Jean Paul
Leben des Quintus Fixlein
Jean Paul

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Wie mir jetzt ist, und aus demselben Grunde, so war mir auch im Vis-à-vis – die hinabziehende Sonne und die schöne geduldige Gestalt vor mir und am meisten meine vorigen Dissonanzen, mit denen ich mich vor dem Kunstrat hören lassen, löseten mich und sich in diesen Mollton auf. Kurz nach der LykanthropieLykanthropen sind Menschen, die sich in Wölfe umzaubern. ist man ein wahres Gottes-Lamm; nach einer Sünde (sagt Lavater) ist man am frömmsten; – daher solche Heiligen, denen um eine ausgezeichnete Frömmigkeit in jenem Leben zu tun ist, sich auf rechte Sünden in diesem legen. Ich schlug vor der Braut ganz in Zitronenblüten der Dichtkunst aus – so wie ich vorher eine Salzsäule aus satirischem Zitronensalz gewesen war, welches beiläufig ein neuer Beweis ist, daß Rezensenten nie ihren Namen sagen und nie anders als im Dunkeln hantieren sollten, weil man sonst keinen Respekt für sie zeigt, so wie auch Minervens Wappentier, die Nachteule, in der Nacht ohne Schande würgt und fliegt, am Tage aber als ein seltsamer närrischer Abortus der Natur unter das zufliegende neckende Gevögel einrückt. Um wieder zurückzukommen: der Mensch auf seiner Reise zum überirdischen Paradies und ich auf meiner ins baireuthische und die Menschheit auf ihrer langen zum Jüngsten Tage werden wie die braunschweigische Mumme unter dem Verfahren mehr als einmal sauer; aber herrlich und süß kommen wir alle und die Mumme an: ich meine, ich erzählte schon nach einer halben Stunde hinter Berneck Paulinen das Mußteil im Quintus Fixlein.

Mir war, als ob es gar keine Vorberichte zu zweiten Auflagen mehr gäbe in der Welt ... Ach du weiche Braut! ich wollte dich sehr rühren durch Erzählen, aber du rührtest mich noch mehr durch Zuhören. Es muß überhaupt noch mehre Paulinen und Jean Pauls in Deutschland geben: sonst wäre gegenwärtige zweite Auflage gar nicht zu machen gewesen, wofür ich bei dieser Gelegenheit meinen wärmsten Dank abstatte – aber gar nicht den paulinischen Lesern, denn meinetwegen haben sie nichts getan, und ich hatte wenig davon, vielmehr war ich, indem sie alle vor mir meine Sachen auf dem Schoße hatten und lasen, der einzige, der nichts darauf hatte, wie in Nordamerika unter den Gästen eines Schmauses bloß der Gastgeber keinen Bissen anrührt, – sondern ich statte den besagten Dank dem Schicksal ab, und zwar dafür, daß es die Menschen nicht einander gleich gemacht (sonst stürben wir alle vor Langweile) noch unähnlich (sonst könnte keiner den andern ertragen und fassen), sondern recht ähnlich, so daß ich gleichsam für den einen runden Stock der spartischen Skytale zu nehmen bin, um den der große Genius beschriebene Blätter wickelt, und der Leser für den zweiten, an dem die Blätter, weil er ebenso gehobelt ist, geradeso aufzuwickeln und abzulesen sind wie an mir selber. – –

Ich war jetzt, da ich und die Braut eben nicht so gar weit gen Bindloch hatten, wo ich absteigen wollte, weil ichs für unschicklich hielt, mit der Verlobten starr und aufrecht unter das Baireuther Tor zu fahren und noch obendrein mich als einpassierend in das Intelligenzblatt gedruckt niederzulassen, ich war jetzt, sag' ich, eben deswegen viel zu betrübt, besonders vor dem wehenden Rauschgolde des Abends und unter den Abendliedern der freien Volieren über mir und so nahe am Verlust der weinenden Braut, zu betrübt, sagt' ich, um bis Bindloch etwan den Quintus Fixlein nach der ersten oder zweiten Auflage zu referieren: ich konnte unmöglich.

Ich holte aber meine Schreibtafel heraus und setzte etwas auf. Man sehe etwan keiner fortgesetzten Vorrede zur zweiten Auflage entgegen: »Ich beschäftige mich hier mit einer Grabschrift, Gute!« sagt' ich zu ihr. Sie hatte von ihrem sel. Vater und dessen männlichen Gästen Langweile und Vernachlässigung schon gewohnt: also vergab sie leicht mein Schreiben; allein es war ja eben etwas Rührendes für sie, und ich wollt' ihrs in Bindloch vorlesen. Auch dem Leser wird die Grabschrift am Schlusse dieser Geschichte, um ihn für den entzognen, nun unmöglichen Schluß der Vorrede zu entschädigen, mit geringen und passenden Änderungen zugewandt. Ich schrieb und schrieb, und meine Augen wurden dunkel, weil ich die tiefe Sonne auf dem Rücken und überhaupt weniger Licht als Wasser in den Augen hatte. Du gute Seele! du wußtest nicht, warum meine tropften, und doch gingen dir auch deine über! – Als wir den ausgestreckten Bindlocher Berg hinunterfuhren: nahm die Vertiefung uns die vor Freude wallende Sonne; aber wie bei einer Versteigerung in Bremen oder Lauenburg wurde uns durch das Auslöschen des Lichts gleichsam der ganze von Silber-Sonnen starrende Nachthimmel zugeschlagen mit dem Auktion- und Glockenhammer von 7 Uhr.

Die Welt ruhte – auf dem Berg sproßte der Mond wie eine geschlossene Lilienglocke heraus – mein Aufsatz war fertig – wir waren den schnellen Berg herab – und ich sagte zur Braut, ich spränge herab und würd' ihr draußen etwas vorlesen, wenn sie mit abstiege, weil ich drinnen erst das Wagengerolle überschreien müßte.

Wir stiegen beide unten aus unweit einer alten Säule, vor der ich nie ohne einen Seufzer über den rauhen Druck, womit die harten Riesenhände des Schicksals uns weiche Raupen und Gulliver ergreifen und tragen, vorbeigegangen bin; diese Riesenhände schienen heute die Säule wie eine Hermes- und Gedächtnissäule hingestellt zu haben für das schwache Gedächtnis des Menschenherzens. Pauline wußte von nichts; aber ich führte sie an den unscheinbaren Pilaster und erklärte ihr – indem ich ihrs vorher zeigte –, was die verwitterte brüchige weibliche Gestalt, über die ein Wagen geht, auf der elenden erhobenen Arbeit des Pilasters bedeute. Die umliegenden Dorfschaften berichten nämlich, daß einmal eine Braut, die auf dem Kammerwagen von dem sonst steilern Bindlocher Berg den Armen ihres Bräutigams unter einem Gewitter mit scheugewordenen Pferden entgegenfuhr, unter die Räder gestürzt und vor seinen gemarterten Augen den getäuschten hoffenden Geist aufgegeben habe. Pauline konnte schwerlich, zumal da der Mond hinter dem Abendrauche dämmerte, die verwaschene Skulptur dieses veralteten Jammers mehr lesen; aber ihr getroffnes weiches Herz goß, besonders so nahe an der ähnlichen Lage, gern das Abendopfer einer fortrinnenden Träne über die unbekannte zerstörte Schwester nieder, deren gebrochenes Gebein nun schon als Staub – vielleicht aus dem Staubbeutel einer Blume – umherirret, indes der Geist, der es sonst bewegte, auf der ewigen Bergstraße durch die Zeit den auffliegenden Staub, den er einmal machte und zurückließ, kaum mehr, wenn er sich umsieht, wird bemerken können. Und hier neben der Siegessäule der Marter und unter dem großen Himmel der Nacht gab ich Paulinen die kleine Dichtung, die ich hier den Herzen aller ihrer Schwestern bringe.


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