Jean Paul
Leben des Quintus Fixlein
Jean Paul

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Siebenter Zettelkasten

Predigt – Schulaktus – prächtiger Irrtum

Der Konrektor bekam seine 135 fl. 41 kr. ½ Pf. fränkisch, aber keine Antwort: der Hund blieb ohne Namen, sein Herr ohne Pfarre. Inzwischen verlief der Sommer, und der Dragonerrittmeister hatte noch immer keinen geistlichen Hecht mit einem Kopf voll Passionsknochen aus dem Kandidaten- Besetzteiche ausgezogen und in den Streckteich der Hukelumer Pfarre geworfen: es tat ihm wohl, mit Suppliken behangen zu werden wie ein spanischer Schutzheiliger, und er zauderte (ob er gleich den Subrektor vozieren wollte) mit der Erhörung einer Supplik so lange, bis er siebenunddreißig Färbers-, Knopfmachers-, Zinngießers-Söhnen die ihrigen auf einmal abschlagen konnte. Denn die jetzigen Lehrer des Christentums werden gern den ersten oder diesem selber ähnlich gewählt, das wie Venedig und Petersburg sich anfangs an Fischerhütten anbauete. Gönnet dem von Aufhammer die Verlängerung seiner Stimmfähigkeit zur geistlichen Parlamentswahl! Er weiß, daß ein Edelmann dem Timoleon gleicht, der seine größten Siege an seinem Geburtstage gewann, daß nämlich das Wichtigste, was er zu tun hatte, war, eine Freiherrin, Semperfreiin usw. zur Mutter zu nehmen. Man kann einen, der schon als Fötus in den Adelstand erhoben wird, noch besser mit der Spinnfliege vergleichen, die wider die Weise aller Insekten sich schon im Mutterleibe entpuppt und verwandelt. –

Aber weiter! Fixlein war jetzt doch nicht ohne Geld. Es wird so viel sein, als wenn ichs dem Leser schenkte, wenn ich ihm hinterbringe, daß er vom Legate, das den Gemeinschuldner abspeisete, noch 35 fl. übrig behielt als Allodium und Schatull-Geld, womit er sich kaufen konnte, was er wollte. Und wie kam er zu einer so bedeutenden Summe, zu einem solchen Kompetenzstück? – Bloß dadurch, daß er, sooft er ein großes Stück Geld in kleinere zersetzte, und überhaupt bei jeder Einnahme zwei, drei, vier Petermännchen unbesehen und blind unter die Papiere seines Koffers warf. Seine Absicht war, einmal zu erstaunen, wenn ers endlich aufsummierte und das Kapital erhöbe. Und beim Himmel! die erreichte er auch, als er bei der Thronbesteigung seiner Quintur diese Sparpfennige aus den Papieren zog und sie zu den Krönungskosten schlug. – Jetzt säete er sie wieder unter die Verbriefungen. Närrisch! Ich meine, hätt' er nicht glücklicherweise sein Legat bloßgestellt, da ers als positive Belohnung und Kuppelpelz für den Patronatsherrn ausbot: so hätt' ihn der Fehlgriff nach dem Klopfer der hukelumischen Kirchentüre verdrossen; so aber erwischt' er doch, da er den Klopfer verfehlte, den Pelz wieder und konnte froh sein.

Jetzt schreite ich in seiner Geschichte weiter und stoße im Gestein seines Lebens auf eine so schöne Silberader, ich meine auf einen so schönen Tag, daß ich (glaub' ich) sogar den dreiundzwanzigsten Posttrinitatis, wo er doch seinem geliebten Vaterdorfe eine Vakanzpredigt vorhielt, hier nur leicht bestreifen werde.

An sich war die Predigt gut und herrlich und der Tag ein rechter Wonnetag; aber ich müßte überhaupt mehr Stunden übrig haben, als ich dem Mai abstehle, worin ich jetzt lebe und schreibe, und mehr Kräfte, als mir die Lustfahrten durch schöne Tage zu den Landschaftsgemälden derselben frei lassen, wenn ich mit einiger Hoffnung es versuchen wollte, von der Länge und Dicke der Saiten und ihren Vibrationen und den konsonen Verhältnissen derselben untereinander, die insgesamt an jenem Posttrinitatis seinen Herzohren eine Sphärenmusik machten, einen mathematischen Bericht abzustatten, der mir so sehr gefiele wie andern ... Man verlang' es nicht! Ich denke, wenn ein Mann an einem Sonntage vor allen Frönern, die ihn sonst als den Kunstgärtners-Buben auf dem Arm hatten, ferner vor seiner Mutter, die ihre selige Zerfließung in die Gosse des Samt-Muffs ableitet, ferner vor seinem gnädigen Herrn, dem er geradezu befehlen kann, selig zu werden, und endlich vor seiner mousselinenen Braut, die schon selig ist, weil sie fast zu Stein darüber wird, daß dieselben Lippen küssen und predigen können, ich denke, sagt' ich, wenn ein Mann das leistet: so hat er wohl einiges Recht, vom Biographen, der seinen Zustand schildern will, zu begehren, daß er das – Maul halte, und vom Leser, der solchen nachempfinden will, daß er seines aufmache und selber predige. – –

Aber was ich ex officio malen muß, ist der Tag, wozu der Sonntag nur der Vorschabbes, die Vigilie und das Voressen war – nämlich der Vorschabbes, die Vigilie und das Voressen vor dem Martini-Aktus. Am Sonntag hielt er die Predigt, am Mittwoch den Aktus und am Dienstag die Probe. –

Der Dienstag soll jetzt der Welt beschrieben werden.

Ich zähle darauf, daß ich nicht bloß von lauter Weltleuten gelesen werde, denen freilich ein Schulaktus nicht viel anders und besser als eine bischöfliche Investitur oder eine Frankfurter Krönungs-opera seria vorkömmt, sondern daß ich auch Leute vor mir habe, die auf Schulen waren, und die wissen, was sie vom Schuldrama eines Aktus und vom Maschinenmeister und von dem Komödienzettel (dem Programm) zu denken haben, ohne darum dessen Vorzüge zu übertreiben.

Eh' ich die Probekomödie des Martini-Aktus gebe, leg' ich mir selber als Dramaturg des Schauspiels auf, die Einladungsschrift des Konrektors, wenn nicht zu exzerpieren, doch zu registrieren. Er sagte darin manches und machte (welches einem Verfasser so wohltut) Vorschläge statt Vorwürfe und erinnerte, ob nicht bei den bekannten Donatschnitzern der Magnaten in Pest und Polen die Schulgebäude am besten als Kontumazhäuser gegen infizierende Barbarismen schirmten. Auch verteidigte er an Schulen, was zu verteidigen war (und nichts in der Welt ist süßer oder leichter als eine Defension), und sagte, Schulleute, die nicht ohne Unrecht gleich gewissen Höfen nur lateinisch mit sich sprechen ließen und selber sprächen, könnten die Römer vorschützen, deren Untertanen und deren Könige samt den Briefen und Verhandlungen der letztern sich des Lateins befleißigen mußten. Er verwunderte sich, warum nur die griechischen und nicht auch die lateinischen Grammatiken lateinisch abgefasset wären, und tat die auffallende Frage: ob denn die Römer, wenn sie ihre kleinen Kinder die lateinische Sprache lehrten, es in einer andern taten als in eben dieser? – Darauf ging er auf den Aktus über und sagte folgendes mit seinen eignen Worten:
 

»Ich bin willens, es in einer andern Einladungsschrift zu beweisen, daß alles, was über den großen Stifter unserer Reformation, den Gegenstand unserer heutigen Martini-Redeübungen, zu wissen und zu sagen ist, schon längst erschöpft worden, sowohl durch Seckendorf als andere. In der Tat kann von Luthers Personalien, von seinen Tischreden, Einkünften, Reisen, Kleidern usw. nichts Neues mehr vorgebracht werden, zumal wenn es zugleich etwas Wahres sein soll. Indessen ist doch das Feld der Reformationsgeschichte, bildlich zu reden, bei weitem nicht ganz angebauet; und es will mir vorkommen, als müßte sich der Gelehrte noch heutiges Tages vergeblich nach echten, bis an unsere Zeiten reichenden Nachrichten von den Kindern, Enkeln, Kindskindern etc. dieses großen Reformators umsehen, die doch alle entfernter in die Reformationsgeschichte einschlagen, so wie er näher. Du drischest vielleicht nicht ganz, sagt' ich zu mir, leeres Stroh, wenn du nach deinen geringen Kräften diesen versäumten historischen Zweig hervorziehest und bearbeitest. Und so wagte ich es denn, mit dem letzten männlichen Nachkommen Luthers, nämlich mit dem Advokaten Martin Gottlob Luther, der in Dresden praktizierte und 1759 da verstarb, den Anfang einer speziellern Reformationshistorie zu machen. Mein schwacher Versuch über diesen zur Reformation gehörigen Advokaten wird belohnet genug sein, wenn er zu bessern Werken darüber ermuntert; das wenige aber, was ich von ihm aufgetrieben und gesammelt habe, ersuch' ich untertänig, gehorsamst und gehorsam alle Gönner und Freunde des flachsenfingischen Gymnasiums den vierzehnten November aus dem Munde sechs gutgearteter Peroranten anzuhören. Anfangs wird

Gottlieb Spiesglas, ein Flachsenfinger, in lateinischer Rede zu zeigen suchen, daß Martin Gottlob Luther überhaupt ein Schwertmagen des Doktor Luther gewesen. Nach ihm bemühet sich

Friedrich Christian Krabler aus Hukelum in deutscher Prosa den Einfluß zu bestimmen, den Martin Gottlob Luther noch auf die schon daseiende Reformation gehabt; worauf hinter ihm

Daniel Lorenz Stenzinger in lateinische Verse die Nachrichten von Martin Gottlob Luthers Prozessen und überhaupt die wahrscheinlichen der Advokaten um die Kirchenverbesserung zusammenfassen will; – welches sodann einem

Nikol Tobias Pfizmann Gelegenheit geben wird, französisch aufzutreten und das Wissenswürdigste aus Martin Gottlob Luthers Schuljahren, Universitätenleben und männlichen Jahren auszuheben. Und wenn nun

Andreas Eintarm in deutschen Versen die etwaigen Fehltritte dieses Stammhalters des großen Luthers wird zu entschuldigen gesucht haben: so wird

Justus Strobel in lateinischen seine Rechtschaffenheit und Ehrlichkeit im Advokatenstande nach seinen Kräften besingen; – worauf ich selber den Katheder besteigen und allen Patronen der Flachsenfinger Schule gehorsamst danken und diejenigen Stücke aus dem Leben dieses merkwürdigen Dresdners noch anführen werde, von denen wir noch gar nichts wissen, weil sie sich für die Redner des nächsten Martini-Aktus g. G. aufsparen.«

*

Der Tag vor dem Aktus lieferte gleichsam die Probeschüsse und Aushängebogen des Mittwochs. Leute, die des Anzugs wegen vom großen Schulfest wegbleiben mußten, besonders Damen, erschienen Dienstags in den sechs Probereden. Niemand ordnet zwar bereitwilliger als ich den Probeaktus dem Mittwochsaktus unter, und mich braucht man am wenigsten erst aufzufordern, das Trommetenfest einer Schule gehörig zu würdigen; aber auf der andern Seite bin ich ebenso gewiß überzeugt, daß einer, der Mittwochs nicht in den echten Aktus gegangen ist, sich etwas Glänzenderes als den Probetag vorher gar nicht gedenken könnte, weil er nichts hätte, womit er die Pracht vergleichen könnte, in der der Primas des Festes vor Damen und Ratsherren das an seinen Triumphwagen vorgelegte Gespann von Sechsen – um die sechs Gebrüder Redner Gäule zu nennen – einfuhr auf morgen. Lächle immer, Fixlein, über das Anstaunen deiner heutigen Ovation, die dem morgendlichen Triumph entgegenfährt: auf deinem auseinanderfließenden Gesichte zuckt das glückliche, sich und den Weihrauch wiederkäuende Ich – aber eine Eitelkeit wie deine, und nur diese, die genießet, ohne zu vergleichen oder zu verschmähen, kann man erdulden, will man ernähren. Was aber über sein ganzes wächsernes Herz wie ein schmelzender Sonnenschein fiel, war seine Mutter, die es auf vieles Zureden gewagt hatte, sich in Bußtagskleidern ganz unten an die Prima-Flügeltüre demütig anzulegen. Es wäre schwer zu sagen, wer beglückter ist, ob die Mutter, die zusieht, wie der, den sie unter ihrem Herzen getragen, die vornehmsten jungen Herren in halbseidenen Westen beordern und regieren kann, und die zuhöret, wie er samt ihnen lauter hohe Sachen sagt und auch versteht – oder ob der Sohn glücklicher ist, der, wie einige Helden des Altertums, das Glück hat, noch bei Lebzeiten seiner Mutter zu triumphieren. Ich habe niemals in meinen Schriften und Taten einen Stein aufgehoben gegen den sel. Burchardt Großmann, der in die Initialbuchstaben der Stanzen im Liede: »Brich an, du liebe Morgenröte« seine Namenslettern verteilte, und noch weniger bewarf ich arme Kräuterweiber, die schon bei Lebzeiten ihren Leichenkattun ausplätten und 1/12 Dutzend Totenhemden für sich ausnähen. Ich halte auch den Mann nicht für weise – obwohl für recht klug und pedantisch –, der sich die Gallenblase voll ärgern kann, daß jeder von uns Blattminierern das Herzblatt, worauf er sich nagend herumschiebt, für einen Augarten, für einen fünften Weltteil ansieht wegen der Nähe und Weide, die Blattporen für Tempe-Täler, das Blätterskelett für einen Freiheits-, Brot- und Lebensbaum und den Tautropfen für die Flut. – Wir Tag-, Abend- und Nachtraupen fallen sämtlich in den nämlichen Irrtum, aber nur auf andern Blättern, und wer (welches ich tue) über die wichtige Miene lacht, mit der der Rektor Landesprogrammen, der Dramaturg Komödienzettel, ein Kennikottischer Varianten-Almosensammler Buchstaben aufkauft: der tut es, wenn er weise ist – wie hier der Fall ist –, mit dem Bewußtsein seiner ähnlichen Narrheit und lacht an seinem Nächsten nichts aus als die Menschheit und sich. – –

Die Mutter war nicht zu halten: sie mußte diesen Abend noch fort nach Hukelum und Thiennetten nur wenigstens etwas berichten von dieser Herrlichkeit. –

Jetzt wird die Welt hundert gegen eins wetten, daß ich nun biographisches Wachs nehmen und ein Wachsfigurenkabinett von dem Aktus selber bossieren werde, das einzig in seiner Art sei. – –

Aber Mittwoch morgens, als sich der hoffnungstrunkene Konrektor eben anzukleiden dachte: klopfte etwas an – –


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