Ludwig Kalisch
Schlagschatten
Ludwig Kalisch

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Der Prediger.

Das erste Kapitel.

  1. Liebe Gott und die Menschen und fürchte den Teufel und die Jesuiten.
  2. Mein Sohn, wenn es feucht ist, trage wollene Socken und wo eine üble Luft weht, halte die Nase zu.
  3. Besser ein Spatz in der Hand, als ein Spatz auf dem Dach, und schöner ist's, in Neapel zu leben, als in Berlin zu sterben.
  4. Ein Narr macht viel Narren; aber ein wahrer Mensch muß lang suchen, bis er einen zweiten findet.
  5. Alle Wasser laufen in's Meer und alle Bücher kommen auf die Leipziger Messe.
  6. Schöner steht die Schellenkappe auf dem Haupte eines Weisen, als die Königskrone auf dem Haupte eines Narren.
  7. Es gibt nichts Neues in den deutschen Zeitungen. 162
  8. Viele glauben weise zu sein, weil sie ernste Gesichter schneiden; aber nicht alle sind Köche, die lange Messer tragen.
  9. Schönheit vergeht, aber die Tugend steht sich sehr schlecht.
  10. Ich habe das weibliche Geschlecht kennen gelernt; aber es ist ganz eitel.
  11. Der wahre Glaube macht selig; aber der Aberglaube – – –
  12. Man darf leider nicht alles sagen, was man gern sagen möchte.
  13. Ehe der Morgen anbricht, ist die Finsterniß am stärksten und die besten Schwerter der Freiheit werden gewöhnlich aus den schwersten Ketten der Sklaverei geschmiedet. 163

 

Das zweite Kapitel.

  1. Ich Prediger war Schriftsteller in Deutschland.
  2. Ich hörte Sänger und Sängerinnen, und sah Tänzer und Tänzerinnen.
  3. Ich sah Trauerspiele von der Frau Birch-Pfeiffer und Lustspiele von Angely und Töpfer; aber sieh, es war eitel.
  4. Ich fing an Rezensionen zu schreiben und glaubte dadurch berühmt zu werden; aber das war auch eitel.
  5. Denn wo man viel spricht, wird wenig gehandelt und wo viele Schriftsteller leben, wird viel Tinte vergossen.
  6. Ich sah reiche Schurken feine Havanna-Cigarren rauchen und edle Menschen Hunger leiden.
  7. Da dachte ich in meinem Herzen: Je mehr Spitzbüberei, desto mehr Glück und je mehr Tugend, desto mehr Jammer. 164
  8. Mein Sohn, hüte dich vor Heuchlern und meide diejenigen, so Gottesfurcht predigen, aber Zwietracht stiften unter Familien.
  9. Die Raben sind schwarze Vögel und die Eulen gehen in der Finsterniß auf Raub aus.
  10. Schöner ist's, gute Bücher lesen, als schlechte schreiben; aber wenig Literaten wollen dies beherzigen.
  11. Unter tausend Witzen hab' ich einen guten gefunden; aber unter tausend Komödianten hab' ich keinen bescheidenen gefunden.
  12. Mein Sohn, sprich nicht unbedachtsam von den Regierungen; denn die Polizei ist überall und ein Gefängniß hat dicke Mauern.
  13. Wo viel Angestellte sitzen, da sei verschwenderisch mit deinem Schweigen, damit es dir wohlergehe in unserem lieben Deutschland. 165

 

Das dritte Kapitel.

  1. Ich, der Prediger, habe einen gewaltigen König gekannt.
  2. Der war begabt mit Glanz und Herrlichkeit und machte Verse in Jamben und Trochäen.
  3. Und wenn er sang, da tanzten die Bestien und die Bäume und die Pflastersteine vor Schrecken.
  4. Und dem lieben Gott und den Göttern bauete er Tempel und Palläste.
  5. Und da in seinem Land kein Ruhm zu finden war, so bauete er ihm zu Ehren einen stattlichen Bau.
  6. Und er verstand die Sprache der Thiere und der Wälder und des schwarzen Gevögels in seinem Lande.
  7. Und ließ aufführen große Bildsäulen von Erze und auch von Steine; aber sieh, das Alles war auch eitel.
  8. Mein Sohn, thue Gutes und meide die Politik. 166
  9. Was ein Häkchen werden soll, krümmt sich schon früh und was ein Höfling werden soll, krümmt sich noch früher.
  10. Thue Recht und scheue die Polizei. Halte das Maul und bezahle deine Steuern.
  11. Nahrungssorgen und ein böses Gemüth gönnen dem Menschen keinen Schlaf; aber ein gutes Gewissen und deutsche Taschenbücher wiegen ihn in sanften Schlummer ein.
  12. Kinder und Narren pflegen die Wahrheit zu sagen; Diplomaten aber sind erwachsene, kluge Leute. 167

 

Das vierte Kapitel.

  1. Viele Köche verderben den Brei, und wo zu viel regiert wird, geht es gewöhnlich am zügellosesten zu.
  2. Die Erde hat ihre Grenzen und dem Meere ist ein Ziel gesetzt; aber die Tyrannei kennt weder Ziel noch Maß.
  3. Trinke nicht zu viel Champagner und trachte nicht zu sehr den Krammetsvögeln nach.
  4. Denn die Zukunft ist in Dunkel gehüllt und es gibt Leute, die dreißig Prozente nehmen.
  5. Besser ein Gott und ein Rock, als sechs Röcke und ein Dutzend Gläubiger.
  6. Ein Quentchen Glück ist besser als ein Pfund Verstand; denn was hilft dem Menschen seine Weisheit, wenn er keine Anstellung kriegt?
  7. Mein Sohn, verbirg dein Inneres und habe Acht auf dein Aeußeres. 168
  8. Denn die Menschen sehen früher die feine Weste, als das feine Gefühl und achten mehr ein reines Hemd, als ein reines Herz.
  9. Wenn du unter niedern Thoren wandelst, so bücke dich, auf daß du dir den Kopf nicht einrennest.
  10. Schöne Versprechungen helfen keinem Volke aus der Noth und es klingt übel, wenn man dem Hungrigen wünschet, wohl gespeist zu haben.
  11. Lasse deinen Nebenmenschen keine Sklavendienste verrichten; denn der Mensch ist Freitag geboren. 169

 

Das fünfte Kapitel.

  1. Mein Sohn, wenn du unter Wölfen bist, so heule mit und sei nie so thöricht, gegen den Strom zu schwimmen.
  2. Wenn du klug bist, so drehe dich mit jedem Winde, und bedenke, daß die Wetterhähne am höchsten gestellt sind.
  3. Viele Tyrannen schmeicheln dem Volke, um es desto leichter unterdrücken zu können und im Alterthume hat man die Ochsen erst bekränzt, ehe man sie zum Opfer brachte.
  4. Wenn die Milch sauer wird, so wird sie dick und wenn die Dummheit sich ärgert, wird sie breit.
  5. Auf dem Wege der Tugend wandeln, ist göttlich, und gottlos ist's, den Weg des Lasters einzuschlagen; wer aber unentschlossen am Scheidewege stehn bleibt, ist ärger als gottlos, ist einfältig. 170
  6. Es gibt kein größeres Laster, als die Schwäche; denn sie hat nie den Muth, tugendhaft zu sein.
  7. Die Rose und der Adler, die Schönheit und die Stärke streben dem Lichte zu; aber die Fledermäuse und der Schierling gedeihen nur in Nacht und Trümmerhaufen.
  8. Mein Sohn, ehre das Genie; denn es ist die Offenbarung Gottes im Menschen.
  9. Miserabele Wichte sind es, die um die Blöße ihrer Talentlosigkeit den fadenscheinigen Mantel der sogenannten Gesinnung hängen und den Mangel an Geist durch eitle Tugendhaftigkeit zu ersetzen glauben.
  10. Nicht die Sonne erzeugt die Schatten, sondern die Körper, welche den Strahlen der Sonne im Wege stehn, und so hat die Dummheit immer die Schwächen großer Geister zu verantworten.
  11. Die Eitelkeit verhält sich zum Stolz, wie sich der Hochmuth zum Muth verhält.
  12. Der Stolz verachtet die Gefahr und der Muth weiß ihr zu begegnen; der Hochmuth glaubt aber der Gefahr zu trotzen, wenn er sich dahin stellt, wo er von ihr nicht erreicht werden kann; und die Eitelkeit glaubt sogar schon den Sieg errungen zu haben, ehe sie den Kampf begonnen. 171
  13. Es ist nicht so schwer, die Weisheit predigen als der Weisheit folgen, aber am leichtesten ist es, sich gegen die Stimme der Weisheit das Ohr zu verstopfen, um dann mit der Taubheit die Dummheit zu entschuldigen.
  14. Viele süße Früchte haben eine sehr harte Schale und man kann auf Erden selten sich eines Genusses erfreuen, wenn man nicht von der Natur mit guten Zähnen versehen worden.
  15. Beherzige dies, mein Sohn, und helfe dir selbst, dann wird dir der liebe Gott auch helfen. 172

 

Das sechste Kapitel.

  1. Besser ein lebendiger Hund als ein todter Löwe, und besser Hofrath Friedrich Wilhelm Riemer als Johann Wolfgang Göthe.
  2. Der Name thut nichts zur Sache und ob man Stockfisch, Kabeljau oder Laberdan heißt: es ist immer ein Unglück, wenn man gefressen wird.
  3. Ich habe mein Herz hingegeben der Weisheit und bin eingedrungen in die Tiefen der Wissenschaft; doch von allen Bestien, so ich kennen gelernt, sind mir die Krämer am meisten zuwider.
  4. Sie riechen nach ranzigem Oel und predigen Moral und weil sie mit Weingeist handeln, glauben sie jeden Geist begreifen zu können.
  5. Sie liebäugeln mit jungen Sardellen und kokettiren mit Limburger Käse; sie schwelgen in Pomeranzenschalen und schwärmen für Korinthen. 173
  6. Mein Sohn! die Heuchelei stirbt nicht aus auf dieser bösen Welt und es wird immer Leute geben, die lange dunkle Kleider tragen.
  7. Fürchte den Wolf, wenn er sich dir in Wolfpelz zeigt; läßt er sich aber im Schafpelz sehen, so fürcht' ihn zweimal.
  8. Der Hochmuth ist ein teuflisch Laster; aber der Hochmuth im Gewande der Demuth ist zwiefach teuflisch.
  9. Freue dich deiner Jugend; denn jede Stunde bringt dich dem Grabe näher.
  10. Achte nicht auf die Leute, die öffentlich Mäßigkeit predigen, aber im geheimen oil de perdrix trinken und sich in gemästeten Kapaunen übernehmen.
  11. Ich habe sie kennen lernen, diese Leute. Sie hassen die Wahrheit und lieben wattirte Redensarten. Sie tragen Gott auf den Lippen und den Teufel im Herzen.
  12. Sie gehen gesenkten Hauptes einher und werfen verstohlene Blicke auf schöne Mädchen und liebliche Frauen.
  13. Mein Sohn! Wenn du Fische issest, nimm dich in Acht, daß du keine Gräte verschluckst; auch ist es unangenehm, wenn einem etwas in die unrechte Kehle kommt. 174
  14. Zweimal schweigen ist besser, als einmal reden und dreimal essen ist besser, als einmal hungern.
  15. Der Mann hat zwei Ohren und das Weib nur einen Mund; wäre es umgekehrt, so gäbe es lauter taube Männer auf Erden.
  16. Mein Sohn, hüte dich vor Erkältungen und Prozessen; denn die Aerzte und Advokaten haben den Sarg und den Bettelstab erfunden.
  17. Nur durch Schaden oder Ohrfeigen wird man klug; denn nichts geht über die praktische Erfahrung. 175

 

Das siebente Kapitel.

  1. Alles hat seine Zeit unter der Sonne und Alles wechselt mit der Mode; aber die Mode selbst wird nie aus der Mode kommen.
  2. Die Mode von heute verdrängt die Mode von gestern, und was heute ein kosmopolitischer Nachtwächter ist, kann morgen schon ein simpler politischer Hofrath werden.
  3. Heute verlangt die Mode, daß man lange Röcke und liberale Gesinnungen anziehe und morgen will sie, daß man Monumente baue und Straußische Walzer tanze.
  4. Die Mode ist das grausamste Wesen; denn sie hat die Vatermörder erfunden.
  5. Der Prediger in der Wüste hat ein undankbares Geschäft; und derjenige muß ein großer Tambourmajor sein, der ein deutsches Trommelfell zu rühren weiß. 176
  6. Das Glück gleicht einem gefallsüchtigen Weibe. Wer es aufsucht, den flieht es; nur wer es zu verachten scheint, dem wirft es sich in die Arme.
  7. Aber auch das Glück allein macht's noch nicht aus; man muß es auch benutzen können.
  8. Manchen Leuten fällt ein Sack Geld vom Himmel; aber sie werden nicht reich dadurch, sondern kriegen nur einen wunden Kopf.
  9. Im Schweiße seines Angesichts das Brod essen, ist ein harter Fluch; aber im Schweiße seines Angesichts arbeiten und doch hungern müssen, ist ein hundertfacher Fluch.
  10. Nur in den Hütten der Armuth wohnt das Mitleid und Reichthum ist aller Laster Anfang.
  11. Nicht daß man eine Gabe spendet, sondern daß man sie freundlich spendet, zeigt von wahrer Wohlthätigkeit; aber der Reichthum wirft von seinem Ueberfluß der flehenden Dürftigkeit die kärgliche Spende vor die Füße. Er gibt gewöhnlich nur, um den Armen los zu werden, nicht um ihn zu trösten.
  12. Nur die Natur ist wahrhaft wohlthätig. Wo sie am reichsten, gibt sie am freundlichsten und selbst, wo es ihr fast an Allem mangelt, gibt sie doch noch immer genug, um dem Menschen das Leben zu erhalten.
  13. Die eigentliche Wohlthätigkeit besteht darin, 177 daß man sich selbst wohlthue, indem man Andern wohlthut.
  14. Mein Sohn! Das Leben ist eine Schule; das Schicksal ist der Lehrer und die Menschen sind die Schüler. Nur Wenige lernen etwas Vernünftiges, und die Meisten bestehen sehr schlecht, wenn sie von ihrem Lehrer nur etwas hart geprüft werden.
  15. Nur der Haß, aber nicht die Liebe, läßt sich verbergen, weil jener nicht so stark wie diese, um den Menschen ganz zu beherrschen.
  16. Herrlich ist's, lieben und Liebe finden; traurig ist's, lieben und nicht geliebt werden; furchtbar aber ist's: geliebt sein und doch nicht lieben können. 178

 

Das achte Kapitel.

  1. Mein Sohn, gehe stets deinen eigenen Weg und laß dich nicht irre machen von blöden Thoren, die Jedermann meistern wollen.
  2. Selbst der liebe Gott konnte es nicht Allen recht machen und es gibt immer noch sehr viele Leute, die es ihm nicht verzeihen können, daß er die Sonne geschaffen.
  3. Wenn Alles auf den Köpfen steht, so stehe du auf deinen eigenen Füßen und bedenke, daß es nicht an der Mangelhaftigkeit der Wahrheit liegt, wenn diese nicht so viele Freunde und Anhänger findet, wie der Irrthum.
  4. Genieße des goldenen Lichtes und der rosigen Freude; denn Gott will nicht, daß der Mensch ein Mucker sei.
  5. Die Erde ist kein Jammerthal, sondern das Wupperthal, wo man die Krämerhände und den schmutzigen Twist so gern in Unschuld wäscht. 179
  6. Der Mensch kann gottesfürchtig und lebenslustig zugleich sein und nur ein Schelm und Heimducker kann es für Sünde halten, wenn man Wein, Weib und Gesang liebt.
  7. Der Himmel wölbt sich über Alle; diejenigen aber, die ihn am meisten im Munde führen, sind am wenigsten werth, unter ihm zu wandeln.
  8. Unsere Klugheit hilft uns am Ende doch nichts und es ist immer nur ein Zufall, wenn wir nicht hintergangen werden.
  9. Gehe an keinen Spieltisch, mein lieber Sohn; denn weder Herr Chaber noch Herr Benazet zahlen die theuere Pacht, um dich zu bereichern.
  10. Trinke, doch saufe nicht! denn der Wahn ist kurz und der Katzenjammer ist lang.
  11. Sondere die Spreu von dem Waizen und lerne die Tauben von den Raben unterscheiden.
  12. Nimm kein deutsches Blatt vor's Maul und spreche niemals wie dir der Schnabel gewachsen.
  13. Meide jegliche böse Gesellschaft und gehe jedem Philister aus dem Wege.
  14. Philister und Hunde sind zwar Thiere, die mehr bellen, als beißen; aber wenn sie toll werden, können sie viel Unheil anrichten. 180
  15. Die Hauptsumme aller Weisheit ist: Fege vor deiner eigenen Thüre und lasse deinen Nachbar selbst sehen, wie er sich seinen Unrath wegschafft.

Ende des Predigers. 181

 


 


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