Jean Paul
Leben des Quintus Fixlein
Jean Paul

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Der Himmel durchstach ordentlich seine Dämme, und das Regenwasser hielt uns wie belagerte Holländer im Wirtshause, wo anfangs kein Heller verzehret werden sollte, auf achtzehn Stunden fest. Ich schreibe mit Bedacht nur achtzehn Stunden. Wir wurden nach und nach dem Wirte verdächtig durch mein Fluchen sowohl als durch unser ›Rotwelsch und Judendeutsch‹, um so mehr da ich meiner Tochter – sie hat einige Latinität – alles in lateinischer Mundart anbefahl, was sie – als lebende versio interlinearis – vom Garkoche in deutscher fordern sollte. Dieser Mensch zweifelte, ob es richtig mit uns sei. O dreimal selig ist der Mann, der in einer lateinischen Stadt, die Maupertuis zu bauen angeraten, das Bürgerrecht hat und ein Haus! Dreimal elend ists in Deutschland, wo der gelehrte Mann neben dem allerdümmsten in einer Gasse wohnen muß, indes den Leviten im Alten Testament vierzig eigne Städte zu ihrer Behausung ausgeworfen waren! – Da die Zwecke meiner Herodotschen Reise auch statistisch waren: so wollt' ich ganz natürlich auch hinter die Volks- oder Pöbelmenge in Kirchenlamitz kommen, befragte aber nicht den Restaurateur darum – ich wünsche mir jetzt selber Glück zu dieser und der andern Vorsicht –, sondern schickte meine Kompagnie (aber in Piketts zerstückt, um keinem aufzufallen) im Flecken hausieren herum, um das Personale jeder Familie von weitem auszukundschaften. Dennoch wurde man aufmerksam: abends rottierten sich die Bauern in der Wirtsstube zusammen – schöpften Verdacht aus unserm fahrenden Hundestall und aus unsern geometrischen Sturm- und Laternenpfählen – und sahen sie an – spitzten vollends die Ohren, da ich sie (zum Schein) mit schmeichelnden Nachrichten von der Glückssonne der sich auf gleiche Weise rottierenden Franzosen bestach – und gingen (ich wartete es vergeblich ab und blieb auf) nicht von der Stelle. Ich ließ uns eine Stube geben und berichtete leise meinen Leuten: ›ich wäre nur heraufgegangen, um ihnen zu sagen, daß hier unsers Bleibens nicht wäre, sondern daß wir, wenn wir nicht totgeschlagen sein wollten, im ersten Schlafe uns noch mitten in der Nacht aufmachen müßten.‹ Kurz wir wagten es und brachen nach Mitternacht sämtlich kühn genug auf, ohne daß sich die Biergäste – es sei nun wegen unseres mathematischen Gewehrs, oder weil ich wie der große Marius aussah, der bloß mit Mienen seinen Mörder von sich hielt – getraueten, uns im geringsten anzupacken.

Als wir in Marktleuthen eintrafen, wußt' ich im Finstern, daß die Brücke, worüber wir gingen, auf sechs Bogen liegen mußte – nach Büsching; es freuet aber ungemein, gedruckte Sachen nachher als wirkliche vor sich zu sehen. Wir schliefen in einem anständigen Wirtshaus bis um neun Uhr auf dem Stroh, weil der Regen auf den Dächern forttrommelte, bis uns ein anderes Trommeln aufstörte. Es sollte nämlich ein Hungar erschossen werden, der von seinem nach den schismatischen Niederlanden gehenden Regimente mehrere Male deserteuret war. Als ich und mein Kollegium hinauskamen, war schon ein Kreis oder ein Stachelgürtel aus Säbeln um den Inquisiten geschlossen. Ich machte gegen einen vornehmen Offizier die scherzhafte Bemerkung, der Kerl ziehe aus der Festung seines Lebens, die man jetzt erobere, ganz ehrenhaft ab, nämlich mit klingendem Spiel, brennender Lunte und einer Kugel im Munde, wenn man ihn anders dahin treffe. Darauf hielt der Malefikant in lateinischer Sprache an: man möchte ihm verstatten, einige Kleidungsstücke, eh' er angefasset und ausgezogen würde, selber herunterzutun, weil er sie gern der alten Waschfrau beim Regiment an Zahlungsstatt für Wäscherlohn vermachen wollte. Ich bekenn' es, einen Mann, der für klassischen Purismus ist, kränken Donatschnitzer, die er nicht korrigieren darf, auf eine eigne Art; so daß ich, als der Delinquent sein militärisches Testament im schnitzerhaftesten Hungarlateine verfertigte, aufgebracht zu meiner Prima sagte: ›Schon für sein Kauderwelsch verdient er das Arkebusieren; auf syntaxin figuratam und Idiotismen dring' ich nicht einmal, aber die Felonien gegen den Priszian muß jeder vermeiden.‹ Gleich darauf warfen ihn drei Kugeln nieder, deren ich mich gleichsam als Saatkörner des Unterrichts oder als Zwirnsterne bediente, um eine und die andere archäologische Bemerkung über die alten Kriegsstrafen daran zu knüpfen und aufzuwickeln. Ich zerstreuete damit glücklich jenes Mitleiden mit dem Malefikanten, gegen das sich schon die Stoiker so deutlich erklärten und das ich nur dem schwächern Geschlechte zugute halte; daher wird es der Billige mit dem Augen-Tauwetter meiner Tochter wegen des Inkulpaten nicht so genau nehmen.« –
 

– Als ich damals vom Fichtelberg zurückkam: fragt' ich in Marktleuthen selbst das kurze Martyrologium des armen Ungars bei einem Metzger aus, der vor fünf Jahren in Klein-Rom oder Tirnau (der Vaterstadt des Unglücklichen) geschlachtet hatte: der Unglückliche zog mich schon durch das Arkebusieren an, das für meine Phantasie die grausendste Todesart ist, und ich mag einen solchen knienden Armen kaum gemalt sehen. Der größte Verstoß des arkebusierten Warlimini war, daß er dreimal davonlaufen wollte nicht vor den Feinden, sondern vor seinen Kameraden, die ihn eben deswegen erlegen mußten. Ein Gemeiner sollte meines Bedünkens den Bruch seines militärischen Taufbundes wenigstens versparen, bis er Generalissimus oder so etwas würde. Einem Fürsten, einem Generalfeldmarschall bringt es keinen Vorteil, wenn er die Kapitulation hält, weil das so viel ist, als reduziert' er die Regimenter; hingegen dem Füselier, Grenadier etc. bringt das Halten der seinigen wahren Nutzen: er tritt dadurch mit seinen edlern Teilen einer exekutierenden Kugel-Terne aus dem Weg und sparet mithin allezeit seine Brust und sein Kranium einer feindlichen und ehrenvollen Kugel auf, die ihn ins Bette der Ehre herabschießet.

Warlimini war ein guter Narr. Ich und der Fleischer haben nichts davon, daß wir ihn loben und seinem zersplitterten schlaffen Kopfe noch einige Lorbeer-Streu unterbetten; aber warum sollen wir es dem Gelehrten- und Militärstande verbergen, daß der gute Kerl wöchentlich von seinem Mädchen ein oder zwei Schustaks zu Lausewenzel überkam – denn das ganze Mobiliarvermögen bestand in einem warm- und ehrlichschlagenden Herzen – daß sein Wirt, bei dem er sein Traktament vertrank, ihm keinen Heller zu viel anschrieb – daß der Regimentsfeldscher ihm bei jedem Verbande seiner Hiebwunde eine Pfote voll recht gutem Tabak zusteckte – und daß er in seinem ganzen Leben über niemand einen Fluch ausstieß als über sich? Es tat jedem weh, sagte der Fleischer, der eine Flinte auf ihn halten mußte. »Drüben« (sagt' er; denn er ging ein wenig mit mir aus Marktleuthen heraus) »sitzt ein Schafjunge auf seinem Grabe, der pfeift: gleich darneben haben sie ihn nun erschossen. – Als wir den Abend vorher ihn bedauerten, sagt' er, es gehör' ihm nichts Bessers als eine Kugel vor den Kopf, aber er hätte doch, schwur er, für tausend Gulden nicht länger beim Regimente bleiben können.« Ich wollte, ich wäre dazugekommen; ich hätte dem armen Teufel durch die hereinhängende, stinkende Pestwolke auf der letzten Lebens-Strecke statt des elenden Lausewenzels oder statt des noch elendern hier gedruckten Weihrauchs echten Knaster hineingelangt, ob ich gleich nicht rauche. Aber den andern Tag hätt' ich nicht abwarten und es etwan von meiner Anhöhe herunter ansehen mögen, wie der arme Kerl in seinem blinkenden Kreise so allein seine Kleider für seine Wäscherin auszog, eine Viertelstunde vor der Ewigkeit – wie man ihm die weiße Binde um die Augen legte, die nun die ganze grüne Erde und den leuchtenden Himmel gleichsam in sein tief ausgehöhltes Grab vor ihm vorauswarf und alles mit einer festen Nacht wie mit einem Grabstein zudeckte – Und wenn sie nun vollends über sein tobendes, von quälendem Blute steigendes Herz das papierne kalte gehangen hätten, um das warme gewisser hinter diesem zu durchlöchern: so wäre ja jeder weiche Mensch wankend den Hügel auf der andern Seite hinuntergegangen, um den Umsturz des Zerrissenen nicht zu erblicken, und hätte sich die Ohren verstopft, um den fallenden Donnerschlag nicht zu hören – Aber die Phantasie würde mir dann den Armen desto düsterer gezeigt haben, wie er dakniet in seiner weiten Nacht, abgerissen von den Lebendigen, entfernt von den Toten, von niemand in der Finsternis umgeben als vom witternden Tod, der unsichtbar die eisernen Hände aufzieht und sie zusammenschlägt und zwischen ihnen das blutige Herz zerdrückt ... O nach Äonen müßte, wenn der Mensch über das Grab hinauslitte, diese bange Minute noch wie eine düstre Wolke allein am ausgehellten Eden hängen und nie zerfließen!

Alle diese dunkeln Phantasien kommen mir wieder, wenn ich draußen gehe und höre: hier haben sie den erschossen, dort jene Schlacht geliefert; und es ist ein Glück, daß die Zeit die Gräberhaufen der Erde abträgt und die Kirchhöfe der Schlachtfelder eindrückt und unter Blumen versenkt; weil wir sonst alle von unsern Spaziergängen mit einer Brust voll Seufzer zurückkämen.

Ich überlass' es dem Leser, sich den Halbschatten selber hineinzumalen, über den sein Auge leichter den Weg von meinem Erdschatten zu Fälbels Lichtern nimmt. In unserem Leben ist die Zeit der Halbschatten zwischen Lust und Schmerz, der Zwischenwind zwischen Orkan und Zephyr.
 

»Da der Himmel noch immer voll Regen war, erachtete ich es für nötig, aufzubrechen und dem Herrn Pflegevater des Mr. Fechsers bis nach Thiersheim, wo er eintreffen mußte, entgegenzureisen, um es lieber einen Tag früher als später zu erfahren, was er vom Wetter halte. Auch wollt' ich da noch außerdem einen allda gehenkten Posträuber in Augenschein nehmen, weil ich einige Moralen aus ihm für die Meinigen ziehen wollte. Aber wir taten uns vor Thiersheim vergeblich nach einem Galgen um: der Spitzbube saß noch und hing noch an nichts als an Ketten.

Hier mußten wir nun zu meinem größten Schaden fünfzehn volle Tage mit Hunden und Pferden liegen bleiben und kostbar zehren, im fruchtlosen Lauern auf dürres Wetter und auf den Herrn Pflegevater des Mr. Fechsers. Und doch soll ich, gleichsam zum Danke für meine Einbuße, hier vor dem Publikum die Handlungsbücher dessen, was ich da mit meiner Klasse getrieben, aufschlagen und extrahieren, weil einige (zu meiner größten Befremdung) sich, wie ich höre, darüber aufgehalten haben, daß ich für jene funfzehn Tage, die in meine Hundsferien einfielen und in denen ich doch dozieren mußte wie in der Klasse, mich durch eine funfzehntägige Erweiterung der Kanikularferien meines Schadens hab' erholen müssen: solche Zungen-Kritikaster sollen hier beschämt werden durch den funfzehntägigen Lektionskatalog eines Mannes, dem man gern die Hälfte seines Hundstags-Sabbats verkürzte.

Am ersten Hundstag mußte die Klasse schriftlichen Rapport von den Personalien und Realien unserer Reise erstatten. – Am zweiten korrigiert' ich den Rapport – setzte die Korrektur am dritten fort – und schloß die Zensur am vierten. –


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