Jean Paul
Leben des Quintus Fixlein
Jean Paul

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Beim Eintritte ins Pfarrhaus wollt' ich Hut und Stock nehmen, aber das Dessein, gleichsam die Projektion und der Kontur eines Abendessens in der Akazienlaube war schon von Thiennetten entworfen. Ich beteuerte, ich bliebe bis abends, falls nur die Wöchnerin auch mit zum dekretierten Souper hinaufginge... und wahrhaftig der Biograph behielt endlich über das Kindbetterin-Marschreglement die Oberhand.

Ich nötigte darauf den Pfarrer, seine Kräutermütze, die er sich zur Roboration seiner Memorie ausfüttern lassen, aufzusetzen: »Wollte Gott«, sagt' ich, »die Fürsten täten statt der Fürstenhüte, die Doktores und Kardinäle statt der ihrigen, die Heiligen statt der Märtyrerkronen solche Gedächtnis-Mützen auf den Kopf!« – Alsdann marschierten wir allein, unter dem Braten und Kochen, auf die Pfarrfelder hinaus und sprachen gelehrt. Wir verfügten uns ins ruinierte Raubschloß hinein, von dem mein Gevatter das bekannte Werk unter der Feder hat. Ich billigte es sehr – zumal da das Kaper-Schloß einmal einem von Aufhammer eigentümlich zugehöret hatte –, daß er die Beschreibung dem Dragonerrittmeister zueignen wollte: dieser lässet lieber, denk' ich, der Schrift als dem Pudel seinen Namen vorsetzen. Ich sprach auch meinem Handwerksgenossen überhaupt literarischen Trost ein und sagte: »Herr Gevatter, keck geschrieben! Sei auch der Subrektor Hans von Füchslein der apokalyptische Drache, der auf die Entbindung des flüchtigen Weibes auflauert, um die Geburt zu verschlucken: so bin ich auch da und habe meinen Freund, den Redakteur der Literaturzeitung, zur Seite, der mir gern verstattet, eine Antikritik gegen Inseratgebühren einzuschicken.« – Besonders munterte ich ihn zu neuen Inseraten und Retourladungen seiner Zettelkästen auf: ich habe es nicht verschworen, in diese biographische Kommode noch nach Jahren einen neuen Kasten einzuschieben. »Und meinem Patchen, Herr Gevatter, wird es eben auch nichts verschlagen, daß man das Kind der Lesewelt schon präsentieret, wenn das liebe nicht mehrere Monate hat, als Horaz Jahre zu einem literarischen fordert, nämlich neun.«

Unter dem Nachhausegehen pries ich seine Frau. »Wenn die Ehe«, sagt' ich zu ihm, »der Krapp ist, der an Mädchen wie an Kattunen die Farben sichtbar macht: so verfecht' ich, Thiennette war als Mädchen schwerlich so gut wie jetzt als Frau. Beim Himmel! in einer solchen Ehe wollt' ich Bücher schreiben – nämlich ganz andere, göttliche – in einer Ehe mein' ich, wo neben dem Schreibetisch (wie neben den großen Votiertafeln des Regensburger Reichstages kleine Konfekttischchen sind) – wenn auch dergleichen, sag' ich, auch eine Ingwermarmelade neben mir stände, nämlich ein abgesüßetes, herrliches, in den Zettelkästen-Skribenten vernarrtes Gesichtchen, Gevattersmann! Ihre Ehe wird gerade der Akazienlaube gleichen, auf die wir zugehen, an der sich das Laub eben in der Hitze und im Sommer verdichtet, wo andere Gewächse nur dürre poröse Schatten werfen.«

Da wir durch die obere Gartentüre in diese Laube traten, war wahrhaftig schon das Essen und das gute Weib darin. Nichts ist moralischer und zärter als die Achtung, womit eine gute Ehefrau den Wohltäter oder Spießgesellen ihres Mannes behandelt – und glücklicherweise war eben der Biograph dieser Spießgesell und das Objekt dieser Achtung. Unsere Gespräche waren fröhlich, aber mein Inneres beklommen. Die Fesseln, die den bloßen Leser an meine Helden binden, werden dreifach bei mir, indem ich zugleich ihr Gast und ihr Porträtmaler bin. Ich sagte zum Pfarrer, er werde älter als ich, weil sein temperiertes Temperament gleichsam von einem Arzte gleich zwischen Nervenschwäche der Kultur und zwischen dem feurigen dichten Blute des Landmanns abgewogen sei. Fixlein sagte, wenn er nur noch einmal so lange lebe als bisher, nämlich zweiunddreißig Jahre: so betrage es ohne die Schalttage doch 280 320 Stunden, welches etwas Ansehnliches sei; und er überzähle oft mit Vergnügen die vielen Tausend Zweiunddreißiger, die mit ihm gehen müßten.

Endlich mußt' ich doch aufbrechen, da die roten Lichter der fallenden Sonne an der Laube aufstiegen und uns immer tiefer in den Nachtschatten eintauchten: der Abendtau hätte die Wöchnerin erkältet. Ich ersuchte verwirrt den Pfarrer, bald in die Stadt zu kommen, wo ich ihm nicht bloß alle Zimmer des Schlosses zeigen wollte, sondern auch den Fürsten. Frohers gab es heute auf der alten Welt nichts als das Gesicht, dem ichs sagte, und als das andere, das der milde Widerschein von jenem war. Der Biograph hätte zu viel eingebüßet, wenn ihm jetzt in der Minute, wo ihm seine Phantasie wie die Spiegelteleskopen alle Gegenstände nur zitternd vorstellt, hätte davonlaufen müssen, ich will sagen, wenn ihm nicht beigefallen wäre, daß es der Kindbetterin wenig schaden (aber viel nutzen) würde, wenn sie zu einer kleinen Motion käme und noch über den Garten hinaus den Verfasser und Bauherrn gegenwärtiger Zettelkästen begleiten hälfe.

Kurz ich nahm in jede Hand statt unter jedem Arm eine vom Ehepaar und zog mit ihnen zum Garten hinaus auf den Flachsenfinger Steig. Ich drehte oft gewaltsam zwischen ihnen meinen Kopf zurück, als ob ich jemand uns nachschreiten hörte; aber in der Tat wollt' ich nur noch einmal, obwohl wehmütig, ins glückliche Dörfchen zurückschauen, das aus lauter Wohnungen einer stillen satten Sabbatsfreude bestand und das glücklich genug ist, obgleich über seine weit auseinandergelegten Pflastersteine nur alle Wochen ein Raseur, alle Festtage ein Friseur und alle Jahre ein Parasol-Ausrufer zieht. Dann mußt' ich freilich den Kopf wieder umwenden und die zwei Beglückten mit Augen anblicken, die bald übergingen. Mein sonst guter Gevatter konnte sich nicht recht in diese Trauerzeichen schicken; aber in deinem Herzen, du gutes, so oft gequältes Geschlecht, trifft jede Trauerglocke leicht ihren Einklang an, und die mit dem dünnen zitternden Resonanzboden einer nachtönenden Brust veredelte Thiennette gab mir alle Töne mit den Schönheiten eines Echo wieder. – – Endlich standen wir auf dem Grenzhügel, über den man Thiennetten nicht lassen durfte, und ich mußte nun von dem Gevatter, mit dem ich alle Morgen so lustig zusammen gesprochen – jeder aus seinem Bette heraus –, und aus dem stillen Kreise bescheidener Hoffnung weichen, um in den gärenden bellenden Hof-Cercle zurückzutreten, wo man dem Schicksal ein Lebens-Süßholz abtrotzt und abfordert, so armsdick wie das botanische an der Wolga, weniger um die süßen Balken selber auszukäuen als um andere damit totzuschlagen.

Als ich mir dachte, ich würde zu ihnen sagen: lebet wohl! so traten alle künftigen Plagen, alle Leichen und alle Wünsche dieses geliebten Gespanns vor mein Herz, und ich dachte daran, daß nichts als einschlummernde Freudenblumen ihren (wie meinen und jeden) Lebenstag abmarken. – Und doch ists schöner, wenn sie ihre Jahre nicht nach der Wasseruhr fallender Tränen, sondern nach der BlumenuhrLinné legte in Upsal eine Blumenuhr an, deren Blumen durch ihre verschiedenen Zeiten, einzuschlafen, die Stunden sagen. einschlafender Blumen ausmessen, deren Kelche, ach! vor uns Armen von Stunde zu Stunde zufallen. –

Ich wollte eben jetzt – weil ich mich noch daran erinnere, wie ich mit einem strömenden Auge über den zwei Geliebten wie über Leichen hing – mich anreden und sagen: viel zu weicher Jean Paul, dessen Kreide immer auf dem Flor der Melancholie die Modelle der Natur nachzeichnet, härte dein Herz ab wie deinen Leib, um nicht dich und andere aufzureiben. Aber warum soll ichs tun, warum soll ichs nicht geradezu bekennen, was ich in der weichsten Rührung zu den zwei Menschen sagte? »Es gehe euch recht wohl, ihr sanften Menschen« – sagt' ich, denn ich dachte an keine Höflichkeit mehr – »die Vorsehung trage wiegend euere zerritzten Herzen – der gute Gott über allen den Sonnen, die zu uns jetzt herunterblicken, lasse euch immer verknüpft und heb' euch nur verbunden an sein Herz und an seinen Mund.« – »Sein Sie nur auch recht glücklich und froh«, sagte Thiennette. »Und Ihnen, Thiennette«, (fuhr ich fort) »ach Ihrer bleichen Wange, Ihrem gedrückten Herzen, o Ihrer langen kalten gemißhandelten Jugend kann ich niemals, niemals genug wünschen. Nein! Aber alles, was eine wunde Seele laben, was einer schönen wohlgefallen, was den verborgenen Seufzer stillen kann, ach alles, was Sie verdienen, das falle Ihnen zu, und wenn Sie mich wieder sehen, so sagen Sie: ich bin jetzt viel glücklicher!«

Wir wurden alle zu sehr bewegt. Wir rissen uns endlich aus wiederholten Umarmungen, und mein Freund entwich mit der Seele, die er liebt – ich blieb allein zurück bei der Nacht.

Und ich ging ohne Ziel durch Wälder, durch Täler und über Bäche und durch schlafende Dörfer, um die große Nacht zu genießen wie einen Tag. Ich ging und sah, gleich dem Magnet, immer auf die Mitternachtsgegend hin, um das Herz an der nachglimmenden Abendröte zu stärken, an dieser heraufreichenden Aurora eines Morgens unter unsern Füßen. Weiße Nachtschmetterlinge zogen, weiße Blüten flatterten, weiße Sterne fielen, und das lichte Schneegestöber stäubte silbern in dem hohen Schatten der Erde, der über den Mond steigt und der unsere Nacht ist. Da fing die Äols-Harfe der Schöpfung an zu zittern und zu klingen, von oben herunter angeweht, und meine unsterbliche Seele war eine Saite auf dieser Laute. – Das Herz des verwandten ewigen Menschen schwoll unter dem ewigen Himmel, wie die Meere schwellen unter der Sonne und unter dem Mond. – Die fernen Dorfglocken schlugen um Mitternacht gleichsam in das fortsummende Geläute der alten Ewigkeit. – Die Glieder meiner Toten berührten kalt meine Seele und vertrieben ihre Flecken, wie tote Hände Hautausschläge heilen. – Ich ging still durch kleine Dörfer hindurch und nahe an ihren äußern Kirchhöfen vorbei, auf denen morsche herausgeworfene Sargbretter glimmten, indes die funkelnden Augen, die in ihnen gewesen waren, als graue Asche stäubten. – Kalter Gedanke! greife nicht wie ein kaltes Gespenst an mein Herz: ich schaue auf zum Sternenhimmel, und eine ewige Reihe zieht sich hinauf und hinüber und hinunter, und alles ist Leben und Glut und Licht, und alles ist göttlich oder Gott...

Gegen Morgen sah' ich deine späten Lichter, kleine Wohnstadt, in die ich gehöre diesseits des Sarges; ich kam auf die Erde zurück, und in deinen Türmen schlug es, hinter der vorübergezogenen großen Mitternacht, halb drei Uhr: da ging um diese Stunde 1794 der Mars in Westen unter und der Mond in Morgen auf; und meine Seele wünschte, beklommen vom Bedauern des edlen kriegerischen Bluts, das noch auf die Frühlingsblumen strömt: »Ach, blutiger Krieg, weiche wie der rötliche Mars, und, stiller Friede, komme wie der milde zerteilte Mond!« –


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