Jean Paul
Leben des Quintus Fixlein
Jean Paul

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4. Des Rektors Florian Fälbels und seiner Primaner Reise nach dem Fichtelberg

Ich lese nichts lieber als Bücher von einigen Seiten. Jene alten Folianten-Goldbarren, die man nur auf zwei Sesseln öffnen kann, sollten in mehrere Goldkörner zerlegt, ich meine, jedes Blatt sollte in ein Bändchen eingebunden werden: jeder käme dann leicht mit ihnen durch. Jetzt aber muß der Gelehrte die Quartanten aus Ratsbibliotheken entsetzlich lange behalten, weil er sie nicht heftweise zurücktragen kann. Ja, da der anomalische Fortius auf seinen Reisen nichts von Büchern bei sich führte als die besten Stellen, die er vorher herausschnitt, eh' er die kastrierte Ausgabe verkaufte: so schlag' ich mit Vorbedacht akademischen Senaten ordentliche Universitätsbibliotheken aus solchen ausgerissenen Blättern vor.

Den Vorzug der Kleinheit, der den größten Werken fehlet, besitzt nun das Programm des Herrn Rektors, das ich hier der Welt einhändige. Es teilt gut geschriebene Nachrichten von einer Reise mit, die ein Muster sein kann, wie Schulleute mit den Säuglingen und Fechsern ihrer Seele zu reisen haben; auch sind verständige Schulmänner von jeher so gereiset. Ich wollte anfangs das Programm aus dem Deutschen ins – Deutsche vertieren; aber ich glaubte, es hieße den Schwanengesang und den letzten Akt der Schulgelehrsamkeit gar absichtlich beschleunigen, wenn man den lateinischen und ciceronianischen Stil vollends aus dem deutschen würfe, da er ohnehin aus lateinischen Werken längst entwichen ist.

Vorher nur ein Wort über die Reisenden selber.

Da ich die Hunde nie mitzählen werde – sie bestanden aus zwei Spitz-, drei Wachtelhunden der Primaner und einem Saufinder des Rektors –, so setz' ich die Marschsäule nur vierzehn Mann stark an, nämlich einen Dozenten, zwölf Eleven und eine Tochter des Schul-Doge. Letztere fuhr, wie eine Athenerin, allein in einem Kabriolett: auf beiden Seiten faßte das mitschreitende Fußvolk das Fahrzeug ein, wie eine Wache den an den Leiterwagen befestigten Arrestanten, und auf dem Bocke saß die Primanerbank, wie die regensburgische Kurfürstenbank, alternierend, wie etwan beim Bauertanze die Pursche einander im Streichen und Raspeln der Baßgeige ablösen. Im Kabriolett war hinter dem Futterkasten für den Gaul einer für den Reise-Kongreß; der Lehrer kannte die Bosheit vieler Wirte zu gut; daher wurden auf seinen Rat von der Prima (plana), die ihn hörte und begleitete, mehrere Stecken geräucherter Würste zusammengeschossen, und er gab noch dazu die Tochter her, die alles samt der Beikost kochte.

An jeder linken Hüfte – so leicht ist Krieg mit Wissenschaft zu paaren – lag eine Harpune, ein accentus acutus; und die zwölf Schwert-Fische hätten damit den alten Weisel boshaft niederstechen können, wenns wäre begehret worden. Der Schul-Maire selber hatte nichts an den Hüften als eine geschmackvolle robe de fantaisie: in ihnen hatt' er weniger.

Vom Rektor sag' ich nichts: sein Programm selber sagt es, wie er lehrte, lernte und schrieb: im Wirtshaus resorbierte er mit den lymphatischen Milchgefäßen des Papiers allen gelehrten Milchsaft, den eine Reise kocht, und unterweges hielt er seine Schreibtafel den wichtigsten Exkrementen des Zufalls und Bleistifts unter und fing auf, was kam. Aber das sei mir erlaubt, die zwölf Musensöhne zu betrachten, die ebenfalls zwölf pergamentene Rezipienten und Behälter alles Merkwürdigen hinhalten und alles nicht sowohl wie Hogarth auf den Daumen-Nagel skizzieren als mit solchem; ists denn gar zu übertrieben, wenn ich denke: in zwölf solchen ausgespannten Prell- und Zuggarnen mußte sich wahrlich ja alles, was nur gelehrten Zungen und Gaumen vorzulegen ist, bis auf jede Spitzmaus und jeden Hotel-Floh verfangen, und es verblieb, wars auch durch eilf Garne hindurch, doch im zwölften seßhaft? – Sogar die sechs Hunde reiseten nicht völlig ohne Beobachtungsgeist, sondern strichen und merkten überall, wo sie auf etwas Erhebliches stießen, es sofort mit wenigem an und hoben beteuerungsweise das Hinterbein auf. – Nein, eine so gescheute Reise kann gar nicht mehr gemacht werden, solange die Erde auf ihrer ist.

Und hier ist sie selber: nur werd' ich zuweilen persönlich aus dem Parterre unter die Spieler steigen und dareinsprechen, weil mir sonst das Abschreiben des Programms zu langweilig ist und weil auch der Programmenmacher eines und das andere sagt, das ich besser weiß. Ein armer Teufel, den ich studieren lasse und der mitlief, ist meine Quelle.

 
Michaelis-Programm etc.

»Mein lateinisches Osterprogramm, das erweisen sollte, daß schon die ältesten Völker und Menschen, besonders die Patriarchen und klassischen Autoren, sich auf Reisen gemacht – von welchen letztern ich nur den Xenophon und Cäsar, die zwei tapfersten Stilisten, mit ihren Armeen wieder zitiere –, führet vielleicht einige Autoritäten auf, die den Schulmann decken, der mit seinen Untergebenen kurze Ausflüge in deutsche Kreise tut. Ich hielt es für schicklich, in einem vorhergehenden Programm meine Schulreise im voraus zu rechtfertigen, bevor ich ans jetzige ginge, das ich für ein kleines Inventarium mancher aufgelesenen Schätze zu nehmen bitte.

Inzwischen da in den engen Flächeninhalt eines Michaelis-Programma wichtigerer topographischer, statistischer etc. Kubikinhalt unmöglich zu bringen war, und da ich überhaupt meinen stereometrischen und sonstigen Fund einem geräumigern Werke aufspare: so suche der Leser auf diesen Blättern mehr die Geschichte als die Entdeckungen der Pilger – es lassen wohl beide sich lesen.

Die Herren Salzmann und Weiße – anderer zu geschweigen – haben der Welt (ich entscheide nicht, mit welchem Glück) zu zeigen gesucht, wie ein Lehrer halbwüchsige Zöglinge gleichsam auf die Weide einer Reise treiben müsse; aber sie haben immer andern Schulmännern das Recht nicht benommen, ihre Wallfahrten mit einer bejahrten Schuljugend, die im Gängelwagen weniger steht als zieht, ans Licht zu bringen.

Ganz mutig dürft' ich den Herren Scholarchen und Nutritoren unserer Schule über Zeit- und Geldaufwand zur Rede stehen, sobald ich meine Bleifeder vorwiese, die ich auf dem ganzen Marsche nicht in die Tasche brachte, sondern wie eine Leimrute aufsteckte, an die sich, was sehenswürdig war, leicht ansetzte. Ebenso schoß der Salpeter des Merkwürdigen an den zwölf Salpeterwänden meiner Schüler an, wenn ich die zwölf protokollierenden Schreibtafeln so nennen darf, womit sie ausgerüstet waren; und wurde ihnen denn nicht einige Aphäresis, Synkope und Apokope der Lust reichlich genug durch wahre Prothesis, Epenthesis und Paragoge des Wissens erstattet? – Ich unterwinde mich nicht, zu bestimmen, inwiefern wir uns von einem und dem andern jungen EdelmanneDie Troglodyten und Schaltiere der Museen, wie Fälbel, teilen alle Menschen in geräumige Logen ab – z. B. den hohen, niedern, Land-, Stadt-Adel, den Adel im Dienst, bei Hofe, in Ämtern teilen sie in lauter Edelleute ein. abtrennen, der bloß für sein Vergnügen durch Europa fährt und oft auf seinem Reisewagen aus einer Ballei in die andere rollet, ohne eine Schreibtafel einzustecken, geschweige herauszubringen. Sollt' er aber mit seinen fünf Sinnen beträchtliche Kenntnisse aus allen Grenz- und Hauptstädten einfassen und einsargen, sie aber sämtlich im Fahren rein wieder durchsickern und durchfallen lassen: so möcht' er der menschlichen Seele gleichen, die (nach dem pythagoreischen System) die grande tour durch Tiere und Menschen macht und die doch, wenn sie sich im letzten Menschen einsetzt, nur gerade so viel von allen ihren Schulreisen noch im Kopfe mitbringt, als sie in der Minute besaß, da sie ins erste Tier einstieg, nämlich platterdings nichts.

Wenn ein großer Cäsar in seinen Kommentarien oder Friedrich II. in den seinigen bescheiden das Ich mit der dritten Person vertauschten: so geziemet es mir noch mehr, an die Stelle meines Ichs nur meinen Amtsnamen zu setzen.

Den zwanzigsten Juli brach der Rektor (der Verfasser dieses) mit seinen Nomaden auf, nachdem er ihnen vorher eine leichte Rede vorgelesen, worin er ihnen die Anmut der Reisen überhaupt dartat und von den Schulreisen insbesondere foderte, daß sie sich vom Lukubrieren in nichts unterschieden als im Sitzen. Auf dieses Marschreglement und Missiv wies er nachher auf dem ganzen Wege absichtlich zurück. Es ist mehr stadt- als landkündig, daß eine hübsche acerra – nicht philologica, sondern – culinaria, nämlich ein vierrädiges Proviantschiff samt dem darauf fahrenden Küchen-Personale, welches die Tochter des Rektors war, und die Strafkasse von 12 fl. fränk. als Diätengelder gleichsam die fröhliche Morgenröte waren, zu der die Reisegesellschaft auf ihrer Türschwelle hoffend aufsah. Jeder Primaner führte statt einer elenden Badinen-Gerte oder statt der Narrenkolbe eines Geniepfahls einen nützlichen Meßstab – denn Meßtisch und -schnüre lagen samt einigen Autoren schon im Kabriolett –, weil ja der Fichtelberg und die Straße dahin von den herrlichsten Gegenständen zum Messen wimmeln.

Am ersten Morgen hatte man zwei Reisen auf einmal zu tun, die auf dem Wege und die auf der Karte davon, welches ungemein beschwerlich und lehrreich ist. Der ExkurrensIst unter den Schülern jeder Klasse der frère servant. trug eine aufgeschlagene Spezialkarte vor sich hin, auf der Fälbel allen leicht das Dorf zeigte, wo sie jedesmal waren; und da man auf diese Weise allemal den Füßen mit den Fingern (wiewohl vier Schuhe höher auf der Karte) nachreisete: so war vielleicht Motion mit Geographie nicht ungeschickt verkettet. Gegenden, Merkwürdigkeiten, Gebäude, die natürlich nicht auf der Karte vorzuweisen waren und vor denen man doch eben vorbeipassierte, mußten aus dem Büsching geschöpft und gelehret werden, den der vife Pflegesohn des Herrn ** Es ist mein Pflegsohn; ich lösche aber hier mit Recht Lobsprüche weg, die der Herr Rektor wohl nur meinem Stande und dem Zufall entrichtet, daß ich für das Gymnasium einen Schüler mehr dotiere und apanagiere. Auf allen künftigen Blättern des Programms, wo ich vorkomme, will ich Fälbels Titulaturen wegstreichen und dafür in den Text setzen: Herr Pflegvater des Monsieur Fechsers. , Monsieur Fechser, der Gesellschaft allezeit über die Ortschaften vorlas, wodurch sie eben zog. Der Rektor würde von Herzen gern von den meisten Dörfern neben der neuern Geographie auch die mittlere und alte mitgenommen haben: wären beide letztere Geographien von ihnen zu haben gewesen; aber leider zeigen nur wenige europäische Länder, wie etwan die Türkei, Ortschaften mit doppelten Namen auf. Übrigens ist der Rektor seitdem vollkommen überzeugt, daß die homannischen Karten nichts taugen – in der Tat, wenn auf ihnen (nicht auf der Gegend) ganze Einöden, Wasenmeisterhütten, ausspringende Winkel der Ufer entweder ganz mangeln (wie z. B. ein Pulvermagazin nahe bei Hof und ein etwas weiter abgelegenes Spinnhaus) oder doch dasitzen in ganz falschen Entfernungen: so kann man wohl fragen: ob, wenn man von diesen Gegenden mit der camera obscura einen Aufriß nähme und dann die Karte über den Aufriß legte, ob da wohl beide einander decken würden wie zwei gleiche Δ? –


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