Jean Paul
Leben des Quintus Fixlein
Jean Paul

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Um zehn Uhr begegnen wir uns aus unsern verschiedenen Museen und besichtigen das Dorf und besonders die biographischen Möblen und heiligen Örter, die ich gerade diesen Morgen unter meiner Feder oder meinem Storchschnabel gehabt, weil ich sie mit mehr Interesse nach meiner Beschreibung betrachte als vor ihr. –

Dann wird gespeiset.

Nach dem Tischgebet, das zu lang ist, tragen wir beide die Karitativsubsidien oder Kammerzieler und milden Spenden, womit die Eingepfarrten dem Religions- und Tilgungsfond des Gotteskastens beispringen wollen zum Kauf des neuen Turmglobus, in doppelte Handelsbücher ein: das eine davon wird mit dem Namen der Kollatoren oder – hat einer auch für seine Kinder dotiert – mit der letztern ihrem in eine bleierne Kapsel eingesargt und in den Turmknopf aufgebahrt; das andere bleibt unten, bei der Registratur. Es ist nicht zu beschreiben, welche Lieferungen die Ehrbegierde, in den Knopf hinaufzukommen, macht – ich beteure, Bauern, die schon gut gegeben hatten, steuerten noch einmal, wenn sie taufen ließen: der Junge sollte auch in den Knopf.

Nach dieser Buchhaltung stach der Gevatter in Kupfer. Er war so glücklich gewesen, herauszubringen, daß aus einem Zuge, der einem umgekehrten lateinischen S gleichsieht, alle Anfangsbuchstaben der Kanzleischrift so schön und so verschlungen, als sie in Lehr- und Adelsbriefen stehen, herauszuspinnen sind. »Bis Sie sechzig zählen«, sagt' er zu mir, »hab' ich aus meinem Stammzuge einen Buchstaben gemacht.« Ich kehrte es bloß um und zählte so lange sechzig, bis er ihn hin hatte. Diese Schönheitslinie, in alle Buchstaben verzogen, will er durch Kupferplatten, die er selber sticht, für die Kanzleien gemeiner machen, und ich darf dem russischen, dem preußischen Hofe und auch einigen kleinern in seinem Namen Hoffnung zu den ersten Abdrücken machen: für expedierende Sekretäre sind sie unentbehrlich.

Nun wird es Abend, und es ist Zeit, vom gelehrten Baum des Erkenntnisses, auf dem wir beide mit Obstbrechern halsbrechend herumgabeln, wieder hinabzurutschen in die Feld-Blumen und Gräsereien der ländlichen Freude. – Wir warteten aber doch, bis die emsige Thiennette, die wir nun als eine Mutter Gottes in unser Wesen zogen, keine andere Gänge mehr hatte als die zwischen uns. – Wir schritten dann langsam – die Kranke war matt – durch die Wirtschaftsgebäude, d. h. durch Ställe und deren Inventariums-mäßige Schweizerei und vor einer abscheulichen Lache voll Enten vorüber und vor einem Milchkeller voll Karpfen, denen beiden wir, ich und die andern, wie Fürsten Brot gaben, weil wir sie am Sonntage nach der Taufe – zum Brote selber verspeisen wollten.

Dann wurde der Himmel immer freundlicher und röter, die Schwalben und die Blütenbäume immer lauter, die Häuserschatten breiter – und der Mensch vergnügter. Die Blütentrauben der Akazienlaube hingen in unsere kalte Küche, und die Schinken waren nicht – welches mich allemal ärgert – mit Blumen besteckt, sondern damit von weitem beschattet...

Dann macht mich der tiefere Abend und die Nachtigall weicher; und ich erweiche wieder die sanften Menschen um mich, besonders die blasse Thiennette, der oder deren Herzen die heftigen Freudenschläge nach den apoplektischen Lähmungen einer gedrückten Jugend schwerer werden als die Regungen der Wehmut. Und so rinnt unser transparentes reines Leben schön unter dem Blüten-Überhang des Maies hinweg, und wir schauen im bescheidenen Genusse scheu weder voraus noch zurück, wie Leute, die Schätze heben, sich auf dem Hin- und Herwege nicht umblicken.

So gehen unsere Tage vorüber. – Nur der heutige war anders: sonst sind wir um diese Zeit schon mit dem Nachtmahl fertig, und der Pudel hat schon die Knochen-Präparate unsers Soupers zwischen den Kinnbacken; aber heute sitz' ich noch allein im Garten hier und schreibe den eilften Kasten und gucke jeden Augenblick auf die Wiesen hinaus, ob mein Gevatter nicht kömmt.

Er ist nämlich in die Stadt gegangen, um ein ganzes Warenlager von Gewürzen zu holen: er hat weite Rocktaschen. Ja er macht kein Geheimnis daraus, daß er manchen Fleischzehenten bloß in der Rocktasche vom Vormund, bei dem sein Absteigquartier ist, heimtrage, wiewohl freilich Umgang mit der feinern Welt und Stadt und die daraus fließende Sittenbildung – denn er geht zum Buchhändler, zu Schulkollegen und zu geringern Stadtleuten – weit mehr als das Fleischholen die Absicht seiner Stadtreisen ist. Er machte mich heute am Morgen zum regierenden Haupt des Hauses und gab mir die Faszes und den Thronhimmel. Ich saß den ganzen Tag bei der Wöchnerin und hatte ordentlich, bloß weil mich der Mann als seinen Ehe-Figuranten dagelassen, die schöne Seele lieber. Sie mußte dunkle Farben nehmen und mir die Winterlandschaft und Eisregion ihrer verjammerten Jugend zeichnen; aber ich machte oft ihr stilles Auge durch ein leichtes elegisches Wort wider mein Vermuten naß, weil das noch von keiner empfindsamen Druckpresse ausgekelterte übervolle Herz beim geringsten Andruck überfloß. Hundertmal wollt' ich unter ihrem Berichte sagen: o ja eben deswegen fing Ihr Leben zugleich mit dem Winter an, weil es so viele Ähnlichkeiten mit ihm erhalten sollte. – Du windstiller, wolkenloser Tag! noch drei Worte über dich wird mir doch die Welt nicht übelnehmen?

Ich kam immer näher ans Herzens-Zentralfeuer der Weiber zu stehen; und sie zogen letzlich milde über den Pfarrer los: die besten Weiber verklagen oft gegen einen Fremden ihre Männer, ohne sie darum im geringsten minder zu lieben. Mutter und Frau meisterten es unter dem Essen, daß er aus jeder Bücherauktion Opera erstehe; und in der Tat haschte und rang er nicht sowohl nach guten oder schlechten Büchern – oder nach alten – oder neuen – oder solchen, die er las – oder nach Lieblingsbüchern – sondern bloß nach Büchern. Die Mutter schalt es hauptsächlich, daß er so viel in Kupferplatten verschleudere: einige Stunden darauf machte sie den für den Turmknopf Geldprästationen leistenden Schultheiß, der eine herrliche Hand schrieb, darauf aufmerksam, wie gut ihr Sohn steche, und es lohne der Mühe, bei solchen Anfangsbuchstaben einen Groschen nicht anzusehen.

Sie trugen mir darauf – denn wenn die Weiber einmal im offenherzigen Ergießen sind, so schütten sie (nur muß man nicht den Zapfhahn der Fragen umdrehen) gern alles aus – ein Ringkästchen hin, worin er einen gefundnen Kammerherrnschlüssel konservierte, und fragten mich, ob ich nicht wüßte, wer ihn verloren. Wer will das wissen, da es beinahe mehr Kammerherren als Dieteriche gibt? –

Endlich fassete ich Herz, auch nach dem Schränkchen des Ertrunknen zu fragen, das ich bisher im ganzen Hause vergeblich gesucht. Fixlein selber inquirierte fruchtlos darnach. Thiennette gab der Alten einen zuredenden Wink voll Liebe, und ich wurde von dieser zu einem ausgespreizten Reifrock hinaufgeführt, der das Schränkchen überbauete. Unterweges sagte die Mutter, sie hielten es vor ihrem Sohne versteckt, weil ihn das Angedenken an seinen Bruder schmerzen würde. Als wir diese Depositenkasse der Zeit, woran das Schloß abgerissen war, geöffnet hatten, und als ich in dieses Gebeinhäuschen voll Trümmer einer kindlichen spielenden Vorzeit geschauet hatte: setzt' ich mir, ohn' ein Wort zu sagen, vor, diese Spielwaren der Gebrüder Fixlein noch vor meiner Abreise vor dem lebenden auszupacken: könnt' es denn etwas Schöners geben, als die überschütteten eingesunknen herkulaneischen Ruinen der Kindheit ausgegraben zu erblicken und frei an der Luft? –

Die Wöchnerin ließ schon zweimal bei mir fragen, ob er zurückgekommen. Er und sie haben gegeneinander, eben weil sie ihrer Liebe nicht den schwächenden Ausdruck durch Phrasen, sondern den stärkenden durch Taten geben, eine unaussprechliche. Andere Brautleute nagen einander die Lippen und das Herz und die Liebe durch Küssen ab, wie von Christi Statue in Rom (von Angelo) der Fuß durch Küssen abgegangen, den man deswegen mit Blech versehen; bei andern Brautleuten kann man die Zahl ihrer Entzündungen und Ausbrüche, wie beim Vesuv die der seinigen, deren noch dreiundvierzig sind, voraus ansagen: – aber in diesen Menschen stieg das griechische Feuer einer mäßigen und ewigen Liebe auf, wärmte, ohne Funken zu versprengen, und loderte aufrecht, ohne zu knistern. – Jetzt schläget magischer die Abendlohe aus den Fenstern der Gärtnershütte in meine Laube, und mir ist, als müßt' ich zum Schicksal sagen: »Hast du einen scharfen Schmerz, so wirf ihn nur lieber in meine Brust und verschone damit drei gute Menschen, die zu glücklich sind, um nicht daran zu verbluten, und zu eingeschränkt auf ihr kleines dunkles Dorf, um nicht zurückzufahren vor dem Wetterstrahl, der ein erschüttertes Ich aus der Erde über die Wolken reißet.« – –

Du guter Mann! jetzt kömmt er eilig über die Pfarrwiesen. Welche schmachtende Blicke voll Liebe ruhen schon im Auge deiner Thiennette! – Was wirst du uns heute Neues aus der Stadt mitbringen! – Wie wird dich morgen der aufsteigende Turmknopf laben! –


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