Jean Paul
Leben des Quintus Fixlein
Jean Paul

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Den fünften ließ ich an einer Thiersheimer Flora arbeiten, den sechsten an einer dergleichen Fauna. Der siebente Tag ist überall frei und des Herrn Ruhetag. Den achten wurde der Plan, gleichsam die Didos-Kühhaut, zu einem neuen Idiotikon der Sechsämter auseinandergebreitet, und der geringste Bauer wurde durch die Lieferung eines einzigen Provinzialismus zum Mitarbeiter daran angenommen. – Ein solcher Idiot hilft sich nur durch einen Idiotismus, den er Gelehrten zinset, wieder ein wenig aus seiner Verächtlichkeit auf. Da ich vor der ganzen Gemeinde unsern verreckten Wachtelhund ungescheuet anfaßte, hinaustrug und einscharrte – wie Prosektores geköpfte Kadaver handhaben –, so nahm ich das allgemeine Erstarren über meine Kühnheit wahr und zugleich die allgemeine Verblendung; ein solcher Abstand aber zwischen dem Vorurteil und der Aufklärung macht es oft einem Gelehrten, der ihn fühlet, sauerer, als man denkt, bescheiden zu sein.

Den neunten setzt' ich bloß aus Liebe zum Gymnasium mein Leben aufs Spiel oder auf den Spielteller. Der Mond setzte nachmittags, als er im Nadir stand, den Güssen einen kleinen Damm, und ich zog daher eilends mit meinem peripatetischen Auditorium, armieret mit geometrischem Heergeräte, aus Thiersheim hinaus, des Vorhabens, Felder zu messen. Draußen war nun noch auf keinem geschnitten; und Boshafte sahen mir überhaupt mit einer so langen anfeindenden Aufmerksamkeit nach – welches mich auf Platos Diktum brachte, gegen einen Rechtschaffenen verschwüre sich am Ende die ganze Welt –, daß ich es nicht probieren wollte, einen Pfahl einzustecken. Zum Glück lagen zwei Fleischersknechte unter entfernten Bäumen auf Rainen im Schlafe. Ich sagte zu meinen Geometern (und zeigte auf die Metzger): ›Wir wollen leise die Weite zweier Örter oder Schlucker messen, zu deren keinem man kommen kann.‹ Wir nahmen auf dem Gemeindeanger alles in der größten Sonnenferne von den zwei Schliffeln vor (man verzeihe: denn indignatio facit versus). Von fernen und still bohrt' ich selber den Meßstab ein und setzte die Mensul in den zweiten Standort. Ich visierte nach dem Stabe und nach dem schlafenden groben Bloch A und nach dem andern Bloch B, ließ den Abstand zwischen dem Stabe und Tische messen und verjüngte ihn richtig auf letzterem. Kurz (denn Nicht-Feldmessern würd' ich doch nicht faßlich) wir kamen Wolfen, Kästnern und allen großen Messern pünktlich nach; und hatten endlich wirklich den zwei schnarchenden Grobianen A und B die Ehre angetan, die Schuß- und Brennweite zwischen ihnen akkurat (war nicht Kästner unser Flügelmann?) herauszumessen. Unglücklicherweise wollt' ich meinen Zöglingen die sinnliche Proba über das Exempel vormachen und befahl Monsieur Fechsern, mit der Meßschnur zum Fleischer A zu schleichen, indes ich mich mit dem Ende der Schnur zum Fleischer B hinaufmachte. Mein Fechser mochte (der Mensch kann nichts dafür) etwan, indem er sich mit der Schnur an den groben Knopf und Kopf A niederkauerte, mit dem Degen dessen Nase leicht überfahren: kurz der Kerl fuhr wie ein Flintenschuß auf und schrie, da er mich über seinen Schlafgesellen mit der Meßschnur hereingeneiget erblickte, die ich an sein Gesicht applizieren wollte, seinem Räubergenossen zu: ›Michel! es verschnürt dir einer den Hals!‹ – Urplötzlich erwacht der Wüterich B – schnellet den Faust-Fallbock gegen mein zu tief hereinsehendes Angesicht – fängt mich mit der andern Klaue wie mit einer Fußangel bei meinem Stiefel und wirft mich durch seinen Wurzelheber notwendig aus dem Gleichgewicht auf den Rain hin – und würde mich vermutlich maustot gemacht haben, wären mir nicht redliche Zöglinge gegen den Meuchelmörder beigesprungen.

Dem Unmenschen (ich meine seiner Moralität) schaden meine passiven Prügel mehr als mir selber, da ich, als Märtyrer der Geometrie, wie der ältere Plinius als einer der Physik, nichts davon habe als – Ehre; auch säuberte ich unterweges die Denkungsart meiner Leute über die Ohrfeigen, indem ich ihnen bewies, daß diese nur bei den größten Feierlichkeiten und Standeserhebungen – bei Zeugschaften, Manumissionen, Freisprechungen der technischen Kornuten, bei Erhebungen aus dem Pagenstand – im Schwange gewesen und noch sind.

Inzwischen mag die gelehrte Welt es diesem Zer-Fleischer (nicht mir) beimessen, wenn ich nachher – aus natürlichem Scheu vor ähnlichen Mißhandlungen – Bedenken trug, von Haus zu Haus zu gehen und zum Vorteil der Landeshistorie (der wichtigsten Resultate zu geschweigen, die daraus zu ziehen wären) die Speichen der Weifen und Wagenräder und die Zacken der Querl zu zählen, ferner die Zylinder der Dreschflegel und der Sonntagsstöcke stereometrisch zu bestimmen – man könnte dadurch freilich hinter die Kräfte derer, die sie bewegen, kommen – und die Gabelweite der Stiefelknechte durch die Longimetrie und die Untiefe der Eßlöffel und Suppenschüsseln mit Visierstäben auszuforschen, um aus der erstern auf die Größe der Füße, aus der letztern auf die Größe der Mägen die leichtesten Schlüsse zu ziehen. Ohne die Schläge würd' ich mich, ich gesteh' es, ganz gewiß dieser Mühe unterzogen haben; aber Behandlungen der vorigen Art und kleinere, wie die folgende, frischen wahrlich einen Gelehrten schlecht zur Landesgeschichte an. Ich teilte dem Wirte, als ich auf den Flachsrocken seiner Tochter hinsah, den guten Rat mit, von der Achse des Spinnrades ein dem Wegmesser ähnliches Rad treiben zu lassen, das die Umwälzungen des großen Rades richtig auf einer Scheibe summierte. ›Er kann‹, setzt' ich hinzu, ›leicht wissen, wenn Er wieder nach Hause kömmt, wie viel seine Tochter gesponnen und ob sie nicht gefaulenzet hat.‹ Darauf lachte mir das junge Ding ins Gesicht und sagte: ›Gimpel! das sieht ja der Vater schon am Garne.‹ Aber Gelehrten leg' ich obiges Projekt zum Beurteilen vor.

Überhaupt schränkte der Faustschlag des Fleischers meinen Eifer für die Wissenschaften sehr ein. Ich hatte aus wichtigen Gründen vor, den inhaftierten Postdieb Mergenthal zu besuchen; aber ich versagt' es mir. Ich mache nämlich nach meinen Kräften schon seit einigen Jahren ein ganz verwachsenes Feld der Landesgeschichte urbar: die Gerichtsplätze und Rabensteine; ich meine, ich werfe auf die Landesspitzbuben und Landesmörder die nötigsten historischen Blicke und liefere aus dem peinlichen Potosi von Kriminalakten und Diebslisten einen und den andern Ausbeutetaler, weil ich mich überhaupt überrede, jeder Schulmann müsse sich schämen, der nichts über sein Land oder seine Stadt herausgibt. Sollte nicht jede Schuldienerschaft sich in die Äste der Spezial-Geschichte teilen? Könnte nicht der Rektor die Spitzbuben bearbeiten und liefern, die Dekollierten, die Gehenkten? Könnte nicht jeder Unterlehrer seine besondere Landplage nehmen? Der Konrektor die Pestilenzen oder bloßen Epidemien – der Tertius die Viehseuchen – der Kantor die Wassers- – der Quartus die Hungersnöten – der Quintus die Feuersbrünste?

Mir also, als Malefikanten-Plutarch, würd' es sehr wohl angestanden haben, ein historisches Subjekt, noch eh' es gehenkt wird, zu besichtigen; ich stellte aber denen, die mirs rieten, vor, ich führte in den peinlichen Memoires, die ich unter der Feder hätte, die Geschichte eines armen Höfer Schullehrers auf, den ein Dieb, dem er einmal ein Almosen scheltend gereicht, in Leipzig als seinen Komplicen fälschlicherweise angegeben, worauf der ehrliche Schulmann abgeholt, in Leipzig torquiert und mit Not dem Sprenkel des Galgens entrissen worden. Das könnte nun mehreren rechtschaffenen Leuten begegnen – es könnte mich z. B. der Delinquent Mergenthal, wenn ich ihn besuchte und ihn entweder durch mein Trink- und Saufgeld oder durch mein Gesicht aufbrächte, aus Bosheit denunzieren und aussagen, ich hätte gestohlen mit ihm. Wer haftete mir für das Gegenteil, und wer nähme sich eines unschuldigen Rektors an, wenn ihn ein solcher Post- und Ehrenräuber auf die Folter und Galgenleiter versetzet hätte? –

Nachmittags kam endlich der sehnlich erlauerte Herr Pflegevater des Monsieur Fechsers vom Fichtelberge herab und konnte mir sagen, ob ich hinauf könnte, Wetters halber. Er hielt anfangs an sich, und dieser gelehrte Herr äußerte sich zuletzt (viel zu bescheiden) nur dahin: ›er sei wider Willen ein (Wetter-) Prophet in seinem Vaterlande: er könne weissagen, aber mehr auf ganze Quatember voraus als auf den nächsten Tag, so wie die vier großen Propheten leichter eine fremde, erst in Jahrhunderten einfallende Hinrichtung erblickten als ihre eigne, die sich noch bei ihren Lebzeiten begab, oder so wie (eigne Ausdrücke dieses Gelehrten) der Mensch richtiger den Weg der Vorsehung auf Jahrtausende als auf Jahrzehente voraussagt. Überdies, da wir (nach Kant) der Natur die Gesetze geben: so sei ihm wie dem Moralisten mehr daran gelegen, zu bestimmen, wie das Wetter (nach den einfachsten Prinzipien) sein sollte, als wie es wirklich sei, und er habe wohl nicht die Schuld, wenn es die besten Regeln übertrete, die er feststelle.‹ – Indessen verhielt mirs dieser meteorologische Augur doch nicht, daß es jetzt sich aufhelle. Auch trafs bis auf die kleinste Wolke ein: es will etwas sagen.

Inzwischen kam mirs nicht zustatten: der Herr Pflegevater des Monsieur Fechser eröffnete mir, daß ein anderer Gelehrter, Herr Konrektor Helfrecht aus Hof, das Fichtelgebirge, das ich bereisen und beschreiben wollen, schon völlig wörtlich abgeschildert und in Kupfer gestochen habe. Da nun niemand weniger als ich irgendeinem Menschen ein Rad aus seinem Triumphwagen aushebt: so war ich auf der Stelle bereit, auf den Fichtelberg, den ich nun doch nicht mehr beschreiben kann, keinen Fuß zu setzen; vielleicht sticht mir das Schicksal irgendeinen andern Berg zum Postament und Pindus meiner Feder aus.« – –
 

– Seit Herr Rektor Fälbel jenes geschrieben, hat der gelehrte und rechtschaffene Mann, von dem ich mit ihm sprach, den Anfang zu seinem Werke geliefert; aber ich wünschte, er möchte seine mit einer so fleißigen, wahrheitsliebenden, kenntnisreichen und uneigennützigen Pünktlichkeit entworfene Ichnographie des erhabnen Natur-Festungswerkes, die einen wichtigern Beifall als meinen verdient, endlich ganz unter die Augen des Publikums bringen, damit ihn wenigstens der Unterschied zwischen dem Publikum und einer Stadt aufmunterte, wo man dem eignen individuellen Wohl nicht mehr schaden kann als durch (besonders pädagogische) Verdienste ums allgemeine... Ich könnte ebensogut jede andere deutsche Stadt dafür setzen; denn nur vom Verdienste wird das Verdienst erkannt, und es gehöret oft mehr Patriotismus dazu, Verdienste zu belohnen, als sie zu haben. –
 

»Was mich ferner vom Fichtelberg herabgezogen hielt, war, daß unser metallenes Schwungräder-Werk zu stocken anfing, das Geld; um aber Fersen-Geld zu geben, muß man vorher Hand-Geld haben, wie alle Regimenter wissen. Ja wir konnten nicht nur nicht vorwärts, sondern auch nicht einmal rückwärts. Und als ich dem Wirte fruchtlos meinen Handschlag als ein Faustpfand und mein Ehrenwort als ein Expektanzdekret ehrlicher Bezahlung offerieret hatte: mußt' ich nur froh sein, daß er meine Tochter als eine Pfandschaft und ein Grundstück zum Versatz annahm und behielt, und ich hatte das Glück, den Ägyptern (den heutigen Kopten) zu ähnlichen, bei denen einer gegen Verpfändung seiner einbalsamierten Blutsverwandten schöne Privatanleihen machen konnte. Ich fuhr daher auf dem leeren Kabriolett, so schnell als meine Klasse und mein Pferd laufen konnten, nach Hause und konnte sowohl der Eile als des Rasselns wegen nicht so viel dozieren, als man wünschen mochte. Hier hatte der Herr Pflegevater des Monsieur Fechsers die ungemeine Güte, mir für eine schwache Beschreibung unserer mühsamen und lehrreichen Klassen-Reise einen Platz in seinen herrlichen Werken auszuleeren und einzuräumen und mir den Ehrensold dafür schon vor der Messe vorzuschießen, damit ich mit dem Gratial meine versetzte Tochter beim Thiersheimer Wirte auslösete. Curate ut valeatis!« –


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