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Das Weib – verstaatlicht?

Wenn also ein großer Teil unserer heutigen Sittenschilderer, Männer und Frauen, der Meinung sind, das Hörigkeitsverhältnis des Weibes zum Manne, zur Gesellschaft und zum Staat habe ein Ende erreicht, so darf man diese kühne Hypothese mit einem Lächeln und einem kurzen Hinweis auf die psychologische Eigenart der Frau ad absurdum führen.

Die Eiferer, die das tausendjährige Reich des Weibes heranbrechen sehen, vergessen, daß es zu allen Zeiten und bei allen Völkern männliche Frauen und weibische Männer gegeben hat. Ja, man darf behaupten, daß es den völlig reinen Typ des männlichen oder des weiblichen Prinzips nicht gibt. Es ist also nicht verwunderlich, wenn zu gewissen Zeiten das männliche Prinzip im Weibe mehr hervortritt, das weibische Prinzip im Manne sich mehr unterwirft, d. h. wenn die Frauen eine mehr männliche Betonung, die Männer feminine Züge zeigen. Das sind aber nur Kurven, bedingt durch Erscheinungen wie Krieg, Revolution, kulturelle und wirtschaftliche Eigenarten. Die Zeit der Technik hat eine Art besonders männlich veranlagter Frauen geschaffen, d. h. das Hermaphroditische im Geschlecht an sich hat das Normale augenblicklich ins Gegensätzliche gekehrt. Aber damit ist nichts für die Hegemonie der Frau bewiesen, nicht einmal für eine zeitweise Befreiung aus ihrer durch die Natur bedingten Knechtschaft.

Was die Frau auf der einen Seite gewinnt an sexueller Freiheit und Ungebundenheit, das bezahlt sie auf der anderen Seite mit um so größerer wirtschaftlicher Knechtschaft. Ich komme auf Sowjetrußland, in dem die Frau angeblich aus Jahrtausende alter Hörigkeit befreit wurde, noch zurück. Hier aber möchte ich kurz eine Tatsache erwähnen, die mehr als alle theoretischen Ausführungen beweist, wohin das »befreite« Weib steuert, und daß es zum Schluß immer wieder die Zeche der männlichen libido zu bezahlen hat.

Die Tatsache der gänzlichen Erniedrigung, die das Weib in Sowjetrußland erfährt, beweist, welche schlechten Dienste diejenigen der Frau erweisen, die sie aus den »Ketten der Ehe« befreien wollen.

Theodor Seibert, ein gewissenhafter deutscher Journalist, lange Zeit Berichterstatter in Moskau, hat aus eigener Anschauung die »Befreiung der Frau« kennen gelernt und über seine russischen Erfahrungen ein Buch geschrieben: »Das rote Rußland.« Die bürgerliche Kultur ist im Sowjetstaat nicht nur abgeschafft, sie ist schon eine Art Schreckmittel für Kinder geworden. Die bürgerliche Frau existiert nicht mehr und darf nicht mehr existieren, denn »der Bourgeois ist das Schwein an sich«.

siehe Bildunterschrift

Familie
»New York Times Book Review« (Buch-Illustration)

Seibert erzählt nun, wie das Zusammenleben von Jungen und Mädchen in den Kinderheimen und Jugendhäusern keineswegs die »gesunden Verhältnisse« geschaffen hat, die sich Sexualreformer davon versprachen. »Es gibt jedenfalls kein zweites Land in unseren Zonen, in dem so viele kleine Mädchen zwischen 12 und 15 Jahren (!) schwanger werden wie in Rußland. Wir sehen hier ganz von den furchtbaren Verhältnissen unter den obdachlosen, verwahrlosten Kindern ab, die moralisch und sexuell vollständig verseucht sind. Die bewußt anerzogene Amoralität des bolschewistischen Nachwuchses hat den Begriff Liebe weitgehend aus den Beziehungen der Geschlechter verdrängt und an seine Stelle eine rein psychologische Auffassung der sexuellen Beziehungen gesetzt. Die Mädchen sind zwar nicht gerade Gemeingut, wie die antibolschewistische Propaganda manchmal behauptet hat, aber es wird doch in jungkommunistischen Kreisen übel vermerkt, wenn eine Genossin sich den wechselnden Neigungen ihrer Kameraden nicht gern beugt. Die Sowjetliteratur hat sich mit diesen Themen mehrmals beschäftigt und ist dabei immer letzten Endes zu dem Schluß gekommen, daß ›Liebe‹ ein bourgeoiser Rückstand sei, der im Leben der neuen Generation nichts zu suchen habe. Russische Jungkommunistinnen, die sich gegen die Sitte der bloßen ›Benutzung‹ aufgelehnt haben, sind nicht nur getadelt, sondern auch verspottet worden. Eine sehr reale Folge der nüchternen jungbolschewistischen Sexualbegriffe sind zahllose Schwangerschaften, die wiederum zu unzähligen Abtreibungen führen und die Gesundheit des weiblichen Nachwuchses zweifellos untergraben. Daß ein Mädchen mehrmals im Jahre abtreiben läßt, ist durchaus üblich in diesen Kreisen. Auch wirkliche Orgien und sexuelle Verbrechen, wie Massenvergewaltigung, sind durch die Sowjetpresse doch zu oft bezeugt worden, als daß man sie als ganz aus dem Rahmen fallend übergehen könnte. Die Partei bekämpft allerdings das Rowdytum sehr scharf, aber daß es so viele jungbolschewistische Rowdies gibt, nicht nur auf sexuellem Gebiet, ist eine Folge der kommunistischen Jugendpolitik.«

siehe Bildunterschrift

Der Abgedankte
(Karikatur im Dienste des Frauenwahlrechts)

Das heißt also mit anderen Worten: Die Frau wurde befreit von den bürgerlichen Voraussetzungen und Pflichten der Liebe, um der Prostitution und der Notzucht in anderer Form zugeführt zu werden.

Das Werk über das Hörigkeitsverhältnis der Frau dient – es sei betont – keinen Parteizwecken, es übt an der bürgerlichen Welt- und Sittenanschauung berechtigte Kritik. Aber nichts darf uns veranlassen, die gleiche Aufmerksamkeit einer Erscheinung zuzuwenden, die die sexuelle Hörigkeit des Weibes erst restlos vollendet hat. Alle Bestrebungen, die in den bürgerlichen Kreisen der anderen Völker auf ähnliche Erfolge hinzielen, beweisen nur die Kurzsichtigkeit der Reformer. Die Schattenseiten bürgerlicher Einrichtungen sind für jeden klar zu sehen. Aber wo wir mit Reformen und Verbesserungen einsetzen müssen, ist mit Anarchie am wenigsten getan – es sei denn, daß die Umformer der menschlichen Gesellschaft das Geschlechtswesen Mensch zu jener primitiven Urform zurückentwickeln könnten, wo die Befruchtung weder soziale noch ethische noch wirtschaftliche Probleme aufriß.

Leider scheint auch in westeuropäischen Ländern diese restlose sexuelle Hörigkeit, dieser gesetzliche Mißbrauch des Weibes das Ziel der Ideologen zu sein. Es ist ein Trugbild, wenn uns als Ziel die »Befreiung« der Frau vorgetäuscht wird. Diese »Befreiung« ist der erste Markstein auf dem Wege zur Sozialisierung des Weibes. Es fängt an mit der Bagatellisierung der Liebe durch die Literatur. »Männliche Literatur« nennt Kurt Pinthus (»Tagebuch«, 1. Juni 1929) die Dichtung etwa von 1910 bis 1925 und schreibt: »Der Mann oder Männer sind Helden der charakteristischen Bücher und Dramen der letzten Jahre ...

Jeder, der noch Illusionen hat, kriegt in den neuen Büchern vom Schicksal eins über den Schädel, daß ihm nicht nur Hören und Sehen vergeht, sondern daß er zugleich Hören und Sehen lernt, vertraut nun mit der Wirklichkeit und vertrauend auf die Wirklichkeit ...

Man lese etwa Josef Roths Buch ›Die Flucht ohne Ende‹, das sich im Untertitel ›Ein Bericht‹ nennt. Der Schluß heißt: ›Es war am 27. August 1926, um 4 Uhr nachmittags ... da stand mein Freund Tunda, 32 Jahre alt, gesund und frisch, ein junger starker Mann von allerhand Talenten, auf dem Platz vor der Madeleine, inmitten der Hauptstadt der Welt, und wußte nicht, was er machen sollte. Er hatte keinen Beruf, keine Liebe, keine Lust, keine Hoffnung, keinen Ehrgeiz und nicht einmal Egoismus ...‹

Alle diese Bücher geben Illusionszerstörung, die niemals bejammert und beschrien wird, mit der Unpathetik und Sachlichkeit des Chronisten, zeigen Zerstörung des Zeitgemäßen, Aufdeckung des Wirklichen, an Beispielen von Kindern, jungen Menschen, Bürgern, Bauern, Proletariern, Vaganten.

In Kestens ›Josef sucht die Freiheit‹ wird an einem einzigen Tag, am dreizehnten Geburtstag eines Knaben, jede Möglichkeit jeder Ideologie für immer und radikal vernichtet durch das, was er an diesem Tag mit Augen sieht und selbst erlebt: ein ironisch-zynisches Panorama sich jagender Ereignisse zerstört Liebe zur Mutter und zum Mädchen, Familiengefühl, Freundschaft, Altruismus, so daß schon dem Kind nichts bleibt als vielleicht Erkämpfen anarchistischer Freiheit.

Glaeser enthüllt die langsame Desillusionisierung der zur Kriegszeit Aufwachsenden milder, zarter als Kesten in jenem Buch ›Jahrgang 1902‹, dessen Titel bereits zum Schlagwort für diese Generation wurde. Hauser zeigt in ›Brackwasser‹, daß der Matrose und die Hafendirne, überall in der Welt, wie zäh und energisch sie sich auch aufraffen und zusammenraffen, immer: Matrose und Hafendirne, entwurzelte Vaganten, bleiben müssen. Auch hier, wie lyrischer bei Remarque, sprießt aus krassester Belichtung, einfachster Aussage der Realität von Dingen und Gefühlen dennoch das, was einst ›Poesie‹ genannt wurde ...

Es wurden bis jetzt nur Bücher von Männern genannt. Aber auch Bücher von Frauen dieser Generation wirken männlich – durch ihre sachliche Kraft, Menschen, Schicksale, Wirklichkeit unheimlich einfach darzustellen, nicht nur die Frauen-Literatur aller früheren Epochen, sondern manchmal sogar die gleichzeitige männlicher Autoren übertrumpfend. Der Kleistpreis des letzten Jahres wurde dem Autor Seghers zuerteilt für das Buch ›Aufstand der Fischer von St. Barbara‹, eine mitleidslose rauhe Chronik aus dem Leben armer Fischer, deren Empörung sogleich wehrlos und stumpf gemacht wird. Hätte man nicht infolge dieser Auszeichnung erfahren, daß Deghers mit Vornamen Anna heißt, niemand hätte vermutet, daß dies Buch von einer Frau geschrieben ist.

Man lese solchen Satz: › Da kam Kedenucks Frau, sie war schwanger, aber so hager, daß ihr Bauch wegstand wie ein Knorz von einer dürren Wurzel ...‹

Man lese die Novellen und Dramen der Marieluise Fleißer aus Ingolstadt. Wo in der Welt hat eine Frau so schaurig sicher, so grausam aufdeckend Dunkelstes und Unbeschreiblichstes der Menschennatur in einem äußerlich naturhaft derbschlächtigen, innerlich derart differenzierten Stil geschrieben?

Man lese schließlich ein scheinbar weiblicheres, weicheres Buch: ›Die Verliebten‹ von Gina Kaus. Wo ist so fanatisch, mit fast pedantischer Penetranz, alle Illusion im Dasein liebender Menschen, jeder Glaube an fremdes und eigenes Glück zerstört worden – vermittelst einer bewußt individualpsychologisch exakten Methode?

siehe Bildunterschrift

Saphismus
F. v. Bayros

In all diesen Büchern ist die Liebe niemals mehr als das ›große kosmische Erlebnis‹, von dem der Hauptteil der europäischen Literatur jahrhundertelang lebte. Das Liebeserlebnis als große Angelegenheit geht hier stets fast lächerlich in die Brüche: es bleibt nur: Naturnotwendigkeit. In einigen dieser ›Romane‹ kommen Frauen und Liebe überhaupt nicht vor, sonst werden sie mit betonter Unsentimentalität behandelt. Das Motiv der Liebessehnsucht, das durch Trennung gesteigerte Liebesgefühl, schaltet aus: wie Arbeit, wie Hunger ist die Frau für den Mann, der Mann schlechthin für die Frau da. Man nimmt sich, gibt sich ohne viel Getu und Geschrei. Von der durch literarische Betätigung vieler Generationen erzielten Problematisierung der Liebe wird so wenig Wesens gemacht, wie zu finden ist, wenn man sie als selbstverständlich natürlichen Vorgang betrachtet.

Schließlich muß aber noch einmal gesagt werden, daß die Literatur trotz ihrer zerstörenden Elemente festigend, weil klärend und kritisch wirkt ...«

Pinthus reflektiert nur, er beurteilt diese männliche Literatur vom Standpunkt des Kritikers aus. Wir aber bemerken heute schon die vollkommene Desillusionierung der Liebe, die Fratze eines Naturalismus, dessen Form und dessen Wesen bereits der Anarchie entsprechen. Anarchie ist kein Dauerzustand, auch nicht Anarchie der Liebe. Aber das Weib, das in die Musik dieses Aufbruchs in eine neue Zeit einstimmt, ahnt nicht, daß es ein Rückzug in die Zeit der dunkelsten Barbarei ist. Warum auch nicht? Wir sind diesen Weg sicher schon einmal gegangen, wir sind ihn vielleicht schon tausendmal gegangen. »Jeder menschliche Körper ist seit undenkbar langer Zeit am Leben, jedoch nur als Serie von Keimkörpern. Jeder hat einen tätigen Weg hinter sich. Die Reise hat Millionen von Jahren gedauert. Man hat menschliche Körper gefunden, die 126 000 Jahre alt sind. Wir lebten damals schon. Keime ändern sich aber unendlich langsam.

In der Urzeit, beweist die Geologie, gab es keine Menschen auf Erden, nur Tiere. Aber wir waren damals schon Keime, tierische Keime. Unendlich ist unsere Vergangenheit. Wie ist es mit der Zukunft? Die lange Serie von Keimkörpern wird fortschreiten. Sie haben sich in der Vergangenheit langsam geändert und sich immer mehr der gegenwärtigen Form genähert. Die Veränderung wird weiter vor sich gehen. Wir wissen nicht, was aus uns wird. Wie ein Zyklus dem anderen folgt, so werden die Generationen dahinsterben, aber unser Leben wird fortbestehen ...« (Dekan Dr. C.H. Harvey in »Hygeia«, Chikago).


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