß und begann: »Du finsteres Naß, dir sollt' ich verpflichtet sein, ich, der ich mit dem besten Blute meines Herzens schreibe? Gibst du dich, Sklavin Tinte, nicht der Sklavin Feder hin nach ihrem Willen? Elende Sklavin einer Sklavin, ich vernichte dich!« Und mit diesen Worten warf er das Tintenfaß heftig an die Wand, daß es zersplitterte, nahm dann den Bogen Papier und sprach: »Was brüstest du dich mit deiner Keuschheit, schmähliches Blatt, und begehrst, daß ich dir für eine Wohlthat danke, die ich dir erzeuge. Was wärest du ohne mich und was deine gepriesene Unschuld? Lägest du nicht vielleicht jetzt unter den Händen eines Schurken, der dich voll Schmutz, Lüge, Gemeinheit und Verleumdung in die Welt schickte, damit du den häuslichen Frieden zerstörest, oder die zarte Unschuld vergiftest? Fort, undankbares Blatt!« Und 132 mit diesen Worten zerriß er den Bogen und warf die Fetzen in den Staub.

»So wäret ihr nun, Feder, Tinte und Papier vernichtet durch euern Dünkel,« fuhr er fort; »doch ihr elende Lumpen, ihr, die ich nicht vernichten kann, weil eure ganze Existenz nur aus Vernichtung besteht; ihr, die ihr Lumpen bleibt und wenn ich euch auch in Millionen Fetzen zerrisse, euch anzufassen vermag ich nicht. Euch, welche eine reine Hand zu berühren scheut, euch sollte der Genius, der mit feurigen Schwingen durch himmlische Sphären schwebt, euch Lumpen sollte der Künstler danken müssen für dasjenige, welchem er sein irdisches Glück opfert?« – – 133

 


 


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