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Nach den Schattenseiten unseres »erotischen Zeitalters« darf man mit Freuden eine Hellenisierung des Leibes feststellen. Die Romantik, das Biedermeier und die Zeit fast bis zum Weltkriege hatten die Liebe völlig vergeistigt. Die Seele war alles, Gefühl wurde bis zur Hysterie gesteigert, der Körper blieb verhüllt in einer unbegreiflichen Scheu, ja Angst.
Der »nackte Mensch« war eine Angelegenheit der Pornographie und bestenfalls der Kunst. Darüber hinaus existierte er nicht. Er blieb verhüllt, und die Schönheit des weiblichen Körpers, die Ehrfurcht vor dem Nackten konnte nicht aufkommen vor dem Richterstuhl einer Moral, die schon Enthüllung als Unsittlichkeit ansah und selbst für die Liebesnacht ungeschriebene Gesetze schuf, die nicht erlaubten, über das notwendige im Geschlechtsverkehr hinauszugehen. Denn nicht die Sache an sich, nicht das Objekt schien die Hauptsache, sondern der Zweck, und der war, in jedem Falle, soweit nicht staatlich konzessionierte Fortpflanzung in Frage kam, an sich schon unsittlich. –
Die Bedeutung einer Sache steht im gleichen Verhältnis zur Vielheit der Nachfrage. Das Weib verliert in asketisch gesinnten Zeiten an Wert und Schätzung. In Epochen, die der Pflege der Sinnlichkeit im weitesten Sinne zuneigen, wird die Bedeutung der Frau, des weiblichen Körpers als Ausdruck wahrnehmbarer Schönheit, gesteigert. Daß eine Übersteigerung keine Kulturförderung bedeutet, soll nicht bestritten sein. Allein die Sinnlichkeit eine Teufelserfindung nennen, weil sie, in Überreizung ausgeartet, zum Laster wird, hieße behaupten, das Leben sei nicht vorhanden, weil es vom Tode abgelöst wird.
Die Bedeutung des Frauenkörpers in der Antike, für alle Zweige menschlicher Entwicklung, für Kunst, Literatur, Schönheitsempfinden, zum Segen für die Politik (Aspasia und Perikles), geht aus der Rolle hervor, die die Frau als Liebesspenderin im Altertum gespielt hat. Um die Stellung der nackten Frau in jenen glücklichen Zeiten attischer Lebenskunst ganz zu verstehen, müssen wir uns loslösen von dem Einfluß unserer Zeit und unserer rein auf Zweckmäßigkeit gerichteten Weltanschauung. Wir Menschen des 20. Jahrhunderts sind stolz auf den Höhenflug unseres Geistes zu den letzten Zielen des Daseins. Diese Ziele aber sind Phantome, die sich dereinst als graue, trostlose Schemen entpuppen werden, in deren Eiseshauch die letzte Leidenschaft des einst so jungen und nun altersschwachen Menschengeschlechts erfrieren wird. Die Jugend in ihrer von Hormonreichtum vorwärts getriebenen Kraftfülle fragt nicht nach Zweck und Ziel und Sinn des Lebens. Das Leben ist, folglich: leben wir. Jugend und Liebe und Schönheit sind. Folglich: dienen wir ihr, nehmen wir sie, seien wir glücklich, indem wir es sind, d. h. uns einbilden, es zu sein. Der gereifte Mensch fragt: Aber was ist denn das, das Glück? Können wir es beweisen? Kann ich denn bewußt glücklich sein? Und wann und warum bin ich glücklich? Ist es Lebenszweck, glücklich zu sein? Was aber ist Lebenszweck? –
Das verschleierte Bild von Sais antwortet nicht. Die Menschheit des 20. Jahrhunderts, verwirrt von philosophischen Systemen, durch technische Erkenntnisse immer mehr dem Wunder entfremdet, Zweckmäßigkeit setzend an Stelle des Unbewußten, entwindet Zeus den zündenden Blitz und sagt lächelnd: Elektrizität, göttliche Hoheit, wir kennen den Zauber, uns kann kein metaphysischer Schwindel mehr im Siegeszuge der Aufklärung und der letzten Erkenntnisse aufhalten.
Es ist klar, daß dieser Menschheit ein lästiges Gespenst immer gebieterischer in den Weg tritt.
Warum? lautet seine Frage. Warum? Zu welchem Zweck stürmt ihr mit Arteriosklerose behafteten Gehirntitanen den Olymp und macht aus Pallas Athene eine sprachgewandte Stenotypistin? Um die letzten Errungenschaften der Zivilisation unseren Nachkommen zu hinterlassen (die freilich wieder den allerletzten Errungenschaften nachjagen und deshalb zu leben vergessen).
Klar, daß nach diesem Zweckmäßigkeitsrummel, dieser Vergeistigung und »Problematisierung« der an sich unproblematischsten Lebensvorgänge, die mit den dann komplizierter werdenden ethischen Begriffen selbstverständlich sich auch immer mehr komplizieren und in Unnatur ausarten – klar, daß die Reaktion nicht ausblieb.
Siehe, sie setzt da ein, wo Hellas begann: bei dem primitiven Schönheitskult des Frauenkörpers! Nur in dem Zeitalter, in dem man den Nordpol entdeckt und im Luftschiff den Ozean durchquert, in dem man Zeit und Raum, zwei unfaßbare Menschenbegriffe, auf Formeln zu bringen sucht, deren Wert im Verhältnis zu ihrer mathematischen Kleinheit ins Gigantische zu wachsen scheint – in dieser Zeit des eiskalten Realismus, in der die Romantik nur an Zahlen hängt, entdeckt man mit ehrfürchtigem Schauern (nebenbei auch mit zeitgemäßer Geschäftemacherei) die nackte Frau.
Die Schönheit an sich.
Die Bedeutung des weiblichen Körpers im Altertum ist Wesen der Kulturgeschichte der Griechen, Römer, Assyrier, Babylonier, Ägypter. Wir finden jenseits von allem Mythos, jeder Religionsart und aller durch Land und Klima bedingten Sittenauffassung eine Bewußtheit um den nackten Körper, eine Klangfülle alles Lebendigen, um die wir jene Zeitalter mehr beneiden dürfen als um die Grundzüge des Römischen Rechts oder die grundlegende Bühnenart des Äschylos und Euripides.
Und hier liegt der Schlüssel zu jeder gesunden, freien Menschheitskultur. Die Bewußtheit um das lebendige Leben, die lebendige Schönheit.
Man hat uns Deutsche in Schulen, Zeitungen, Vereinen mit geradezu magischer Suggestion zur Anbetung des Unlebendigen erzogen. Zur Anerkennung der Kunst. Sie ist tabu geworden, ein scholastisches Kind der Gelehrsamkeit. Der Glanz versunkener Jahrhunderte ruht anthologisiert und fein nach farbentechnischer Anerkennung und sittlicher Duldung geregelt in Museen, Kulturwerken und Kunstgeschichten. Aber man hat vergessen, daß das Alpha und Omega jedes Kunstverstehens der lebendige Körper, kurz: die Bewegung im Begriff ist. Keine künstlerische Darstellung ist imstande, die unbeschreibliche Harmonie, das Zusammenstimmen und Zusammenschließen der Schönheitsattribute des weiblichen Körpers in der Bewegung zu ersetzen. Eben das, was unsere Phantasie erregt, unsere Begeisterung weckt, ist nicht der kalte, vollendete Marmor, nicht das farbenreiche, abgestimmte Fleisch. Es ist das atmende Leben, die vom Blut durchpulste Haut, es ist der göttliche Atem im menschlichen Körper, es ist die Grazie der Haltung, die Lieblichkeit der Armbewegung, die Majestät des Sicherhebens, die Kühnheit des Lagerns, das Atmen des Busens, die Süße der lebendigen Ruhe.
So ist das nackte Weib, das lebt.
Dieser nackte Körper muß sich seiner Kraft, Schönheit und Sinnlichkeit bewußt sein, um uns seine ungeheure Fruchtbarkeit zu übermitteln.
Solche Bewußtheit hatten die Alten. Sie ging verloren bis zu der phantastischen Lebenspotenz der Renaissance. Sie macht heute Versuche, sich wieder durchzusetzen.
Die Frau kann in unserer Zeit nicht offiziell nackt auftreten, das ist klar. – (Schon das Klima ist nicht geeignet.) Aber es ist eine Frage, ob man die Kleidung, die z. B. die moderne Frau am Abend, bei großen, festlichen Anlässen trägt, als »Kleidung« aufzufassen hat. Diese Schleier sind alles eher als eine Robe. Doch immerhin – die Frau verhüllt sich, wenn auch durchaus nicht schamhaft. Und es wäre eine interessante Streitfrage, »sine ira«, aber »cum studio«, zu entscheiden, ob die Frauen, die sich früher öffentlich nackt gezeigt hatten, die öffentliche Moral mehr verletzten als die halbverkleideten Frauen heute. Daß es den Hetären verschiedener Zeitalter erlaubt war, sich nackt zu zeigen, ist bekannt.
In den Zeiten der französischen Revolution näherte sich die Mode der völligen Nacktheit. Der Ausklang des großen Umsturzes, die Tage, die von Barras regiert wurden (oder soll man sagen: die Nächte?) – jene durchtollten Monate einer Madame Beauharnais zeigten im Äußeren der Frau eine seltsame Ähnlichkeit mit unserer heutigen Zeit.
So beschreibt z. B. der Duc de Broglie in seinen Souvenirs die Toilette der Madame Tallien: »Sie pflegte sich, wenn das Wetter günstig war, bei Ranelagh als Diana zu zeigen. Ihre Brüste waren halb entblößt, die Tunika reichte nicht über das Knie ...«
Daß auch in dem prüden England um die Wende des 18. Jahrhunderts eine nackte Frau sich öffentlich zeigen konnte, beweist das von Dumas und zeitgenössischen Autoren verbürgte Abenteuer der Lady Hamilton. Diese Abenteurerin, schön, jung, von vollendetem Wuchs, traf eines Tages mit Dr. Graham zusammen, einem Charlatan von einigem medizinischen Wissen, der das Publikum aber vorzüglich studiert hatte. Er hatte einen templum aesculapio sacrum, eine der ärztlichen Wissenschaft geheiligte Stätte, geschaffen. Dieses seltsame Gebäude – vielmehr der Saal eines Gebäudes an der Royal-Terrasse, diente dem höheren Gimpelfang. Es war eine Art Hochburg der ewigen Jugend, eine Reklameschau für die irdische Kraft, ein Tempel der Gesundheit. Von da aus verkaufte Dr. Graham der gläubigen Menge (auch Georg III. von England zählte zu seinen Protektoren) seine Mixturen. Um den Zulauf zu erhöhen, suchte er eine »Attraktion«. Er fand sie in diesem leichtfertigen Fräulein Emma Harte, von der noch niemand ahnte, daß sie einst die Vertraute einer Königin und die Geliebte des größten Seehelden Englands werden sollte, Emma Harte trat in diesem Tempel des Gauners als »Göttin der Gesundheit« auf.
Natürlich nackt. –
Unsere Zeit hat sich mit dem Eifer der langen Entbehrung auf den nackten Körper gestürzt. Und als man erkannte, daß man so lange Zeit an dem Tatsächlichen fast achtlos vorübergegangen war, da wurde die Liebe zum Nackten zum Kultus, und der Kultus wurde zur Raserei, und schließlich, als »nackt sein« sozusagen zum guten Ton gehörte, da warf man »nackte Frauen« in Revuen und auf Bühnen, in Zeitschriften und Aufklärungswerken en masse ins Volk.
So wurde die nackte Frau proletarisiert. Die Mode schürzte den Rock über dem Knie. Hätte das Klima es erlaubt, sie wäre noch höher gegangen. Das Ballkleid wurde ein Hauch, die Linie war alles, und man verlängerte den Rücken bis zur letzten Menschlichkeit. Da war denn das Ideal von der nackten Frau glücklich wieder totgetrampelt. Zwei Zentner schwere Fettklumpen weiblichen Geschlechts veranstalteten Fleischbeschau mit ihrer wogenden Weiblichkeit. Der Markt war überliefert, und die Übersättigung setzte ein. Wir werden also bald eine engere Auswahl des Körperlichen erleben, die Mode verhüllt sich wieder, und das natürliche Schamgefühl stellt sich um.
Die nackte Frau als Schönheitsideal ist eben kein Lehrmittel für sexuell Unbegabte und Menschen mit mangelnder Herzensbildung. Eine Frau ist noch nicht schön, weil sie sich auszieht, und ein ausgezogener Mensch ist noch lange nicht nackt im Sinne des Ideals.
Wir werden also auf Engrosbelieferung von nackten Schenkeln verzichten und als edleren Ausdruck dieser Zeit den nackten Menschen, die nackte Frau »in Auswahl« uns erhalten. Hier darf von einer starken Emanzipierung des Weibes gesprochen werden. Hier ist ihre Hörigkeit in Wahrheit zu Ende, so man jene Rüsseltiere ausschaltet, die eben nur das Geschlechtliche im Geschlecht zu sehen vermögen.
Geschlecht ist nicht nur Mittel zum Geschlechtstrieb. Es ist souverän, schön, erhaben an sich. Aber die Berufenen werden ewig für ihr Ideal kämpfen und in die Schranken treten müssen. Denn die Leute sterben nicht aus, die eine Venus mit einem Schamlappen interessanter finden als ohne. Denn sie wollen immer und hinter allem etwas suchen. Das ist, wo nichts verborgen ist, unmöglich.