Jean Paul
Leben des Quintus Fixlein
Jean Paul

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Was nun unserem Sinne des Grenzenlosen – so will ich immer der Kürze wegen sagen – die scharfabgeteilten Felder der Natur verweigern, das vergönnen ihm die schwimmenden nebligen elysischen der Phantasie. Kant setzet schon das Erhabene der Dichtkunst und der Natur in ein angeschauetes Unendliche. Die Natur zwar selber als Sinnengegenstand ist nicht erhaben, d. h. unendlich, weil sie alle ihre Massen wenigstens mit optischen Grenzen scharf abschneidet, das unabsehliche Meer mit Nebel oder Morgenrot, den unergründlichen Himmel mit Blau, die Abgründe mit Schwarz. Gleichwohl sind das Meer, der Himmel, der Abgrund erhaben; aber nicht durch die Gabe der Sinne, sondern der Phantasie, die sich an die optischen Grenzen, an jene scheinbare Grenzenlosigkeit hinstellet, um in eine wahre hinüberzuschauen. Man könnte fragen: warum tut sie es nicht bei jedem Blau, bei jedem Schwarz? – Man könnte antworten: weil nicht jedes Blau einen so großen Gegenstand umschließet. Man könnte wieder fragen: warum denn eine dem Meere an Größe gleiche Blumenebene sich mit Nebeln schließe, ohne so erhaben zu sein wie das Meer. Die letzte Antwort aber bleibt: weil alles Große einfärbig sein muß, da jede neue Farbe einen neuen Gegenstand anfängt. Im einfachen Blau des Himmels wiegt die Seele ihre Flügel auf und nieder – und aus dem letzten Stern stürzt sie sich mit ausgebreiteten Schwingen in die Unermeßlichkeit.

Stelle dir ein Arkadien vor: in dem, worauf du trittst, halten überall Herkules-Säulen deine Genüsse auf und lassen bloß deine Wünsche über die Säulen fliegen; aber in einem dichterischen kann ja dein Wunsch nicht größer sein als dein Bezirk, und das, was du wünschest, hast du ja eben vorher erschaffen. –

Der Steig der Wirklichkeit ist nicht bloß steiniger, sondern auch länger als der der Phantasie, die über ihm schweifet; aber wenn du einen Dichter liesest, so hast du noch dazu die Freude, den blumigen Irrgang einer fremden Phantasie mit deiner eignen zu durchkreuzen. Wie wird die Phantasie, die schon die Wirklichkeit aufschmückt, erst Träume verzieren! –

Wenn ich oft meiner Phantasie in schönen Landschaften erlaubte, Landschaftsmalereien zu machen für mich, nicht für das Publikum: so fand ich – und auch sonst –, daß die aus mir aufsteigenden Fluren nur Inseln und Erdstriche aus der längst versunknen Kindheit waren. Der Traum führet auch (wie schon Herder bemerkt) die längst weggeschobenen bunten Glasmalereien der Kindheit wieder in die dunkle Kammer des Schlafes zurück. Die Kindheits-Erinnerungen können aber nicht als Erinnerungen, deren uns ja aus jedem Alter bleiben, so sehr laben: sondern es muß darum sein, weil ihre magische Dunkelheit und das Andenken an unsere damalige kindliche Erwartung eines unendlichen Genusses, mit der uns die vollen jungen Kräfte und die Unbekanntschaft mit dem Leben belogen, unserem Sinne des Grenzenlosen mehr schmeicheln.

Das Idealische in der Poesie ist nichts anders als diese vorgespiegelte Unendlichkeit; ohne diese Unendlichkeit gibt die Poesie nur platte abgefärbte Schieferabdrücke, aber keine Blumenstücke der hohen Natur. Folglich muß alle Poesie idealisieren: die Teile müssen wirklich, aber das Ganze idealisch sein. Die richtigste Beschreibung einer Gegend gehöret darum noch in keinen Musenalmanach, sondern mehr in ein Flurbuch – ein Protokoll ist darum noch keine Szene aus einem Lustspiel – die Nachahmung der Natur ist noch keine Dichtkunst, weil die Kopie nicht mehr enthalten kann als das Urbild. –

Die Poesie ist eigentlich dramatisch und malt Empfindungen, fremde oder eigene: das übrige – die Bilder, der Flug, der Wohlklang, die Nachahmung der Natur – diese Dinge sind nur die Reißkohlen, Malerschatullen und Gerüste zu jener Malerei. Diese Werkzeuge verhalten sich zur Poesie wie der Generalbaß oder die Harmonie zur Melodie, wie das Kolorit zur Zeichnung. Dazu setz' ich nun weiter: alle Quantitäten sind für uns endlich, alle Qualitäten sind unendlich. Von jenen können wir durch die äußern Sinne Kenntnis haben, von diesen nur durch den innern. Folglich ist jede Qualität für uns eine geistige Eigenschaft. Geister und ihre Äußerungen stellen sich unserem Innern ebenso grenzenlos als dunkel dar. Mithin muß das in uns geworfene Sonnenbild, das wir uns vom Dichter machen, vergrößert, vervielfältigt und schimmernd in den Wellen zittern, die er selber in uns zusammentriebOhne die Erwägung des Geistes, der schuf, wär' es nicht zu erklären, warum eine Szene aus Shakespeare nur halb gefiele, wenn wir wüßten, er hätte sie von Wort zu Wort aus irgendeinem wilde Zufall, Protokoll, Dialoge ausgeschrieben. .

Aber das wars nicht, worauf ich kommen wollte, sondern darauf, wodurch und womit die schönen Künste auf uns wirken. Durchaus nur mit und durch Phantasie: das, was die Gebilde der Malerei und Plastik von andern Körpern absondert, muß ein besonderes Verhältnis zu unserer Phantasie sein. Dieses Verhältnis kann nicht auf die bloße kahle Vergleichung hinauslaufen, die wir zwischen dem Ur- und Abbilde anstellen und aus der wir nur das matte Vergnügen besiegter Schwierigkeiten schöpfen könnten. Sulzer sagt: ein Gemälde gefället uns, aber nicht das treuere Bild im Spiegel, eine Statue entzückt uns, aber nicht die treuere Wachsfigur: denn die Ähnlichkeit muß ihre Grenzen haben. Ich frage aber: warum? Weswegen soll die vollendete Ähnlichkeit (die Gleichheit) weniger vermögen als die unvollendete? Es ist in diesem Sinne nicht einmal wahr, und ein Porträt, dem zum Spiegelbilde nichts abginge als die Beweglichkeit, würde uns um so mehr bezaubern.

Aber in einem andern Sinne ist allerdings eine Unähnlichkeit vonnöten: diejenige, die in die Materie die Pantomine eines Geistes eindrückt, kurz das Idealische. Wir stellen uns am Christuskopfe nicht den gemalten, sondern den gedachten vor, der vor der Seele des Künstlers ruhte, kurz die Seele des Künstlers, eine Qualität, eine Kraft, etwas Unendliches. Wie die Schauspieler nur die Lettern, nur die trocknen Tuschen sind, womit der Theaterdichter seine Ideale auf das Theater malet – daher wird jedes Trauerspiel mit größerem Vorteil seines Idealischen im Kopfe als auf dem Schauplatz aufgeführet –: so sind die Farben und Linien nur die Lettern des Malers. Die typographische Pracht dieser Lettern vermenge man nicht mit dem erhabenen Sinn, dessen unwillkürliche Zeichen sie sind.

Ich sagte unwillkürliche. Unsere Seele schreibt mit vierundzwanzig Zeichen der Zeichen (d. h. mit vierundzwanzig Buchstaben der Wörter) an Seelen; die Natur mit Millionen. Sie zwingt uns, an fremde Ichs neben unserem zu glauben, da wir ewig nur Körper sehen – also unsere Seele in fremde Augen, Nasen, Lippen überzutragen. Kurz, durch Physiognomik und Pathognomik beseelen wir erstlich alle Leiber – später alle unorganisierte Körper. Dem Baume, dem Kirchturme, dem Milchtopfe teilen wir eine ferne Menschenbildung zu und mit dieser den Geist. Die Schönheit des Gesichts putzet sich nicht mit der Schönheit der Linien an, sondern umgekehrt ist alle Linien- und Farbenschönheit nur ein übertragener Widerschein der menschlichen. Unser Unvermögen, uns etwas Lebloses existierend, d. h. lebend zu denken, verknüpft mit unserer Angewöhnung an ein ewiges Personifizieren der ganzen Schöpfung, macht, daß eine schöne Gegend uns ein malerischer oder poetischer Gedanke ist – daß große Massen uns anreden, als wohnte ein großer Geist in ihnen oder ein unendlicher – und daß ein gebildeter Apollos- und ein gemalter Johanneskopf nichts sind als die schöne echte Physiognomie der großen Seelen, die beide geschaffen, um in homogenern Körpern zu wohnen, als die eignen sind. –

Als Tithon sich vom Jupiter die Unsterblichkeit erflehte, hatte er in seine Bitte nicht die Jugend eingeschlossen, und er schwand zuletzt ein zu einer unsterblichen – Stimme: So verfället, erbleichet das Leben hinter uns, und unserer einschwindenden vertrocknenden Vergangenheit bleibt nur etwas Unsterbliches – eine Stimme: die Musik. Daß nun die Töne, die in einem dunkeln Mondlicht mit Kräften ohne Körper unser Herz umfließen, die unsere Seele so verdoppeln, daß sie sich selber zuhört, und mit denen unsere tief heraufgewühlten unendlichen exaltierten Hoffnungen und Erinnerungen gleichsam im Schlafe reden, daß nun die Töne ihre Allmacht von dem Sinne des Grenzenlosen überkommen, das brauch' ich nicht weiter zu sagen. Die Harmonie füllet uns zum Teil durch ihre arithmetischen Verhältnisse; aber die Melodie, der Lebensgeist der Musik, erkläret sich aus nichts als etwan aus der poetischen reinen Nachahmung der rohern Töne, die unsere Freuden und unsere Schmerzen von sich geben. Die äußere Musik erzeugt also im eigentlichen Sinn innere; daher auch alle Töne uns einen Reiz zum Singen geben. – –

Aber genug! Ich schließe, wie ein Schauspiel, mit der geliebten Tonkunst. Ich hätte noch viel einzuschränken, zu beantworten und nachzuholen, z. B. das, daß es eine genießende und eine schaffende Phantasie gebe und daß jenes die poetische Seele sei, die den Sinn des Unendlichen feiner hat, und dieses die schöpferische, die ihn versorgt und nährt, oft ohne ihn zu haben; ich könnte noch mit den Kräften des Mondscheins, der Nacht, der bunten Farbenwogen in Tautropfen meinen Satz befestigen: aber einer, der bei Tageslicht blind wäre, würde auch bei wolkenlosem Sonnenlicht nichts sehen. Es ist mir – so sehr personifizieret der Mensch sogar seine eignen Teile –, als müßt' ich jetzt der Phantasie, über die ich zu lange geschrieben und unter deren heißer Linie wie unter der andern ein ewiger Morgenwind der Jugend weht, als müßt' ich ihr dankbare Empfindungen für die Stunden, für die Gärten, für die Blumen, selber für die Wünsche bringen, die sie wie Girlanden um das einfärbige Leben flicht. Aber hier will wieder der Mensch, wie so oft, lieber der Gabe als dem Geber danken. – Und was soll unser Dank sein? – Zufriedenheit! Abscheu vor der Unart, den köstlichen Ersatz der Wirklichkeit und die Wirklichkeit zugleich zu begehren, zu den unverwelklichen Blumenstücken der Phantasie noch die dünnen Blumen der irdischen Freude dazu zu fordern und überhaupt das zu vergessen, daß der dichterische Regenbogen (wie der optische) sich gerade beim niedrigsten Stande der Sonne (im Abend und Winter) am höchsten wölbe. – Wohl gleichen wir hier mit unserer lechzenden Brust Schlafenden, die so lange dürsten, als sie den Mund öffnen: sie sind gestillet, wenn sie ihn schließen, und wir auch, wenn unsern die letzte Hand zudrückt. Aber wir sind voll himmlischer Träume, die uns tränken – und wenn dann die Wonne oder die Erwartung der träumerischen Labung zu groß wird, dann werden wir etwas Besseres als satt – wach.


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