Jean Paul
Leben des Quintus Fixlein
Jean Paul

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Unschuldig und zufrieden beging jetzt die viersitzige Tischgenossenschaft – denn der Hund kann mit seinem Couvert unter dem Ofen nicht ausgelassen werden – das Fest der süßen Brote, das Dankfest gegen Thiennette, das Laubhüttenfest im Garten. Man sollte sich freilich wundern, wie ein Mensch mit einigem Vergnügen essen könne, ohne wie der König in Frankreich 448 Menschen (161 garçons de la Maison-bouche zähl' ich gar nicht) in der Küche, ohne eine Fruiterie von 31 Kerls, oder eine Mundbäckerei von 23 Ditos und ohne den täglichen Aufwand von 387 Livres 21 Sous zu haben. Inzwischen ist mir eine kochende Mutter so lieb wie ein ganzer mich mehr fressender als fütternder Küchen-Hofstaat. Der köstliche Abhub, den der Biograph und die Welt von einer solchen Tafel nehmen dürfen, ist eine und die andere Tischrede von Erheblichkeit. Die Mutter erzählte vieles. Thiennette ziehet heute abends – hinterbringt sie – zum ersten Male einen Morgenpromenadehabit von weißer Mousseline an, desgleichen einen Atlasgürtel und Stahlschild; es wird ihr aber – sagte sie – nicht lassen, da die Rittmeisterin (denn diese hing an Thiennetten ihre abgeworfnen Kleider, wie Katholiken an Schutzheilige abgelegte Krücken und Schäden) dicker sei. Gute Weiber gönnen einander alles, ausgenommen Kleider, Männer und Flachs. In der Phantasie des Quintus wuchsen Thiennetten jetzt durch die Kleidung Engelsschwingen aus den Schulterblättern: ihm war ein Kleid ein halber ausgebälgter Mensch, dem bloß die edlern Teile und die ersten Wege fehlten; er verehrte diese Düten und Hülsen um unsern Kern, nicht als Elegant oder als Schönheits-Zensor, sondern weil er unmöglich etwas verachten konnte, was andere verehrten. – Ferner las sie ihm gleichsam aus dem Grabstein seines Vaters vor, der im zweiunddreißigsten Jahre seines Alters dem Tode aus einer Ursache in die Arme gesunken war, die ich erst in einem spätern Zettelkasten bringe, weil ichs zu gut mit dem Leser meine. Man konnte dem Quintus nicht genug von seinem Vater erzählen.

Die schönste Nachricht war, daß ihr Fräulein Thiennette heute sagen lassen: »morgen könn' er bei der gnädigen Frau vorkommen, denn sein gnädiger Herr Pat fahre in die Stadt«. Das muß ich freilich erst klarmachen. Der alte Aufhammer hieß Egidius und war Fixleins Pate; aber er hatte ihm – obwohl die Rittmeisterin die Wiege des Kindes mit nächtlichen Brotspenden, Fleisch- und Sackzehenden bedeckte – sparsam mit nichts anderem ein Patengeschenk gemacht als bloß mit seinem Namen, welches gerade das Fatalste war. Unser Egidius Fixlein war nämlich mit seinem Pudel, der wegen der französischen Unruhen mit andern Emigranten aus Nantes fortgelaufen war, nicht lange von Akademien zurück, als er und der Hund miteinander unglücklicherweise im Hukelumer Wäldchen spazierengingen. Denn da der Quintus immer zu seinem Begleiter sagte: »Kusch, Schill (couche Gilles)«, so wirds wahrscheinlich der Teufel gewesen sein, der den von Aufhammer so wie Unkraut zwischen die Bäume eingesäet hatte, daß ihm die ganze Travestierung und Wipperei seines Namens – denn Gilles heißt Egidius – leichtlich in die Ohren fallen konnte. Fixlein konnte weder parlieren noch injuriieren, er wußte nicht ein Wort davon, was couche bedeute, das jetzt in Paris bürgerliche Hunde selber zu ihren Valets de chiens sagen; aber von Aufhammer nahm drei Dinge nie zurück, seinen Irrtum, seinen Groll und sein Wort. Der Provokat setzte sich jetzt vor, den bürgerlichen Provokanten und Ehrendieb nicht mehr zu sehen und zu – beschenken.

Ich komme zurück. Nach dem Diner guckte er zum Fensterchen hinaus in den Garten und sah seinen Lebensweg sich in vier Steige spalten zu ebenso vielen Himmelfahrten: zur Himmelfahrt in den Pfarrhof und in das Schloß zu Thiennetten – auf heute – und zur dritten nach Schadeck auf morgen und in alle hukelumische Häuser zur vierten. Als nun die Mutter lange genug fröhlich auf gespitzten Füßen herumgeschlichen war, um ihn nicht im Studieren seiner lateinischen Bibel (vulgata) zu stören, nämlich im Lesen der Literaturzeitung: so macht' er sich endlich auf seine eignen, und die demütige Freude der Mutter lief dem herzhaften Sohne lange hinterdrein, der sich getraute, mit einem Senior ganz wohlgemutet zu sprechen. Gleichwohl trat er mit Ehrfurcht in das Haus seines alten, mehr grau- als kahlköpfigen Lehrers, der nicht nur die Tugend selber war, sondern auch der Hunger: denn er aß mehr als der höchstselige König. Ein Schulmann, der ein Professor werden will, sieht einen Pastor kaum an; einer aber, der selber ein Pfarrhaus zu seinem Werk- und Gebärhaus verlangt, weiß den Inwohner zu schätzen. Die neue Pfarrwohnung – gleichsam als wäre sie wie eine casa santa aus der Friederichsstraße oder aus Erlang aufgeflogen und in Hukelum niedergefallen – war für den Quintus ein Sonnentempel und der Senior der Sonnenpriester. Pfarrer da zu werden, war ein mit Lindenhonig überstrichener Gedanke, der in der Geschichte nur noch einmal vorkommt, nämlich in Hannibals Kopf, als er den hatte, über die Alpen zu schreiten, d. h. über Roms Türschwelle.

Der Wirt und der Gast formierten ein vortreffliches bureau d'esprit: Leute in Ämtern, zumal in ähnlichen, haben einander mehr zu sagen – nämlich ihre eigne Geschichte – als die müßigen Wonnemonds-Käfer und Hof-Seligen, die nur eine fremde dozieren dürfen. – Der Senior kam dann von seinen eisernen Stücken (im Stalle) auf die Aktenstücke eines akademischen Lebens, dessen sich solche Leute so gern wie Dichter der Kindheit erinnern. So gut er war, so dacht' er doch halb freudig daran, daß ers einmal weniger gewesen; aber frohe Erinnerungen fehlerhafter Handlungen sind ihre halbe Wiederholung, so wie reuige Erinnerungen der guten ihre halbe Aufhebung.

Freundlich und höflich horchte Zebedäus, der nicht einmal in seine Schreibtafel den Namen eines vornehmen Herrns ohne ein H. eintrug, den akademischen Flegeljahren des alten Mannes zu, der in Wittenberg ebensooft eingeschenkt als eingetunkt und gleich sehr nach der Hippokrene und nach GuckguckEin Universitätsbier. gedürstet hatte. –

Jerusalem bemerkt schön, daß die Barbarei, die oft hart hinter dem buntesten Flor der Wissenschaften aufsteigt, eine Art von stärkendem Schlammbad sei und die Überverfeinerung abwende, mit der jener Flor bedrohe. Ich glaube, daß einer, der erwägt, wie weit die Wissenschaften bei dem Primaner steigen – vollends bei einem Patriziers-Sohn aus Nürnberg, dem die Stadt 1000 fl. zum Studieren schenken muß –, ich glaube, daß ein solcher dem Musensohne ein gewisses barbarisches Mittelalter (das sogenannte Burschenleben) gönnen werde, das ihn wieder so stähle, daß seine Verfeinerung nicht über die Grenzen geht. Der Senior hatte in Wittenberg 180 akademische Freiheiten – so viel hat deren Petrus Rebuffus aufsummiertIch will nur einige diesem Peter nachschreiben, die sonst beim Aufkeimen der Universitäten alle galten: z.B. ein Student kann den Bürger zwingen, ihm Haus und Pferd zu vermieten; – ein sogar seinen Verwandten zugefügter Schade wird vierfach ersetzt; – er braucht keine schriftlichen Befehle des Papstes zu vollziehen; – die Nachbarschaft muß ihm für das haften, was ihm gestohlen worden; – wenn er und zugleich ein Nichtstudent anstößig lebten, so konnte nur der letztere aus dem Miethause gewiesen werden; – ein Doktor muß einen armen Studenten nähren; – wenn sein Mörder nicht entdeckt wird, so bleiben die nächsten zehn Häuser unter dem Interdikt; – seine Legaten werden durch die falcidia nicht verkürzt etc. – gegen Verjährung geschützt und keine verloren als seine moralische, aus der ein Mensch, sogar im Konvente, nicht viel macht. Dieses gab dem Quintus Mut, seine lustigen Reisesprünge zu referieren, die er in Leipzig unter dem Alpdrücken der Dürftigkeit machte. Man höre: sein Hauswirt, der zugleich Professor und Geizhals war, beköstigte in dem ummauerten Hofe eine ganze Fasanerie von Hühnern. Fixlein samt einer Mitbelehnschaft von drei Stubengenossen bestritten den Mietzins einer Stube leicht; sie hatten überhaupt wichtige Dinge wie Phönixe nur einmal: ein Bette, worin allemal das eine Paar Vormitternacht, das andere Nachmitternacht gleich Nachtwächtern schlief – einen Rock, in dem einer um den andern ausging und der wie ein Wachtrock die Nationalkleidung der Kompagnie war – und mehrere Einheiten des Interesse und des Orts. Nirgends sammelt man die Not- und Belagerungsmünzen der Armut lustiger und philosophischer als auf der Universität: der akademische Bürger tut dar, wie viel Humoristen und Diogenesse Deutschland habe. Unsere Unitarier hatten nur eine Sache viermal, den Hunger. Der Quintus erzählte es vielleicht mit einem zu freudigen Genuß der Erinnerung, daß einer aus diesem darbenden coro ein Mittel ersann, die Hühner des ordentlichen Professors wie Abgaben oder Steuern zu erheben. Er sagte (er war ein Jurist), sie sollten einmal die juristische Fiktion aus dem Lehnrechte entlehnen, daß sie den Professor für den Erbzinsbauer, dem ganz die Nutznießung des Hühnerhofes und Hauses zustehe, sich aber für die Zinsherren ansähen, denen er seine Zinshühner ordentlich entrichten müßte. Damit nun die Fiktion der Natur folgte, fuhr er fort – fictio sequitur naturam –: so müßten sie solche Fasnachtshühner ihm wirklich abfangen. Aber in den Hof war nicht zu kommen. Der Feudalist machte sich daher eine Angel, klebte eine Brotpille an den Angelhaken und hielt fischend seine Angelrute in den Hof hinab. In wenigen Terzien griff der Haken in einen Hühnerschlund, und die angeöhrte Henne, die nun mit dem zinsherrlichen Feudalisten kommunizierte, konnte still, wie vom Archimedes Schiffe, in die Höhe gezogen werden zur hungrigen Luftfischerei-Sozietät, wo ihrer nach Maßgabe der Umstände der rechte Feudal-Name und Besitz-Titel wartete: denn die resorbierten Hühner mußten bald Rauchhühner, bald Wald-, Forst-, Vogtei-, Pfingst-, Sommerhennen benannt werden. »Ich fange damit an«, sagte der angelnde Majoratsherr, »daß ich Rutscherzinsen erhebe; denn so nennt man das Tripel und Quintupel des Zinses, wenn ihn der Zinsbauer, wie hier der Fall ist, lange zu erlegen versäumt hat.« Der Professor bemerkte, wie ein Fürst, traurig die verminderte Volksmenge der Hühner, die wie Juden am Zählen starben. Endlich hatt' er das Glück, als er sein Kollegium las – er stand gerade beim Forst-, Salz- und Münzregal –, durch das Fenster des Auditoriums eine wie der betende Ignazius Loyola oder wie die gestrafte Juno mitten in die Luft fixierte Zinshenne wahrzunehmen; – er ging der unbegreiflichen geraden Aszension des äronautischen Tiers nach und sah endlich oben den Hebungsbedienten mit seinem tierischen Magnetismus stehen, der aus dem Hühnerhofe die Lose zum Essen zog ... Er machte aber der Hühnerbeize wider alles Erwarten noch früher ein Ende als dem Regal-Kollegio. –


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