Jean Paul
Leben des Quintus Fixlein
Jean Paul

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die Mondfinsternis

Auf den Lilienfluren des Mondes wohnet die Mutter der Menschen mit allen ihren zahllosen Töchtern in stiller ewiger Liebe. Das Himmelblau, das nur fern über der Erde flattert, ruht dort hereingesunken auf dem Auenschnee aus Blumenstaub – keine frostige Wolke trägt einen verkleinerten Abend durch den klaren Äther – kein Haß zerfrisset die milden Seelen – wie sich die Regenbogen eines Wasserfalls durchschlingen, so windet die Liebe und die Ruhe alle Umarmungen in eine zusammen – und wenn in ihrer stillen Nacht die Erde ausgebreitet und glänzend unter den Sternen hängt, so blicken die Seelen, die auf ihr gelitten und genossen haben, nur mit süßem Sehnen und Erinnern auf die verlassene Insel hin, wo noch Geliebte wohnen und die weggelegten Körper ruhen, und wenn dann die einschläfernde schwere Erde blendend näher an die zusinkenden Augen tritt, so ziehen die vorigen Frühlinge der Erde in glänzenden Träumen vorüber, und wenn das Auge erwacht, hängt es voll Morgentau der Freuden-Tränen.

Aber dann, wenn der Schattenzeiger der Ewigkeit auf ein neues Jahrhundert zeigt, dann schlägt der Blitz eines heißen Schmerzes durch die Brust der Mutter der Menschen: denn die geliebten Töchter, die noch nicht auf der Erde waren, ziehen aus dem Mond in ihre Körper, sobald die Erde sie mit ihrem kalten Erdschatten berührt und betäubt, und die Mutter der Menschen sieht sie weinend gehen, weil nicht alle, nur die unbefleckten zu ihr aus der Erde wiederkehren in den reinen Mond. So nimmt ein Jahrhundert um das andere der verarmenden Mutter die Kinder, und sie zittert, wenn sie am Tage unsere raubende Kugel als eine breite feste Wolke nahe an der Sonne erblickt.

Der Zeiger der Ewigkeit nahete dem achtzehnten Jahrhundert – und die Erde voll Nacht zog gegen die Sonne – die Mutter drückte schon heiß und beklommen alle Töchter ans Herz, die noch nicht den Flor des Körpers getragen hatten, und flehte weinend: »O sinket nicht, ihr Teuern, bleibet engelrein und kehret wieder!« – Jetzt stand der Riesen-Schatte am Jahrhundert und die dunkle Erde über der ganzen Sonne – ein Donner schlug die Stunde – am finstern Himmel hing ein durchglühtes Kometenschwert herab – die Milchstraße wurde erschüttert, und eine Stimme rief aus ihr: »Erscheine, Versucher der Menschen!«

Jedem Jahrhundert sendet der Unendliche einen bösen Genius zu, der es versuche. – Fern vom kleinen Auge steht der gestirnte, die Ewigkeiten umziehende Plan des Unendlichen im Himmel als ein unauflöslicher NebelfleckEin unauflöslicher Nebelfleck ist ein ganzer in unendliche Fernen zurückgeworfener Sternenhimmel, worin alle Gläser die Sonnen nicht mehr zeigen. .

Als der Versucher gerufen wurde, bebte die Mutter mit allen ihren Kindern, und die weichen Seelen weinten alle, auch die verklärten, die hienieden schon gewesen waren. Nun bäumte sich ungeheuer mit dem Erdschatten eine Riesenschlange auf der Erde auf und reichte an den Mond und sagte: »Ich will euch verführen.« Es war der böse Genius des achtzehnten Jahrhunderts. Die Lilienglocken des Mondes bückten sich welk und zusammenfallend – das Kometenschwert schwankte hin und her, wie ein Richtschwert sich selber bewegt, zum Zeichen, daß es richten werde – die Schlange bog sich mit spielenden seelenmörderischen Augen, mit blutrotem Kamm, mit beleckten durchbissenen Lippen und mit gezückter Zunge ins sanfte Eden herein, der Schweif zuckte hungrig und schadenfroh in einem Grabe der Erde, und eine Erderschütterung auf unserer Kugel wirbelte die laufenden Ringe und die bunten giftigen Säfte wie ein flüssiges schillerndes Gewitter herauf. O, es war der schwarze Genius, der längst die jammernde Mutter verführet hatte. Sie konnte ihn nicht anschauen; aber die Schlange fing an: »Kennst du die Schlange nicht, Eva? – Ich will deine Töchter verführen, deine weißen Schmetterlinge will ich auf dem Morast versammeln. Sehet, Schwestern, damit köder' ich euch alle.« – (Und hier spiegelten die Vipernaugen männliche Gestalten nach, die bunten Ringe Eheringe und die gelben Schuppen Goldstücke.) »Und dafür nehm' ich euch den Mond und die Tugend ab. In der Schlinge von seidnen Bändern und im Spiegelgarn von Stoffen fang' ich euch; mit meiner roten Krone lock' ich euch, und ihr wollt sie tragen; in eurer Brust fang' ich an zu reden und euch zu loben, und dann kriech' ich in eine männliche Kehle und fahre fort und bestätige es, und in euere Zunge schieb' ich meine und mache sie scharf und giftig. – Erst wenn es euch übel geht oder kurz vor dem Tode tu' ich den unnützigen Gewissensbiß recht scharf und warm ins Herz. – – Nimm ewigen Abschied, Eva; was ich ihnen hier sage, das vergessen sie zum Glück, ehe sie geboren werden.« – –

Die ungebornen Seelen verbargen sich zitternd ineinander vor dem so nahen kalten dampfenden Giftbaum, und die Seelen, die rein wie Blumendüfte wieder aus der Erde aufgestiegen waren, umfasseten sich weinend in furchtsamer Freude, in süßem Zittern vor einer überwundenen Vergangenheit. Die geliebteste Tochter, Maria, und die Mutter aller Menschen hielten einander an ihrem Herzen, und sie knieten in der Umarmung nieder und hoben die betenden Augen auf, und die Tränen, die aus ihnen rannen, flehten: »O, Alliebender, nimm dich ihrer an!« – Und siehe, als das Ungeheuer die dünne lange, wie eine Hummerschere gespaltene Zunge über den Mond hinschoß und die Lilien entzweischnitt und, wenn es einen schwarzen Mondfleck gemacht hatte, sagte: »Ich will sie verführen«: siehe, da schlug sprühend hinter der Erde der erste Strahl der Sonne herauf, und das goldne Licht beschien die Stirn eines hohen schönen Jünglings, der ungesehen unter den zitternden Seelen gewesen war. Eine Lilie deckte sein Herz, und ein Lorbeerkranz voll Rosenknospen grünte an seiner Stirn, und blau wie der Himmel war sein Gewand. Er blickte im milden Weinen und warm in Liebe strahlend auf die trüben Seelen nieder – wie die Sonne auf einen Regenbogen – und sagte: »Ich will euch beschützen.« Es war der Genius der Religion. Die wallende Riesenschlange gerann vor ihm, und versteinert stand sie auf der Erde und am Mond, ein Pulverturm mit stillem schwarzem Tod gefüllt.

Und die Sonne warf einen größern Morgen in des Jünglings Angesicht, und er hob sein Auge groß zu den Sternen und sagte zu dem Unendlichen: »Vater, ich gehe mit meinen Schwestern hinab ins Leben und beschirme alle, die mich dulden. Bedecke die ätherische Flamme mit einem schönen Tempel: sie soll ihn nicht entstellen und verwüsten. Schmücke die schöne Seele mit dem Laube aus Erdenreizen, es soll ihre Früchte nur beschirmen, nicht verschatten. Gib ihr ein schönes Auge, ich will es bewegen und begießen; und leg in die Brust ein weiches Herz: es soll nicht auseinanderfallen, eh' es für dich und die Tugend geschlagen. Und unbefleckt und unzerrüttet will ich die Blume, in eine Frucht verwandelt, aus der Erde wiederbringen. Denn auf die Berge und auf die Sonne und unter die Sterne will ich fliegen und sie an dich erinnern und an die Welt über der Erde. In das weiße Licht dieses Monds will ich die Lilie meiner Brust verwandeln und in das Abendrot der Frühlingnacht die Rosenknospen in meinem Kranz und sie an ihren Bruder erinnern – in den Tönen der Musik will ich sie rufen und von deinem Himmel mit ihr reden und ihn auftun vor dem harmonischen Herzen – mit den Armen ihrer Eltern will ich sie an mich schließen, und in die Stimme der Dichtkunst will ich meine verbergen und mit der Gestalt ihres Geliebten meine verschönern – Ja mit dem Gewitter der Leiden will ich über sie ziehen und den leuchtenden Regen in ihre Augen werfen und ihre Augen nach den Höhen und nach den Verwandten richten, von denen sie kömmt. O ihr Geliebten, die ihr eueren Bruder nicht verstoßet, wenn euch nach einer schönen Tat, nach einem harten Sieg ein süßes Sehnen euer Herz ausdehnt, wenn in der Sternennacht und vor dem Abendbrot euer Auge an einer unaussprechlichen Wonne zergeht, und euer ganzes Wesen sich hebt und sich aufwärts drängt und liebend und ruhig und unruhig und weinend und schmachtend die Arme ausbreitet: dann bin ich in euern Herzen und geb' euch das Zeichen, daß ich euch umarme und daß ihr meine Schwestern seid. – Und dann nach einem kurzen Traume und Schlafe brech' ich dem Diamant die Rinde ab und lass' ihn als lichten Tau in die Lilien des Mondes fallen. – – O zärtliche Mutter der Menschen, blicke deine geliebten Kinder nicht so schmerzlich an und scheide froher, du verlierst nur wenige!« –

Die Sonne loderte unbedeckt vor dem Mond, und die ungebornen Seelen zogen auf die Erde, und der Genius der Tugend ging mit ihnen – und wie sie der Erde entgegenflogen, dehnte sich ein melodisches Flöten durch das Blau, wie wenn Schwanen über Winternächte fliegen und in den Lüften Töne statt der Wellen lassen.

Die Riesenschlange senkte sich im weiten Bogen einer glühenden fliegenden Bombe und endlich gekrümmt zum zündenden Pechkranz auf die Erde zurück, und wie eine hereingebogene Wasserhose über einem Schiffe zerbricht, so fiel sie über die Erde und flocht sich, in tausend Schlingen und Knoten gerunzelt, erwürgend und fangend durch alle Völker der Welt. Und das Richtschwert zuckte wieder, aber das Nachtönen des durchflognen Äthers währte länger. –

*

Als ich geschlossen hatte, trocknete Pauline die sanften Augen, die sich unwillkürlich gegen den hellern Mond und seine weiten Flecken aufhoben. Ich schied von ihr – und der Wunsch, den ich hier für alle liebende Schwestern des guten Genius tue, war mein letztes Wort an sie: »Es gehe dir nie anders als wohl, und die kleine Frühlingnacht des Lebens verfließe dir ruhig und hell – der überirdische Verhüllte schenke dir darin einige Sternbilder über dir – Nachtviolen unter dir – einige Nachtgedanken in dir – und nicht mehr Gewölk, als zu einem schönen Abendrot vonnöten ist, und nicht mehr Regen, als etwan ein Regenbogen im Mondschein braucht!« –

Hof im Voigtland, den 22. August 1796.

Jean Paul Fr. Richter.


 << zurück weiter >>