Jean Paul
Leben des Quintus Fixlein
Jean Paul

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Vierzehnter Zettelkasten

O so ists immer! So zündet das Schicksal das Theater unserer kleinen Lustspiele an und den schön gemalten Vorhang der Zukunft! So windet sich die Schlange der Ewigkeit um uns und unsere Freuden und zerdrückt wie die Königsschlange durch ihre Ringe, was sie nicht vergiftet! Du guter Fixlein! – Ach ich konnte gestern nachts mir nicht vorstellen, daß du Armer, indem ich neben dir schrieb, schon in den giftigen Erdschatten des Todes rücktest.

Er machte gestern noch so spät die im alten Turmknopf gefundne Bleibüchse auf – das Verzeichnis derer, die zum vorigen Turmbau gegeben hatten, war darin, und er las es erst jetzt, weil ihn bisher meine Gegenwart und seine Geschäfte darin gestöret hatten. – O wie soll ichs nennen, daß er gerade sein Geburtsjahr, das ich in den neuen Knopf verhehlet, in dem alten finden mußte, daß im Register der Leute, die den Bau unterstützet hatten, gerade der Name seines Vaters mit dem Zusatz eingeschrieben stand: »er schenk' es für seinen neugebornen Sohn Egidius etc.«? –

Dieser Schlag ging tief in seine Brust bis zum Spalten – in dieser warmen Stunde voll Vaterfreude, nach so schönen Tagen, nach so schönen Einrichtungen, nach so oft überlebter Todesangst steigt in das helle glatte Meer, das ihn wiegend führte, schnaubend das Seeungeheuer des Todes aus dem vermoderten Abgrund herauf – und des Untiers Rachen klafft, und das stille Meer zieht in Wirbeln in den Rachen und nimmt ihn mit.

Aber der Geduldige legte still und langsam und mit einem, obwohl tödlich-erkälteten, doch schweigenden Herzen die Blätter zusammen – blickte sanft und fest über den Gottesacker, auf dem er im Mondschein den Hügel seines Vaters unterscheiden konnte – schauete furchtsam auf zum Himmel voll Sterne, über den sich ein weißer Wetterbaum ausstreckte – und ob er sich gleich ins Bette sehnte, um sich einzubauen und alles zu verschlafen, so betete er doch vorher am Fenster für Weib und Kind, im Falle diese Nacht die letzte wäre.

Hier schlug es auf dem Turm zwölf Uhr; aber eine ausgebrochene Eisenzacke ließ die Gewichter in einem fort rollen und den Glockenhammer fortschlagen – und er hörte schauerlich die Drähte und die Räder rasseln, und ihm war, als ließe jetzt der Tod alle längere Stunden, die er noch zu leben gehabt, hintereinander ausschlagen – und nun wurd' ihm der Gottesacker beweglich und zitternd, das Mondslicht flackerte an den Kirchfenstern, und in der Kirche schossen Lichter herum, und im Gebeinhause fings an, sich zu regen.

Da schauerte ihn, und er legte sich ins Bette und schloß die Augen, um nichts zu sehen; – aber die Phantasie blies jetzt im Dunkel den Staub der Toten auf und trieb ihn zu aufgerichteten Riesen zusammen und jagte die hohlen aufgerissenen Larven wechselnd in Blitze und Schatten hinein. – Dann wurden endlich farbige Träume aus den durchsichtigen Gedanken, und es träumte ihn: er sehe aus seinem Fenster in den Gottesacker, und der Tod krieche klein wie ein Skorpion darauf herum und suche sich seine Glieder. Darauf fand der Tod Armröhren und Schienbeine auf den Gräbern und sagte: »Es sind meine Gebeine«, und er nahm ein Rückgrat und die Knochen und stand damit, und die zwei Armröhren und griff damit, und fand am Grabe des Vaters von Fixlein einen Totenschädel und setzte ihn auf. – Alsdann hob er eine Grassichel neben dem Blumengärtchen auf und rief: »Fixlein, wo bist du? Mein Finger ist ein Eiszapfen und kein Finger, und ich will damit an dein Herz tippen.« – Jetzt suchte das zusammengestoppelte Gerippe den, der am Fenster stand und nicht weg konnte, und trug statt der Sanduhr die ewig ausschlagende Turmuhr in der andern Hand und hielt den Finger aus Eis weit in die Luft wie einen Dolch...

Da sah er den Sohn oben am Fenster und richtete sich so hoch bis an den Wetterbaum auf, um ihm den Finger gerade in die Brust zu stoßen – und schritt wider ihn. Aber so wie er weiterschritt, wurden seine gebleichten Knochen röter, und Düfte flossen wollicht um seine stechende Gestalt. – Blumen schlugen schnellend auf, und er blieb, verklärt und ohne Knochenerde, über ihnen schweben, und der Balsamatem aus den Blumenkelchen hauchte ihn wiegend weiter – und als er näherkam, war Uhr und Sichel weggeflossen, und er hatte im Brust-Gerippe ein Herz und auf dem Knochenschädel einen roten Mund – und noch näher fing ein weichendes, durchsichtiges, in Rosenduft getauchtes Fleisch gleichsam den Widerschein eines hinter dem Sternenblau fliegenden Engels auf – und am nächsten wars ein Engel mit geschlossenen schneeweißen Augenlidern...

Das wie eine Harmonikaglocke zitternde Herz meines Freundes zerfloß selig in die weite Brust – und als der Engel die himmlischen Augen aufschlug: so wurden seine von der schweren Himmelswonne zugedrückt, und sein Traum zerrann. – –

Aber sein Leben nicht: er öffnete die heißen Augen, und – sein gutes Weib hatte seine fieberhafte Hand und stand am Platze des Engels.

Das Fieber setzte am Morgen ab; aber der Glaube ans Sterben pulsierte im ganzen Geäder des Armen. Er ließ sich sein schönes Kind in das Krankenbette reichen und drückte es schweigend, ob es gleich zu schreien anfing, zu hart an seine väterlich beklommene Brust. Dann gegen Mittag wurde seine Seele ganz kühl, und das schwüle Gewölk zog in ihr zurück. – Und hier erzählt' er uns eben die bisherigen (gleichsam arsenikalischen) Phantasien seines sonst beruhigten Kopfes. Aber eben die straffen Nerven, die sich nicht so wie die eines Dichters unter den Griffen und Rissen einer poetischen, den Schmerz abspielenden Hand gezogen haben, springen und reißen unter der gewaltsamen Faust des Schicksals leichter, die den Mißton heftig in die angespannten Saiten greift.

Aber gegen Abend rannten seine Ideen wieder in einem Fackeltanz wie Feuersäulen um seine Seele; jede Ader wurde eine Zündrute, und das Herz trieb brennende Naphthaquellen in das Gehirn. Jetzt wurde alles in seiner Seele blutig; das Blut seines ertrunknen Bruders floß mit dem Blute, das aus Thiennettens Aderlaßwunde längst gedrungen war, in einen Blutregen zusammen – ihm kam immer vor, er sei in der Verlobungsnacht in dem Garten, und er begehrte immer Schrauben zum Blutstillen und wollte sein Haupt in den Turmknopf verstecken. Nichts tut weher, als einen mäßigen vernünftigen Menschen, ders sogar in Leidenschaften blieb, im poetischen Unsinn des Fiebers toben zu sehen. Und doch, wenn nur die kühle Verwesung das heiße Gehirn besänftigt und wenn, während der Qualm und Schwaden eines aufbrausenden Nervengeistes und während die zischenden Wasserhosen der Adern die erstickte Seele umfassen und verfinstern, wenn ein höherer Finger in den Nebel dringt und den armen betäubten Geist plötzlich aus dem Brodem auf eine Sonne hebt: wollen wir denn lieber klagen als bedenken, daß das Schicksal dem Augen-Wundarzte gleicht, der gerade in der Minute, eh' er dem einen blinden Auge die Lichtwelt aufschließt, auch das andere sehende zubindet und verdunkelt?

Aber der Schmerz tut mir zu wehe, den ich von Thiennettens blassen Lippen lese, wiewohl nicht höre. Es ist nicht das Verziehen eines Marter-Krampfes, noch das Entzünden eines versiegten Auges, noch das laute Jammern oder das heftige Bewegen eines geängstigten Körpers, was ich an ihr sehe: sondern das, was ich an ihr sehen muß und was das mitleidende Herz zu heftig zerreißet, das ist ein bleiches, stilles, unbewegliches, nicht verzognes Angesicht, ein blasses, blutloses Haupt, das der Schmerz nach dem Schlage gleichsam wie das Haupt einer Geköpften leichenweiß in die Luft hinhält; denn o! auf dieser Gestalt sind alle Wunden, aus denen sich der dreischneidige Dolch gezogen, fest wieder zugefallen, und das Blut quillet verdeckt unter der Wunde in das erstickende Herz. O Thiennette, gehe vom Kranken weg und verbirg das Angesicht, das uns sagt: »Nun weiß ich doch, daß ich niemals auf der Erde glücklich sein soll – nun hoff' ich nicht mehr – möcht' es nur bald vorüber sein mit diesem Leben!«

Man begreifet meine Betrübnis nicht, wenn man das nicht weiß, was mir vor einigen Stunden die zu laut klagende Mutter gestanden. Thiennette, die längst und immer vor seinem zweiunddreißigsten Jahre gezittert hatte, war diesem Aberglauben mit einem andern edlern entgegengegangen: sie war nämlich absichtlich am Traualtar weiter zurückgestanden und in der Brautnacht früher eingeschlafen als er, um dadurch – wie es der Volks-Wahn ist – zuwege zu bringen, daß sie auch früher sterbe. Ja, sie ist entschlossen, wenn er stirbt, seiner Leiche eines ihrer Kleidungsstücke mitzugeben, um früher in die Nachbarschaft seiner kalten Höhle hinabzukommen. Du gute, du treue Gattin, aber du unglückliche! –


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