Ludwig Kalisch
Schlagschatten
Ludwig Kalisch

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Offenes Sendschreiben
der
Erde an die Sonne.

Durchlauchtige Sonne!

Aus deinem Briefe an meinen Trabanten, den Mond, hab' ich deinen Unwillen gegen mich wahrgenommen, und ich muß gestehen, es hat mich gewundert, bei dir, die du die Weltbeleuchtungsanstalt bist, so wenig Klarheit der Ansichten zu finden. Du machst mir einen Vorwurf daraus, daß ich mich täglich um mich selbst drehe. Aber geschieht dies nicht, um dein durchlauchtiges Antlitz zu sehen? Es geht mir in dieser Beziehung, wie so vielen Sterblichen, die sich sogar in einer Stunde vierundzwanzigmal um sich selbst drehen, damit sie nur einen Strahl irgend einer irdischen 42 Durchlaucht erhaschen. Glaube mir, majestätische Sonne, daß ich dies Ummichselbstdrehen, das jetzt schon so viele Jahrtausende währt, längst müde bin und ich wollte recht ernstlich, daß der Urschöpfer in gerechter Anerkennung meiner Dienste mich endlich pensionirte und in Ruhestand versetzte. Du hast gut reden. Du empfängst täglich die Besuche der Welten und bewegst dich nicht von der Stelle; aber ich habe nicht einmal einen Sonntag für mich. Der Schöpfer selbst hat am siebenten Tage von den großen Strapatzen ausgeruht; ich darf leider niemals ruhen. Du solltest also mehr Nachsicht haben. Auch solltest du wissen, daß ich älter bin, als du. Ich will mich indessen der Anciennetät nicht rühmen. Im Grunde sind wir Welten, ob wir leuchten oder erleuchtet werden, doch nur Parvenü's; denn wir sind ja sämmtlich aus Nichts entstanden. Darum also keine Süffisance! Käme es aber bei uns auf wahres Verdienst an, so würde ich vielleicht den Sieg davon tragen. Ich gebe dem Menschen alles, was er begehrt; dafür tritt er mich mit Füßen. Ich bin sogar verdammt für das liebe Vieh zu sorgen. Ich muß unaufhörlich produciren, damit die unvernünftigen Bestien nicht über Hunger klagen. Jeder Esel hat ein Recht auf mich; ich bin leider die Universal-Speisewirthschaft und muß Gäste bedienen, die während ihres langen 43 Lebens keine andere Empfindung kennen, als den Hunger und die Verdauung.

Was du indessen von den Sterblichen sagst, ist wahr und richtig. Es ist ein undankbares, nichtsnutziges Geschlecht, das jede Güte mißbraucht und jeden Mißbrauch erfindet. Sie behaupten, sich von den anderen lebenden Geschöpfen durch Vernunft auszuzeichnen; sie benutzen aber diese Vernunft nur, um systematisch unvernünftig zu sein und so wie sie viele vierfüßige Thiere abrichten, auf zwei Beinen zu tanzen, so richten sie sich gegenseitig ab, auf allen Vieren zu kriechen. Die Unnatur ist ihnen zur zweiten Natur geworden und keine Kunst ist bei ihnen so ausgebildet, als die Verstellung. Sie reden viel von Freiheit und dennoch gibt es bei ihnen nur Tyrannen und Sklaven. Sie sprechen auch viel von Aufklärung; aber sie geberden sich dabei wie die Mücken. Sie nähern sich dem Lichte, nicht um sich daran zu erleuchten, sondern sich daran zu verbrennen. Auch von der Gottheit schwatzen sie viel; aber sie erheben sich nicht zu dieser durch edles Thun und Denken; sie ziehen vielmehr die Gottheit in die Niedrigkeit ihres Treibens herab. Sie klagen über die Ungerechtigkeit des Schicksals und sind es doch selbst, die sich ihr Schicksal bereiten. Sie stolpern über die Steine des Anstoßes, die sie sich selbst in 44 den Weg legen und kein Unglück gibt's, das nicht einem Menschen das Dasein verdankte. Der Mensch nennt mich »Jammerthal«; aber ich erzeuge keinen Jammer für den Menschen; der Mensch erzeugt den Jammer auf mir armen Erde.

Wenn ich nun zuweilen an das Treiben der Menschheit denke, krieg' ich die heftigsten Krämpfe und muß dann Feuer und Schwefelwasser speien. Es ist gar kein Wunder, glorreiche Sonne, daß du immer so gut aussiehst; denn die Menschen machen dir den Kopf nicht warm, sondern umgekehrt. Ja, so scharfsichtig sie auch zu sein glauben, sie können dir doch nicht einmal in's Gesicht sehen. Schon der Umstand, daß du ihnen so fern bist, würde genügen, daß sie dich verehren und wollen sie in ihrer unbegrenzten Neugierde dein Wesen erforschen, so können sie dich nur scheinbar sich näher bringen. Mit mir aber sind sie bald fertig. Sie hauen, sie stechen, sie stoßen, sie durchbohren mich und reißen mir die metallenen Eingeweide aus dem Leibe. Nicht zufrieden mit dem goldenen Segen auf mir, holen sie sich mit Lebensgefahr aus meinem tiefsten Schooße den Fluch des Goldes herauf, welches das Auge der Tugend verblendet und die Gerechtigkeit zum Fußschemel des Lasters macht. Ich bin die Mutter alles Lebenden; je älter ich aber 45 werde, je mehr werde ich verachtet. Meine Fluren sind geschaffen die nährende Frucht hervorzubringen und das Auge durch saftiges Grün zu erquicken. Es liegt in meinem innersten Wesen, daß ich durch meinen Schmuck nütze und daß der Nutzen, den ich bringe, sich im Gewand der Schönheit zeige. Die Menschen aber vernichten meine Fluren, reißen die schattenreichen Bäume um und erdrücken mich durch eiserne Schienen, die sie Eisenbahnen nennen und wie es scheint zu dem Zweck erfunden haben, um sich gegenseitig auf die schnellste Manier betrügen zu können.

Und doch lieb' ich den Menschen mit inniger, unwandelbarer Mutterliebe; denn sein ganzes Dasein ist ja nur ein unruhiger Traum. In diesem Leben ist er ein Nachtwandler, der, mit offenen Augen schlafend, die steilsten Höhen erklettert und manches Schwierige vollbringt; aber erst wenn der Tod seinen Namen ruft, erwacht er und schaut ein Licht, das viel heller und klarer als das deine. Erst mit dem ewigen Schlafe beginnt sein ewiges Erwachen und nur wenn er sein äußeres Auge zudrückt, öffnet sich sein inneres, um sich nie wieder zu schließen. Aber selbst wir, die großen Welten, haben unsere großen Schwächen. Ich habe meine schiefe Richtung und du selbst bist, trotz deines großen Glanzes, dennoch nicht
46 ohne Flecken. Laß uns also gegenseitig mit uns und den Geschöpfen Nachsicht haben und bedenken, daß es auch bei uns Welten gar zu rund hergeht und daß man eigentlich durch Tadel die Sache nur verschlimmert, wenn man die Kraft nicht hat, sie zu bessern.

Lebe wohl.
Deine wandelbare Erde.
       

 


 


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