Jean Paul
Leben des Quintus Fixlein
Jean Paul

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Die Fortsetzung der Vorrede folgt.

Der Botaniker der Galgen-Flora hatte mich unter dem Schreiben eingeholt und gestört. Ich erstaunte, den Herrn Kunstrat Fraischdörfer aus HaarhaarSo heißet bekanntlich das Fürstentum, in welchem die Geschichte, die ich nun bald unter dem Namen Titan ediere, vorfällt. Daher kenn' ich den Kunstrat Fraischdörfer recht gut, er aber mich gar nicht. vor mir zu haben, der nach Bamberg ging, um von einem Dache oder Berge irgendeiner zu hoffenden Hauptschlacht zuzusehen, die er als Galerieinspektor so vieler Schlachtstücke, ja selber als Kritiker der homerischen nicht gut entbehren kann. – Mein Gesicht hingegen war ihm ein unbekanntes inneres Afrika. Ein Mann muß sich wenig in der literarischen Weltgeschichte umgesehen haben, dem man es erst zu sagen braucht, daß der Kunstrat sowohl in der neuen allgemeinen deutschen bibliothekarischen als in der haarhaarischen, scheerauischen und flachsenfingischen Rezensier-Faktorei mitarbeite als einer der besten Handlungsdiener. Wie man einen Kürbis in einen Karpfenteich als Karpfenfutter einsetzt: so senkt er seinen nahrhaften Kopf in manches ausgehungerte Journalistikum ein als Bouillonkugel. Da nun der Kunstrat, dem ich doch nie etwas zuleide getan, schon an mehren Orten deutliche Winke fallen lassen, er wolle mich in kurzem rezensieren: so war mir fatal zumute; denn es gibt zwischen nichts eine größere Ähnlichkeit und Antipathie zugleich als zwischen einem Rezensenten und Autor, wiewohl derselbe Fall auch beim Wolf und Hunde ist. Ich münzte daher meinen Namen als mein eigner Falschmünzer um und sagte mich als einen ganz andern Menschen an: »Sie sehen hier«, sagt' ich zum Kunstrat, »den bekannten Egidius Zebedäus Fixlein vor sich, von dessen Leben mein Herr Gevatter Jean Paul der Welt eine zweite Auflage zu schenken gesonnen – wiewohl ich täglich noch fortlebe und mithin immer neues Leben, das man beschreiben kann, nachschieße.« – Die Seele des Kunstrates war jetzt nicht wie die nachgestochene im orbis pictus aus Punkten zusammengesetzt, sondern aus Ausrufungzeichen; andere Seelen bestehen aus Parenthesen, aus Gänsefüßen, die meinige aus Gedankenstrichen. Er forschte mich, da er mich für den Quintus hielt, nun aus, ob mein Charakter und mein Haushalten zu dem gedruckten paßten. Ich teilte ihm viele neue Züge von Fixlein mit, die aber in der zweiten Auflage stehen, weil er mir sonst öffentlich vorwirft, ich hätte mein Original mager porträtiert. Er brachte alle meine Straßenreden sogleich zu Pergament, weil er nichts behalten konnte; daher hatt' er einige hauptstärkende Kräuter zu einer Kräutermütze auf dem Rabensteine gesammelt. Fraischdörfer gestand mir, steckte einer seine Studierstube mit den Exzerpten und Büchern in Brand, so wären ihm auf einmal alle seine Kenntnisse und Meinungen geraubt, weil er beide in jenen aufbewahre; daher sei er auf der Straße ordentlich unwissend und dumm, gleichsam nur ein schwacher Schattenriß und Nachstich seines eignen Ichs, ein Figurant und curator absentis desselben.

Überhaupt ist der Tempel des deutschen Ruhms eine schöne Nachahmung des athenischen Tempels der Minerva, worin ein großer Altar für die Vergessenheit standPlutarch Sympos. 1. 9. qu. 6. . Ja wie die Florentiner sich ihren Pandekten nur ehrerbietig in einem Staatkleide und mit Fackeln nähern, so nehmen wir aus derselben Ehrfurcht die Werke unserer Dichter nur in Bratenröcken in Gesellschaft zur Hand und nähern solche selber den Kerzen und fachen damit das Feuer in allen guten Köpfen aus – Meerschaum an. – Ich bin oft gefragt worden, woher es komme, daß der alternden Welt, in deren Gedächtnis sich doch die ältesten Werke von tausend Messen her, die eines Plato, Cicero, sogar Sanchuniathons, erhalten, gleichwohl die allerneuesten, z. B. die Ritterromane von den letzten Messen, kantianische, wolffianische, theologische Streitschriften, Bunkels Leben, die besten Inauguraldisputationen und pièces du jour, Hirtenbriefe und gelehrte Zeitungen, oft in dem Monate entfallen, worin sie davon hört. Meine Antwort war gut und hieß: da es wohl keine mystische Person von einem solchen Alter gibt als die Welt, die ein wahrer alter eingerunzelter Kopf von Denner ist und die nun anfängt (wie es wohl kein Wunder ist), vor Marasmus schwach und fast kindisch zu werden: so ist sie natürlicherweise von dem Übel alter Personen nicht frei, die alles, was sie in ihrer Jugend gehört und gelesen, trefflich festhalten, hingegen was sie in ihren alten Tagen erfahren, in einer Stunde vergessen. Daher denn unsere Bücher den Lumpen in der Papiermühle gleichen, von denen sie genommen sind, unter welchen der Papiermüller die frischen allzeit früher zur Fäulnis bringt als die alten. –

Im Grunde hätt' ich das als einen abgesonderten Satz in der Vorrede zur zweiten Auflage aufstellen können.

Über Münchberg erbosete sich der Kunstrat ungemein: entweder die Häuser oben auf dem Berge oder die unten sollten weg; er fragte mich, ob Gebäude etwas anders als architektonische Kunstwerke wären, die mehr zum Beschauen als zum Bewohnen gehörten und in die man nur mißbrauchsweise zöge, weil sie gerade wie Flöten und Kanonen hohl gebohret wären, wie die Bienen sich im hohlen Baum ansetzen, anstatt um dessen Blüten zu spielen. Er zeigte das Lächerliche, sich in einem Kunstwerk einzuquartieren, und sagte, es sei so viel, als wollte man HeemsDer beste Maler in Topf-Stücken. Gefäße zu Käsenäpfen und Federtöpfen verbrauchen, oder den Laokoon zum Baßgeigenfutteral und die mediceische Venus zur Haubenschachtel aushöhlen. Er wunderte sich überhaupt, wie der König Dörfer leiden könnte; und gestand frei, es mach' ihm als Artisten eben kein Mißvergnügen, wenn eine ganze Stadt in Rauch aufginge, weil er alsdann doch die Hoffnung einer neuen schönern fasse.

Er war nicht von mir wegzubringen: jetzt griff er, außerhalb Münchberg, statt der Münchberger mich selber an und stäupte meine opera. Ach die Vorrede zur zweiten Auflage sowohl als das fliehende Vis-à-vis ließen mich und meine Wünsche immer weiter hinter sich, und ich hatte von der ganzen Dame wie von einer gestorbnen nichts mehr im Auge als den fernen nachfliegenden Staub, den ich indes für viel Märzenstaub und Punsch- und Demantpulver nicht weggegeben hätte. Der Kunstrat und Fraisherr kielholte und säckte jetzt meinen Gevatter – Jean Paul, denn mich hielt er, wie gesagt, für den Quintus – und verdacht' es jenem, daß er seinen biographischen Brei nicht wie Landleute recht glatt auftrage, und daß er sich überhaupt nicht vor dem Spiegel der Kritik anputze. Ich nahm mich des gekränkten abwesenden Mannes an und sagte, so viel ich aus seinem Munde wisse, so heb' er sich gerade auf den Schwungbrettern und an den Springstäben und Steigeisen der Kritik mehr als mit den Oberflügeln seiner Psyche auf, ja er habe kritische Briefe unter der Feder, worin er die Kritik auf Kosten der Kritiker preise und übe – eben diese kritische Manipulation schwelle seine Werke so sehr auf, wie die Nasen größer und länger werden durch häufiges Schneuzen. – Und wahrhaftig so ist es: ich begreif' es nicht, wie ein Mensch ein Werkchen schreiben kann, das kaum ein halbes Alphabet stark ist; ein Bogen in der Ferne breitet sich ja notwendig in der Nähe zu einem Buche aus, und ein Buch zum Ries: ein opus, das, wenn ich es eben hinwerfe, gleich einem neugebornen Bären nicht größer ist als eine Ratze, leck' ich mit der Zeit zu einem breiten Landbären auf. Der Kritiker sieht freilich nur, wie viel der Autor behalten hat, aber nicht, wie viel er weggeworfen; daher zu wünschen wäre, die Autoren hingen ihren Werken hinten für die Rezensenten die vollständige Sammlung aller der elenden dummen Gedanken an, die sie vornen ohne Schonen ausgestrichen, um so mehr, da sie es ja, wie z. B. Voltaire, bei der letzten Herausgabe ihrer opera wirklich tun und hinten für feinere Leser einen Lumpenboden des Auskehrigs der ersten Editionen anstoßen und aufsparen, wie etwan einige preußische Regimenter den Pferdestaub zurücklegen und vorrätig halten müssen, zum Beweise, daß sie gestriegelt haben. –

Jetzt säuerte er allmählich aus Bieressig zu Weinessig: er sagte mir geradeheraus: »Sie wissen nicht, für wen Sie fechten: Ihr Herr Gevatter hat Dero Kniestück selbst zu einer Bambocchiade gemacht und Sie nicht mit den intellektuellen Vorzügen ausgesteuert und ausgestellt, die Sie doch, wie ich jetzt höre, wirklich haben. Ich konnte auf dem Druckpapier wenigen Anteil an Ihro Hochehrwürden nehmen, erst auf der Chaussee.« Ich wünschte, er zöge auch diesen zurück, und fiel absichtlich aus meinem Fixleinischen Charakter heraus, indem ich pikiert sagte: »Wenn Leser, zumal Leserinnen meinen komischen Charakter oder überhaupt einen unvollkommnen nicht goutieren, so erklär' ich mir es gut: sie haben keinen Geschmack an schreibenden Humoristen, geschweige an handelnden; auch wird es einer engen Phantasie schwerer, sich in unvollkommne Charaktere zu denken als in vollkommne und sich für sie zu interessieren – endlich hat der Leser einen Helden lieber, der ihm ähnlich ist, als einen unähnlichen; unter einem ähnlichen meint er aber allzeit einen herrlichen Menschen.« – Gewiß! Denn wie Plutarch in seinen Biographien jeden großen Mann gegen einen zweiten großen wiegt und vergleicht, so hält der Leser jeden großen Charakter einer Biographie leise mit einem zweiten großen zusammen (welches seiner ist) und gibt acht, was dabei herauskömmt. Aus diesem Grunde schätzen Mädchen eine vollkommene weibliche Schönheit und Grazie ungemein hoch in der Schilderei des Romans (so sehr verschönert der Dichter das Fatalste), und sehnen sich wenig danach in der Plastik und Skulptur der Wirklichkeit – so wie häßliche Dinge, Eidechsen und Furien, nur von der Malerei, aber nicht von der Bildhauerkunst gefallend darzustellen sind –; für das Mädchen ist nämlich der Roman ein treuer Spiegel, und es kann darin die Heldin sehen.

Der Kunstrat tat jetzt vor dem Dorf, »die drei Bratwürste« genannt, den Wunsch, Ziegenmilch darin zu trinken. Ich fragte ihn, ob ers wie die vornehmen Leute mache, die – weil Huart einen achttägigen Trank von Ziegenmilch als ein Hausmittel vorschlägt, ein Genie zu zeugen – sich eben deshalb zum Geiß-Kordial entschließen und dann sehen, wozu es führt. Daß sie, wenigstens die Fürsten, ihn nicht der Schwindsucht halber trinken, beweisen wohl die Versuche, die sie nachher machen. Aber der Kunstrat wurde nur darum der Milchbruder Jupiters, weil die Parzen den Lebensfaden völlig von den Spindeln seiner Beine abgeweifet hatten: er stand gleichsam schon als ein ausgebälgter, gutgetrockneter, mit Äther gefüllter Vogel im Naturalien-Glasschrank da. Er sagte, man müßte entweder sich und die Bücher oder die Kinder aufopfern, so wie der Landwirt, setzt' ich hinzu, eines von beiden schlecht annehmen muß, entweder den Leindotter oder den Flachs.

Während der Milchkur wurden wir beide einander noch verhaßter, als wirs schon waren, und das eingeschluckte Krötenlaich unserer Antipathie wurde durch die gelinde Wärme der edeln Teile zu ordentlichen Kröten ausgebrütet. Ich wurde ihm gram, weil ich hier in den drei Bratwürsten stehen mußte und allem Anschein nach in Gefrees ankam, ohne irgend etwas Schönes gesehen oder geschrieben zu haben (ich rede von dem Vis-à-vis und der Vorrede), und überhaupt weil Fraischdörfer zugleich Mattgold, Katzengold und Platzgold war. Eine elendere Mixtur gibt es nicht. Zog er nicht sogar unter dem Käuen sich wie ein Dentist seine Schneidezähne aus, weil bloß die Hundzähne echt waren und genuin? Konnt' ich nicht, als er den Rock aufknöpfte, deutlich sehen, daß der Bauch seiner Weste seiden und marmoriert, hingegen der Rücken derselben weiß und leinen war, als wär' er ein Dachs, der, wie Buffon bemerkt, als Widerspiel aller Tiere lichtere Haare auf dem Rücken hat und die dunklern unter dem Bauch? – Und was seinen Zopf anlangt, so ist wohl gewiß, daß seiner nur an der Spitze eignes Haar aufzeigt und übrigens lang und falsch ist, meiner aber klein und echt, gerade als hätte uns die Natur und Linnäus wie zwei bekannte Tiere unterscheiden wollenIch equus caudâ undique setosâ – er equus caudâ extremo setosâ. Linn. Syst. Nat. Cl. 1. Ord. 4. .


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