Jean Paul
Leben des Quintus Fixlein
Jean Paul

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Die Investitur am Sonntage, dessen Evangelium vom guten Hirten auf den Aktus paßte, muß ich kurz abfertigen, weil alles Erhabene die Redseligkeit nicht leiden kann. Ich werde aber doch das Wichtigste mitgeteilet haben, wenn ich berichte, daß dabei getrunken wurde – im Pfarrhaus –, gepauket – im Chor –, vorgelesen – vom Senior die Vokation, vom weltlichen Rate das Ratifikationsreskript – und gepredigt – vom Konsistorialrate, der den Seelsorger nahm und ihn der Gemeinde und diese jenem präsentierte, gab und zusicherte. Fixlein fühlte, er gehe als ein Hoherpriester aus der Kirche, in die er als ein Landpfarrer gekommen war, und hatte den ganzen Tag nicht das Herz, einmal zu fluchen. Wenn der Mensch feierlich behandelt wird, so sieht er sich selber für ein höheres Wesen an und begeht sein Namensfest mit Andacht.

Dieses Aufdingen, diesen Klosterprofeß ordnen die geistlichen Oberrabbi und Logemeister – die Superintendenten – sonst gerne an, wenn der Pfarrer schon einige Jahre der Gemeinde vorgestanden ist, der sie ihn vorzustellen haben, wie die ersten Christen die Einweihung und Investitur zum Christentum, die Taufe, gern in den Tag ihres Todes verlegten; – ja ich glaube nicht einmal, daß die Investitur etwas von ihrem Nutzen verlöre, wenn sie und das Amtsjubiläum auf einen Tag aufgesparet würden, um so mehr, da dieser Nutzen ganz in dem besteht, was Superintendent und Räte teils schmausen, teils kriegen.

Erst gegen Abend lernten wir beide uns kennen. Die Investitur-Offizianten und Hebungsbedienten hatten nämlich den ganzen Abend sehr – geatmet. Ich meine so: da die Herren aus den ältesten Meinungen und neuesten Versuchen wissen mußten, Luft sei nichts als verdünntes, auseinandergeschlagenes Wasser: so konnten sie doch leicht erraten, daß umgekehrt Wasser nichts sei als eine dickere Luft. Und Weintrinken ist nichts als das Atmen einer zusammengekelterten, mit einigen Wohlgerüchen bestreueten Luft. Nun kann in unsern Tagen nicht genug (flüssiger) Atem von geistlichen Personen geholet werden durch den Mund, da ihre Verhältnisse ihnen das Atmen durch die kleinern Poren untersagen, das Abernethy unter dem Namen Luftbad so anempfiehlt: soll denn der Speiseschlund bei ihnen etwas anders sein als der Wand- und Türnachbar der Luftröhre, der Mitlauter, der Nebenschößling der letztern? – Ich verlaufe mich: ich wollte berichten, daß ich abends der nämlichen Meinung zugetan war, daß ich aber diese Luft oder diesen Äther nicht wie jene zum lauten Gelächter verbrauchte, sondern zum stillern Beschauen des Lebens. Ich ließ sogar gegen meinen Gevatter einige Reden schießen, die Gottesfurcht verrieten, welches er anfangs für Spaß nehmen wollte, weil er wußte, ich wäre von Hofe und Rang. Aber der Hohlspiegel des Weinnebels hing mir endlich die Bilder meiner Seele vergrößert und verkörpert als Geister-Gestalten mitten in die Luft hin. – Das Leben schattete sich mir zu einer eiligen Johannisnacht ein, die wir schießende Johanniswürmchen glimmend durchschneiden – ich sagte zu ihm, der Mensch müßte sich, wie die Blätter der großen Malve, in den verschiedenen Tagszeiten seines Lebens bald nach Morgen, bald nach Abend richten, bald in der Nacht gegen die Erde und gegen ihre Gräber zu – ich sagte, die Allmacht des Guten trieb' uns und die Jahrhunderte den Toren der Stadt Gottes zu, wie der Widerstand des Äthers nach Euler die umkreisende Erde der Sonne zuführt usw.

Er hielt mich dieses Einschiebessens wegen für den ersten Theologen seiner Zeit und hätte von mir, wenn er Kriege hätte anfangen müssen, vorher Gutachten eingeholt, wie sonst kriegführende Mächte von den Reformationstheologen. Ich verhalte mir aber doch nicht, das, was die Pfarrer Eitelkeit der Erde nennen, ist etwas ganz anders, als was die Philosophie so nennt. Als ich ihm vollends eröffnete, ich schämte mich nicht, ein Autor zu sein, sondern beschriebe dieses und jenes Leben, und ich hätte seine eigne Biographie beim Herrn Superintendenten zu Gesicht bekommen und wäre imstande, daraus eine gedruckte zu fertigen, falls er mir mit einer und der andern Fleischfarbe zu Hülfe kommen wollte: so war bloß meine Seide, die leider nicht bloß gegen das elektrische Feuer, sondern auch gegen ein besseres isoliert, das Gitter, das sich zwischen mich und seine Arme stellte: denn er war wie die meisten armen Landpastoren nicht imstande, irgendeinen Rang zu vergessen oder seinen mit dem höhern zu verquicken. Er sagte: »er würd' es venerierlich erkennen, wenn ich seiner im Drucke gedächte; aber er befahre zu sehr, sein Leben sei zu einer Beschreibung zu gemein und zu schlecht.« Gleichwohl machte er mir die Schublade seiner Zettelkästen auf und sagte, er glaube mir damit vorgearbeitet zu haben.

Die Hauptsache aber war, er hoffte, seine errata, seine exercitationes und seine Briefe über das Raubschloß würden, wenn ich vorher ihnen den Lebenslauf ihres Verfassers vorausschickte, besser aufgenommen, und es wäre so viel, als begleitete ich sie mit einer Vorrede.

Kurz ich blieb, als den Montag die andern Herren mit ihrem Nimbus wegdampften, allein bei ihm als Niederschlag sitzen – und sitze noch fest, d. h. vom fünften Mai an bis (das Publikum sollte den Kalender von 1794 neben sich aufgeschlagen hinlegen) zum funfzehnten – heute ist Donnerstag, morgen ist der sechzehnte und Freitag und die sogenannte Spinatkirmes und die Aufziehung des Turmknopfes, die ich nur abzuwarten vorhatte, eh' ich ginge. Jetzt geh' ich aber nicht, weil ich Sonntags den Taufbund als Tauf-Agent für mein Patchen schließen muß. Wer mir gehorcht und den Kalender aufgeschlagen hat, der kann sich leicht vorstellen, warum mans auf den Sonntag verschiebt: es fället da jener denkwürdige Kantatesonntag ein, der einmal in unserer Geschichte wegen seiner närrischen, narkotischen Schierlings-Kräfte – jetzt aber nur wegen der schönen Verlobung richtig ist, die man nach zwei Jahren mit einer Taufe zelebrieren will.

Ich bin zwar nicht imstande – aus Armut an Farben und Pressen –, die weiche duftende Blumenkette von vierzehn Tagen, die sich hier um mein krankes Leben ringelt, aufs Papier abzufärben oder abzupressen; aber mit einem einzigen Tage kann ichs versuchen. Ich weiß wohl, der Mensch kann weder seine Freuden noch Leiden erraten, noch weniger kann er sie wiederholen, im Leben oder Schreiben.

Die schwarze Stunde des Koffees hat Gold im Munde für uns und Honig: hier in der Morgenkühle sind wir alle beisammen, wir halten populäre Gespräche, damit die Pfarrerin und die Kunstgärtnerin sich darein mischen können. Der Frühgottesdienst in der Kirche, worin oft das ganze VolkDenn funfzehn Personen machen nach den Juristen schon eines. sitzt und singt, wirft uns auseinander. Ich marschiere unter dem Glockengeläute mit meinem Stachel-Schreibzeug in den singenden Schloßgarten und setze mich in der frischen Akazienlaube an den betaueten zweibeinigen Tisch. Fixleins Zettelkästen hab' ich schon in der Tasche bei mir, und ich darf nur nachschauen und aus seinen nehmen, was in meine taugt. Sonderbar! so leicht vergisset der Mensch eine Sache über ihre Beschreibung: ich dachte jetzt wahrlich nicht ein wenig daran, daß ich ja eben auf dem zweibeinigen Laubentische, von dem ich rede, jetzt alles dieses schreibe.

Mein Gevatter arbeitet unterdessen auch für die Welt. Seine Studierstube ist die Sakristei, und der Preßbengel ist die Kanzel, die er braucht, um die ganze Welt anzupredigen: denn ein Autor ist der Stadtpfarrer des Universums. Ein Mensch, der ein Buch macht, hängt sich schwerlich; daher sollten alle reiche Lords-Söhne für die Presse arbeiten: denn man hat doch, wenn man zu früh im Bette erwacht, einen Plan, ein Ziel und also eine Ursache vor sich, warum man daraus steigen soll. Am besten fähret dabei ein Autor, der mehr sammelt als erfindet – weil das letztere mit einem ängstlichen Feuer das Herz kalzinieret –; ich lobe den Antiquar, Heraldiker, Notenmacher, Sammler, ich preise den Titelbarsch (ein Fisch, namens perca diagramma, wegen seiner Buchstaben auf den Schuppen) und den Buchdrucker (ein Speckkäfer, namens scarabaeus typographus, der in die Rinde der Kienbäume Lettern wühlt) – beide brauchen keinen größern oder schönern Schauplatz der Welt als den auf dem Lumpenpapier und keinen andern Legestachel als einen spitzigen Kiel, um damit ihre vierundzwanzig Lettern-Eier zu legen. – In Rücksicht des räsonierenden Katalogs, den der Gevatter von deutschen Druckfehlern machen will, sagt' ich ihm einige Male: »er wäre gut und gründe sich auf die Regel, nach der man ausgezählet hat, daß z. B. zu einem Zentner Cicero-Fraktur vierhundertundfunfzig Punkte, dreihundert Schließquadrätchen etc. nötig sind; aber er sollte doch in politischen Schriften und in Dedikationen nachrechnen, ob für einen Zentner Cicero-Fraktur nicht funfzig Ausrufungszeichen viel zu wenig wären, so wie sechstausend Spatia in philosophischen Werken und in Romanen.«

An manchen Tagen schrieb er nichts; sondern steckte sich in den Schlauch und Rauchfang seines Priesterrocks und ließ im Ornate drüben beim Schulmeister die wenigen Abc-Schützen, die nicht wie andere Schützen des Frühlings wegen auf Urlaub waren, in der Fibel exerzieren. Er tat nie mehr als seine Pflicht, aber auch nie weniger. Es überlief sein Herz mit einer gelinden Wärme, daß er, der sonst unter einem Scholarchat sich duckte, jetzt selber eines war.


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