Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Daß Masochismus und Sadismus gerade bei der Frau sich oft kreuzen, ist natürlich. Das dem Manne masochistisch bis zum äußersten ergebene Weib neigt oft genug dem eigenen Geschlecht gegenüber zu erstaunlich sadistischer Einstellung. Ja, ein einem Mann masochistisch ergebenes Weib kann gegen andere Männer sadistische Triebe zeigen und umgekehrt.
Ein Leser des »Tagebuch« gab im Juni 1929 in den »Münchner Neuesten Nachrichten« ein Inserat auf:
»Herr sucht in den Abendstunden Gelegenheit zu Nachhilfeunterricht.«
Er erhielt folgenden Brief aus München, für dessen wörtliche Wiedergabe er die Verantwortung übernimmt:
»Mein Herr!
Ich bin Dame der Gesellschaft, 38 Jahre, beste, große Erscheinung, seit Jahren Besitzerin und Leiterin eines kleinen Erziehungsinstitutes (Privat!) für schwer erziehbare, hauptsächlich sittlich gefährdete Mädchen zwischen 12 bis 15 Jahren. Ich suche zumal für die Abendstunden zur Beaufsichtigung und zum Unterricht der Zöglinge in den Volksschulfächern, evtl. auch im Englischen und Französischen, vielleicht auch im Turnen, Freiübungen usw. einen geeigneten jüngeren Herrn. Es handelt sich, wie gesagt, um z. T. recht schwierige Mädchen, so daß nach meinen Erfahrungen nur ein äußerst energischer Herr in Frage kommt, denn ohne größte Strenge kann man sich auf die Dauer bei so veranlagten Zöglingen keine Autorität schaffen – und ohne Stock, Peitsche usw. geht es nun einmal in solch einer Anstalt nicht. Wenigstens nach meiner Ansicht – die Ansichten, gerade was Erziehungsprobleme anlangt, sind ja recht verschieden – doch ich fuße auf meine reichlichen persönlichen Erfahrungen.
Ihre Aufgabe wird im Beginn darin bestehen, die Mädchen zu unterrichten evtl. Einzelunterricht. Nachhilfe etc., Kontrolle der Hausaufgaben, Aufsicht bei den Schularbeiten, beim Zubettgehen etc., evtl. Turnunterricht. Ich werde zumal im Beginn hierbei oft zugegen sein, schon damit Sie sehen, wie etwa ich den Unterricht usw. gehandhabt haben will. Bin ich nicht zugegen, so haben Sie alle Vergehen wie Faulheit, Unaufmerksamkeit, Ungehorsam, Ungezogenheiten, vor allem etwa vorkommende Unanständigkeiten aufzunotieren und mir später zu melden. Die Strafen werden von mir – wenigstens im Anfang nur von mir – in Ihrem Beisein vollzogen, damit Sie sehen, was ich in dieser Hinsicht für richtig und angebracht halte, später und je nach Eignung werden Sie in meinem Beisein die Abstrafung vornehmen bzw. freie Hand in dieser Beziehung haben. Der Unterricht muß gut sein und aufs straffste geleitet werden, so daß bei den Zöglingen stets angespannteste Aufmerksamkeit und Fleiß herrscht, verschiedene – im ganzen sind es zehn – neigen sehr zur Trägheit. Die Mädchen sollen stets das Gefühl haben, daß sie aufs schärfste beobachtet werden, auch in der freien Zeit. Da es sich um sittlich gefährdete Mädchen handelt, sind Unanständigkeiten nicht so selten. Ich will offen sprechen: fast alle neigen in stärkster Weise zur Onanie, würden sofort Verkehr ausüben etc. Gerade in diesem Punkt verlange ich absolute Zurückhaltung und restlose Selbstbeherrschung von den Zöglingen. Sie sind gerade hierin raffiniert und wissen gut im geheimen ihre Unanständigkeiten zu treiben. Ein junger Herr als Lehrer wird jedenfalls anfangs sehr auf ihre Sinnlichkeit einwirken, da heißt es also besonders aufmerksam und vorsichtig zu sein: im Unterricht stets verlangen, daß die Hände stets auf dem Tisch sind, die Beine absolut ruhig, nicht übereinander geschlagen, ebenso strenge auf andere Anzeichen von Sinnlichkeit achten! Im Zweifelsfalle mich sofort rufen, ich kontrolliere dann schon in der richtigen Weise und an der richtigen Stelle nach und konstatiere mit Sicherheit auch die kleinste Unanständigkeit! Derartige Vergehen pflege ich ganz besonders streng zu bestrafen, da sonst sofort Rückfälle eintreten würden. Die am Tage notwendig gewordenen Züchtigungen werden abends auf dem für solche Zwecke besonders eingerichteten Zimmer vollzogen. Die betreffenden Zöglinge kommen nach der nötigen Vorbereitung über den eigens konstruierten Strafbock, und zwar nackt, denn ich will sehen, wie die Züchtigung wirkt, um danach den richtigen Maßstab zu bekommen – zu wenig gibt's in keinem Fall. Die Hiebe gibt es über das Gesäß, das gründlich herausgesteckt wird. Kopf der Zöglinge zwischen meine Beine und dann Rohrstock oder Peitsche, und zwar so, daß es pfeift, bei Unanständigkeiten zwischen die Schenkel, um die allzu frühen Gefühle dort gehörig auszutreiben. Je nachdem lasse ich auch Sie in dieser Position – d. h. Kopf des Mädchens zwischen meinen Schenkeln – einen Teil der Hiebe überziehen, und zwar so, daß es Striemen gibt! Ich weiß sehr wohl, daß solche »intimen« Vorgänge meist äußerst erregend auf den betreffenden Herrn einwirken, der zusieht, bzw. assistiert – ich will da ganz offen sprechen –, zumal ich selbst es mir bei solchen Gelegenheiten recht bequem in der Kleidung usw. mache. Nun, das schadet nichts – natürlich verlange ich vor den Mädchen absolute Selbstbeherrschung! So darf es nicht sein wie in anderen Anstalten, in denen die Erzieher Mädchen zuerst straften und dann die, die ihnen zusagten, auf ihr Zimmer bestellten und kraft ihrer Dienstgewalt Dinge von ihnen verlangten, die, abgesehen von allem anderen, auch strafbar waren! Die Mädchen sind selbstredend zu meiner persönlichen Bedienung da, und ich ziehe sie, soweit ich dies für gut erachte, zu allen möglichen auch intimeren Diensten bei mir heran und helfe auch hier mit dem Rohrstock etc. gründlich nach, wenn es sich als nötig erweist. Also: zu empfindlich dürfen Sie nicht sein, wenn Sie die ersten Male zugegen sind, wenn eins der Mädchen von mir Wichse bekommt. Sie werden sich anfangs vielleicht wundern, wenn ich das elastische Röhrchen oder die Peitsche über ein angeschnalltes Hinterteil knallen lasse, evtl. 25 mal – und hören wie der Zögling zwischen meinen Schenkeln um Gnade winselt: so eine Züchtigung pflege ich oft bis zu einer halben Stunde in die Länge zu ziehen! Ich bleibe selbstredend in den Grenzen des mir zustehenden Züchtigungsrechtes, aber – ich gehe, wenn nötig, direkt bis an die Grenze. So, jetzt sind Sie über diesen Punkt orientiert und können sich entscheiden! Selbstverständlich hängt alles noch von einem persönlichen Kennenlernen ab, denn – Sie müssen mir sympathisch sein, Sie müssen nicht nur – wie gesagt, geeignet sein, sondern mir auch körperlich gut gefallen! Sie müssen restlos diskret sein. Erfüllen Sie diesen Punkt, so würden Sie bei mir nicht nur eine angenehme, sondern auch eine gut bezahlte Stellung finden. –
Und jetzt geben Sie mir bitte umgehend ganz ausführlich Nachricht unter ›Unterricht 38‹, Hauptpostlagernd, Residenzstraße ...
*
Es handelt sich bei der Verfasserin dieses Briefes keineswegs um eine reine Sadistin. Die Tatsache, daß sie einen »männlichen« Assistenten sucht, der ihr »gefallen muß«, beweist, daß sie sexuelle Auslösung beim Manne sucht und wahrscheinlich von ihm – (der ja Unterricht darin erhalten, nicht nur geben soll) – die gleichen sadistischen Ausschweifungen ihr gegenüber verlangt, deren Ausübung sie ihren Zöglingen gegenüber liebt.
Nur die enge Verankerung des weiblichen perversen Liebeslebens in den Abgründen der libido sexualis lassen uns den Masochismus der Frau, der öfter, als man annimmt, verdrängter Sadismus ist, verstehen.
Die ärztliche Wissenschaft steht dem Problem ziemlich ratlos gegenüber. Sie hilft sich mit der Einreihung aller Hörigkeitstypen anormalen Ausmaßes in die Armee der Hysterikerinnen.
Das mag, so weit es sich um ein mit künstlichen Mitteln erreichtes Hörigkeitsverhältnis handelt, etwa wie bei der Suggestion, zutreffen. Aber wo endet die Suggestion bei dem zur Hörigkeit neigenden Weibe? Wo beginnt sie?
Ist es nicht seltsam, daß gerade der hysterisch veranlagte Mann – nach Ansicht der Wissenschaft – oft einen bezwingenden Einfluß auf das Weib ausübt?
Dr. med. S. Placzek erzählt in seinem Buch »Das Geschlechtsleben der Hysterischen« einen Fall, der damals beträchtliches Aufsehen erregte.
Ein gewisser Czynski, früher Lehrer der französischen Sprache, gebürtig in Russisch-Polen, später Hypnotiseur, wurde angeschuldigt, eine Dame aus bester Familie hypnotisiert, durch posihypnotische Suggestion zu sexuellem Verkehr gebracht und eine Scheintrauung mit ihr arrangiert zu haben. Eine seltsam abenteuerliche Persönlichkeit, dieser Czynski! Auf seinen Reisen hielt er öffentliche Vorträge über Hypnotismus und Magnetismus und machte Reklame für seine magnetischhypnotische Heilmethode. Aus Preußen ausgewiesen, verlegt er den Schauplatz seiner Tätigkeit nach Dresden und gründet dort zwei Kliniken. Er nennt sich Professor, Dr. med. h. c, legt sich ein »von« zu, gibt vor, ein Abkömmling einer fürstlich litauischen Familie zu sein. Ohne erforderliche ärztliche Vorbildung praktiziert er, und zwar behandelt er nach der längst verlassenen Methode des psychischen Transferts (Übertragung von Schmerzen, Lähmungen usw. des Patienten auf eine Somnambule), suggeriert in phantastischer Form mit mannigfachsten Manipulationen, wahrsagt auch aus der Hand. Er umgibt sich mit dem Zauber des Geheimnisvollen, was bei den höheren Ständen und insbesondere bei dem schönen Geschlecht selten wirkungslos bleibt, und wird eifriger Adept okkulter Wissenschaft. Sein Äußeres kam ihm hierbei trefflich zu statten: dunkles Haar, faszinierende Augen, wohlgepflegter Bart, tadelloser, fast stutzerhafter schwarzer Anzug, dazu die Formen des Weltmanns, das leidenschaftliche Temperament des polnischen Blutes, ein baritonales Sprachtimbre und der merkwürdige Reiz des fremden Akzents und fehlerhaft gesprochenen Deutsch! Er blendet andere und scheint mit Vorliebe die interessante Persönlichkeit zu spielen, täuscht sich aber selbst künstlich über die innere Hohlheit seiner zweifelhaften Existenz hinweg. Der äußere Schein soll ihm das ersetzen, was ihm innerlich fehlte, daher in seinem reklameartigen Auftreten der Brustton der Überzeugung, der selten seine Wirkung verfehlt.
Diesen so gearteten Mann erkennt von Schrenck-Notzing im Laufe der Gerichtsverhandlung als Hysteriker mit der bei dieser Erkrankung vorkommenden Veränderung des Charakters.
Er umgarnte diese Frau aus vornehmem Hause so vollkommen, daß sie sich in allem seinem Willen unterwarf. Der Psychiater Grashey fand dabei an ihr »keinen hysterischen Zug«. Allerdings war sie zur finanziellen Ausbeutung durch einen skrupellosen Abenteurer, dem jedes Mittel recht war, ganz besonders geeignet, denn sie war ganz selbständig, vertrauensselig, für spiritistische Dinge besonders lebhaft interessiert und »hochgradig suggestibel«.
Der skrupellose Hypnotiseur entpuppte sich, wie erwähnt, während der Beobachtung als ausgesprochener Hysteriker, und dieser Hysteriker verstand es, einer Dame des Adels die Überzeugung beizubringen, daß sie von Gott berufen und bestimmt wäre, seine von Sünden beladene Seele zu retten. Er verstand es, diese Überzeugung so mächtig werden zu lassen, daß sie ihn retten wollte, und wenn sie dabei zugrunde ginge. Zu diesem Zwecke hypnotisierte er sie durch Auflegen der Hände, Streichungen und Suggestionen, erklärte ihr in solchem Zustand einmal seine Liebe und wiederholte das später mündlich und schriftlich. Diese suggerierte Behandlung machte sie zu seinem willenlosen Werkzeug, zu seinem willenlosen Opfer. Sie glaubte noch an seine Ehrenhaftigkeit, als sie schon einsehen mußte, daß die Trauung eine Komödie war, die Trauscheine gefälscht waren. Erst lange, nachdem sie seinem Einfluß entzogen war, erlosch die Suggestion.
Wenn solch ein verhängnisvoller Einfluß auf das Sexualleben einer Frau möglich ist, die keinen hysterischen Zug hat, wieviel leichter ist es möglich bei einer ausgesprochen hysterischen Frau, wo Phantasie und Gefühlsleben das Verstandesmäßige überwiegen, Gefühlsreaktionen besonders leicht auslösbar sind, und die Suggestibilität und Autosuggestibilität lebhaft gesteigert sind. Hemmende Gegenvorstellungen werden dann nur zu leicht ausgeschaltet – sagt Placzek.
Aber Erklärungen wie »hysterische Veranlagung, Suggestibilität, Gefühlsreaktion« usw. schneiden das Problem nur an. Es liegt tiefer.
Welch ein bunt bewegtes bizarres grausames Bild bieten z. B. die Hexen im Mittelalter! Nicht die Verbrennung der Hexen ist das Entscheidende, nicht die Schuld der kirchlichen oder weltlichen Gerichtsbarkeit ist das Interessanteste: nein, die Tatsache, daß die sexuelle Hörigkeit des Weibes unbegrenzt ist, sobald sie gewisse Regionen erreicht hat.
Denn die Hexen waren durchaus nicht nur Frauen, die durch Folterungen zu den unglaublichsten Geständnissen gebracht wurden. Nein, viele hatten ihre Wunschträume in der Phantasie – erlebt, und diese Wunschträume drehten sich nur um sexuelle Ausschweifungen. Ob man dafür die Enthaltsamkeit und Zurückhaltung, die die christlichen Moralgesetze der Frau vorschrieben, allein verantwortlich machen darf, möchte ich sehr bezweifeln. Man machte es sich hier mit einer traditionell und landesüblich gewordenen Erklärung sehr leicht. Warum sind denn die Psychopathinnen und Nymphomaninnen heute noch so zahlreich vertreten, obgleich es an Möglichkeiten zu erotischer Betätigung nicht fehlt?
Weil es ein Problem gibt, das wir nicht einfach mit »erzwungener Keuschheit« erklären können:
Das Ausgleichungsproblem im Sexualleben.
Differenzierungen des Geschlechtslebens finden sich hundertfach in jedem einzelnen Leben!
Schulbeispiel eines derart besessenen Weibes, halb Sadistin, halb Masochistin, bald masochistisch im Liebessehnen, sadistisch im Liebesakt, bald sich selbst anklagend, bald andere verleumdend, ein Dämon gegen den Schwächeren, willenloses Geschöpf in den Händen des sexuell Überlegenen – so wird Frau von Schönebeck, die Gattin des Majors von Schönebeck in Allenstein, in der Geschichte der weiblichen Sexualverirrungen fortleben.
Diese Antonie von Schönebeck, die ich schon im ersten Band erwähnt habe, hatte sich in den ersten Jahren ihrer Ehe reichlich kompromittiert. »Das Remontesystem dieser Kavalleristin versagt nie,« schrieb Harden, und zeichnete den Mann, dem die Untreue der Gattin hinterbracht wird, mit seinen eigenen Worten:
»Dummes Weiberzeug! Daß einer oben ist, mag sein. Mancher hat da schon geschwelgt und nach den Geschlechtsnerven von meinen Tellern den Gaumen gefüttert. Mannsvolk genug, um eine Brigade zu befehlen. Ich weiß alles. Daß der Hausschlüssel von einer Tasche in die andere wandert. Wie sie's gar mit dem erstbesten aus Berlin getrieben hat, wenn sie wochenlang dort saß, um für Wirtschaft und Kinder billiger einzukaufen. Das Tierchen hat ja jedes Lendenerlebnis ins Tagebuch gekritzelt. Kenne aus Briefen das Hengstgewieher der Angekörten. Alles. Sie läßt's nicht. Sie kann nicht, der Doktor sagt: hysterische Hypererosie. Ich habe ein kurzes Wort: Tierchen.«
Also dieses »Tierchen« war seinem Sexualtrieb völlig hörig und legte sich bald keine Beschränkung mehr auf.
Antonies Hausschlüssel ging im Allensteiner Kasino von Hand zu Hand. In ihrem ehelichen Schlafzimmer feierte sie Orgien, im Kattunkleid, ein Tuch um den Kopf geschlagen, suchte sie in Städten, die sie bereiste, Abenteuer. Die Voyeurs auf der Friedrichstraße kannten sie sogar mit Namen. 1907 lernte sie den Hauptmann von Göben kennen. Infantil trotz Schlachtenruhms (in Afrika erworben), sexuellen Hemmungen unterworfen, wird dieser ihr Höriger und – Beherrscher. Einer der erregendsten Liebeskämpfe beginnt. Mal ist diese Lulu hörig. Die Grenzen verwischen sich, sie sucht Zuflucht in seiner reinen Gemütssphäre, mal reißt sie den Geliebten hemmungslos in den Sumpf ihrer Ausschweifungen.
Er hat vor ihr keine Frau geliebt, hat nie sein Verlangen gekühlt. Harden schildert seine libido: »Den Knaben treibt's in enthusiastische Freundschaft, die ihm aber kein Lustgefühl schafft. Den 17jährigen überfällt das Pubertätsfieber. Im Traum fühlt er, den die Mutter im Scherzspiel auf ihren Rücken reiten ließ, unter seinen von zarten Armen umklammerten Schenkeln einen Frauenrücken, fühlt er in der engen Schlinge seiner Arme einen feinhäutigen Hals und erwacht in der müden Wonne, die des Geschlechtshungers Stillung bringt. Der Jüngling ersehnt und beschleunigt die Wiederkehr solchen Traumes. Sucht sie, als er reiten gelernt hat, auch als Wacher herbeizuzwingen, und gewöhnt sich, im Sattel den Akkumulator seines Geschlechtstriebes zu entladen. Liebt sein Roß wie ein Weib, tätschelt es mit sanften Fingern, kraut ihm schäkernd die Mähne, kitzelt es zärtlich mit der Fußspitze, dem Sporn. Und läßt von wollüstiger Vorstellung den Frauenleib formen, der ihn, in seligerer Stunde tragen soll. Keiner hat ihm von sexuellem Bedürfnis und sexueller Gefahr gesprochen. Keiner hat ihn je vor Schädlichkeit, Mißbrauch des Zeugungsorgans gewarnt. Die dumpfen Sinne schreckt das Geschlechtsleben der Frau, von der er doch das höchste, heißeste Wollustgefühl hofft. Wer sie spornen, bis zur äußersten Ermattung antreiben und die Keuchende dann nach Belieben zügeln könnte! Der Lieblingstraum wird zur unentbehrlichen, zwingenden Vorstellung, und der Artillerieleutnant tut wie Onan, Judas zweiter Sohn von Sua, den des Herrn Zorn traf, weil er, statt bei des Bruders Wittib zu liegen, seinen Keimsaft in die Erde sickern ließ.«
Da führte ihm der Zufall auf einem Ball die Circe zu. Heiße Liebe zu ihr flammt auf, wird erwidert.
Vielleicht hat ihm bisher nur der seine scheue, verschüchterte Geschlechtsart ergänzende Weibstypus gefehlt: Der besondere Wesensdunst, dessen Wehen auch ihn in den großen Orgasmus lenzlicher Natur taucht ... Heißen Dunstschleiern schält sich die Jünglingsvorstellung: Ein feinhäutiger Hals, den seine Arme umklammern. Unter seinen Schenkeln, in die sich rosige Fingernägel oder Ellbogen bohren, ein Frauenrücken. Kann dieser Traum nie Wirklichkeit werden? Schon ist er mit der im Lustverlangen Bedenklosen weit genug, um den Versuch wagen zu können. Setzt sie wie ein Kind zum Huckepackspielen auf seine Schultern, beugt dann lächelnd den Rumpf und läßt sie auf seinen Rücken gleiten. Und endet das Jauchzduo mit dem Ruf: »Nun soll der Reiter das Pferdchen, nun sollst du deinen Braunen tragen!« Zum erstenmal erlebt er's mit wachen Augen. Fühlt sich von beseligendem Wollustspasmus geschüttelt. Ist zum erstenmal in eines Weibes warmer Nähe seiner Mannheit froh geworden.
Was vermochte Göben der Frau zu verweigern, die als erste ihn, als einzige, die Wonne einer der Natur nahen Geschlechtsbefriedigung erleben ließ? Die nistet nun in der Herzkammer seines Geheimnisses, weiß jetzt erst, was diesem Zagen die schlaffen Adern in Schwellung bringt, welcher Genitalreiz diesem Weibsscheuen den Genuß natürlicher Paarung ersetzt. Den kann sie gewähren und kann ihn versagen. Dem der Norm nicht mehr ganz Fernen auch völlige Heilung verheißen. Aus sicherem Herrschsitz spinnt sie dünne Fädchen, knotet eines bedeutsam ins andere: und hat mit engmaschigem Netz bald Kopf und Sinn des Mannes umstrickt. Noch spürt er den Druck nicht. Ist mit der Seligen selig, die mit ihren Buhlkünsten nicht geizt und, in Bereitschaft immer, mit ihrem langenden Blick, ihrem Lächeln zu sprechen scheint wie zu Mahardöh der Mund der Bajadere. »Was du willst, sollst du haben!« Im stillen aber entschlossen ist, nur was ihr beliebt, ihm zu geben. Der Weibinstinkt wittert ihn, den nicht die Wirklichkeit, den nur die Vorstellung zur höchsten Willensleistung, auch zur männischen, des Körpers spornt. Und ahnt rasch, daß die Vorstellungswelt dieses Willens früh abwelken müßte, wenn ihr nicht jeder Tag einen neuen, drängenden, erlebenden Quell erschlösse. Heute muß Eifersucht, morgen Scham die Sinne des Hauptmannes anregen. Heute darf er aus voller Schale schlürfen und morgen nicht einmal die Lippen netzen. In Antoniens Erzählung vertiert Gustav zum unersättlichen Bullen, der sich von Tag zu Tag auf die Kalbe stürzt, dessen Gier zwischen zwei Sonnen mindestens einen Geschlechtsakt erzwingt. Doppelt brennt vor dem Schreckbild solcher roh prägenden Übermächtigkeit die Schmach des eigenen Unvermögens. Das wich am Ende in der mitteilsamen Wärme steten Zusammenseins. Immer in Angst vor dem Tritt auf dem Gange, vor dem Morgengrauen, das den Schlupfweg über die Haustür sperrt. Nur ein selbst schon in Tierheit Gesunkener hätte da Ruhe zum stillenden Genuß. Von dem Lakentyrannen die Frau, von Eifersucht, Kraftlähmung, Schwachheitsschmach den Mann zu befreien, gibt es ein einziges Mittel. Er beschwört Antonie, ihre Ehe scheiden zu lassen und ihm ganz zu gehören. Die Frau fällt in Ohnmacht. (Harden meint, das könne sie in freier Willkür, könne wie mancher brahmanische Yogi und ein uckermärkischer Fürst durch die Gewalt ihrer Vorstellung und Selbstsuggestion Krampf und Ohnmacht, Pulsstockung und Pulsbeschleunigung, abnorme Vorgänge verschiedener Art in ihrem Körper erwirken.) Flüstert mit blasser Lippe dann, daß nicht der schönste Traum je so hehres Glück verkündet, und der Rausch der Verheißung drum jetzt das Bewußtseinstor überschwemmt habe. Die Zeit wilder Ekstasen beginnt. Zwar hat der in Unvermögensangst Erschauernde die Frau überredet, die Hochzeitsdämmerung in keuscher Zärtlichkeit heranzuwarten, doch die Frau will den mühsam geweckten Willen zur Mannheit nicht entschlummern lassen. Weil in dem Liebenden des Mannes zu wenig ist, soll die Geliebte darben? Nur verhaßte Umarmung dulden? Erträgt er denn, ein Edelmann und Soldat, den Gedanken, daß ihr Leben, dessen Sehnen er niemals noch stillte, eines anderen alltägliche Beute ist? Bebt nicht vor der Möglichkeit, ihre nie noch nach Lust getränkten Sinne könnten, wie durstende Hunde am besudelten Rinnsal, sich am unsauberen Born kühlen? Mit solchen Worten, solchem Greuelspuk reizt sie den Ruhelosen, reizt auch seinen Körper mit den in der Schule der Perversion und des Tribadismus erlernten Künsten. Und bleibt ihrer Peitschenarbeit alles das von reicher Erfahrung geleitete Mühen dennoch unbelohnt, so hagelt es Hohn in die beim Reizspiel entbundene Wunde. Er soll in der Gefahr zittern, daß in der trockenen Glut das Gefäß ihrer Sinne undicht wird, und ihre Liebe ihm so entrinnt. Dann plötzlich schäumt ihre Zärtlichkeit wieder auf. In jäher Folge geht's so. Aus den Tropen im Fluge wieder ins Nordpolarmeer. Göben kommt in Ängsten und Fiebern kaum über die Stunden hinweg, die er nicht in ihrer Atemnähe verhocken darf. Seine Schande empfindet er. Die unabwaschbare Schmach so tiefer Erniedrigung und wühlt sich selbst noch tiefer in den warmen Schlamm ...
Im Kasino ist er, in jedem Salon der kleinen Stadt ein frommer, vor Frauen ehrfürchtiger, von der Heiligkeit der Ehe durchdrungener Christ, dessen strenge Sittlichkeit und spröde Mannestugend alt und jung bewundert. Hinter der Maske wohnt nur ein Wunsch: in neue, durch alte Gewöhnung erwünschte Lust rasch nun zurück! Bäumt sich nur eine Frage: wie erwirke ich auch hier so unersetzlichen Genuß, übermanne die Schwachheit meines Geschlechtslebens und sättige die Sinne einer, die des Hungers längst müde ward?
Der Herbst bringt die Antwort. Über alles Ahnen beglückende. Nach der langen Manövertrennung gelingt, was noch nie gelang: die Mann und Weib zum Gattungsdienst nach der Norm der Natur einende Paarung ... Heftiger als je fordert Antonie jetzt Sklavendienste. In jeder Minute muß der Hauptmann ihres Winkes gewärtig sein. Und möchte jauchzen, wenn er so sich erniedrigt sieht. Zieht der Wonnigsten die Stiefel aus, die von der Hitze des Rittes noch feuchten Strümpfe und küßt kniend die Sohle des Fußes. Wartet stundenlang beim Stelldichein, das sie absichtlich versäumt, und wagt nachher nicht den sanftesten Vorwurf. Kniet vier Nächte lang an ihrem Bett, weil sie gesagt hat, nur seines Handtellers Wärme könne aufliegend den Schmerz lindern, der ihren Leib zusammenkrampft. Göben würde, wie in Nanas Schlafstube der in kraftloser, ehrloser Gier klappernde Graf Muffat, auf allen vieren kriechen, mit den Pfoten wedeln und zwischen den Zähnen eine Klosettbürste apportieren.
Wie nun die Scheidung herbeiführen? Sie reizt ihn durch Vorstellungen der Zudringlichkeit des Mannes, des ewig Brünstigen. Nun erwägen sie Duell, Arsenik, die Möglichkeit, ihn im Wald als Jäger zu stellen, mit dem Revolver die Lösung der Ehe zu erzwingen. Weigert er sich, dann Zweikampf. Um die frische Spur nicht erwittern zu lassen, gibt Antonie ihm ein Paar Strümpfe des Mannes, daß er sie über die Stiefel streife. Doch immer noch zaudert er. Endlich, unter dem Christbaum schwört er, der in der Weihnacht vier Stunden im Arm der Liebsten lag, nicht mehr zu säumen. In der nächsten Nacht steigt er durchs Hoffenster ein und tötet den Major.
Ich habe darauf hingewiesen, daß ich den Fall »Schönebeck« bereits im ersten Band dieses Werkes unter »Der masochistische Mann« erwähnt habe. Dort galt meine Untersuchung dem Manne, Göben. – Aber es wäre falsch, dieses Verhältnis nur aus dem Masochismus des Mannes heraus zu erklären. Gewiß war er im Geschlechtsakt der Unterliegende, in allen Präluminarien der Gelockte, Betörte, Dienende. Aber war denn dieses Weib nicht ebenso hörig, wenn auch nur einem Sexus von unerhörtem Ausmaß? Sie war bestimmt nicht nur Nymphomanin. Wir dürfen ihr glauben, daß ihr Versuch, in Göbens reine Gefühlsatmosphäre zu gelangen, echt war. Wir müssen den Major mitverantwortlich machen für das Maß der Entsittlichung dieser Frau. Sie ist der Typus jenes sexualhörigen Weibes, das besessen von seiner libido, das bessere Selbst bewußt verleugnet, hilflos hin und her taumelt im Rausch der Sinne und schließlich tragisch endet, enden muß, wie die Gräfin Tarnowska (über die im dritten Bande gesprochen werden soll) und viele andere.