Jean Paul
Leben des Quintus Fixlein
Jean Paul

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Ich wünschte, ich wäre mit neben dem Kabriolett hergegangen und hätte die stille Kordula in einem fort angeschauet. – –
 

»Auf der Straße nach Hof sagt' ich meinen Primanern, sie sollten die Bemerkung machen, daß das baireuthische Voigtland mit mehreren Produkten ausgesteuert sei, mit Korn, Hafer, Kartoffeln, einigem Obst (frischem und getrocknetem) und so weiter; aber man könnte nicht angeben, wie viel.

Auf dem Turm blies man gerade herab, als man mich und meine Genossenschaft die Gassensteine Hofs betreten sah. Ich werd' es darum niemals wie andere aus affektierter Furcht vor Eigenlobe unterdrücken – denn eben dadurch verrät man das größte; und es müssen ja nicht gerade schmeichelhafte Ursachen gewesen sein –, daß bei unserem Einmarsch alle Fenster auf- und alle Köpfe darhinter herausfuhren: deutsche Schul- und lateinische Gymnasiumsjugend sah uns nach, Ladenjungen standen barhaupt unter den Ladentüren, und wer in ein Haus wollte, stockte unter dem Portal. Ich erfragte mühsam einen Gasthof für Fuhrleute, weil ich, wie Swift, da am liebsten logiere. Es hätte mich in Verlegenheit setzen sollen, daß, da ich vor der sächsischen Post das Kabriolett und dessen Kronwache halten ließ, weil ich einen frankierten Brief da abzugeben hatte, den ich selber so weit getragen, um ein mäßigeres Porto zu erschwingen, daß alsdann, sag' ich, ein schöner angenehmer Mensch mit einer grün-taftenen Schürze unter uns trat, der – weil er uns leider für frische Einkehr ansah; denn das Posthaus ist zugleich im großen brandenburgischen Gasthof – meine Tochter herabheben und uns alle empfangen wollte. Ich kam aber nicht sehr außer mir und repetierte gleichgültig meine Nachfrage nach einem gemeinern Gasthof; und es war schön, daß der junge Mensch uns mit einem freundlichen Lachen zum Tore wieder hinauswies – was wir denn taten.

Ich ließ meinen Bart mitten in der weiten Wirtsstube und unter käuenden Fuhrmanns-Geklüften von einem Primaner abnehmen und mein Haar vom Exkurrens auflocken, indes unsere Erbküchenmeisterin unser geräuchertes Gedärm ans Feuer stellte. Möchte der Himmel es fügen, daß ich das arbeitsame Kind bald in einem guten adeligen Hause als Zofe anbrächte!

Ein Reisediener aus einem Handelshause in Pontak diablierte und sakredieurte am Fenster ungefragt über die besten deutschen politischen Zeitungen und beschmitzte besonders die Herrn S. T.  Girtanner und Hofmann mit solchen Ekelnamen und Verbalinjurien – wovon ich mir keine nachzusprechen getraue als die geringern von Narren, von Falsariern der Zeit und von geistigen Myrmidonen –, daß ich unter dem Einseifen wünschte, statt meiner würde der Reichsfiskal barbiert oder exzitiert und nähme einen solchen Fratzen beim Flügel. Der gallikanische Tropf gab sich Mühe, sich anzustellen, als wenn er mich und mein reisendes Schnepfenthal gar nicht sähe oder würdigte, obgleich der Geringste unter meinen Leuten mehr von Rebellionen und Regierungsformen – zumal alten – wissen muß als dieser Frankreicher. Ich konnte nur leider unter dem Rasiermesser die Kinnbacken nicht bewegen, um seinem Unsinn entgegenzuarbeiten; aber kaum war ich unter dem Messer hervor, so näherte ich mich dem Menschen höflich und war willens, ihm seinen Irrweg und seinen demokratischen Augenstar zu nehmen und ihn aufzuhellen. Ich verbarg es ihm nicht, ich hätte nie etwas aus der Nationalversammlung gemacht, und die Begriffe, die ich meinen Untergebenen von der jetzigen französischen Vergatterung beigebracht hätte, wären ganz von seinen verschieden. ›Ich gebe indessen doch zu‹, (sagt' ich und ging mit dem Schlucker wider meinen Willen wie mit einem Gelehrten um) ›daß die französische Rottierung weniger diesen Namen als den eines förmlichen Aufstandes verdiene, da sie nicht nur so viele Menschen, als die Gesetze zu einer Rebellion oder turba erfordern, nämlich funfzehn Mann (L. 4. §. 3. de vi bon. rapt.), wirklich aufzeigt, sondern noch mehrere. Aber Sie müssen mir auch wieder die Strafe einräumen, die die alten, obwohl republikanischen Römer auf Aufstände legten, Kreuzestod, Deportation, Vorschmeißen vor Tiere; ja wenn Sie auch als Christ es mildern und wie Kaiser Justinian, unser Gesetzgeber, sich nur des Galgens bedienen wollen – und das müssen Sie, da sogar die Deutschen, die sonst Mörder und Straßenräuber leben ließen, dennoch Tumultuanten henkten – sehen Sie nur Hellfelden nach –: so sind Sie immer nicht so mild als die alliierten Mächte, die die Nation, weil sie sich in eine Soldateska verkehret hat, auch bloß nach dem Kriegsrecht strafen und nur arkebusieren wollen.‹ Da ich sah, daß ich dem Reisediener zu schwer ward: so bewarb ich mich um Deutlichkeit auf Kosten der Gründlichkeit und wies ihn darauf hin, daß Deszendenten ihren Vater (oder primum adquirentem), Gymnasiasten ihren Rektor und folglich Landeskinder ihren Landesvater unmöglich beherrschen, geschweige absetzen könnten. Ich legte ihm die Frage vor, ob denn wohl das frankreichische Hysteronproteron möglich gewesen wäre, wenn jeder statt der französischen Philosophen die alten Autores edieret und mit Anmerkungen versehen hätte; und ich ersuchte ihn, mir es doch einigermaßen aufzulösen, warum denn gerade mir noch nie ein insurgierender Gedanke gegen meinen gnädigsten Landesherrn eingekommen wäre. ›Der Grund davon ist‹, sagt' ich selber, ›ich treibe meine Klassiker und verachte Painen und seines Gelichters – obwohl ich sie alle gelesen – ganz.‹ – Mich ärgerts, daß ich dem Haselanten noch vorhalten wollte, daß schon die Könige der Tiere, z. B. der Geierkönig, der Adler, der Löwe, ihre eigne Untertanen aufzehrten – daß ein Fürst, wenn er auch nicht einem ganzen Volke wohlwolle, doch einige Individuen daraus versorge und also immer gerade das Umgekehrte jener von französischen Philosophen ersonnenen göttlichen Vorsehung sei, die nur Gattung, nicht Individuen beglücke – und daß überhaupt gerade unter einer donnernden und blitzenden Regierung sich ein treues und geduldiges Landeskind am meisten erprobe, so wie sich der Christ gerade in Nöten zeige. Kurz ich wollte den Menschen eines öffentlichen Zeitungskollegiums werthalten; aber der republikanische Hase sang pfeifend in meine Belehrung hinein und ging, ohne ein prosaisches Wort zu sagen, so zur Türe hinaus, daß mir fast vorkam, als verachtete er meine Reden und mich. Indessen bracht' ich diese Belehrung bei meiner Jugend an, wo sie mehr verfing; ich habe sogar vor, wenn wir die Rede gegen den Katilina zu exponieren bekommen, ihnen deutlicher zu zeigen, daß die Pariser Katilinen, Cäsars und Pisistraten sind, die ins alte Staatsgebäude ihre Mauerbrecher setzen ...

Man verstatte mir folgende Digression: ich forschte einen halben Tag in meiner Bibliothek und unter den Nachrichten von den öffentlichen Lehrern des hiesigen Gymnasiums nach, wer von ihnen gegen seinen Landesfürsten rebellieret habe. Ich kann aber zu meiner unbeschreiblichen Freude melden, daß sowohl die größten Philologen und Humanisten – ein Camerarius, Minellius, Danz, Ernesti, der ciceronianische Sprachwerkzeuge und römische Sprachwellen besaß, Herr Heyne, die Chrestomathen Stroth und andere etc. – als auch besonders die verstorbne Session hiesiger Schuldienerschaft von den Rektoren bis zu den Quintussen (inclus.) niemals tumultuieret haben. Männer spielen oder defendieren nie Insurgenten gegen Landesväter und -mütter, Männer, die sämtlich fleißig und kränklich in ihren verschiedenen Klassen von acht Uhr bis eilf Uhr dozieren und die zwar Republiken erheben, aber offenbar nur die zwei bekannten auf klassischem Grund und Boden, und das nur wegen der lateinischen und griechischen Sprache.

Das Dozieren und Speisen war vorbei; und wir hätten gut die Hüte nehmen und Hofs öffentliche Gebäude besehen können: wäre mir nicht die Sorge für ein primum mobile obgelegen – für Gestus. Ich sprach den Wirt um seine obere Stube nur borgsweise an (das Bezahlen verlohnten wohl die wenigen Minuten nicht), weil wir droben nichts zu machen hätten als wenige leise elegante Bewegungen.

Ich ließ es nämlich schon lange durch einen meiner Schüler (des größern Eindrucks wegen) in einer öffentlichen Redeübung feststellen, daß der äußere Anstand nicht ganz ohne sei. Fremde Menschen sind gleichsam das Pedal und Manual, welches gelenk zu bearbeiten ohne eine Bachische Finger- und Füßesetzung nicht möglich ist. Ich merke am allerersten, wie sehr ich dadurch von sonst gelehrten Männern abweiche, die solche poetische Figuren des äußern Körpers nicht einmal anempfehlen, geschweige damit selber vorzuleuchten wissen. Es sagt aber Seneka c. 3. de tranquill. ganz gut: ›Niemals ist die Bemühung eines guten Bürgers ganz unnütz; denn er kann durch bloßes Anhören, Ansehen, Aussehen, Winken, durch stumme Hartnäckigkeit, sogar durch den Einhergang selber fruchten (prodest).‹Doch hier ist das bessere Original: nunquam inutilis est opera civis boni; auditu enim, visu, vultu, nutu, obstinatione tacita incessuque ipso prodest. Und sollte so etwas denn nicht zuweilen einen Schullehrer erwecken, immer seinen Kopf, Hut, Stock, Leib und Handschuh so zu halten, daß seine Klasse nichts einbüßet, wenn sie sich nach dieser Antike modelt? – ›Wir werden heute‹, sagt' ich in der obern Stube zu den Mimikern, ›Menschen von dem vornehmsten Stande sehen müssen, wir werden uns ins Schulgebäude und in das Billard verfügen – überhaupt werden wir in einer Stadt auf- und abschreiten, die den Ruhm äußerer Politur schon lange behauptet und in der ich am wenigsten wollte, daß ihr den eurigen verspieltet – zum Beispiel: wie würdet ihr lächeln, wenn ihr auf Ansuchen in Gesellschaft etwas zu belächeln hättet? Monsieur Fechser, lächl' Er saturisch!‹ Er trafs nicht ganz – ich linierte ihnen also auf meinen Lippen jenes feine, wohl auseinandergewundne Normal-Lächeln vor, das stets passet; darauf wies ich ihnen das beccierende Lachen, erstlich das bleirechte, wo der Spaß den Mund, wie ein Pflock den Eber-Rüssel auf dem Pürschwagen, aufstülpt, zweitens das waagrechte, das insofern schnitzerhaft werden kann, wenn es den Mund bis zu den Ohrlappen aufschneidet.


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